Kapitel 10


Gideon

Avalon war einst als Reservat für Drachen erschaffen worden. Früher war es eine blühende, wunderschöne Insel gewesen.

Hodor schwor, die Drachen zu beschützen, denn er war sich der Tatsache bewusst, dass sie in der Öffentlichkeit nicht geduldet wurden. Man musste sie also vor den Menschen verbergen. Diese mussten glaube, dass die Drachen ausgestorben waren. Das war der einzige Weg, die Drachenjagten und die Kopfgelder zu stoppen, sonst würden die Drachen zugrunde gehen.

Daher tat Hodor etwas, was vor ihm noch niemand versucht hatte und was als meisterhafte Täuschung in die Geschichte eingegangen war.

„Einen Groschen für Eure Gedanken, Mylord", murmelte Jace, der neben mir saß und ebenfalls aus dem Fenster blickte. An uns zog die Umgebung nur so vorbei und ich wusste, dass wir bald da waren. Es würde nicht mehr lange dauern, dann war diese beschwerliche Reise endlich vorbei.

„Ich erinnere mich nur an die Geschichten", erwiderte ich ein wenig gedankenverloren. „Ich bin nicht mehr der König Jace", erinnerte ich ihn sanft. „Der Titel passt nicht mehr zu mir."

„Soweit es mich betrifft, werdet Ihr immer mein König bleiben, Mylord", erwiderte Jace mit einem Funkeln in den Augen. Es war klar, dass er nie jemand anderen so ansprechen würde. Daher hatte ich ihn auch mitgenommen. Unter Lionel würde er vermutlich keine Woche überleben, ohne den König zu beleidigen.

„Das gilt auch für mich", stimmte Lucius ihm zu. Er war ebenfalls bei mir und hatte die ganze Zeit gelauscht. Wir hatten auf unserer Reise auf die Insel auch nicht sehr viel anderes zu tun. Diese war zwar über eine Brücke zu erreichen und so konnten wir auf Schiffe verzichten, doch das hieß nicht, dass die Kutschfahrt nicht auch langweilig war.

„Lasst Lionel das nicht hören", murmelte ich. „Er könnte euren Kopf wegen Hochverrates fordern." Leider traute ich das meinem Bruder zu. Auch, weil er mich damit sehr treffen würde. Eine Gelegenheit, die er sicher nutzen würde, sobald er sie erkannte.

„Er kann es versuchen", erwiderte Lucius kampfeslustig. Er würde sich wirklich mit ihm anlegen und vermutlich sogar gewinnen, sofern Lionel keine Armee dazu zog oder mit faulen Mitteln kämpfte. Beides Dinge, die er definitiv tun würde.

Die Ironie des Lebens verblüffte mich wieder einmal mehr.

Vor wenigen Wochen war ich König gewesen. Der wichtigste Mann im ganzen Königreich. Einflussreich aufgrund meiner Position und die mächtigste Person im gesamten Königreich Drogo.

In dieser Zeit sehnte ich mich nach Freiheit. Ich wollte frei von der Verantwortung ein König zu sein, sein. Wollte in dem Bewusstsein leben, dass nicht jede meiner Entscheidungen eine tiefgreifende Auswirkung auf Millionen von Menschen haben würde. Ich wollte einfach frei sein.

Jetzt war ich schon eine Woche lang ein freier Drache und begann mich nach dem ungemütlichen, schiefen Thron zu sehnen.

„Ironie des Lebens", dachte ich mir, als die Kutsche über eine unebene Straße fuhr und ein Loch erwischte, das uns ganz schön durchschüttelte.

Neben Lucius und Jace war auch Leon bei uns. Er war Lucius Liebster, was Jace nicht so gern sah. In den anderen Kutschen waren ein paar Diener und Soldaten aus dem Palast, die sich uns angeschlossen hatten.

Sie alle wollten nicht unter Lionel dienen und hatten daher lieber mit mir zusammen die Flucht ergriffen. Mir kam das gelegen, denn ich würde sie brauchen.

Vielleicht war ich in diesem Punkt egoistisch, aber gleichzeitig hatten sie auch die Möglichkeit auf ein neues Leben. Weit weg von Lionel.

Mir waren meine Freunde wichtig, weshalb ich wirklich froh war, dass sie mir nie gefehlt hatten. Diese wählte ich sorgfältig und aus allen Schichten. So auch aus denen der Diener.

Vater hatte mir vor seinem Tod klar gemacht, dass der Thron ein sehr einsamer Ort sein konnte. Es war also wichtig, dass ich Freunde hatte, die mir treu waren und es auch blieben. Freunde, die keine Angst hatten, mir die Wahrheit zu sagen, auch wenn ich sie nicht hören wollte. Diesen Rat hatte ich beherzigt und jetzt sah ich, wie viele Früchte er getragen hatte.

Weil mir langweilig war und ich nicht wusste, was ich tun sollte, wandte ich mich an Jace. „Erzähl mir von Avalon", bat ich Jace, auch wenn ich die Legenden und Geschichten alle kannte. Ich wollte lediglich die Stille bezwingen und mich auf andere Dinge konzentrieren als auf die Umgebung, die an mir vorbeizog.

Im Moment hatte Jace ein Pergament in der Hand und las es mit einem Monokel, das er sich ins linke Auge geklemmt hatte.

So sah man ihn öfter, was mich lächeln ließ. Er scherzte oft, dass er Arzt geworden wäre, wenn er nicht so gern mein Diener gewesen wäre.

Die Intelligenz und den Wissenshunger hatte er definitiv. Vermutlich wäre er zu dem größten Arzt geworden, den die Welt je gesehen hätte. Fast war es schade um sein Talent, doch auch als mein Kammerdiener legte er ein Talent an den Tag, das einen Orden verdienen würde.

Ich wollte ihn als meinen Vertrauten nicht mehr missen. Jace war meine Augen und Ohren im Königreich. Er hatte immer und überall Informationen aus erster Hand für mich. Es gab eigentlich nichts, was Jace entging.

Wir kannten uns, seit ich denken konnte. Er war der Sohn einer Palastmagd, die während der Geburt starb. Niemand konnte den leiblichen Vater identifizieren, also trat mein Vater ein. Er nahm ihn auf, um ihn großzuziehen und zu beschützen, denn als uneheliches Kind hatte man es nicht leicht.

Jace war älter als ich und so hatte Vater uns zusammen großgezogen. Wir waren Freunde geworden, auch wenn wir beide immer unseren Rang im Hinterkopf hatten. Wir ließen nie zu, dass unsere Freundschaft diese Grenze verwischte, da uns beiden schon damals klar war, wie gefährlich das werden könnte.

Kurz nach meiner Krönung machte ich Jace zu meinem Kammerdiener und seitdem war er an meiner Seite.

Er kümmerte sich um mein Wohlbefinden und hatte mit den Jahren ein sehr feines Gespür für meine Gefühle entwickelt. Ich konnte vor ihm nichts verstecken und vertraute ihn.

„Euer Vater ließ die Insel vor vielen Jahren in ein Gefängnis umfunktionieren. Allerdings wird sie nur noch selten genutzt und ist deshalb stark verfallen", erklärte Jace, der das Pergament und sein Monokel in die Kiste unter den Sitzen räumte. „Soweit ich informiert bin, haben sich die Gefangenen das Gebiet aufgeteilt. Es gibt Territorialkriege um die Insel. Dort kann es ziemlich chaotisch sein."

Das waren nicht die besten Voraussetzungen, doch ich hatte eigentlich nichts anderes erwartet. Immerhin schickte man dorthin die schlimmsten Verbrecher. Ob Drachen oder Menschen spielte dabei keine Rolle. Zumindest war es früher so gesehen. Ich selbst hatte noch niemanden auf die Insel geschickt. Für mich war diese Strafe immer unpassend gewesen. Vielleicht war ich aber auch einfach zu weich.

„Was ist mit den Eingeborenen?", fragte ich, denn ich wusste sehr gut, dass sich dort mittlerweile ganze Familien entwickelt hatten. Vorrangig gab es zwar nur Männer, doch hin und wieder verirrte sich eine Frau dorthin. Außerdem gab es noch die, die auf der Insel geblieben waren, nachdem sie zu einem Gefängnis gemacht worden war. Mir war schleierhaft, warum jemand dort hatte bleiben wollen, aber sicherlich hatten die meisten dafür gute Gründe. Vielleicht war es der Schutz vor der Außenwelt oder einfach die Tatsache, dass sie dort ihr Zuhause gefunden hatten.

„Sie versuchen zu überleben", antwortete Jace, der hinaussah. Er klang, als würde er nicht sehr viel mehr dazu sagen wollen.

„Warum hat der Thron nichts unternommen, um den Streit zu beenden?", fragte ich. Mir war dieses Thema nie untergekommen und hätte ich nicht selbst danach gesucht, weil ich den Ort interessant gefunden hatte, hätte ich vermutlich nie davon erfahren. Allerdings musste das schon seit meinem Vater so gehen. Die Frage war also mehr, warum er damals schon nichts unternommen hatte.

„Die Gefängnisinsel liegt seit der Zeit Hodors außerhalb der Gerichtsbarkeit des Königs", erklärte Jace mit ruhiger Stimme und blickte wieder zu mir. Dabei musterte er mich. „Er tat es, um die Eingeborenen von der Manipulation durch den amtierenden König zu schützen", erklärte er, was ich nicht ganz verstand. Warum sollte der König das tun?

„Wenn dem so ist, wieso habt ihr dann entschieden, dass diese Insel der beste Ort für mich wäre?", fragte ich. Wie ich darauf gekommen war, wusste ich noch, doch was hatte Jace und Lucius dazu bewogen, diesen Rückzugsort zu wählen? Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass beide Hintergedanken hatten, die mir zwar nicht schadeten, mir aber vermutlich auch nicht gefallen würde.

Jace und Lucius tauschten einen langen Blick aus, der mich sofort hellhörig machte. Ich wusste, dass sie mir etwas verheimlichten, weshalb ich mich räusperte.

Sie sahen zu mir und ich erwiderte ihren Blick. „Ich will Antworten", sagte ich ernst, wobei es mehr ein Befehl war. Obwohl ich nicht mehr der König war, würde ich noch eine Weile brauchen, bis ich diese Gewohnheit ablegte. Wobei es Lucius und Jace gegenüber vielleicht nie anders sein würde, da ich so aufgewachsen war.

Es gab keinen Grund mehr für sie, meinem Befehl zu folgen und doch räusperte sich Lucius leicht. Fast schon ein wenig peinlich berührt, dass ich ihn erwischt hatte.

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