[6]
Willenlos wie eine Puppe ließ das in den Pranken winzig erscheinende Kind alles mit sich geschehen. Was konnte es schon gegen eine gewaltige, feuerspeiende Echse ausrichten, deren Krallen und Zähne mindestens halb so lang wie es selbst waren, vielleicht sogar länger? Der junge Mensch konnte nicht rennen – wobei jeder noch so schnelle Sprint zu langsam gewesen wäre – wenn er sich fallen ließ, stürzte er in den Tod und wenn er versuchte, eine Schuppe gewaltsam abzureißen, würde ebenfalls sein Kopf rollen.
Wer wusste schon, bisher hatte er damit überlebt, sich möglichst unsichtbar zu machen. Gut möglich, dass es immer noch funktionierte. Ansonsten würde er alles mit sich machen lassen, denn bisher hatte ihm der Drache nichts getan.
Lediglich dann, wenn die Kreatur ihn an seine Jungen zu verfüttern begann, würde er alles daran setzen, diesem Schicksal zu entgehen.
Langsam aber sicher unterkühlte der Körper des Kindes und die Finger begannen, gefühllos zu werden.
Der Drache bemerkte dies und beeilte sich umso mehr, sein Ziel zu erreichen.
Selbst das kalte Blut der Menschen sank bei dem Jungen weiter herab und jetzt erschien es der klugen Echse logisch, sich die Stofffetzen umzubinden, wenn nur sie eine konstante Körpertemperatur sicherstellen konnten.
Mit einem lauten Krachen und einem harten Ruck – der das Kind aus einem tranceartigen Zustand nahe der Bewusstlosigkeit riss – kam der Koloss an einer lediglich moosbewachsenen Stelle auf einem der Berge an und legte das halb erfrorene Kind auf dem weichen, dennoch gleichzeitig nassen, Bett aus Moos ab. Der Drache entfernte sich ein wenig, krümmte den langen Hals und spie eine gewaltige Flammensäule auf den Boden. Beinahe sofort stieg der Geruch von verbranntem Gras empor, doch der stete Regen verhinderte, dass sich das Feuer weiter ausbreitete. Bald war ein kahler, glühender Flecken Erde freigelegt. Da wandte das Geschöpf seinen massigen Kopf vor den des Kindes und blinzelte es einmal freundlich, aber bestimmend an.
Dieses verzog das Gesicht.
„Ich kann nicht gehen."
Es war unklar, ob der Drache ihn verstanden hatte oder nur spürte, dass etwas nicht so wahr, wie es sein sollte, jedenfalls senkte er den Kopf und bot so eines seiner Hörner als eine Art Griff an. Dankbar packte das Kind den Zacken, zog sich halb hoch und ließ sich von der großen Echse zu dem glühenden Fleck ziehen. So lag das Kind bäuchlings keine Armlänge von dem orange glühenden Stein entfernt und spürte, wie die Wärme langsam in seine gefrorenen Glieder kroch.
Bevor sich das Kind bedanken konnte – ob nun mit Worten oder Gesten war gleich – ertönte das inzwischen vertraute Brausen, was hieß, dass der Drache abhob.
Panik breitete sich in ihm aus, ohne die Kreatur war es völlig ausgeliefert, besann sich jedoch darauf, dass der Drache diesen Flecken nicht gewärmt hätte, wenn ihm der Mensch egal gewesen wäre. Um sich zu beruhigen musterte das Kind die verschiedenen Farbverläufe und -intensitäten in dem langsam erkaltenden Stein und wartete, stumm wie eine Statue. Es wäre vermutlich nicht gerade klug gewesen, die Jäger der Nacht auf sich – beispielsweise durch das Rufen des Drachen – aufmerksam zu machen. Doch in diesem Punkt hätte das Kind durchaus beruhigt sein können, denn der Lärm der Landung hatte alle Jäger verjagt. Allerdings auch alle Beute. Das war auch der Grund, weshalb der Drache so lange fortblieb, denn obwohl er den Vorteil der Jagd aus der Luft besaß, musste er weit fliegen, um überhaupt Beute zu
erspähen.
Als er schließlich zurückkam, hatte er einen Hirschbullen zwischen den Klauen, legte ihn ein gutes Stück von dem Kind entfernt auf den nassen Boden und häutete den Kadaver, indem er ihn einfach ableckte. Die raue Zunge erledigte den Rest. Schwer schluckend beobachtete das Kind den Drachen, der die abgerissene Haut mitsamt Fell gleich herunterschlang, den Fleischbrocken mit einem Flammenstrahl briet, die Hinterbeine an den Hufen packte und mit spielerischer Leichtigkeit abriss. Die Fleischkeulen legte er fürsorglich vor dem Kind auf den noch warmen Boden, musterte es noch einen Moment und stellte dann zufrieden fest, dass es auf die Ellbogen gestützt selbst seine Mahlzeit einnehmen konnte. Das Kind aß mit Heißhunger, wobei es sich nicht darum scherte, ob es sich die Zunge verbrannte oder die Finger. Zu lange lag eine anständige Mahlzeit zurück, als dass es diese wirklich genießen konnte.
Der riesige Drache war nach wenigen Happen mit seinem Essen fertig, wobei er Fleisch genauso wie Knochen und Organe vertilgte. Er war noch lange nicht satt, gab sich jedoch damit zufrieden. Bald würde er mehr als genug Zeit haben, seinen Magen zufrieden zu stellen.
Müde von der Jagd rollte er sich um das satte, halbwegs warme Kind und legte schützend einen Flügel über es.
Beinahe sofort breitete sich eine angenehme Wärme darunter aus und das Kind schmiegte sich an den nicht ganz so harten Bauch und schlief augenblicklich ein, ausnahmsweise seine Beine vergessend.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top