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Das große, feuchte Auge verschwand erneut für einen Augenblick, bevor die Kreatur kurzentschlossen einen Satz in die Höhe machte.
Einen Moment war es still, bis auf das stete Prasseln des Regens und der junge Mensch glaubte schon, sich das Geschöpf nur eingebildet zu haben, als die baufälligen Wände unter der Wucht eines gewaltigen Gewichts erzitterten. Erschrocken fuhr er zusammen und machte sich noch kleiner, als er ohnehin schon war. Er wusste, dass es viel zu lange dauern würde, bis seine Mitbewohner begreifen würden, dass etwas nicht stimmte. Vermutlich würden sie nicht vor morgen Nachmittag wachzukriegen sein, selbst wenn sich der Mensch die Seele aus dem Leib schrie. Außerdem – nur weil sie wach waren, hieß das noch lange nicht, dass sie ihre Ware schützen würden. Je länger er darüber nachsann, desto weniger glaubte er daran. Und was machte ein Beutetier, wenn es gejagt wurde? Es versuchte, möglichst unsichtbar zu sein und nicht auch noch auf sich aufmerksam zu machen.
Staub rieselte von der Decke und das Kind sah verängstigt auf, machte aber keine Anstalten zu fliehen. Einen Moment schien die Welt stillzustehen, dann riss die Kreatur mit beängstigender Leichtigkeit ein Loch in das Dach, was das Haus mit einem brüchigen, schwachen Knacken quittierte und sonst keinerlei Widerstand leistete.
Kopflos vor Angst schlug die kleine Gestalt die Hände über den Kopf und fiel auf eine Seite, da sie von Weinkrämpfen geschüttelt wurde und sich nicht an die Wand gelehnt halten konnte. Lautlose Tränen rannen über seine Wangen, die Beine in einem merkwürdigen Winkel immer noch ausgestreckt auf den schmutzigen Holzdielen liegend. Reflexhaft versuchte das Menschenkind sich zu einer Kugel zusammenzurollen, doch seine Beine verweigerten ihren Dienst. Dem Kind war diese Befehlsverweigerung seines Körpers keineswegs neu, doch in diesem Moment der Angst war es, als sei es gegen eine Wand gelaufen. Ohnmächtige Wut auf sich, seinen Körper, seine Mitbewohner, die Kreatur und die Welt stieg in dem jungen Mensch auf und machte ihn völlig angreifbar und hilflos. Hilflos. War er das nicht schon seit Jahren? Nun, offenbar hinderte es ihn nicht daran zu hassen. Mit bebendem Körper und einer verzerrten Fratze versuchte das Kind, sich aufzurichten, stützte sein gesamtes Gewicht auf seine viel zu dürren Arme, hielt dann jedoch abrupt inne.
Der heiße, feuchte Atem der Kreatur saß ihm im Nacken und sofort erstarrte das Kind zur Salzsäule. Jede Wut war vom Überlebensinstinkt verdrängt worden. Der Luftstrom roch nach Blut, Tod und Verbranntem. Ein leises Rascheln ertönte und das Menschenkind hoffte nur noch, das es schnell vorbei sein würde, als es die harte, schupppige Schnauze spürte.

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