Kapitel 2

Gideon

Ein Geräusch, als würde jemand meine Tür aus den Angeln reißen wollen, riss mich aus meinem Schlaf. Es war nicht derart laut, doch das Wackeln an der Klinke und das Versuchen des Aufdrückens der Tür, reichte aus. Selbst im Schlaf war ich auf der Hut, obwohl ich mich in meinem Zimmer recht sicher fühlte.

Müde blinzelnd glitt ich aus dem wattigen Schlaf meiner Träume und drehte mich zu der Tür um. Diese wurde geöffnet und Lucius, mein General und guter Freund, kam in den Raum gestürzt. Mit ihm zusammen das Licht aus dem Flur, was mich leise stöhnen ließ. Der Abend war lang geworden und so hatte ich die Vorhänge fest geschlossen, dass mich die Sonne nicht sofort weckte, wenn sie am Morgen aufging. Irgendwann brauchte ich auch meinen Schlaf.

Hellwach, weil es überhaupt nicht zu Lucius passte, so hereinzuplatzen, setzte ich mich auf, rieb mir jedoch trotzdem die Augen, um sie vom Schlafsand zu befreien. Dabei musterte ich Lucius eingängig.

Sein kurzes, dunkles Haar lag, nicht wie sonst, an seinem Kopf an, sondern war verstrubbelt. Ein Zeichen, dass irgendetwas nicht stimmte, denn er achtete sonst immer sehr auf seine Frisur.

Lucius hypnotisierenden Augen waren direkt auf mich gerichtet, doch er gab mir zumindest den Moment, um richtig wach zu werden. Er kannte mich sehr gut und hatte vermutlich gewusst, was auf ihn zukam. Der Ausdruck in seinen Augen sagte es mir. Wäre er nicht so angespannt, wäre er vermutlich belustigt gewesen.

Normalerweise zog er mich wegen meiner Faulheit immer auf und machte sich über mich lustig, doch nicht heute. Heute sagte er kein Wort dazu, dass eine faule Person wie ich zum König von Drogo gekrönt worden war. Nicht, dass ich groß eine Wahl gehabt hätte.

Lucius kam direkt auf mich zu, riss mir die Decke weg und zerrte mich dann aus dem Bett. Dabei sagte er kein Wort. Vermutlich, weil er sich noch nicht sicher war, wie aufnahmefähig ich im Moment war. Es musste wirklich dringend sein, doch ich ließ mich nicht scheuchen.

„Was ist los?", fragte ich mit verschlafener Stimme. Sein Verhalten machte mich neugierig, ließ aber auch alle meine Alarmglocken schrillen. Trotzdem brauchte mein Körper seine Zeit.

Als ich nicht, wie er es wollte, aufstand, ließ er mich frustriert seufzend los. Er wusste eigentlich, dass das nichts brachte.

„Es ist passiert", sagte Lucius angespannt, wobei sein Ton nüchtern war. Irgendwie sah er aber auch traurig aus, was mich nervös machte. „Der Rat hat sich versammelt und befürwortet Eure Entthronung", sagte er unverblümt und ohne große Gefühle.

Da ich damit gerechnet hatte, war meine Reaktion eher verhalten. Ich nahm es zur Kenntnis, ohne großartig etwas dabei zu spüren. Es war schneller gekommen als erwartet, doch es war unausweichlich gewesen. Immerhin sprach meine Vorgeschichte nicht gerade für mich.

Abwägend schwieg ich, während ich mich aufsetzte und dabei etwas streckte. Besonders meinen Beinen widmete ich eine Minute ausgiebiger Bewegung, damit mein Kreislauf in Schwung kam.

„Wer führt sie an?", fragte ich versucht ruhig, während ich mir durch meine roten, langen Haare fuhr, um sie zumindest ein bisschen zu bändigen. Hätte ich nicht bereits eine Vorahnung, wäre es mir vermutlich egal.

„Lionel", antwortete Lucius mit belegter Stimme, was bei mir dafür sorgte, dass die Gefühle über diese Nachricht nun doch einsetzten. Das war ein Tritt in die Magengrube.

Lionel, mein Bruder. Das kam nicht gerade unerwartet und doch schmerzte es tief in meinem Herzen. Vielleicht hatte ich die Jahre zu viel in ihm gesehen und zu sehr gehofft. Was hatte ihn letztlich zu diesem Schritt getrieben? Hätte ich es verhindern können?

Meine Gedanken schweiften ab, doch mir war bewusst, dass ich nicht so viel Zeit hatte.

Mit einem weiteren Strecken und einem kurzen Knacken meiner Finger, wandte ich mich zu Lucius. „Ich bin gleich da", sagte ich, denn um mit dem Rat zu sprechen, sollte ich vorzeigbar aussehen. Im Moment war ich nur ein aus dem Bett gefallener, zerrupfter Hahn. Nicht unbedingt ansehnlich.

Allerdings nichts, was gute Kleidung nicht richten konnte.

„Ja, Mylord", antwortete Lucius und verbeugte sich vor mir.

Sein Verhalten deutete nicht darauf hin, dass unsere Freundschaft viel tiefer ging, als die meisten erahnten. Ich vertraute ihm uneingeschränkt. Für mich war er nicht nur ein Bedienstete, sondern mein bester Freund und Berater. Seine Meinung war mir wichtig, weshalb ich ihm auch erlaubte, mich außerhalb der Öffentlichkeit wie einen Freund zu behandeln. Etwas, was ein schlechtes Bild auf die Könige meiner Familie werfen würde, sollte jemand es bemerken, doch ich ging das Risiko ein. Wie mein Vater einmal sagte: „Ein enger Freund ist besser als jeder vertraute Berater."

Während Lucius den Raum verließ, schälte ich mich aus dem Bett und streckte meinen Körper noch vollständig. Es half mir, am Morgen in Schwung zu kommen, besonders, wenn ich zu wenig geschlafen hatte und mein Körper mir sagte, dass ich mich wieder hinlegen sollte. Zumindest hatten die Kopfschmerzen von gestern Abend nachgelassen. Ich hätte die Dokumente vielleicht auf heute verschieben sollen, doch ich wusste, dass sich selbst über Nacht immer mehr ansammelten.

Müde wischte ich mir den Schlaf aus dem Gesicht und versuchte, wach zu werden. Ich musste voll bei Sinnen sein, um es mit dem Rat aufzunehmen. Immerhin musste ich meinen Thron verteidigen. Nicht, weil ich gern König war, sondern weil ich mein Volk liebte. Lionel wäre ein schrecklicher König, davon war ich überzeugt.

Es kam nicht überraschend, dass der Rat meine Entthronung forderte, denn ich stand ihren Ambitionen im Weg. Dazu kam, dass sie mich nicht als König anerkannten, da meine Thronbesteigung nicht normal verlaufen war. Was nicht hieß, dass sie nicht legitim war. Zumindest sah ich das so. Dass viele es anders sahen, war mir jedoch bewusst und machte nicht zum ersten Mal Probleme.

Es war mir bisher nur gelungen, meine Position zu verteidigen, weil ich loyale Leute an meiner Seite hatte. Allerdings wurde es mit jedem Tag, der verging, immer schwieriger. Die Partei, die gegen mich war, war sehr mächtig. Je mehr ich versuchte, meinen Platz zu festigen, desto mehr drängte mich der Rat etwas zu tun, was ich nicht konnte. Ein Problem, das mir mehr Ärger machte, als ich gehofft hatte. Dennoch würde ich nicht von meinen Idealen abweichen. Das war mir der Thron nicht wert. Daher hatte ich auch schon eine Vorgehensweise festgelegt, die am wenigsten Ärger machen würde. So hoffte ich zumindest. Wie es laufen würde, hing sehr stark von meinem Bruder ab. Leider liebte er Drama und stand zu gern im Mittelpunkt, um das ganze wirklich friedlich verlaufen zu lassen.

Obwohl ich den Thron nie wollte, hatte ich keine andere Wahl gehabt. Zumindest keine, bei der ich hätte mit gutem Gewissen sagen können, dass mein Volk in guten Händen war.

Ich war vielleicht kein konventioneller König, auch wenn ich einer königlichen Blutlinie abstammte, doch das Volk stand für mich an erster Stelle. Meiner Meinung nach sollte es das sein, was einen guten König ausmachte. Mit dieser Ansicht war ich jedoch fast allein.

Ich war der älteste Sohn meines Vaters und nach seinem Tod fiel sein Thron an mich. Dabei hätte ich meine Tage lieber als Drache verbracht und die ganze Welt bereist. Allerdings war ich nicht größer als die Tradition und hatte mich meinem Schicksal ergeben. Alles andere hätte meine Eltern entehrt und ich wollte ihre harte Arbeit würdigen. Das ging nur, wenn ich die Politik meines Vaters fortsetzte.

Seit ich auf dem Thron saß, hatte ich damit Frieden geschlossen. Jemand musste diese Aufgabe immerhin machen und solange ich das tat, ging es dem Volk gut. Das reichte mir als Bezahlung. Dafür schränkte ich auch gern meine eigenen Ambitionen ein. Allerdings sah das nur ich so.

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