Drachengold
Es war eine dämliche Entscheidung gewesen. Diesen Satz dachte er ununterbrochen, während er fluchend den steilen Hang hinaufstolperte. Ja, es war idiotisch gewesen sich auf diese hirnrissige Wette einzulassen. Wer, der nicht noch alle Tassen im Schrank hatte, stimmte denn auch zu, den Hort eines Drachens aufzusuchen. Tja, dachte bitter, dieser Idiot war wohl er. Und wer war bitteschön so dämlich zuzustimmen, als Beweis das er dort war, ein Stück aus dem Drachenhort mitzubringen? Gleiche Antwort.
Ächzend erreichte er endlich das Felsplateau, welches sich majestätisch über dem dichten Wald erhob. Hell und saftig strahlte ihm das grüne Blattwerk der Bäume entgegen. Unzählige Vogelstimmen erhoben sich aus dem dichten Geäst, so frisch, so lebendig.
Tja, lebendig würde er nicht mehr sein, sollte er es versemmeln, einen kleinen Teil des Schatzes unbemerkt aus der Höhle zu schmuggeln. Schaudernd wandte er sich dem dunklen Höhleneingang zu. Wie ein riesiger, weit geöffneter Schlund ragte dessen tiefe Schwärze vor ihm auf, bereit ihn zu verschlingen.
Es war dunkel, dunkel und kalt. Fröstelnd schlang er sich die Arme um die Schultern, ein karger Schutz vor der klammen Luft, die die schummrige Gesteinshöhle erfüllte. Zögernd ging er weiter, setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, immer darauf bedacht, keinen Laut zu erzeugen. Immer weiter lief er hinein in die Dunkelheit, tiefer und tiefer hinab.
Er war schon eine Weile gegangen, als der Gang langsam heller wurde. Erst war es nur ein kleines Flackern in der tintengleichen Finsternis, dass jedoch stetig an Leuchtkraft gewann. Das Licht wies ihm den Weg, leitete ihn zu einem weiteren Eingang, der in eine große Höhle führte.
Vorsichtig lugte er um die Ecke, spähte in die Höhle hinein.
Durch ein großes Loch in der Decke floss helles Tageslicht herein. In der Höhle selbst befand sich der Hort des Drachen. Strahlend und funkelnd reflektierte dieser das Sonnenlicht, malte goldene Schatten an die Wände, die ausgelassen zu tanzen schienen.
Gold, Juwelen, kostbares Geschmeide und schillernde Perlen, aufgetürmt zu einem riesigen Berg. Glitzernd und funkelnd, eine Pracht ohnegleichen.
Staunend betrat er die Höhle und nahm den Hort näher in Augenschein. Auf dem riesigen Goldhaufen trohnte der Drache. Seine mächtigen Schwingen hingen herunter und streiften mit ihren Spitzen den staubigen Fels. Die Schuppen waren von einem strahlendem Gold, die von roten Striemen durchzogen wurden. Moment, das war keine rote Musterung, dass waren Wunden! Erst jetzt bemerkte er die dünnen roten Rinnsale, die den Hort langsam rubinrot färbten und die einst strahlend grünen Augen des Drachens, die nun gebrochen und leblos in den blauen Sommerhimmel starrten.
Erschrocken wich er zurück. Die Wunden, die dem toten Drachen zugefügt worden waren, erstreckten sich in langen Striemen über dessen Brust und Hals. Jeweils vier Striemen verliefen parallel. Solche Wunden konnte kein Schwert, keine Axt und keine Lanze schlagen. Nein, das war das Werk eines Drachens.
Diese Erkenntnis erschütterte ihn. Warum sollte ein Drache einen Artgenossen töten? Hektisch sah er sich um, vielleicht war der Mörder noch hier? Was tun? Am besten er griff sich den nächstbesten Gegenstand als Beweis dafür, dass er die Höhle des Drachens betreten hatte und verschwand schnell wieder. Hastig stolperte er auf den Drachenhort zu und schnappte sich eine goldene Münze, die zu seinen Füßen lag. Sie war dick, mit Kerben übersät und wog schwer in seiner Hand.
Schnell drehte er sich um und hastete auf den Ausgang der Höhle zu. Doch ehe er diesen erreichen konnte durchzuckte ein scharfer Schmerz seinen Arm. Er sah auf seine Hand hinunter. Zwischen seinen Fingern quoll gleißendes Gold hervor, feurige Funken, die seinen Arm emporkrochen und über seine Haut leckten.
Er schrie auf, versuchte seine Hände von der Münze zu lösen, doch sie schienen an dem verdammten Gold zu kleben. Was zur Hölle war das? Panisch versuchte er die Flammen auf seinem Körper auszuklopfen, doch sie ließen sich nicht beirren, krochen weiter, hüllten ihn ein. Er erwartete Schmerz, grauenhafte Qualen, doch er spürte lediglich eine angenehme Wärme.
Schon bald umhüllte ihn das Feuer von Kopf bis Fuß. Eine Feuersäule, die ihren flackernden Schein an die glatten Felswände warf. Befreien konnte er sich aus dieser feurigen Umarmung nicht. Ob er ewig so weiterbrennen würde? Tausende Fragen und Ängste kreisten in seinem Kopf, als er plötzlich etwas spürte. Er sah erneut auf seine Hand, die sich immer noch um die Goldmünze krallte. Doch statt glühenden Funken ging nun etwas anderes von ihr aus. Kleine funkelnde Plättchen bedeckten seinen Handrücken, breiteten sich über seinen gesamten Arm aus. Moment, waren das etwa Schuppen?
Erneut flammte Panik in ihm auf. Während das goldene Feuer um ihn herum tanzte, ihn streichelte und ihm zuflüsterte, versuchte er die Schuppen von seinem Körper zu kratzen. Doch vergeblich. Was war das für ein Zauber?
Das Feuer loderte noch höher, Funken sprühten und wirbelten um ihn herum. Da erfasste ihn ein stechender Schmerz, wie eine glühend heiße Woge schwappte er über ihn hinweg. Gequält schrie er auf, er krümmte sich, Schweiß trat ihm auf die Stirn. War das die Strafe für seinen Diebstahl? Höllische Qualen wegen des Raubes einer einzigen zerkratzten Münze?
Wieder und wieder rollte der Schmerz über in hinweg, ließ ihn zu Boden sinken und seinen Körper sich in Krämpfen winden.
Diesmal brannte sein Körper tatsächlich. Doch er brannte von innen, seine Knochen schmolzen, formten sich neu. Sie streckten sich in die Länge, bogen sich, wuchsen neu zusammen. Ein grässliches Knirschen und Knacken erfüllte seinen Körper und ließ ihn schaudern. Die Qualen schienen ihm endlos, seine Schreie waren längst verhallt, selbst dazu war er zu erschöpft.
Und dann, war es plötzlich vorbei. Von einem Augenblick auf den anderen war das Feuer erloschen.
Erschöpft lag er da, die Augen geschlossen.
Wie lange er dort auf dem staubigem Stein lag wusste er nicht, es war ihm gleichgültig.
Als der goldene Schein der Sonne langsam verblasste, fand er endlich wieder die Kraft sich aufzurichten. Ächzend und stöhnend kam er auf alle Viere. Moment, alle Viere? Er war ein Mensch verdammt, warum zur Hölle stand er auf vier Beinen? Vorsichtig sah er an sich hinab. Er sah Schuppen. Seine Schultern, seine Arme und seine Hände waren von blauen Schuppen bedeckt. Sie schillerten und glänzten in unfassbar vielen Blautönen.
Er sah Ultramarin, Indigo, Türkis, eine nicht enden wollende Farbpalette.
Die Schuppen faszinierten ihn und erfüllten ihn mit Furcht. Was war mit dem Rest seines Körpers? Er drehte den Kopf, und erstarrte. Aus seinem Rücken, der länger und schlanker war als vorher, sprossen Flügel. Mächtige Schwingen, bestehend aus starken Sehnen und dünner Haut. Panik überkam ihn. Was zur Hölle ging hier vor sich? Wieso war sein Körper so anders?
Er sah hinüber zum goldenem Hort, der immer noch glitzerte und funkelte. Verflucht sollte er sein! Dreimal verflucht! Sein Blick blieb an dem Körper des toten Drachen hängen. Und da begriff er.
Nein, das durfte nicht sein, das konnte nicht sein!
Doch es war wahr. Er war gefangen im Körper eines Drachens. Er begann zu zittern, seine Augen füllten sich mit Tränen. Seine Brust wurde eng, was sollte denn nun aus ihm werden? Er konnte nicht zurück zu seiner Familie, er konnte nicht einmal in die Nähe von Menschen gehen, wenn er am Leben bleiben wollte.
Verzweifelt suchte er nach einer Lösung, es musste doch irgendwie möglich sein, seinen alten Körper zurück zu bekommen. Doch so sehr er sich auch den Kopf darüber zerbrach, eine Lösung fand er nicht.
Müde schloss er die Augen. Er wusste nicht weiter. Entmutigt ließ er sich wieder auf den kalten Stein sinken und vergrub den Kopf unter seinen Flügeln.
Knirsch
Sofort war er wieder hellwach. Angespannt lag er da, presste sich dicht an das kühle Gestein.
Knirsch
Wieder dieser Laut. Schritte auf steinigem Grund und sie kamen näher, direkt auf in zu.
Was tun? Liegen bleiben oder aufstehen? Flucht oder Kampf? Seine Gedanken rasten, fieberhaft überlegte er. Da vernahm er ein Schnaufen. Ein lautes Ausatmen, direkt hinter ihm. Noch einmal, lauter. Ein trockenes Schnauben, dass irgendwie amüsiert klang. Moment, er lag hier im Dreck und irgendwer fand das offensichtlich lustig.
Verärgert sprang er auf. Seine Furcht war verschwunden und einer kalten Wut gewichen. Niemand lachte ihn aus, niemand! Langsam drehte er sich um, den Kopf gesenkt, die Flügel drohend gespreizt.
Vor ihm stand ein Drache, besser gesagt ein Drachenweibchen. Woher er das wusste? Er konnte es riechen, was ihn verblüffte. Die Schuppen seines Gegenübers waren von einem schimmerndem mitternachtsblau, gesprenkelt mit kleinen weißen Tupfen, die an funkelnde Sterne gemahnten. Ihre Augen waren von einem hellen Violett, das ihn an duftenden Lavendel erinnerten und die ihn amüsiert anblitzten.
Und noch etwas fiel ihm auf. An ihren langen gebogenen Krallen klebte Blut, rubinrot und noch frisch. Klebrig tropfte es auf den Boden.
Er riss entsetzt die Augen auf und wich automatisch ein paar Schritte zurück. "Du hast ihn getötet. Du hast den Drachen getötet", flüsterte er schockiert. Ihm schauderte, dieses Drachenweibchen hatte ihren Artgenossen kaltblütig ermordet.
Sie schnaubte nur. "Er hat es nicht anders verdient. Er hat meinen Nestling getötet", zischte sie mit gefletschten Zähnen, die glänzten wie frisch glasiertes Porzellan.
Er antwortete nicht, kauerte sich lieber noch etwas mehr auf den Boden und beobachtete, wie sie weiter auf in zukam, unfähig den kleinsten Muskel zu rühren.
"Du verstehst es nicht oder?", fragte sie,"Du verstehst nicht den Schmerz den er hinterlassen hat, als er meinen Nestling ermordete. Nein, nichts verstehst du. Du begreifst nicht einmal was mit dir geschehen ist, warum du im Körper eines Drachens feststecksts.".
Sie lachte glucksend auf,"Nein, Kleiner, du verstehst nichts von dieser Welt, von meiner Welt. Der Welt der Drachen. Aber wie solltest du auch, du bist ein kleiner schwacher Mensch", zischte sie und musterte ihn abschätzig, bevor sie fortfuhr,"Nun ja, jetzt jedenfalls nicht mehr. Jetzt bist du so wie ich. Ein Schuppentier, ein Herrscher des Himmels, von den Menschen gefürchtet und gejagt."
Immer näher kam ihm das Drachenweibchen, während er nur dalag, den Bauch flach an den Fels gepresst. Nur noch wenige Zentimeter trennten sie nun voneinander.
"Willst du wissen, was mit dir geschehen ist? Warum du jetzt so bist wie du bist? Dann hör mir jetzt gut zu Kleiner", fauchte sie leise, ihre Schnauze nur eine Handbreit von der Seinen entfernt. Der Geruch kalten Blutes schlug ihm entgegen, metallisch und leicht süßlich. Er musste würgen.
"Du bist Opfer deiner eigenen Dummheit geworden, geblendet vom unermesslichen Reichtum dieses Hortes. Ja, nur ein kleines Stück dieses Schatzes hätte dich reich gemacht, unermesslich reich, doch da gibt es etwas das du nicht weißt und das wurde dir zum Verhängnis", sie lachte wieder ihr glucksendes Lachen.
Er wollte protestieren, sich rechtfertigen, doch er brachte keinen Laut hervor. "Nun mein Kleiner, auf diesem Hort liegt ein Fluch. Jeder Edelstein, jede Perle und jede noch so kleine Münze ist ein Teil davon. Jeder Dieb der es wagt, etwas von diesem Schatz zu entwenden, und sei es noch so klein, den trifft der Fluch. Der wird Teil dieser uralten Magie und teilt vortan das Schicksal der Drachen, ungeliebt und verachtet durch die Welt zu streifen."
Schwer hingen ihre Worte in der Luft. Er glaubte den Fluch zu spüren, wie er durch diese alte Höhle geisterte, sie mit seiner dunklen Kraft füllte und ihm hämisch ins Ohr meckerte.
"Es gibt kein zurück?", flüsterte er, die Stimme rau vor Grauen.
"Nein", erwiderte sie leise,"Niemand entgeht dem Fluch. Er lässt sich nicht überlisten, er lässt sich nicht brechen. Er dauert ewig."
Eine Weile schwiegen sie, gebannt durch die Entgültigkeit dieser Worte. Kein zurück, dachte er, es gibt kein zurück.
"Komm mit", sagte sie. Sanft diesmal, die tiefen Lavendelaugen voller Mitgefühl. Widerstandslos folgte er ihr, betäubt und gefangen in seinen eigenen Gedanken, in denen es stetig wiederhallte kein zurück.
Er fing an zu zittern, wie von Schüttelfrost gepackt.
Schwankend und zitternd stolperte er hinter der Drachendame her. Sie führte ihn zu einem kleinen Tümpel, der ihm zuvor nicht aufgefallen war. Versteckt lag er im Dunkeln der Höhle, das Wasser war tief und klar. Nur vereinzelt verirrte sich ein Sonnenstrahl in dieses schummrige Dunkel, und brach sich auf der spiegelglatten Oberfläche.
"Sieh hinein", befahl sie ihm. Gleichgültig trat er an den Tümpel und spähte in dessen Tiefen.
Er sah sich selbst. Nicht wie sonst, mit den zerzausten braunen Haaren und den traurigen Augen. Nein, nun sah er einen Drachen, mit schillernden blauen Schuppen und türkisenen Augen, welche dieselbe Farbe hatten, wie das klare Wasser des Tümpels. Er sah nicht dieselbe Gestalt, das nicht, doch beide Gestalten hatten denselben Blick. Traurig, beinahe melancholisch. Und doch, versteckt in ihren Tiefen, ein Funkeln, das Lebensfreude und Abenteuerlust verriet.
Lange stand er so da, starrte sein eigenes Spiegelbild an, verwundert und erleichtert zugleich.
"Nun, was siehst du?", fragte sie ihn, ihre Augen sahen ihn forschend an. "Ich sehe mich selbst", antwortete er verblüfft. War das überhaupt möglich, so anders wie er jetzt war? So anders in diesem fremden Körper?
Sie lächelte ihn sanft an,"Selbst wenn der Körper sich ändert, die Seele bleibt dieselbe". Er nickte nur, immer noch verwirrt.
Als er aufblickte sah er, wie sie sich entferne, so lautlos wie sie ihm erschienen war verschwand sie wieder. "Warte!", rief er,"Was soll ich jetzt tun? Du kannst mich doch nicht alleine lassen!".
"Ich gehe meinen Weg und du den Deinen", kam ihre Antwort aus dem Dunkel. Er rannte hinter ihr her und wäre beinahe über seine eigenen, nunmehr vier, Beine gestolpert. Immer wieder blitzten ihre Schuppen auf, kleine Wegweiser in der Finsternis, die ihn auf die richtige Spur brachten. Er flog regelrecht den Gang entlang, der aus der Höhle hinaus führte.
Am Ende des Tunnels sah er bereits das Licht der untergehenden Sonne und einen langen geschuppten Drachenschwanz, der gerade ins Freie entschwand. Er beschleunigte seinen Lauf und schoss hinaus in die klare Abendluft. Beinahe wäre er in das Drachenweibchen hineingerannt.
Sie sah in lange an, dann seufzte sie resigniert. "Also gut", knurrte die Drachendame,"Du kannst mit mir kommen. Aber erst musst du mir verraten wie dein Name lautet, denn was wäre ein Weggefährte ohne einen Namen?".
"Sarin, mein Name ist Sarin", antwortete er atemlos, immer noch erhitzt von seinem Sprint.
"Gut, dann folge mir". Er nickte und beobachtete wie sich ihr schlanker Körper elegant in die Lüfte erhob.
Noch einmal blickte er über den Wald hinweg, sah in der Ferne seine Heimat. Nun, das gehörte der Vergangenheit an, denn nun war er ein Drache und wer würde sich ihm jetzt noch an den Hals werfen? Richtig, niemand.
Entschlossen spannte er die Muskeln an und schwang sich in den wolkenlosen Himmel.
Alles was man sah waren zwei geflügelte Schatten, die im hellen Licht der Sonne verschwanden.
Dies war vielleicht des Ende seines alten Lebens, doch es war ebenfalls ein Neubeginn. Und wer kann sich schon rühmen, so einen Neubeginn zu bekommen?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top