Kapitel 2.2
Was sollte das denn jetzt? Warum sprach er dieses Thema an? Sagte Lucius nicht, dass es um etwas anderes ging oder nahm er es als Vorwand?
„Nachfolge?", fragte ich vorsichtig nach, da Hakon eine seiner seltenen Pausen machte. Ich achtete sehr darauf, was er jetzt sagen würde, denn ich wusste, dass er gleich zum Schlag ausholte. Die Frage war nur wann und wie. Ich musste mich auf alles einstellen.
Hakons Blick ging schnell zu Lionel, weshalb ich kurz meine Aufmerksamkeit auf meinen Bruder richtete. Was sollte dieser Blick? War das ein Zeichen dafür, dass sich beide abgebrochen hatten? Dafür wirkte mein Bruder jedoch zu unbeteiligt und auch ... gelangweilt.
Er stand am äußeren Rand des Thronsaales und starrte ausdruckslos ins Leere.
Für Außenstehende würde er wohl wirken, als hätte er kein Interesse an dem, was hier vor sich ging, doch ich kannte ihn besser als andere. Er war ein schlaues, listiges Wesen und nutzte alles zu seinen eigenen Gunsten. Daher musste diese Sache ihn mehr interessieren als er zeigte. Oder aber er hatte bei Hakons ersten Worten genauso abgeschaltet wie ich.
„Die Frage der Nachfolge, Mylord", fuhr Hakon zögerlich fort, als müsste ich wissen, was er damit meinte. Scheinbar hatte Lionel nicht so reagiert, wie er es sich erwünscht hatte. Vielleicht hatte Hakon gewollt, dass Lionel weitersprach und wusste jetzt nicht, wie er das Thema weiterführen sollte. „Es ist eine dringende Angelegenheit, die den Rat beschäftigt", fügte er hinzu, als würde er von mir jetzt eine Antwort wollen. Dabei war nicht einmal eine richtige Frage gestellt worden. Das gefiel mir ganz und gar nicht.
Ich wusste nicht, was ich ihm dazu sagen sollte. Vor allem nicht an einen solch öffentlichen Ort. Wenn es das war, was sie mit mir besprechen wollte, warum hatten sie dann einen öffentlichen Gerichtssaal gewählt? Wäre dafür nicht ein privater Raum sinnvoller gewesen? Immerhin war dieses Thema sehr privat. Ich würde hier keine Antworten geben können, da die meisten Besucher diese nicht hören sollten. Egal, ob sie positiv oder negativ waren. Ich machte mir schon jetzt Gedanken darum, was die Anwesenden dachten. Das würde unschöne Gerüchte geben, die meine Position nicht gerade stärkten. Das alles war ein Hinweis darauf, dass es hier um etwas anderes ging.
Schließlich trat mein Bruder ein Stück vor, um sich einzumischen. Das bestätigte meine Annahme. Er handelte nur für sich selbst und hatte kein Interesse daran, anderen bei ihren Problemen zu helfen. Daher ging ich auch davon aus, dass er eher gegen mich als für mich war.
„Sicher würde der Rat eine so dringende Angelegenheit nicht vor allen Anwesenden besprechen wollen", sagte Lionel mit sanfter Stimme, die jedoch deutlich zu hören war. Das verwirrte mich. Ich hatte angenommen, dass diese auf seinem Geheiß hier war. Jetzt aber rückte es die Sache in ein anderes Licht. Was, wenn der Rat gar nicht wusste, was Lionel eigentlich vorhatte? Das würde Hakons fragenden Blick erklären und auch die Tatsache, dass wir Gäste hatten. „Das Gericht räumen", befahl Lionel schließlich an die Wachen gerichtet. „Der Ältestenrat bleibt übrig", wies er an, damit nicht auch sie hinausgeführt wurden.
Mich ließ das alles etwas verwirrt zurück. Alles wirkte unorganisiert und nicht durchdacht. Lief hier vielleicht etwas, in das nicht alle eingeweiht waren? Hakon wirkte ähnlich verwirrt wie ich, dafür schien Lionel einen Plan zu haben.
Was machst du nur, Bruder?
Das Geräusch von Schritten auf Marmor erfüllte den Raum, während die Anwesenden sichtbar widerwillig gingen.
Ich hingegen schielte zu Lionel. Immerhin kannte ich ihn seit seiner Geburt, war er doch mein kleiner Bruder. Daher wusste ich auch, dass alles, was er tat in seinem eigenen Interesse lag. Es wäre also nicht Hakon, der mir den Dolch in den Rücken rammte, sondern er.
Da er sich einmischte, musste irgendwas an diesem Gespräch sein, dass ihm zugutekommen würde. Sonst hätte er sich nicht zu Wort gemeldet.
Wir hatten zwar nur denselben Vater, aber ich war nicht dumm genug zu glauben, dass Lionel mir aus brüderlicher Zuneigung half.
Dieser Verdacht bestätigte sich, als er plötzlich vortrat, bis er mir direkt gegenüberstand. Wie es schien, war das hier doch mehr eine Gerichtsverhandlung als eine normale Tagung. Ich war wohl der Angeklagte, auch wenn es keiner so direkt aussprach.
„Verehrtes Ratsmitglied", sagte Lionel direkt an Hakon gerichtet, nachdem der Gerichtsaal leer war. „Ihr könnt jetzt frei sprechen", eröffnete er ihm, was meine Vermutung, dass Hakon nichts darüber wusste, zerstörte. Scheinbar war auch der alte Sack eingeweiht.
Wollten sie mich durch ihre Handlungen, die so unlogisch schienen, verwirren?
Meine Hand ballte sich unbemerkt zu einer Faust, weil ich so wütend war. Konnte ich mich denn hier auf niemanden mehr verlassen? Was für ein korrupter Sauhaufen, der sich Rat schimpfte.
„Danke Prinz", erwiderte Hakon ehrerbietig und drehte sich dann zu mir. Sein Blick war vorsichtig, fast schon zögerlich, als würde er das nicht gen tun. „Es tut mir sehr leid, dass ich so offen gesprochen habe, Mylord", sagte er und neigte leicht entschuldigend den Kopf. „Aber der Tradition nach, muss die Thronfolge ..."
Ich ließ ihn nicht aussprechen, denn dass er dieses Thema erneut aufgriff, als wäre nichts dabei, machte mich wirklich wütend. „Erzähl mir nichts von Tradition", fuhr ich ihn an und damit über den Mund, wie es eigentlich nicht meine Art war. Dabei schossen sogar kurze Feuerfunken aus meinem Mund. Ein deutliches Zeichen nach außen, wie wütend ich wirklich war. „Ich kenne die Traditionen. Ich kannte sie schon, bevor ich sprechen gelernt habe", erinnerte ich ihn. Immerhin hatte er sehr viel zu meiner Ausbildung beigetragen. „Die Nachfolge wird laut Tradition erfolgen." Ich wusste zwar noch nicht, wie ich das bewerkstelligen wollte, doch ich musste den Rat beruhigen. Dabei war mir bewusst, dass das nie passieren würde. Ich würde das erste Mal in meinem Leben der Tradition nicht folgen, und das aus persönlichen, egoistischen Gründen.
„Aber Mylord", mischte sich Adar ein. Er war ebenfalls Mitglied des Rates und doch verachtete ich ihn zutiefst. Er war ein Adelsspross, der nur an sich dachte und die Bauern, die ihm unterstellt waren, verhungern lassen würde, wenn er dafür mehr verdiente. „Wir mache uns Sorgen über die Gerüchte, die über Euch herumgehen."
Gerüchte, was für Gerüchte? Um was ging es hier eigentlich? Konnte keiner dieser Prunkpfauen Klartext sprechen?
„Was sind das für Gerüchte, Adar?", fragte ich knurrend, während ich versuchte, klar zu denken. Das alles machte mich unglaublich wütend. Vor allem, da Lionel mit drinhing. Von Gerüchten hatte ich nichts mitbekommen, was hieß, dass jemand sorgfältig dazu beitrug, dass sie mir nicht zu Ohren kamen. Es konnten also keine harmlosen Gerüchte sein.
Adar fuhr sich durch sein fettiges, braunes Haar, wobei der Speck an seinen Arm wackelte. Es war ein Zeichen seiner Gier und Korruption, denn wenn es um Essen ging, war er ähnlich maßlos, wie beim Geld.
Es war ein offenes Geheimnis, dass er und auch die anderen Ratsmitglieder, ihre Stellung nutzten, um die Bauern zu erpressen und zu unterdrücken. Etwas, was mir nicht verborgen geblieben war und an dem ich schon lange arbeitete. Womit ich mir den Groll des Rates zuzog. Es war also kein Wunder, dass sie mich jetzt beschossen.
Lediglich Hakon besaß so etwas wie ein wenig Integrität, die ich sogar bewunderte. Der Rest war lediglich ein Haufen übertrieben gut gekleideter Krimineller. Prunkpfauen, die sich aufplusterten.
Ich hatte seit meiner Thronbesteigung versucht, ihre Exzesse so gut es ging einzudämmen, ohne dabei jedoch die Hierarchie innerhalb des Königreiches zu stören. Daher war es mir nicht wirklich gelungen und gefreut hatten sie sich darüber auch nicht. Dass ich das Übel nicht sofort bei der Wurzel gepackt und ausgerissen hatte, fiel mir nun auf die Füße. Ich hätte es wissen müssen. Man konnte es nie allen recht machen und manchmal war es besser, Nägel mit Köpfen zu machen, statt herumzutanzen, damit man niemanden auf die Füße trat.
Vermutlich hatten sie sich gegen mich verschworen, weil ich ihre korrupten Praktiken eingeschränkt hatte. Mich zu entthronen war für sie wohl die einzige Möglichkeit, ihre alte Macht zurückzuerlangen. Was mir zeigte, dass ich eigentlich auf einem guten Weg gewesen war. Immerhin fühlten sie sich nun von mir bedroht. Dass sie für ihre Zwecke Gerüchte streuten, die sie dann nutzten konnten, ihre Ziele zu erreichen, traute ich ihnen durchaus zu.
„Welche Gerüchte?", fragte ich erneut, weil mir niemand antwortete, versuchte aber nicht wieder zu schreien. Dabei wurde ich immer wütender. Ich saß am Rande des Throns und rutschte beinahe herunter, weil ich versuchte, mich selbst davon abzuhalten, den Rat anzugreifen.
Adar machte vor Angst über mein Knurren einen Schritt zurück und blickte mich mit großen Augen an, als hätte er nicht mit dieser Reaktion gerechnet. Was für ein Weichei.
„Ihr braucht keine Angst zu haben", sagte Lionel zu Adar, um ihn zu beruhigen, denn dieser wirkte, als würde er schweigen wollen, um mich nicht weiter zu provozieren. Scheinbar erkannte er in meinem Blick meine Wut. „Der König muss die Wahrheit über sein Königreich erfahren", sprach Lionel ihm Mut zu, was mich noch viel wütender machte. Er war also der Strippenzieher und wie es schien, zog er den Rat mit hinein, ohne, dass dieser zu wissen schien, was auf sie zukam. Seine Art die Leute zu manipulieren unterschied sich sehr von meiner, doch er machte davon ständig Gebrauch.
Hakon nahm für Adar das Gespräch wieder auf, doch er klang vorsichtig. Allerdings nicht ganz so ängstlich, wie Adar. „Es gibt Gerüchte, dass Ihr eine Frau nicht wandeln könnt", sagte er leise und vorsichtig, als würde er mich nicht direkt anklagen wollen. Mich wunderte das nicht, denn wenn es sich um Gerüchte handelte, war das keine Basis, auf der man wirklich anklagen konnte. Zudem wären Gerüchte dieser Art für uns Drachen sehr schwierig. Nicht nur für mich als König. Wer auch immer sie in die Welt gesetzt hatte, machte sich keine Gedanken über die langfristigen Auswirkungen.
Mein Blick wanderte flüchtig zu Lionel, um ihn zu mustern, doch da sprach Hakon schon weiter. „Wenn Ihr eine Frau nicht wandeln könnt, könnt Ihr auch keine Kinder zeugen", erinnerte er mich an das, was ich schon längst wusste. Immerhin konnten Drachen mit Menschen keine Kinder zeugten und mit Drachenfrauen war es auch nicht so einfach. Allen voran, weil es kaum noch welche gab. Wir lebten zwar lange, doch mit einer Drachenfrau würde ein Kind lange auf sich warten lassen. Zu lange. Daher fiel diese Variante für mich aus.
Ich hätte mir denken können, dass ausgerechnet dieses Thema auf den Tisch kommen würde. Damit trafen sie mich mehr als ich zugeben wollte. Dahinter steckte bei weitem mehr als Unvermögen, doch das mussten sie nicht wissen. „Die Erbfolge wäre unterbrochen und das würde das ganze Königreich in Unordnung stürzen." Als würde ich das nicht wissen. Was mich jedoch stutzig machte, war, dass sie es auf diese Art ansprachen. Als würden sie mich dafür verurteilen und es als Punkt zum Angriff nehmen.
Sollte das ihr Aufhänger für meine Entthronung werden? Das wäre nicht gut, denn das wäre ein größeres Problem als angenommen. Vor allem, wenn diese Gerüchte weiterhin die Runde machten.
Es gab nur zwei Personen, die von meinen wahren Gründen wussten. Lionel und Lucius. Und ich glaubte nicht, dass Lucius über mich reden würde. Anders als Lionel. Er hatte die Gelegenheit einer Schwachstelle sofort ausgenutzt. Es ihm zu erzählen, war dumm gewesen. Aber damals war ich noch jung und ein wenig naiv gewesen. Ich hatte angenommen, dass ich mich auf meinem Bruder verlassen konnte. Damit hatte ich mich geirrt. Sehr sogar. Lionel war niemand, auf dem man sich verlassen konnte. Das hatte ich in den letzten Jahren leider sehr oft am eigenen Leib erfahren.
Ich ließ meinen Blick zu Lionel wandern und starrte ihm in die Augen. Eigentlich hatte ich noch die leise Hoffnung, dass ich falsch lag und mein Bruder mich nicht hintergangen hatte, doch was ich sah, zerschmetterte diese. Sein Blick war trotzig und er wich meinem aus. Ein deutliches Zeichen, dass ich Recht hatte. Ihm hatte ich also alles zu verdanken.
Mir war bewusst, dass sich die Sache ausweiten und zu einem Krieg führen könnte, wenn ich nicht vorsichtig damit umging.
Ich wollte niemanden mit hineinziehen, doch das würde unvermeidlich passieren. Daher gab es eigentlich nur eine richtige Entscheidung. Sie sollte mich freuen und doch machte sie mir große Sorgen.
Lionel, was hast du nur angestellt?
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