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Als es sah, wie der riesige Drache die Spitzen seiner messerscharfen Zähne in seinen Oberschenkel schlug, schrie das Kind auf, allerdings nicht vor Schmerz, sondern vor Angst, Entsetzen und Panik. Schon beim Ausbleiben der Heilung seiner Beine hatte es den Verdacht gehabt, dass die Kreatur ihm vielleicht doch nicht so gewogen war, wie zu Anfang erhofft. Aber jetzt wollte sie ihn auch noch umbringen!

Der Mensch schrie und wand sich, doch seine Kräfte versiegten rasch, er hatte sich beim Weinen völlig ausgelaugt.

So sollte es also enden? Misshandelt, verbraucht, beschmutzt, mit nicht einem Lichtblick in seinem Leben, musste der Mensch also schon im Kindesalter sterben? Sterben, weil er eine Schwäche offenbart hatte –geweint hatte – und nun zu schwach war, um sich zu wehren? Sterben, weil er hilflos war? Sterben, weil er gebrochen und ohne jeden Lebenswillen war? Aber halt, so stimmte das doch gar nicht. Er wollte leben! Er wollte noch nicht sterben.

Entschlossen von diesem Gedanken richtete er sich halb auf und robbte gegen den Widerstand, den sein Fleisch leistete, rückwärts. In diesem Moment war er beinahe froh, keinen Schmerz zu spüren, das machte ihn entschlossener, vereinfachte seine Entscheidung immens und der Schmerz hatte keine Chance, seine Willenskraft zu mindern.

Knurrend fuhr eine krallenbesetzte Pranke auf seinen Brustkorb herab, doch diesmal würde der Mensch sich nicht so leicht mit der Niederlage zufrieden geben. Er stemmte sich gegen die Pranke, ohne diese jedoch auch nur einen Millimeter bewegen zu können.

Menschen waren schon immer dafür bekannt, nicht zu wissen, wann es reicht. Sie begreifen zu spät, wann sie verloren haben oder aufgeben müssen.

Mit festem Griff packte der Mensch eine kleine Schuppe über einer der Krallen und zog mit aller Kraft daran. Ähnlich dem Geräusch reißenden Stoffs, löste sich die harte, schimmernde Schuppe von der Haut.

Der Drache knurrte unwillig – eine merkwürdige Reaktion, wie der Mensch fand – und löste die Zähne aus dem Fleisch seines Opfers.

Mit einem schmatzenden, widerwärtigen Geräusch, welches das Kind schaudern ließ, fiel die Wunde in sich zusammen und hinterließ ein hässliches Loch.

Anstatt sich jedoch auf den Kopf des Menschen zu stürzen, um die abgerissene Schuppe zu rächen, klappte er nur energisch die Kiefer zu, als ob er ihn warnen wollte, dieses Unterfangen zu unterlassen und leckte über die entstandene Wunde.

Was sollte das denn jetzt? Warum biss ihn der Drache, um die Wunde anschließend zu heilen? Und warum kümmerte es ihn nicht, dass der Mensch ihn verletzte? Weshalb beschützte er ihn und machte dann bei der nächsten Gelegenheit Jagd auf ihn? Änderte er wirklich so oft die Seiten und die Meinung, oder dachte er bloß auf für Menschen zu verschlungenen Pfaden? Nun, im Moment zerfleischte er ihm das Bein, eindeutiger ging es ja wohl kaum. Mehr als ‚Beute!' strahlte diese Geste nicht wirklich aus.

Erneut packte das Kind eine Schuppe und zerrte daran, als es ein vertrautes Kribbeln spürte.

Aber es war,... in den Beinen!

Ungläubig starrte es an der Tatze vorbei, und sah, wie eine blaue Flüssigkeit in der Wunde stand. Unbeirrt fuhr die Zungenspitze wieder und wieder über das offene Fleisch, bis der Mensch erkannte, dass das Blaue aus der Zunge troff und daher Drachenblut sein musste.

Das Kribbeln wurde beinahe unerträglich, genauso wie seine Neugier und wiedergewonnene Hoffnung. Mit einem Mal brannten seine Beine, Rippen und sein Unterleib, dort, wo Knochen und andere innere Verletzungen sein mussten. Das Kind stöhnte erst, doch bei zunehmendem Schmerz ging das Stöhnen in ein Schreien über.

Was machte der Drache da bloß mit ihm? Ihn umzubringen ging doch wesentlich schneller...

Aber wenigstens fühlte er wieder. Noch war er nicht tot. Und nun gab es etwas, was er bekämpfen konnte. Schmerz war ein Gegner, gegen nichts konnte man auch nicht in den Kampf ziehen.

Es dauerte lange, bis der Schmerz nachließ. Die Stimme des Menschen war schon längst weg, der Boden zerfurcht vom heftigen Kampf gegen den Schmerz, Tränenrinnsale waren auf seiner Haut vertrocknet und Fingernägel zersplittert, trotzdem zierte ein seliges Lächeln die kindlichen Züge des leidgeprüften Menschen. Er hatte gewonnen, dem Hindernis getrotzt. Nun konnte es nur noch besser werden.

Er hatte die Prüfung bestanden und einen außergewöhnlichen Verbündeten gefunden.

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