Kapitel 10.2
„Die Gefängnisinsel ist in der Tat ein gefährliches Gelände. Der Ort für mächtige Kriminelle. Sowohl für Menschen, aber auch für Drachen. Zusammen mit der unverfälschten Stärke der Eingeborenen ist es sicherlich der mächtigste Ort im Königreich", erklärte er mit fester Stimme. Ich ahnte auch, worauf er hinauswollte und wieder einmal zeigte sich, dass wir ähnlich dachten. „Mit ein wenig Disziplin ...", sprach er weiter, doch ich ließ ihn nicht aussprechen.
„... kann ich eine Armee aufstellen", beendete ich stattdessen seine Aussage, um ihm zu zeigen, dass ich verstanden hatte. Ich wusste nur noch nicht, was ich davon halten sollte. Ja, ich hatte darüber nachgedacht, mir im Notfall den Thron zurückzuerobern, doch es war nie ein wirklich fester Bestandteil gewesen. Nur, wenn Lionel es wirklich versaute. Lucius und Jace schienen das aber anders zu sehen.
Ich war noch unsicher. Es war eigentlich nicht schlecht, diesen Teil so schnell wie möglich in Angriff zu nehmen. So hätte ich immer eine Armee in der Hinterhand. Ich musste sie immerhin nicht sofort nutzen.
„Ja, Mylord", erwiderte Lucius zufrieden. Er dachte wie immer sehr strategisch. Was von dem General meiner Soldaten auch zu erwarten war.
Lucius war ein weiterer meiner Vertrauten und ein guter Freund. Dabei hatte unsere Freundschaft einen eher holprigen Start gehabt.
Als wir uns das erste Mal begegneten, war ich bereits Thronfolger, während er der letzte Sohn eines niederen Adligen vom Land war.
Mein Vater hatte damals ein Turnier organisiert an dem wir beide teilnahmen. Lucius war der Favorit auf den Sieg und ich sein Rivale. Schon damals war er sehr gut im Kampf und seine Taktiken einfach sehr gut durchdacht.
Wir beide kämpften uns bis ins Finale vor, in dem wir alles gaben.
Obwohl ich das Turnier verlor, gewann ich einen Freund dazu. Etwas, was mir viel mehr bedeutete als der Sieg. Mein Vater hatte mich verstanden, Lucius nicht. Er hatte mich ausgelacht. Zumindest am Anfang.
Sobald ich den Thron bestieg, machte ich Lucius zu meinem General. Zusammen hatten wir sehr viele Schlachten geschlagen. Mehr, als ich zählen konnte.
„Seid ihr beide wirklich sicher, dass ein Krieg mit meinem Bruder unvermeidbar ist?", fragte ich, da ich mich noch immer an die Hoffnung klammerte, dass mein Bruder es vielleicht doch dabei beließ. Allerdings schien ich da auf dem Holzweg, denn es war klar, dass Lucius und Jace das anders sahen.
„Ja, Mylord", antworteten sie beide synchron. Wenn sie sich schon einmal einer Sache einig waren, dann sollte man sie definitiv beachten. Das kam so selten vor, dass es fast schon ein Warnsignal war. Leider häufte es sich in den letzten Tagen und das war nicht gut.
„Und eine Frau wird die Ursache sein", murmelte Leon laut genug, dass ich ihn hören konnte. Sein Blick war jedoch aus dem Fenster gerichtet und er wirkte nicht ganz da. So wie eigentlich immer.
Mit seinem langen, wallenden, schwarzen Haaren, das irgendwie immer zerzaust wirkte, hätte man ihn für einen Landstreicher halten können. Wäre da nicht seine Kleidung, die darauf hinwies, dass er es nicht mehr war.
„Nicht vor dem König", zischte Lucius seinen Geliebten an, wobei er besorgt klang. Jace hingegen verdrehte seine Augen und zeigte deutlich, was er von Leons Worten hielt.
Er kam einfach nicht mit Leon aus, weil sie einfach zu verschiedene Meinungen hatten. Die Spannung zwischen den beiden schien jedoch eine neue Dimension angenommen zu haben, wenn ich sie hier in der Kutsche spürte. Dabei war Jace sonst immer darauf bedacht, nichts nach außen zu tragen.
„Was verbergt ihr sonst noch vor mir?", wollte ich knurrend wissen. Es gefiel mir nicht, dass sie Geheimnisse vor mir hatten. Dabei dachte ich, dass wir uns immer alles sagen konnten. Es machte mich wütend, denn wenn sie noch weitere Informationen hatten, dann hieß das, dass ich diese bei meinen eigenen Überlegungen nicht bedacht hatte. Selbst, wenn es sich dabei nur um Leons Vermutungen handelte. Wobei ich das Ganze nicht als einfache Spekulationen abtat. Wenn Leon etwas sagte, hörte ich eigentlich genau hin.
In letzter Zeit hatte ich jedoch das Gefühl, dass ich eher der letzte war, der etwas erfuhr. Als würden Lucius und Jace mich nicht beunruhigen wollen. Was Schwachsinn war. Es machte mir die Dinge nur schwerer.
Der Rat hatte das immer genutzt, um seine abscheulichen Taten vor mir zu verbergen. Wenn ich es herausgefunden hatte, behaupteten sie immer, dass ich als König mich nicht mit solchen Kleinigkeiten beschäftigen musste und mich lieber um die wirklich wichtigen Angelegenheiten kümmern sollte.
Darum war auch Jace zu meinen zweiten paar Augen geworden. Damit mir diese Informationen nicht mehr entgingen. Dass er aber jetzt auch noch Dinge vor mir verbarg, vermutlich auch, weil er sie als unwichtig erachtete, machte mich wütend.
„Bitte entschuldigt, Mylord", sagte Lucius, der jedoch nicht den Kopf einzog. „Ich dachte nicht, dass es sich lohnen würde, auf Leons Vorahnung aufmerksam zu machen." Mir wurde klar, dass er lediglich seinen Liebsten schützen wollte. Trotzdem gefiel es mir nicht, dass er derartige Geheimnisse hatte. Glaubte Lucius wirklich, dass ich Leon deshalb etwas tat oder es vielleicht ausnutzte? Ich war nicht die Art von König, die eine solche Gabe missbrauchte oder Leon dafür verurteilte. Immerhin war ich selbst mit etwas gesegnet, das sowohl Segen als auch Fluch sein konnte.
Natürlich wäre es hilfreich, doch ich würde ihn nicht zwingen. Das sollte Lucius am besten wissen.
„Darüber würde ich gern selbst urteilen", erwiderte ich mit ruhiger Stimme. Ich wollte ihnen nicht das Gefühl geben, sie zu drängen. Sie sollten auch nicht bemerken, wie sehr ich mich getroffen fühlte. Trotzdem stellte ich klar, was ich wollte. „Von nun an sollte sich niemand mehr anmaßen, ob es wichtig ist oder nicht. Ich möchte, dass ihr die Informationen mit mir teilt." Wissen war Macht und diese Macht brauchte ich. Es war die Einzige, die ich noch hatte.
„Ja, Mylord", antwortete Lucius und Jace synchron. Leon schwieg jedoch, als würde ihn die ganze Unterhaltung nichts angehen. Er wirkte noch immer abwesend, als ich zu ihm blickte.
„Als", sprach ich ihn an, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. „Was sollte das Geredete über Frauen?", fragte ich, wobei es mir egal war, ob Leon oder Lucius antwortete.
„Einen Tag, bevor wir die Hauptstadt verließen ...", setzte Lucius an und zögerte kurz. Er blickte zu Leon, der ihm jedoch lediglich zunickte. Das schien Lucius zu beruhigen, denn er sprach weiter. „... behauptete Leon, der hätte eine Vision von einer jungen Frau gehabt."
Das war vager als ich erwartet hatte. Musste ich nachfragen oder würde Lucius selbst mehr dazu sagen? Da er sich entschied zu schwiegen, fragte ich nach, denn ich brauchte wesentlich mehr Informationen als das. Im Gegensatz zu Jace nahm ich Leons Visionen nicht auf die leichte Schulter, auch wenn ich damit noch keine Erfahrungen hatte, da Lucius ihn bisher gut vor mir abgeschirmt hatte, um ihn nicht mit in die Probleme des Hofes hineinzuziehen. Was ich gut verstehen konnte. Jetzt war es aber nicht mehr möglich. Wir saßen alle im gleichen Boot. „Eine junge Frau?", fragte ich neugierig, wobei ich Lucius anblickte.
„Ja, Mylord", fuhr Lucius fort und ich befürchtete fast, dass er nicht weitersprach, doch zum Glück tat er es. „Er behauptete, dass eine junge, mächtige Frau den Palast betreten würde. Diese Frau ist ein mächtiges Werkzeug, das Euch entweder zerstören oder zu neuem Glanz verhelfen wird."
Ich warf einen Blick auf Leon, der wie üblich ausdruckslos ins Leere starrte. War er vielleicht gerade wieder in einer Vision gefangen? Er hatte seinen Kopf immer in den Wolken und sprach kaum. Es sei denn, es war absolut wichtig. Darum lauschte ich auch immer, wenn er denn einmal sprach. Dieses Mal schwieg er jedoch.
Leon war der Sohn eines Bauern gewesen, bis die Ondaq-Armee seinen Vater gefangengenommen hatte.
Ondaq war ein kleines, benachbartes Königreich, das die Angewohnheit hatte, kleine Dörfer in der Umgebung von Hodor zu überfallen.
Auch Leons Dorf war ihnen ausgeliefert gewesen. Dort hatten die Ondaq viele unserer Leute gefangen genommen.
Ich hatte damals Lucius in dieses Gebiet geschickt, um zu retten, was zu retten war. Er sollte unsere Leute verteidigen und die Ondaq unterwerfen.
Er hatte seine Mission mit Bravour erfüllt, hatte aber Leon mit nach Hause genommen. Seitdem waren die beiden über ein Band verbunden, das ich sonst nur von Mann und Frau kannte. Mich störte es jedoch nicht, auch wenn sie von vielen dafür schräg angesehen wurden. Dabei waren gerade sexuelle Beziehungen unter Männern im Adel nicht selten. Trotzdem warn sie verpönt.
Da Lucius Leon liebte, hatte ich keine andere Wahl, als Leon im Schloss aufzunehmen. Er hatte nirgendwo anders hingekonnt und war deshalb auch dabei.
„Hört nicht auf sein wertloses Gemurre, Mylord", mischte sich Jace ein, der deutlich mit Abneigung in der Stimme sprach. Lag es an der Beziehung zwischen Lucius und Leon oder an Leon selbst? Das war immer schwer zu sagen. Eines war jedoch sicher: Jace mochte Leon nicht. „Es sind nichts als Täuschungen eines verrückten Verstandes."
Jace hielt auch nicht viel von Magie und glaubte daher auch nicht an Visionen. Für ihn zählte nur das, was sich auch bewiesen ließ. Vermutlich glaubte er, dass Leon einfach geistig krank war. Was durchaus möglich war. Allerdings glaubte ich eher an Magie als an eine Krankheit. Niemand konnte sagen, wie stark die Drachenessenz in ihm war. Es war also nicht unmöglich, dass er wirklich Visionen hatte.
Bisher war ich jedoch noch nicht dazu gekommen, diese Dinge auch wirklich zu beobachten, um mir ein eigenes Bild zu machen. Daher vertraute ich Lucius und dieser glaubte Leon offenbar.
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