Kapitel 1.2

Lionel, mein jüngerer Bruder, sah die Dinge anders. Er war nicht so emphatisch wie ich, was es oft schwer machte, mit ihm auszukommen. Allerdings war er mein Bruder und wenn ich mich an unsere Kindheit zurückerinnerte, gab es einige gute Momente. Sofern seine Mutter es zuließ.

Müde schritt ich auf die Balkontür zu, um die Vorhänger zur Seite zu schieben. Licht blendete mich, was sofort ein unschönes Pochen hinter meiner Schläfe auslöste, doch ich schaffte es, die Tür zu öffnen.

Die kühle Luft, die mir entgegenkam, war erfrischend und ich nahm einige tiefe Atemzüge, um mich zu sammeln.

Ich stand einige Zeit mit geschlossenen Augen da und lauschte einfach nur, während ich die Gerüche in der Luft wahrnahm. Die Blumen aus dem Garten vermischten sich mit dem Bratenduft aus der Küche. Dazu eine Briese Frische, die vielleicht vom Meer herrührte. Es war nicht weit, doch man roch es nur, wenn der Wind günstig stand.

Schließlich öffnete ich meine Augen und machte einen Schritt auf das Geländer zu. Meinen Blick richtete ich dabei auf meine schöne Stadt Hodor. Die Hauptstadt von Drogo. Für mich ein kleines Juwel, das ich schützen wollte.

Seit ich ein kleiner Junge war, hatte ich die Geschichte der Hauptstadt und des Namensgebers Hodor unzählige Male gehört. Wenn ich wollte, könnte ich sie vermutlich Wort für Wort nacherzählen.

Es war Vater gewesen, der mir diese Geschichte immer wieder erzählt hatte. Noch heute konnte ich seine Stimme deutlich in meinem Kopf hören. Es war eine Erinnerung, die ich sehr gern festhielt, denn sie riefen immer wieder in mir wach, was für ein Mann mein Vater gewesen war. Ich vermisste ihn sehr, weshalb ich mir noch mehr Mühe gab, seine Ideale hochzuhalten.

Nach der Geschichte hatte es schon vor Milliarden von Jahren Drachen gegeben. Nicht so, wie wir heute, doch trotzdem ähnlich.

Sie hatte hier gelebt, noch bevor die Menschen die Erde besiedelt hatten. In der Geschichte hatten die Drachen sogar die Ankunft der Menschen beschleunigt.

Das war jedoch nicht alles. Sie segneten die Menschen sogar und sorgten so für eine schnellere Evolution dieser. So konnte sich der Mensch autark und unabhängig entwickeln und leben.

Es vergingen Äonen von Jahren in denen der Mensch gedieh. Er breitete sich auf der gesamten Welt aus und beherrschte bald den ganzen Planeten. So hatten es die Drachen beabsichtigt. Warum war mir bisher jedoch schleierhaft. Sahen sie die Menschen vielleicht als ihre Kinder oder sich selbst als die Götter, die über sie wachten? Was auch immer es war, heute war es nicht mehr so und der Gedanke dahinter war verlorengegangen.

Schon damals lebten sie zusammen, halfen sich gegenseitig und profitierten voneinander, wie es die Natur vorgesehen hatte. Keiner von ihnen schwang sich zu etwas Höherem auf. Es war eine gleichberechtigte Symbiose, wie es sein sollte.

So hätte es sein sollen und so war es auch jahrelang. Bis der Mensch eine Seite von sich zeigte, mit der die Drachen nicht gerechnet hatten. Er wollte mehr. Daher wurde der Mensch immer arroganter, mutiger und habgieriger.

Durch ihr umfangreiches Wissen und ihre Stärke fühlten sie sich den Drachen überlegen und anfangs nicht von den Menschen bedroht. Allerdings sollte sich das bald ändern. Drachen verfügten zwar über Magie, mit dem sie den Planeten schützten, doch der Mensch nutzte sein Wissen. Eine überraschend starke Waffe.

Doch die Drachen gaben sich nicht geschlagen und behielten ihre Position bei.

Das konnten die Menschen nicht ertragen. Sie wollten über die Welt herrschen, weshalb sie planten, eine neue Weltordnung zu schaffen. Eine fatale Entscheidung für sie und die Drachen.

Mit dieser Entscheidung lösten sie den ersten großen Krieg zwischen Menschen und Drachen aus. Für die Menschen gehörten die Drachen nicht hierher und hatten kein Recht auf der Welt zu sein.

Obwohl die Drachen stark und weise waren, waren sie den Menschen zahlenmäßig weit unterlegen. Beide Seiten kämpften verbissen und wollten keinen Zentimeter nachgeben, doch wie es bei Kriegen üblich war, gab es immer einen Verlierer. Mit herben Verlusten auf beiden Seiten, waren es schließlich die Drachen, welche verloren und sich zurückzogen.

Jedoch nicht, weil sie wirklich unterlegen waren. Ihre Schwäche war die Liebe zu den Menschen, die es ihnen nicht erlaubten, sie auszulöschen. Selbst, wenn sie stark genug waren, hätten sie nie gewinnen können. Darum zogen sie sich zurück und hofften, dass der Mensch eines Tages sehen würde, dass die Drachen nicht ihre Feinde waren.

Leider war dieser Tag bis heute noch nicht gekommen. Daher lebten die Drachen verborgen unter den Menschen. Diese ahnten nicht einmal, dass ihr König nicht menschlich war. Das war er noch nie gewesen.

Wie ich nur zu genau wusste, stand meine Art kurz davor, auszusterben. Dabei hatte sich Hodor – ein Mensch – für die Drachen eingesetzt. Ihm verdankten wir die wunderschöne Hauptstadt, die wir als Zuflucht nutzen konnten.

„Hodor", murmelte ich leise, als würde ich ihn um Hilfe bitten wollen. Mir war jedoch klar, dass er nicht antworten würde.

Hodor war ein Mann von großer Tugend und Weisheit gewesen. Sein Schwur, auch den letzten Drachen zu beschützen, war der Grund, warum diese großartige Stadt existierte. Sie war erbaut worden, um die Drachen vor der Welt zu verstecken. Hier schuf Hodor ein Paradis für uns. Als Dank wurde diese nach ihm benannt. Er war der erste König und es war seine Krone, die ich auf meinem Haupt trug. Ich war ihm im Kampf für die Drachen also verpflichtet. Doch es hatte sich einiges geändert.

Die Drachen hatten zwar Avalon – die verborgene Insel der Drachen – verlassen können, um wieder unter den Menschen zu leben, doch verstecken mussten wir uns noch immer.

„Mylord", erklang eine scharfe, klare Stimme, die mich aus meinen Gedanken riss. Wie lange hatte ich hier draußen gestanden und vor mich hingestarrt?

Ich wirbelte herum und betrachtete Jace. Seine pechschwarzen Haare waren ordentlich zu einem Zopf gebunden und seine Miene stoisch. Wäre er nicht mein Bediensteter geworden, hätte er sich vermutlich zum Arzt ausbilden lassen. Er war ein Mann der es schätzte, die Wissenschaftler zu unterstützen und auf ihren Rat zu hören. Vermutlich empfand er die Vergangenen Geschichten über Drachen und Magie sogar als lächerlich. Da er jedoch mein Freund war und diese Dinge nie offen ansprach, konnte ich ihm vergeben. Dabei mochte ich es ganz und gar nicht, wenn jemand unsere Vergangenheit nicht respektierte.

Jace musterte mich und zeigte durch sein verzogenes Gesicht ganz deutlich, was er davon hielt, dass ich noch immer hier herumstand. „Der Rat wartet", erinnerte er mich mit einem leichten Drängen in der Stimme.

Damit hatte er natürlich Recht. Ich sollte den Rat nicht länger warten lassen, auch wenn ich es genoss, diese Sturköpfe hinzuhalten.

Mein Verhältnis zum Rat war bestenfalls unterkühlt. Ich hielt nicht viel von ihnen, doch bisher hatte ich es noch nicht geschafft, ihn zu säubern. Damit würde ich mir nur Unmut wichtiger Leute zuziehen und damit wollte ich im Moment noch nicht umgehen. Nicht, solange es wichtigere Probleme gab, die ich anpacken musste.

„Natürlich, Jace", sagte ich und schenkte ihm ein beruhigendes Lächeln. Ich fühlte mich nicht wirklich bedroht, was aber daran lag, dass ich mich schon vorbereitet hatte. Wenn es nach mir ging, wollte ich die ganze Sache möglichst konfliktlos hinter mich bringen. Am besten war es, wenn niemand verletzt wurde. Das schränkte jedoch die Möglichkeiten ein. „Es wäre eine Schande, ihn warten zu lassen", erwiderte ich mit herablassender Stimme. Jace wusste gut, dass ich eine Abneigung gegen den Rat hatte. Als mein persönlicher Kammerdiener bekam er einiges mit.

„Eine Schande", stimmte er mir mit derselben Verachtung und einem frechen Grinsen im Gesicht zu. „Ich werde gehen und das königliche Bad vorbereiten", fügte er hinzu.

Da er erst jetzt kam, um mir das zu sagen, war ich vielleicht doch gar nicht so lange auf dem Balkon gewesen. Wenn noch Zeit zum Baden blieb, musste ich mich nicht stressen. Der Rat konnte ruhig auf seinen König warten.

Im Palast hatte ich nicht viele Verbündete, doch Jace war einer von ihnen. Auf ihn konnte ich mich immer verlassen, weshalb ich ihm auch erlaubte, so nah bei mir zu sein. Er war mein persönlicher Kammerjunge und ein wahrer Freund. Dazu kam, dass er seine Arbeit liebte und sie sich selbst ausgesucht hatte.

Da es etwas kühl wurde, kehrte ich in meinem Raum zurück und schenkte mir einen Schluck Drachenwein ein. Davon hatte ich immer eine kleine Flasche auf meinem Arbeitstisch stehen.

Als ich ihn trank spürte ich ein leichtes Brennen in meinem Rachen, das ich sehr willkommen hieß. Der Wein wurde nicht umsonst Drachenwein genannt und war einer der besten Weine in allen Ländern. Nur Adlige konnten sich diesen überhaupt leisten.

Angebaut wurde er außerhalb von Hodor, denn die Trauben brauchten besondere Bedingungen. Dazu gehörte eine kurze, aber intensive Hitze und dann eine lange Zeit lang Wärme. Bekamen die Trauben die Hitze nicht, war das Brennen, das den Wein ausmachte, nicht so stark.

Nicht jeder konnte den Wein anbauen, weshalb er in der Qualität sehr variierte. Ich hatte lange gebraucht, um einen zu finden, der dauerhaft gut schmeckte.

„Das Bad ist fertig, Mylord", informierte mich Jace, der zurückgekehrt war und nun darauf wartete, dass ich mich ins Bad begab, damit er mir beim Waschen und Fertigmachen helfen konnte. Er war in dem, was er tat, sehr gut.

Als Antwort erhob ich mich und schlurfte ins Bad. Das warme Wasser war genau das, was mich für diesen schrecklichen, langen Tag vorbereiten würde.

Erfrischt und bereit machte ich mich schließlich auf den Weg, um mich dem Ältestenrat zu stellen.

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