Statue
Die Sonne stand hoch am Himmel. Der Sommer kämpfte sich immer mehr durch den hartnäckigen Winter. Bald würde es wieder so warm sein, wie es jahrelang gewesen war.
Sanfte Strahlen kitzelten behutsam das Gesicht der Königin. Mayisa blinzelte zufrieden der Sonne entgegen und genoss einige Momente nur für sich. Ihr Kleid war edel, wie immer, doch heute hatte sie eines angezogen, welches besonders viel bestickt war. Es war hauteng, in goldenen Farben und mit vielen kleinen Steinchen. Es war das erste Mal seit der Geburt der Zwillinge, dass sie ein derart enges Kleid trug.
Aber Mayisa fühlte sich vollkommen wohl darin. Mittlerweile war die Königin so selbstbewusst. Ihr machte es nichts aus ihren Körper in dieser Weise zu präsentieren.
Die blauen Augen blickten in die Ferne. Sie konnte hinunter in die gedrängten Gassen von Königsmund blicken, ebenso in die weite Ferne mit all den vereinzelten Häusern und Wegen, welche über Wiesen und Felder führten. Es wirkte so friedlich, wenn man hier hoch oben stand und über die Mauern des Roten Bergfrieds blickte. Mayisa wusste, dass es anders war. Zwar war es besser geworden, weil insbesondere Jon sich darum bemühte dem Volk gerecht zu werden, trotzdem war in Westeros immer noch niemand sicher. Die Morde, die Vergewaltigungen, das Stehlen. All das war noch bittere Realität und würde es auch vermutlich noch einige Jahre so bleiben. Der Krieg war beendet. Es starben keine Männer mehr in Gefechten, die sie nicht einmal angezettelt hatten. Trotzdem ging das Elend stets weiter.
Die Königin stand jeden Morgen hier oben und rief sich diese Gedanken zurück in den Kopf, um es ja nicht zu vergessen. Das alles, was noch getan werden musste.
"Von hier oben wirkt alles klein und unbedeutend, nicht wahr?"
Verwundert wandte Mayisa sich zu ihrer Linken. Sie erkannte Lord Varys, der sich zu ihr gesellt hatte. Er trug wieder einen Mantel mit viel zu langen Ärmeln, in welchen seine Hände verschwanden. Sie wunderte sich noch immer, weshalb er diese Eigenart entwickelt hatte aus dem Nichts aufzutauchen. Es war ein bisschen unheimlich.
"Eigentlich dachte ich, ich würde mit Daenerys Targaryen hierher zurückkehren und mit ihr hier hoch oben auf der Mauer stehen."
Er ließ einen Seufzer los. Mayisa konnte nicht ganz deuten, ob er zufrieden oder unzufrieden über die tatsächliche Situation war. Seine Stimmlage hatte einen komischen Ton gehabt.
"Doch nun seid ihr hier. An der Seite eines anderen Targaryen, welcher aus dem Nichts empor gestiegen ist. Drachen haben ein Talent dafür, oder?"
Mayisa zuckte mit dem Kopf, als wäre sie in Trance gewesen. "Bitte, was?"
Ihre Ohren hatten nur im Hintergrund mitbekommen, was der Glatzkopf von sich gegeben hatte.
"Drachen haben ein Talent dafür aus dem Nichts zu kommen," wiederholte Varys sich geduldig.
Die Königin wandte nun endlich ihren Blick länger zu ihm. Irgendwie wollte sie ihn nicht zu lange anstarren. "Achso, ja."
Mehr bekam sie nicht aus ihrem Mund. Der Lord musterte sie etwas eindringlicher. Er wirkte beinahe besorgt. "Ich möchte euch nicht zu nahe treten, meine Königin. Aber habt ihr etwa Angst vor mir?"
Mayisa schnappte nach Luft. Das Blut schoss in ihre Wangen.
"Das braucht ihr nicht. Ich sehe in euch eine fähige Königin, die mit ihrem König viel Gutes in Westeros bewirken kann. Ich bin nicht Kleinfinger, Euer Gnaden. Ich bin euer Freund, nicht euer Feind."
"Ich habe keine Angst vor euch," presste die junge Frau zwischen ihren Lippen hervor. Ihr war es sichtlich unangenehm. Prüfend schaute sie sich um, doch außer ihren Wachen war niemand anderes zu sehen.
"Natürlich nicht," lächelte der Mann lieb. "Ihr seid jung. Dafür habt ihr schon zu viel erleben müssen. Dafür lastet eine sehr große Verantwortung auf euren Schultern. Und dann hört ihr wahrscheinlich noch beunruhigende Geschichten über Menschen, die in euren Reihen dienen. Ich wäre genauso verunsichert, wie ihr."
Varys schaute in das zarte Gesicht seiner Königin. Ihre dichten Brauen hatten sich nachdenklich gekrümmt, der Blick sich von der Ferne abgewandt. "Wie meintet ihr das gerade? Wäret ihr glücklicher Daenerys wäre an meiner Stelle?"
"Das werden wir nie wissen," meinte der Lord ehrlich. "Es freut mich bloß zu hören, dass der König ihr zu ehren eine Statue errichten lassen will."
Mayisa traf es wie der Schlag.
Die Kinnlade klappte ihr beinahe bis zum Boden herunter. "Was?", meinte die Königin entsetzt.
Varys entglitt ebenfalls der Gesichtsausdruck und der Mund schnappte ratlos nach Luft.
"Oh - ihr wusstet nicht...?"
"Nein," brummte Mayisa. Ihre Stimmung war im Keller versunken.
Ihre Gedanken waren gleichzeitig bei Sansa, die heute in Königsmund ankommen sollte, um persönlich zu berichten wie es im Norden voran ging. Arya war schon vor einigen Tagen losgeritten um ihren kleinen Bruder in Winterfell zu unterstützen, während die Lady hier zu Besuch war. Mayisa war sich todsicher, dass Sansa ebenfalls so reagieren würde, wenn sie von der Statue hören würde.
Die beiden waren sich über Daenerys immer recht einig gewesen. Und da fiel ihr erst wieder auf wie sehr ihr eine echte Freundin hier fehlte. Sonst hatte sie alles hier. Alles was sie wollte. Außer einer Freundin.
Energisch schritt die Königin durch die langen Gänge des Roten Bergfrieds. Ihre langen dunklen Haare wehten wild umher, während sie immer und immer schneller wurde. Mayisa musste ihn einfach finden. Diese Nachricht konnte sie nicht auf sich sitzen lassen.
Eine Statue? Von seiner toten Tante?
Seiner toten Tante, mit der er eine Zeit lang das Bett geteilt hatte. Es war Tradition der Starks die Lords in der Krypta zu verewigen, doch Daenerys war kein Stark. Nicht einmal ansatzweise. Wollte Jon seine Frau demütigen? Aber wahrscheinlich hatte er diese Idee nur nicht zu Ende gedacht. Wie so vieles. Ihr entwich ein gereiztes Knurren, als sie daran denken musste irgendwo könnte eine Figur aus Stein stehen, die einen andauernd anstarrte, wenn man vorbeiging. Dann hatte sie das Gesicht immer vor Augen. Das Gesicht, welches ihr Ehemann ihr selbst vorgezogen hatte, obwohl er sie mehr geliebt hatte als er es je bei Daenerys getan hatte.
Mayisa bog um die Ecke und stieß die Tür zu den königlichen Gemächern auf. Das alte Holz ließ einen lauten Knall los, als es gegen den Stein prallte.
Und da stand er. Seelenruhig. In seiner edlen Rüstung mit dem noblen Targaryen Siegel. Der Gürtel mit dem Schwert lag auf dem Tisch in der Mitte des Raumes. Die Krone befand sich daneben. In den starken Armen hielt der König seinen kleinen Sohn, der friedlich schlief. Obwohl seine Mutter gerade mit einem Höllenlärm in das Gemach gestürmt war.
Jon hatte verwirrt aufgesehen. Er war sogar ein wenig zurückgewichen. Nun schaute das braune warme Auge seine Ehefrau an, als ob es sie besänftigen wollte. Mayisa entdeckte die beiden Hebammen, welche an dem Bett von Jeora hantierten und sich offenbar, um die Prinzessin kümmerten.
"Liebste-," startete der König seinen Satz, doch sie schnitt ihm mit einer eindeutigen Handbewegung das Wort ab. Ihre blauen Augen suchten die Blicke der beiden Frauen.
"Nehmt die Zwillinge und geht mit ihnen an die frische Luft. Der König und ich haben etwas dringendes zu besprechen!"
Ratlos wandten die Hebammen ihre Aufmerksamkeit zu Jon, als ob sie ihn danach fragten, ob sie der Königin gehorchen sollten.
Mayisa machte energisch einige Schritte auf die Bediensteten zu.
Sie wurde immer rasender.
"Warum schaut ihr zum König?
Ich habe euch den Befehl gegeben, nicht er! Also macht, dass ihr dem Folge leistet, was ich euch aufgetragen habe!"
"Mayisa -," wollte Jon sie beruhigen, doch er erntete nur einen vernichtenden Blick.
Die jüngere Hebamme lief zu dem Vater, um Robb zu übernehmen, während die andere in die Wiege griff und Jeora herausholte.
Dann verschwanden beide so schnell sie konnten.
Sobald die Tür zu war ergriff die Königin wieder ein Schwall Wut. Ihr war danach ihrem Ehemann eine Ohrfeige zu verpassen, doch stattdessen verschränkte sie die Arme, damit seine Wange vor ihren Händen in Sicherheit war.
"Was - ist - los?," gestikulierte der Targaryen stark. Nun war seine Stimme etwas unruhiger geworden.
"Was los ist?" Mayisa schnappte wütend nach Luft. "Weist du was bald los ist? Wir werden bessere Gesetze für die Annulierung einer Ehe benötigen! Wann hattest du vor es mir zu sagen, hm?"
Jon schnaufte tief durch. Offenbar war er derjenige, welcher nun versuchen musste ruhig zu bleiben. Denn er wusste ganz genau, dass es nicht gut enden würde, wenn sie beide ihr Temperament frei laufen ließen. "Dir was zu sagen?", hakte er ahnungslos nach.
Mayisa zögerte nicht lange.
"Dass du eine Statue von Daenerys anfertigen lässt! Wo willst du sie denn hinstellen?" Ihr Ton wurde immer lauter und lauter. Ihr Blick immer aufgebrachter. Mayisa lief zu dem großen Ehebett der beiden und stellte sich ans Fußende. "Hierhin? Dann hast du immer einen guten Blick auf sie, wenn wir miteinander rumvögeln!"
Der König hob ruhig die Hand und machte ein paar Schritte auf seine Frau zu. Offenbar versuchte er die Situation zu entschärfen, aber der Atem von ihr blieb genauso schnell, wie zuvor.
"Natürlich nicht," brummte Jon ruhig.
"Es soll als Andenken dienen. Ihr zu Ehren."
"Als Andenken?", meinte Mayisa ungläubig. Ein belustigter Lacher ertönte aus ihrer Kehle.
"Keiner von deinen Bediensteten hier, hat auch nur ein einziges Wort mit ihr
gewechselt. Warum verdient sie eine Statue? Hat Daenerys irgendetwas großartiges für Westeros getan? Nein. Sie saß noch nicht einmal auf dem Thron."
"Du sprichst aus vollem Hass. Lass uns doch gesittet darüber sprechen."
Jon machte einige Schritte auf seine Königin zu. Er streckte die Hände nach ihren aus, doch Mayisa drehte sich demonstrativ weg.
"Es gibt nichts zu besprechen. Ich möchte nicht, dass mein Ehemann eine Statue von einer Frau anfertigen lässt, die er vor einigen Monaten noch mir vorgezogen hat.
Schluss - Aus - Ende."
"Du hast echt einen Hang zur Dramatik," schnaubte Jon uneinsichtig. Aber damit brachte er seine Frau nur noch mehr zum Rasen.
"So siehst du das also? Du ziehst damit meine Autorität in den Dreck! Denkst du es nimmt mich irgendeiner Ernst, wenn mein Ehemann eine Statue von seiner Geliebten aufstellt?"
"Du warst auch mal meine Geliebte...," murmelte der Targaryen vorsichtig.
Ihre blauen Augen wurden so groß, dass man befürchtete sie würden heraus fallen. "Jon," warnte Mayisa ihn davor etwas noch Dümmeres zu sagen. "Hör auf mir vorzuschreiben, was ich zu tun und zu lassen habe! Außerdem haben wir gleich mehrere Anhörungen. Die Zellen sind voll, wir müssen Urteile verkünden," versuchte der Vater sich herauszuwinden.
"Lenk bloß nicht davon ab, dass du mich angelogen hast, Jon!"
Der Targaryen schnaufte laut aus. Sein Auge wanderte sehnsüchtig zur Tür. Er wollte der Situation entfliehen. "Ich habe dich nicht angelogen. Ich habe es dir nur verschwiegen." "Noch schlimmer!", erwiderte Mayisa darauf. Sie stemmte ihre Arme in die Hüfte. "Kannst du dir nicht vorstellen wie es mir dabei geht? Ja, ich bin eifersüchtig! Daenerys ist tot und ich habe trotzdem das Gefühl mit ihr noch im Wettbewerb zu stehen. Und so sollte es nicht sein."
"Eben. Sie ist tot. Warum wehrst du dich so dagegen, wenn sie gar nicht mehr lebt?"
Mayisa seufzte genervt, als müsste sie einem kleinen Kind erklären was Messer und Gabel waren. Verzweifelt ließ sie sich auf einem Stuhl nieder und stützte den Kopf in die Hände.
"Dem einzigen, dem dieses Denkmal Freude bereiten würde, bist du. Und die Bevölkerung wird das wissen. Denn die einfachen Menschen hatten nie etwas mit Daenerys zu tun. Wenn meine Gefühle dir kein guter Grund sind, um davon abzulassen, dann schaue wenigstens auf deinen Ruf.
Schon jetzt haben wir Probleme damit Ernst genommen zu werden. Was denkst du wie sie dich achten werden, wenn du noch einer anderen Frau hinterher trauerst?"
"Darf ich jetzt keine Gefühle mehr haben?" "Du sollst keine verdammte Statue von ihr errichten!"
Jon knurrte voller Widerstand.
"Wie hast du es überhaupt erfahren?"
"Von Varys," brummte Mayisa unbegeistert. Der König seufzte.
"Ich habe sowieso schon alles in Auftrag gegeben. Es ist schon beschlossen."
Seine Frau biss fest die Zähne aufeinander. "Und wann hattest du vor mir davon zu erzählen?"
"Ich habe nie gewusst, wie ich es dir beibringen soll..." Nun wirkte er ein wenig beschämt, doch Mayisa hatte keinen einzigen Funken Mitleid für ihn übrig. "Langsam sollte ich wohl eine Liste anlegen, um mitzuzählen wie oft du mich schon enttäuscht hast. Das Gold hätte man übrigens auch sinnvoller investieren können."
Die Königin war aufgestanden und zur Tür gelaufen. "Liebste..." Ihr Ehemann stand auf, um ihr nach zu laufen. Vorsichtig griff er nach ihrem Unterarm, doch sie entzog sich ihm rasch wieder.
"Wie gesagt...," begann Mayisa, "wir haben ein paar Urteile zu fällen."
Dann öffnete sie die Tür und trat hinaus in den leeren Gang.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top