Kapitel 4


Gideon

Unbewegt stand ich im Narzissenfeld, während meine Gedanken kreisten. Noch immer wollte sich mein Kopf nicht damit abgeben, was Lionel getan hatte.

„Was wollt Ihr jetzt tun, Mylord?", fragte Lucius, der neben mich trat. Er klang besorgt und sah unruhig umher. „Lionel verbreitet das Gerücht aggressiv und versucht, Unruhe zu stiften", informierte er mich. Etwas, was ich sehr gut wusste. Immerhin hatte ich die letzten Stunden damit zugebracht, mich umfangreich zu informieren. Mir war mehr durch die Hände gegangen, als ich gehofft hatte. Es war viel schlimmer, als mir noch vor ein paar Stunden bewusst gewesen war. Lionel hatte viel zu viele Unterstützer.

Daher wollte ich auch den Rat meiner Vertrauten einholen. „Welche Möglichkeiten habe ich?", wollte ich von Lucius und Jace wissen. Vielleicht kamen sie auf Möglichkeiten, die mir noch nicht im Kopf herumschwirrten. Allerdings hatte ich mich schon für einen Weg entschieden. Ob sie diesen auch als beste Möglichkeit ansahen? Ich hoffte es, denn ich brauchte ihre Unterstützung.

Beide standen neben mir und genossen den Anblick des Feldes. Das Narzissenfeld war mein Lieblingsplatz im Palast. Es war meiner Mutter zu verdanken, dass es dieses überhaupt gab. So viel wie sie mir über diese erzählt hatte, war es unschwer zu übersehen, dass es ihre Lieblingsblumen waren. Mich erinnerten sie immer an die sanften Umarmungen meiner Mutter. Ich hoffte sehr, dass Lionel diesen Garten nicht zerstörte. Zutrauen würde ich es ihm leider.

Mutter war oft mit mir auf dieses Feld gegangen, weshalb ich viele schöne Erinnerungen daran hatte. Für Lionel galt das jedoch nicht. Ihn verband nichts mit diesem Feld. Außer vielleicht die Tatsache, dass er sich ausgeschlossen gefühlt hatte.

Nach Mutters Tod hatte ich diesen Ort sehr oft aufgesucht, um mich mit ihr verbunden zu fühlen. Heute stand ich hier, weil ich hoffte, meine Gefühle zu ordnen und leichter eine Entscheidung zu fällen. Manchmal war es, als würde ich ihr Flüstern hören. Als würde sie mir einen Rat geben wollen.

Hier fühlte ich Frieden und konnte mich entspannen, um klar zu denken. Daher hoffte ich auch jetzt, dass es mir helfen würde, die richtige Entscheidung zu treffen. Wenn ich könnte, würde ich Mutter oder Vater fragen, denn ich war wirklich unsicher.

Jace und Lucius sahen sich kurz an, bevor Jace mir antwortete.

„Mylord", begann er, räusperte sich jedoch kurz, „es ist eine heikle Situation." Dessen war ich mir durchaus bewusst. Immerhin ging es hier um sehr viel. Dass Jace es jetzt noch einmal ansprach, zeigte mir, dass er keine leichtfertige Antwort geben würde. Zudem sah er hilfesuchend zu Lucius, der in diesen Fragen auch mehr Erfahrung und Ahnung hatte.

„Wenn Ihr Euch entscheidet, um den Thron zu kämpfen, könnte es chaotisch werden", erklärte Lucius. Auch das war mir bewusst, doch es war gut, dass auch sie sich dessen bewusst waren. „Das Volk wird die Hauptlast tragen." Etwas, was ich auf keinen Fall wollte.

Das war auch der Grund, warum mir eine Entscheidung so schwerfiel. Ich wusste, was die beste Lösung für mein Volk war, doch irgendwie hatte ich Angst, dass es das nur noch schlimmer machte. Einen Kampf konnte ich jedoch nicht gewinnen. Nicht, solange Lucius mein Volk als Geisel nahm.

Es erinnerte mich sehr an die Erzählungen über Hodor. Hatten sich die Drachen im Kampf damals auch so gefühlt? Immerhin waren sie in einer ähnlichen Lage gewesen. Gegen die Menschen, die sie liebten, kämpfen oder gehen.

„Du denkst also, es wäre besser, wenn ich abdanke?", fragte ich, denn das war auch mein erster Gedanke gewesen. Ich würde es machen, wie die Drachen. Es war besser, den Rückzug anzutreten und mit neuer Kraft später zurückzukehren. Zumindest war das mein Plan.

„Wir wissen, wie Euer Halbbruder wirklich ist", fuhr Jace fort. „Vielleicht hat er die Leute getäuscht und den Rat dazu gebracht, sich wegen seiner Gerüchte gegen Euch zu wenden", schlug er vor, klang jedoch nicht sonderlich überzeugt davon. Auch ihm musste klar sein, dass der Rat sich nicht so leicht täuschen ließ. Wobei ich mittlerweile auch nicht mehr so sicher war. Alles war sehr seltsam gewesen. Ob sie überhaupt von Lionels Ambitionen wussten? „Allerdings wissen wir wohl alle, dass Lucius keine guten Absichten hat. Ich bin sicher, dass sie sich bald schon unter seinem Befehl stöhnend winden werden. Sie werden Euch anflehen, den Thron zurückzuerobern." Na, ob das wirklich so sein würde?

Meiner Meinung nach war das Wunschdenken. Dennoch verstand ich diesen Gedankengang. Das würde alles leichter machen und eigentlich wollte ich, dass dieser Plan eine Chance bekam, obwohl ich wusste, dass es eigennützig war.

„Manchmal ist es am besten, einen Schritt zurückzutreten und die Realität spielen zu lassen", sagte Lucius, womit er genau so dachte, wie ich. Vermutlich ließ auch er sich von den Geschichten über Hodor inspirieren. Gleichzeitig war es jedoch auch eine Lektion, die er von unserem alten Lehrmeister hatte. Auch ich erinnerte mich an diese Strategie. Den Feind glauben zu lassen, er hätte gewonnen, um gestärkt zurückzuschlagen. Nur wusste ich nicht, ob es eine gute Taktik für dieses spezielle Schlachtfeld war.

„Geduld ist in der Tat eine Tugend", stimmte Jace Lucius zu. Schien, als wäre auch er der Meinung, was mich nur bestätigte. Immerhin war es auch das, was ich geplant hatte zu tun. Zu wissen, dass ich dabei ihre Unterstützung hatte, beruhigte mich ungemein.

„Es ist ungewöhnlich, dass ihr beide einer Meinung seid. Ihr müsst also schon einmal darüber gesprochen haben", bemerkte ich und man hörte mir die Erleichterung auch an. Dass beide meiner Idee zustimmten, beruhigte mich auf eine Art und Weise, die ich kaum beschreiben konnte. Es war, als wäre eine Last von mir abgefallen, denn die Angst, dass sie etwas anderes von mir erwarteten, war groß. Ich wollte ihre Erwartungen nicht enttäuschen, denn ich war auch ihr König. Zwar sahen sie mich in erster Linie als Freund, doch trotzdem gehörten sie zu denen, die ich schützen wollte. Daher wusste ich auch, dass sie an meiner Seite bleiben würden. Selbst bei dieser Entscheidung würden sie meinen Weg begleiten. Ich war also nicht allein.

„Wir haben beide beschlossen, unser Ego da rauszuhalten und zusammenzuarbeiten, um Euch in dieser schwierigen Situation zu unterstützen", verkündete Lucius, wobei seine Stimme leichten Spott enthielt. Ich wusste zu gut, dass beide sich gern stritten und sich dann am Ende damit aufzogen, wer von ihnen verloren hatte.

„Das dachte ich mir", erwiderte ich, wobei ein leises Lachen in meiner Stimme mitklang. „Dann bin ich mir sicher, dass ihr beide einen Plan habt?", fragte ich noch einmal nach, auch, wenn es weniger eine Frage, als eine Feststellung war. Dennoch ließ ich sie so klingen. Immerhin wollte ich meinen Plan mit ihnen abgleichen.

Obwohl ich am Ende doch immer das letzte Wort hatte, schätzte ich ihre Meinungen sehr. Viel mehr als die meiner eigentlichen Berater. Was vielleicht daran lag, dass wir eine ähnliche Moralvorstellung teilten. Dazu kam eine lange Vergangenheit, die uns zusammengeschweißt hatte.

„Das haben wir, Mylord", erwiderte Jace und spannte sich etwas an. „Das alte Avalon ist ein guter Ort, um wieder zu Kräften zu kommen. Dabei können wir Hodor aus respektabler Entfernung im Auge behalten."

Es war überraschend, wie ähnlich unsere Denkweise war. Die Insel, die einst als Schutz für die Drachen gedacht war und nun zu einem Gefängnis für die Unruhestifter geworden war, war tatsächlich der einzige Ort, an dem ich hoffte, Hilfe zu finden. Und das allein war eigentlich traurig.

Seit meiner Herrschaft war niemand mehr dorthin verbannt worden, weshalb die meisten von ihnen eher einen Groll gegen den Rat als gegen mich hegten. Daher hoffte ich, unter ihnen Verbündete zu finden. Allen voran wollte ich mich aber erst einmal dorthin zurückziehen, damit mein Bruder glaubte, dass er mich los war. Es war besser, wenn er glaubte, nicht beobachtet zu werden. Ich wollte sehen, was er tat, wenn niemand ihn mehr auf die Finger schauen würde. Dabei hoffte ich, dass ich damit nicht den Untergang meines Reiches heraufbeschwor.

„Dann wäre das geklärt", seufzte ich, womit ich beiden deutlich machte, dass es sich dabei auch um meinen Plan handelte. Eine Prozedur, die wir schon oft durchgeführt hatten. Beide kannten mich gut genug, um mich auch jetzt zu verstehen. „Zu schade, dass ich nicht sagen kann, dass es Spaß macht, König zu sein." Es war eher eine Last und trotzdem musste man diese auf verantwortungsvolle Schultern legen. Wer wusste schon, was Lucius mit dieser Macht alles anstellte.

Viele dachten vielleicht in erster Linie daran, dass es angenehm war, ein König zu sein. Vermutlich sahen die meisten den Reichtum und den Respekt, vergaßen aber, dass dahinter viel Arbeit, Entbehrung und eine Menge Probleme standen. Als König lastete das Leben so vieler Leute auf dir, dass ich manchmal das Gefühl hatte, es würde mich erdrücken. Aber vermutlich war das nur so, wenn einem das Volk kümmerte. Für jemand wie Lionel, dem das einfache Volk völlig egal war, würde es vermutlich angenehmer werden.

Natürlich hatte ich den Glanz, der mit dem Titel einherging, in allen Zügen genossen, doch die Verantwortung wog schwerer und war mir weitaus wichtiger.

Was Lionels Thronbesteigung betraf, hatte ich gemischte Gefühle. Ein Teil von mir war erleichtert, dass ich die Verantwortung abgeben konnte. Danach würde ich tun und lassen können, was ich wollte. Endlich ein freies und unbeschwertes Leben führen.

Der andere Teil von mir war jedoch misstrauisch, was mein Bruder mit dieser Macht anfangen würde. In seinen Händen war sie nicht gerade sicher. Dass er sie missbrauchte, war eigentlich sicher. Ich hoffte nur, dass er damit nichts tat, was man nicht wieder rückgängig machen konnte. Sonst würde ich mir nie verzeihen können.

„Wie immer scheint es mir, als wären wir uns in diesem Punkt einig", bemerkte ich, um deutlich meine Zustimmung zu dem Plan zu geben.

Jace seufzte erleichtert. „Das ist gut, denn wir haben bereits ein Treffen mit dem zweiten Prinzen vereinbart", sagte er. Dass er Lionel noch immer als zweiten Prinzen bezeichnete, zeigte mir, dass er nicht sonderlich viel von ihm hielt. Für ihn war und blieb ich der König und das würde sich nicht ändern. Daher war er auch einer meiner engsten Vertrauten.

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