Stille des Toten

Es herrschte eine bedrückende Stille im Raum.
Mayisa saß allein mit Geist bei dem toten Körper.
Seit Minuten starrte sie schon auf den Leichnam.
Die Männer waren weg.
Die Krähen waren von Ser Alliser geholt worden, Tormund war zu den Wildlingen gegangen. Davos hatte ihm die Ausrüstung abgenommen und seine Wunden gesäubert.
Traurig starrte sie auf die wunderschönen schwarzen Locken.
Sie erschienen ihr noch jetzt kräftig und glänzend.

Ihre Hand war auf Geist's Kopf und sie streichelte ihn.
Es schien sie beide zu beruhigen.
Mayisa war seit Stunden nicht aufgestanden und hatte nichts mehr gegessen.
Jeglicher Lebenssinn schien für sie verschwunden zu sein.
Auch der Wolf lag seit geraumer Zeit auf dem Boden und regte sich nicht.
Mayisa war froh, dass Geist mit ihr trauerte.
Die junge Frau wollte nicht viel reden, weshalb sie sich auch aus allen Gesprächen herausgehalten hatte. Die Männer hatten bereits beschlossen alleine Rache auszuüben. Was die Lady davon hielt, wusste sie selbst nicht. Mayisa fühlte sich leer.
Es hatte ihrem Leben einen Sinn gegeben nach Jon Schnee zu suchen und ihm dann zu dienen.
Sie wollte Haus Stark helfen. Sonst konnte sie nirgends hin.
Die Lady wusste nicht wo ihr Bruder war und außerdem war er auch nicht die beste Gesellschaft. Es war ihr egal was mit ihrem Haus passierte.
Talisa war tot. Ihre Eltern waren tot. Sie hatte nur noch ihren Bruder, doch schon allein der Gedanke an Voryras verdarb ihr die Laune.

Das Mädchen schreckte hoch, als es plötzlich klopfte.
Ihr Herz begann schneller zu schlagen. Geist hatte lautlos den Kopf gehoben.Ohne auf eine Antwort zu warten ging die Tür auf und eine Frau erschien im Rahmen.
Sie hatte ein rotes Kleid an und dunkelrote Haare. Um ihren Hals trug sie eine ungewöhnliche Kette, die in der Mitte mit einem roten Stein besetzt war. Kritisch musterte Mayisa die Frau.
Es musste sie sicher frieren. Schließlich trug sie nur ein dünnes Stoffkleid und draußen schneite es wie wild. "Wer seid ihr?"
Lady Tiryr schaute die Frau immer noch skeptisch an. Diese lächelte freundlich.
Zu freundlich. "Ich bin Melisandre."

Sie machte ein paar Schritte in den Raum und schloss die Tür.
Ihre allzu freundliche Miene veränderte sich schlagartig, als sie den Leichnam sah. Mit langsamen Schritten ging sie zu dem Tisch und fing an von Fuß bis Kopf über den toten Körper zu streichen. Mayisa verspürte einen Hauch von Widerstand in sich.
Sie fand es respektlos, einfach so den Toten anzufassen. "Und ihr seid?"
Die Priesterin sah Mayisa hochnäsig an. "Ich bin Mayisa vom Hause Tiryr aus Volantis." Wieder setzte die rote Frau diesen überfreundlichen Blick auf.
Es machte Mayisa jetzt schon wahnsinnig. "Ich komme ebenfalls aus Volantis.
Es tut mir leid, was mit euren Eltern passiert ist." Mayisa nickte nur kurz und sah dann zu Geist, der mittlerweile die Augen geschlossen hatte. "Ihr dient also auch dem Herrn des Lichts?"

Verwundert sah die junge Frau die Priesterin an. Lady Tiryr wunderte sich zutiefst darüber, dass Melisandre von ihr dachte sie wäre auch eine Rote Frau, wo doch nichts darauf hinwies. Vielleicht wollte die Rothaarige aber auch nur mehr über Mayisa wissen und versuchte so ein Gespräch zu entwickeln.
"Nein. Ich wurde in dem Glauben erzogen, aber seit ich hier in Westeros bin, glaube ich nicht mehr an irgendeinen Gott," meinte die Lady ehrlich. Die rote Frau faltete die Hände und sah Mayisa schräg an. "Der Herr des Lichts ist nicht irgendein Gott.
Er ist der Gott."

Das Mädchen seufzte und nickte bloß.
Sie war schon immer schnell gelangweilt und genervt von Religionen gewesen. Wieder sah die Rote Frau zu dem Leichnam.
Melisandre sah geschockt aus.
"Ich habe ihn in den Flammen gesehen. Er kämpfte bei Winterfell." Mayisa zog ungläubig die Augenbrauen hoch und musterte die Frau. "Er ist tot," sagte das Mädchen geradeheraus. Melisandre schaute zu ihr, leicht überrascht von der direkten Aussage.
"Euer Herr des Lichts spielt keine Rolle mehr für ihn," fügte Lady Tiryr noch hinzu. Mayisa sah sie kurz an, wandte jedoch dann ihren Blick wieder ab. "Die Männer werden bald zurück sein. "Melisandre sah sie weiterhin an. "Von wo werden sie zurückkehren?"
"Sie bereiten sich vor. Sie wollen Jon rächen."

Erneut zuckte Mayisa zusammen als die Tür aufging. Melisandre sah unbeeindruckt zur Tür.
Ser Davos stand mit Edd und einigen anderen Männern in der Tür.
Sie sahen alle wütend aus.
"Verriegelt die Tür!"
Der alte Mann stürmte mit entschlossenen Schritten in den Raum und schnaubte.
"Myladies, sie sollten nicht hier sein. Wenn Tormund nicht rechtzeitig kommt werden wir alle sterben."
Edd blickte zu den Frauen.
Mayisa sah auf und zog die Augenbrauen hoch.
Melisandre hingegen nickte und verließ rasch den Raum.
Alle schauten zu Mayisa.
"Ich bleibe."

"Aber Mylady-"

"Ich habe mich schon lange damit abgefunden zu sterben," unterbrach Mayisa den alten Ritter.
Sie sah zu dem Wolf auf ihren Füßen.

"Ich habe Robb versprochen-"

"Scheiß auf Robb Stark! Er ist tot! Genauso wie Jon! Denkt an euer Leben!"
Mayisa sah zu Edd und schluckte kurz. "Ich bleibe," sagte sie erneut.
Die Männer schauten sich besorgt an.
Sie wollten nicht, dass so ein wunderschönes unschuldiges Mädchen für ihren Kommandanten starb. Er hätte es nicht so gewollt.
Einer der Männer brummte und ging zur Tür. Zwei andere standen ebenfalls auf und fingen an die Tür zu verriegeln.

Mayisa sah ihnen emotionslos dabei zu. Sie fühlte sich wie in Trance.
Wie in einem Albtraum.
"Ser Alliser Thorne hat uns gesagt, dass wir uns bis zum Abend ergeben sollen. Er hat zugegeben, dass er die Meuterei angezettelt hat."
Edd blickte wieder zu Mayisa.
"Meuterei klingt so harmlos für dieses Geschehen." Die junge Frau stützte ihren Kopf auf die Hand und starrte ins Leere.

Einige Stunden waren vergangen.
Stunden des Schweigens.
Jeder der Anwesenden dachte an die verschiedenen Momente mit Jon.
Der Raum wurde fast von der Trauer verschluckt. Keiner wagte es die Stille zu unterbrechen.
Mayisa spürte, dass ihr Körper sich nach Wasser sehnte, doch sie beachtete ihre Bedürfnisse nicht.
Ihr schien alles egal zu sein.

"Wo ist eigentlich Samwell?"
Das Mädchen sah in die Runde.
Dieses bedrückende Schweigen war unangenehm. Erschrocken und verwirrt blickten die traurigen Männer auf und schauten sich zum ersten Mal seit Stunden gegenseitig an.
"Jon hatte ihn fortgeschickt um sich als Maester ausbilden zu lassen.
Die schwarze Festung hat inmoment keinen, da Maester Aemon kürzlich verstorben ist."
Sie nickte nur und seufzte dann.
Sam schien Jon's bester Freund gewesen zu sein und nun konnte er nicht einmal hier sein um ihn zu bertrauern.
"Wir müssen ihn benachrichtigen," schlug Lady Tiryr.
Davos schnaubte und sah auf den Boden.
"Wenn wir die Nacht überleben, werden wir das tun."

"Ihr wollt euch nicht ergeben?",fragte sie in die Runde.
"Wir warten auf das freie Volk. Sie werden rechtzeitig da sein," antwortete Edd.
Sie verzog kritisch das Gesicht.
"Und was wenn nicht?"
Keiner antwortete.
Die Männer sahen betreten weg.
Mayisa blickte auf den Boden und verdrehte die Augen als das Schweigen wieder einsetzte.


Alle schreckten hoch, als es wieder klopfte.
Mayisa griff instinktiv an ihr Bein, wo sie ein Messer befestigt hatte.
Der Wolf schreckte hoch und blickte gen Tür. Seine blutroten Augen funkelten wütend.
Davos griff wie alle anderen zu seinem Schwert und richtete sich auf.
"Es ist abends. Ergebt ihr euch nun?"
Ser Alliser Thorne's Stimme ließ das Herz von Mayisa schneller schlagen.
Sie spürte wie ihre Kraft zurückkam und biss die Zähne zusammen.
Davos' Schultern hoben und senkten sich und er sah zu den Männern.
Mayisa stand auf und nahm das Messer in die Hand.
"Ergebt euch und es wird kein Blut vergossen. Wir lassen sogar den Wolf und das Mädchen gehen."
Davos blickte zu seinen Mitmenschen im Raum. "Sie werden uns die Köpfe einschlagen sobald wir die Tür öffnen."

"Wir haben einen Schattenwolf," fügte Edd hinzu.
"Der kann aber nicht alle Männer in Schach halten," kam es von der anderen Seite der Tür zurück.

Sekundenlang sah sich jeder der Anwesenden im Raum an. Jeder prägte sich das Gesicht des anderen ein. Vielleicht würden sie diese Gesichter in einigen Minuten blutverschmiert auf dem Boden sehen.

Ser Alliser nickte einem seiner Komplizen zu. Dieser holte eine Axt hervor und holte mit ihr Schwung.
Es gab ein dumpfes Geräusch von sich, als das Metall auf das Holz traf.

Gespannt sah das Mädchen zur Tür. Ein Teil einer Latte war gebrochen. Es würde nicht mehr lange dauern bis die Tür eingeschlagen war.
Sie sah zu dem Wolf neben ihr, der mittlerweile seine scharfen Zähne zeigte.
Geist beugte den Kopf nach unten und knurrte böse, als die Axt die Tür zum zweiten Mal traf.

Mayisas Herz schlug schneller und schneller und sie spürte wie das Adrenalin sich bereit machte.
Ihr Atem wurde schneller und der Griff um ihr Messer fester.
Sie hatte die Augenbrauen böse zusammengezogen, während ihre blauen Augen zu der schwachen Holztür blickten.
Würde sie nun für einen toten Mann, den sie nur einige Tage gekannt hatte, sterben?

Das Knurren wurde bei den nächsten beiden Malen lauter und die Stille vor dem Kampf schien alle im Raum zu erdrücken.

Plötzlich stoppte die Axt.
Mayisa hielt den Atem an und schaute zu Davos. Dann schnaufte sie laut.
Der Ritter wandte seinen Blick zu dem jungen Mädchen und starrte sie an.

"Hört ihr das?"
Edd sah in die Runde.
Alle lauschten.
Es waren Rufe und Kampfgebrüll zu hören. Schritte bewegten sich von der Tür weg.
Mayisa zuckte zusammen als sie ein lautes Brüllen hörte.
"Das war ein Riese," sagte Edd.
"Die Wildlinge!"
Davos öffnete ohne Furcht die Tür und lief hinaus.
Er hetzte vor zu der Holzempore und sah das freie Volk im Hof stehen.
Die Männer der Nachtwache waren ihnen ohne Zweifel unterlegen. Ihre Waffen hatten sie auf den dreckigen Boden geworfen.

"Nehmt eure dreckigen Finger von mir!" Ser Alliser Thorne wehrte sich gegen den Griff der Wildlinge.
"Werft die Verräter in eine Zelle! Dort gehören sie hin." Tormund sah Thorne wütend in die Augen und brummte. Seine Männer zerrten die Mörder vom Geschehen weg.

Nun kam auch Mayisa hinaus. Augenblicklich stellte sie sich neben Davos. Geist folgte ihr auf Schritt und Tritt. "Es hat geklappt, Ser Davos."
"Das bringt Jon leider auch nicht zurück. " Edd stand neben ihnen und schnaubte.
"Natürlich tut es das nicht aber es rettet uns das Leben," gab die junge Frau zurück.
Wie konnte Edd nur so schwermütig sein? Das freie Volk hatte sein Leben gerettet.

Davos schwieg nur und blickte starr auf einen Punkt. Mayisa folgte seinem Blick, der zu der roten Frau führte.
Sie stand auf der anderen Seite und sah dem Geschehen zu.
Wortlos drehte sich der Ritter weg und lief davon. Mayisa sah ihm verwundert hinterher, als er die Richtung zu der Frau einschlug.

"Mylady."
Tormund stellte sich neben die junge Dame. Sie seufzte. Ihr Blick blieb in der Ferne. Wieder stand die junge Lady hoch oben auf der eisernen Mauer.
"Ich kletterte einst mit Jon auf die Mauer."

Mayisa schaute immer noch starr auf den Sonnenuntergang. Er schien fast blutrot zu sein. Die Sonne ertrank in Blut und würde hinter dem Horizont verschwinden.
"Warum stieg Lord Schnee mit euch auf die Mauer?"
"Er war Gefangener meiner Leute."
Sie runzelte die Stirn. Nun drehte ihr Kopf sich zu dem Rotschopf.
"Er sagte er wolle sich uns anschließen."
"Warum war er aber dann hier Kommandant?"

Tormund musterte ihr Gesicht, als sie ihn aufmerksam ansah.
"Er kehrte zurück. Er hatte nie aufgehört eine Krähe zu sein."
"Er hat gelogen?"
Tormund entfuhr ein heiteres Lachen.
"Ja sogar der traurige Jon Schnee konnte lügen."
Mayisa's Mundwinkel zuckten.
"Ich habe ihm umsonst das Dokument gebracht." Tormunds Gesicht hatte sich verzogen.
"Er ist mit dem Gedanken gestorben, dass seine Familie ihn letztendlich doch anerkannt hat. Es war nicht umsonst."

"Überall wo ich hinkomme sterben Menschen."
Sie sah auf den Boden.
"Auf der ganzen Welt sterben Menschen. Jeden Tag. Wir müssen nur hoffen, dass wir es nicht sein werden."
"Irgendwann werden wir es sein," brummte Mayisa deprimiert.
"Ihr seid genauso optimistisch wie Jon." Wieder lachte der Rothaarige.
Mayisa schaute wieder an den Horizont. Ein eisiger Wind lag über der Landschaft. Eisiger als sonst.
Die Sonne war abgetaucht und das triste Land schien sie zu verschlucken wollen.
"Jon wäre früher gegangen. Von uns. Er wäre früher zurückgekehrt..."
Offensichtlich wollte Tormund ein wirkliches Gespräch führen.
Mayisa hätte lieber etwas Ruhe, doch sie mochte Tormund und wollte ihn nicht kränken. Obwohl es wahrscheinlich schwer war so einen harten Mann zu kränken.
"Warum ist er es nicht?"

Tormund blickte sie erfreut an, als sie das Gespräch fortführte.
"Er hatte ein Wildlingsmädchen."
Mayisa sah zu ihm.
"Er hat seinen Eid gebrochen?"
"Ygritte konnte sehr überzeugend sein," schmunzelte der Mann.
Es wunderte Mayisa, dass Jon es getan hatte. Wie Tormund gemeint hatte, hatte Jon immer geplant wieder zurück zur schwarzen Festung zu kehren. Warum also den Eid brechen?

"Was wurde aus ihr? Kann ich sie kennenlernen?"
Tormund schüttelte den Kopf.
"Sie ist tot. Er erzählte mir, dass sie in seinen Armen starb.
Einer seiner Brüder hat ihr einen Pfeil ins Herz hineingeschossen."
Tragisch, dachte Mayisa sich.
Sie schnaufte und faltete die Hände.
"Welcher?"

"Der kleine Junge. Ollie.
Jon hat ihm natürlich verziehen und hat ihn als seinen Kämmerer gewählt. Und dann rammt ihm das Schwein einen Dolch in die Brust."
Tormund's Miene verfinsterte sich und er ballte die Fäuste.

Besorgt sah Mayisa zu ihm.

"Keine Sorge kleine Lady.
Ich werde diesen Jungen persönlich umbringen, wenn es kein anderer tut.
Er soll nie wieder meine Freunde umbringen können."

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