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Erschrocken fuhr das Menschenkind zusammen und der Drache spürte und roch, dass der schale Geruch von Angst um es erneut auflebte. Geschmeidig und blitzschnell suchten die geschlitzten Augen nach der Quelle des Ausrufs und fanden sie sofort. Noch vor der Tür starrte ein untersetzter, seltsam wankender Mann auf das gewaltige Loch in der Decke. Von ihm ging ein süßlicher, seltsam stechender – dem Drachen jedoch völlig neuer – Geruch aus, dessen Ursache das Kind jedoch kannte. Wenn der Mann ein Pulver durch die Nase atmete, ging er besonders grob und laut mit ihm um. Allerdings roch das Kind das nicht, sondern erkannte die Anzeichen an dem Gang und der Art, wie er sprach.
Mit einem heiseren, wollüstigen Knurren entdeckte der das Kind auf dem Dach, wobei es ihn weniger kümmerte, das Wind und Regen durch das Loch bei ihm ankamen. Er hielt es – berechtigterweise – für eine von den Drogen hervorgerufene Halluzination, die er jedoch sehr genoss. Zitternd und nackt präsentierte das Kind sich schließlich sonst nicht, zumindest nicht freiwillig.
Das dümmliche Grinsen verschwand jedoch sofort, als der mächtige Drache sein Knurren erwiderte - wodurch das Haus erbebte - und seinen stechenden Blick auf den Menschen richtete. Dem gefiel ganz und gar nicht was er nun sah und obwohl er den Drachen ebenfalls für eine Illusion hielt, stieg in die empfindlichen Nüstern des Geschöpfs beinahe sofort der stechende Geruch von Urin.
Der Drache blinzelte nicht, knurrte nur erneut und sandte damit eine unmissverständliche Botschaft – älter als Worte – zu dem verängstigten Mann.
Du störst. Verschwinde.
Mit dem anderen Auge beobachtete er das Junge und stellte fest, dass es erneut erstarrt war und das ließ den Koloss auf's Neue rätseln.
Das es vor ihm, einem Drachen, Angst hatte war verständlich, aber vor seinesgleichen? Das musste er unbedingt ändern. Das Junge sollte nur die Drachen fürchten müssen.
Ein Blinzeln war die einzige Warnung, bevor die massige Kreatur erstaunlich geschmeidig mit einem Satz auf den Mann zusprang. Der stieß einen Schrei alles verzehrender Verzweiflung aus und wirbelte herum, doch der Drache landete auf ihm, bevor er auch nur einen Schritt machen konnte und der Schrei stoppte abrupt. Gleichzeitig brachen Holz und Knochen unter dem Gewicht des Koloss' und das Kind stieß einen spitzen Schrei aus. Während der Drache seinen Peiniger mühelos mit Zähnen und Klauen zerfleischte, fragte sich das Kind, ob es nicht gleich auch so enden würde. Ausgezogen hatte ihn der Drache ja schon...
„He, du! Hat unsere Ware es gewagt zurückzuschlagen, oder wieso kreischst du wie ein Mädchen?", lachte eine andere Person.
Ohne zu zögern rammte der Drache die altersschwache Tür, und mit einem lauten Knall explodierten Splitter in alle Richtungen davon, ohne jedoch auf dem Schuppenkleid auch nur einen Kratzer zu hinterlassen. Den Sprecher spießte eines der Hörner glatt auf, und während die anderen fünf noch verdutzt auf den durchbohrten Leichnam starrten, holte dessen Mörder tief Luft und badete sie in einem tödlichen Flammenmeer.
Wimmernd vor Angst barg das Kind den Kopf zwischen den Armen und drückte den Oberkörper auf die nutzlosen Beine. Es bedauerte den Tod der sieben keinesfalls, doch es fürchtete um sein eigenes Wohlergehen. Viel sprach zumindest nicht dafür, dass es ihm anders ergehen sollte. Und wieso sollte die riesige Echse denn überhaupt bei ihm eine Ausnahme machen und ihn verschonen? Ihm viel kein triftiger Grund ein.
Der Drache sah auf, und die lodernden Flammen spiegelten sich in seinen Augen, was ihnen ein verschlagenes Funkeln einzuhauchen schien.
Dann machte er einen energischen Satz auf die Überreste des Dachs, schob möglichst vorsichtig die Pranken unter den erbarmungswürdigen Leib – was dennoch neue Kratzer und Schnitte bedeutete – breitete die riesigen Flügel aus und erhob sich mit einem gewaltigen Satz in die klirrend kalte Luft.
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