Stimmungsschwankungen
Es herrschte bereits seit einer Stunde ein angenehmes Schweigen zwischen den beiden.
Die Stille war nicht erdrückend für beide.
Keiner fühlte sich unwohl oder nicht gut aufgehoben.
Sie beide kamen damit klar, den anderen nicht anzusprechen.
Jon hatte die die Augen geschlossen und kein einziges Mal zu Mayisa gesehen.
Er genoss die Ruhe und dachte friedlich nach.
Diese Momente gaben ihm die Chance die Gedanken zu ordnen und seine Handlungen zu planen.
Er musste sich darüber klar werden, was er wollte.
Er war kein König mehr.
Seine eigenen Geschwister verurteilten ihn dafür und hielten die Entscheidung für schlecht.
Auf eine gewisse Art und Weise verstand er Sansa, Arya und Bran auch.
Er allein hatte Haus Stark die erlangte Macht stärker gemacht.
Seine Familie kannte Daenerys nicht, und Jon hatte auch den Eindruck sie würden sich keine große Mühe geben sie näher kennenzulernen.
In ihnen schlummerte noch immer der Hass gegen Targaryen.
Obwohl sie nicht einmal gelebt hatten, als Aerys Haus Stark das Oberhaupt und den Nachfolger nahm, und Daenerys' ältester Bruder Rhaegar Tante Lyanna entführte und vergewaltigte, hatten sie diesen Groll gegen die Drachen von ihren Eltern anscheinend weitervererbt bekommen.
Jon war sich bewusst gewesen, was alles auf ihn zukam wenn er mit einer Targaryen anreisen würde.
Er hatte geahnt, dass Komplikationen auftreten würden, da er wusste wie stur die Starks manchmal sein konnten.
Doch auf Mayisas Geständnis war sein Herz nicht vorbereitet gewesen.
Jon schätzte sich als miserabler Vater ein, der falsche Entscheidungen treffen würde und seine eigene Familie in Gefahr brachte.
Er war bereits einmal gestorben, wegen solch einer Fehlentscheidung.
Schnee hatte keine Ahnung wie er mit der Situation umgehen sollte.
Er würde sich um das Kind kümmern, das war gewiss, doch wie verhielt er sich gegenüber der Lady?
Sie musste ihn hassen, so viel stand fest.
Beim Abschied vor einigen Wochen, als sie bei Ostwacht sich Lebewohl sagten, hatte Mayisa sich komisch verhalten.
Sie hatte Tränen in den Augen gehabt, er hatte es gesehen.
Jon wusste wie klug sie war und wie weit sie Situationen einschätzen konnte.
Wahrscheinlich hatte sie bereits in diesem Moment gedacht, sie hätte Jon an Daenerys verloren.
Mayisa war vernünftig und machte sich nichts vor.
Sie wusste, dass sie keine Chance gegen eine mächtige Königin mit Drachen gehabt hätte.
Jon brauchte sie um das Land zu beschützen.
Doch die Tatsache, dass sie beide Gefühle für einander entwickelt hatten, schien Mayisa noch mehr fertig zu machen.
Er wollte sich gar nicht vorstellen durch welche Gefühlshöllen sie gegangen war und noch immer ging.
Also öffnete er wieder die Augen um höflicherweise nach der Tiryr zu sehen.
Jon war geschockt, als sie noch immer wie vorhin stocksteif dasaß und ihre blauen Augen ihn friedlich musterten.
Hatte sie ihn die ganze Zeit angestarrt?
"Wolltest du nicht schlafen?"
Etwas verwirrt schaute er sie an.
Der starre Blick auf ihm verunsicherte den Mann noch mehr.
"Denkst du etwa ich kann am hellichten Tag schlafen?"
Der unfreundliche Ton ließ Jon nun ganz mit dem Rätseln aufhören.
Diese Stimmungsschwankungen konnte er einfach nicht verstehen.
"Wenn du nicht schlafen möchtest dann...," doch er stockte.
Mayisa wusste, dass er sagen wollte er würde gehen.
Sie hatte es am Ton erkannt.
Offenbar war ihm ein Wortwechsel mit ihr so unangenehm, dass er lieber flüchten würde.
Allerdings erinnerte sich Jon, weshalb er überhaupt hergekommen war.
Seine eigene Schwester hatte ihn gebeten und aufgefordert ihr nun bei jeder traurigen Phase beizustehen.
Schließlich war er der Grund für diese Lage, in der sie nun war.
"Dann können wir reden, wenn du möchtest.", beendete er den Satz.
Sein Oberkörper bewegte sich ohne Anstrengung nach oben und er gähnte kurz.
Die blauen durchdringlichen Augen lagen noch immer jede Sekunde auf ihm.
Jon versuchte sich dadurch nicht irritieren zu lassen.
"Es tut mir so leid, was passiert ist, als ich nicht an deiner Seite war."
Der klägliche Versuch ein Gespräch zu beginnen erweichte das Gesicht der Lady.
Jon wollte sie auf keinen Fall verletzen oder erzürnen.
Seine Wortwahl war bedacht.
"Sansa hat nur ihre Pflicht getan."
Jon runzelte die Stirn über diese einfach Aussage und setzte sich aufrecht hin.
"Du weißt gar nicht wie stark du bist, Mayisa."
Noch immer war er sich unsicher ob es in Ordnung für sie war, wenn er sie beim Namen nannte und nicht die Förmlichkeiten wieder aufsetzte, wie sie es gestern verlangt hatte.
"Doch das weiß ich, Jon.
Sonst würde das hier alles womöglich nicht funktionieren."
Beeindruckt zog er die Augen auf und räusperte sich verlegen.
Sie nahm ihm die Worte aus dem Mund.
"Warum bist du überhaupt hier?
Warte neun Monate und dann kannst du dich um dein Kind kümmern.
Solange soll ich dir keine Last sein."
Der kalte und emotionslose Ton ließ Jon nach Luft aufachnappen und machten ihn sprachlos.
Wie viel Schmerz musste ihr durch den Körper gefahren sein, damit sie ihn so sehr abwies?
Verzweifelt fasste er sich an die Stirn und schloss für einen Moment die Augen.
Mayisa spannte den Kiefer an und stand ohne weitere Worte auf.
Zielatrebig lief sie zu einem Fenster und zündete eine Kerze an.
"Du bist mir keine Last!
Verdammt Mayisa, ich habe es dir bereits gestern gesagt, dass ich dich noch immer-"
"Wag es nicht!," rief sie.
Ihr Körper wirbelte wie ein Sturm herum und sie sah ihn wütend an.
Die Augen waren aufgerissen.
"Ich möchte das nicht aus deinem Mund hören!
Deine beschissenen Gefühle mir gegenüber sind dir sowieso nichts wert!
Ich will es nicht hören, wenn du hinter den anderen Türen von Winterfell eine andere besteigst!"
Die Wut kochte in ihr.
Alles in ihren Augen strahlte ihm gegenüber solch ein Hass aus, dass Jon beinahe etwas Angst bekam vor ihrem nächsten Handeln.
Langsam erhob er sich vom Bett und hob mit beruhigenden Bewegungen die Hände.
Vorsichtig ging er auf sie zu.
"Du bist mir nicht egal, verstehst du das?
Ich will, dass wir in Frieden mit einander leben können und du keinen Hass für mich empfinden musst.
Für das Kind."
Jon konnte sehen wie sich ihr Atem beruhigte.
Erleichtert verlor er seine Anspannung und sein sanfter Blick kam wieder zum Vorschein, als er ihr zartes Gesicht ansah.
"Bitte vergib mir und Sansa, was wir getan haben.
Ihre Drohung ich würde dich köpfen, tut uns unendlich leid.
Und auch, dass ich meiner Schwester die Verantwortung über Voryras übertragen habe, tut mir leid.
Ich werde alles tun um ihn zu finden und dich zu beschützen und wohl fühlen zu lassen."
Mayisa biss sich unterdrückend auf die Lippe und verschenkte die Arme.
Kurz blickte sie zu Boden und schniefte leise.
Als Jon wieder in ihr Gesicht sehen konnte, entdeckte er eine Träne auf ihrer Wange.
Ihr schmerzverzerrtes Gesicht ließ ihn unbeholfen dastehen und ihm schossen so viele Gedanken durch den Kopf, wie er ihr Leiden beenden konnte.
Diesmal legte er den Daumen an ihre Wange und wischte die Flüssigkeit weg.
Überrascht sah sie zu ihm auf und schaute direkt in seine warmen braunen Augen.
Mayisa schluckte, als wenn sie irgendwelche Gefühle loswerden wollte.
Ihr Atem war leiser geworden und auch das Schniefen war komplett verschwunden.
Seine sanfte sorgenvolle Berührung kam unerwartet.
Ihr Herz hatte nicht damit gerechnet.
Unkontrolliert stolperte es weiter, als wenn es nicht wüsste, was es tun sollte.
"Ich weiß du hasst mich zurzeit und du-"
"Ich hasse dich nicht Jon.
Wie könnte ich?"
Erstaunt zog er die Brauen hoch.
Schon wieder stand er unbeholfen da und hatte keine Ahnung, was er als nächstes sagen könnte.
Ihr komplettes Erscheinen machte ihn nervös und unsicher.
Jon hatte die Befürchtung er könnte noch mehr Schaden anrichten.
"Verdammt, ich hasse was du getan hast und bin verletzt...enttäuscht...verzweifelt.
Aber ich könnte dich niemals hassen."
Jon schluckte und lächelte erleichtert.
Es war als wenn ihm eine große Last vom Herzen fiel.
Er hatte solch eine Angst davor gehabt von ihr gehasst zu werden.
"Ich...," fing er ratlos an.
Ihr weicher Blick traf auf seine nachdenklichen braunen Augen.
Sofort fasste er neuen Mut.
Tief holte Jon Luft.
"Es tut mir alles so leid... Ich weiß nicht, was ich machen soll.
Ich möchte dir helfen und irgendwie...," sagte er, doch stockte dann.
Jon hatte schon wieder keinen Schimmer wie er fortfahren sollte.
"Du bist völlig neben der Spur," schmunzelte Mayisa.
Ihr Gesicht strahlte ihm mit einem belustigtem Lächeln entgegen.
"Ja, das bin ich wohl," stimmte er mit einem verlegenen Schmunzeln zu.
"Die Mauer ist gefallen... Ich werde Vater... die weißen Wanderer kommen auf uns zu... Ich habe dein Herz gebrochen."
Jon gab einen großen Seufzer von sich und sah mit leerem Blick an ihr vorbei.
"Ich wüsste gar nicht was ich als Erstes bewältigen sollte."
"Die Männer, die dem Norden zur Verfügung stehen müssen kampfbereit gemacht werden.
Die Bewohner aus allen umliegenden Dörfern evakuiert werden und-"
"Du musst hier weg," unterbrach Jon sie ungehalten.
Mayisa runzelte die Stirn und sah ihn perplex an.
"Was?"
"Du und das Kind müssen nach Essos", wiederholte er sich.
Sie verzog widerwillig das Gesicht und schüttelte energisch den Kopf.
"Ich kehre nie wieder dort hin zurück."
"Aber es geht um die Sicherheit des Kindes."
"Jon, ich warne dich.
Du bist der letzte, auf dessen Befehle ich zurzeit höre."
Schnaufend fuhr er sich durch die Locken.
Er konnte ein Schmunzeln wegen ihrer typischen Sturheit nicht unterdrücken.
"Ich möchte bloß alle geliebten Menschen in Sicherheit wissen.
Arya wird nicht auf mich hören.
Daenerys wird an meiner Seite kämpfen wollen, aber du, Bran und Sansa müssen nach Essos.
Dany hat Meereen-"
"Dany?", zog sie ungläubig die Brauen hoch.
"Ihr habt schon Kosenamen füreinander?"
"Ich denke wir sollten dieses Thema fürs erste lassen," versuchte er das Gespräch zu lenken.
"Für mich hattest du nie solch einen Namen.",fuhr sie ungehalten fort.
Vorwurfsvoll verschränkte Mayisa die Arme.
"Ich hatte Namen für dich.
Wie kannst du jetzt darüber reden?"
Hochnäsig verdrehte Mayisa die Augen.
Dann begann sie im Zimmer auf und ab zu laufen.
Jon beobachtete jeden ihrer Schritte.
Es machte ihn sprachlos wie schnell sie sich verändern konnte.
Als er in ihr Gemach trat, war sie ein Häufchen Elend gewesen.
Und nun stolzierte sie auf und ab wie ein mutiges Raubtier, dem niemand etwas antun komnte.
"Du hast mich Engel genannt.
Aber jetzt lernst du leider kennen, dass dein Engel dir nicht so engelhafte Probleme beschert."
"Ein Kind ist kein Problem für mich," erwiderte er ruhig.
Ihre Stimmungsschwankungen machten ihn total wahnsinnig.
Jon versuchte einen klaren Kopf zu bewahren.
"Aber es wäre einfacher für dich."
Erschöpft rieb Schnee sich den Kopf.
"Natürlich wäre es das.
Ebenso für dich.
Das versuche ich auch gar nicht zu verleugnen."
Ein lauter Hornstoß ertönte.
Mayisa stockte und Jons Mund ging erschrocken auf.
Verwirrt sahen beide sich an.
"Was ist denn das jetzt schon wieder?", fragte Jon völlig fertig.
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