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„Ich hoffe ich bin nicht zu sehr eingerostet in den letzten Monaten. Ich werde im Norden langsam sesshaft und trainiere immer weniger." Liliths Onkel steckte sich, wobei es bedenklich zu knacksen begann.
„Dann ist es gut, dass du mal wieder hier bist Onkel. Hier trainieren wir praktisch immer." Lilith wog ihr Übungsschwert in ihrer Hand.
„Du hast gestern auch kein bisschen Trainiert." Jack saß etwas abseits und aß genüsslich einen Apfel.
„Du aber auch nicht, und weißt du warum? Weil wir beide im Palast waren und den ganzen Tag nicht zu Training mussten." Lilith musste lachen als er sein Gesicht verzog.
„Also das letzte Mal, als ich gegen dich gekämpft habe warst du wesentlich kleiner. Ich glaube das war vor fast vier Jahre. Du warst damals zwölf Jahre alt."
„Und sie hat gegen Euch verloren."
„Aber inzwischen ist sie besser trainiert und ich bin eingerostet." Jetzt schwang auch Liliths Onkel das Schwert probehalber.
„Wir haben ja noch drei Tage Zeit um dich wieder fitter zu machen, Onkel. Außerdem ist der Weg in den Norden auch recht lang, da können wir dich abends weiter trainieren."
„Das werden wir ja sehen. Bereit?" Lilith nickte als Antwort.
Sie ließ ihren Onkel angreifen. Jack hatte ihr einmal gesagt, dass es besser war sich in einem ordentlichen Zweikampf erst einmal ein Bild vom Gegner zu machen. Die Schläge ihres Onkels waren hart, er hatte mehr Kraft als Jack aber er war nicht so schnell. Auch zielte er nicht direkt auf sie.
„Du musst keine Rücksicht auf mich nehmen, wenn mich ein Schlag trifft, dann hat meine Verteidigung versagt." Sagte sie bevor sie ihrerseits einen Angriff startete. Seine Verteidigung war ebenfalls nicht schlecht, doch Lilith hatte den Vorteil, dass sie kleiner und schneller war. Sie nutzte ihren Vorteil und stupste ihm gegen die Brust. „In einem echten Kampf wärst du jetzt Tod."
„Nicht unbedingt, wenn du das Herz verfehlst oder nicht tief genug rein stichst, dann hat dein Gegner vielleicht noch ein paar kostbare Sekunden." Ihr Onkel lächelte sie stolz an.
„Also ich hätte dich bei diesem Manöver treffen können, der Angriff war gut, nur du hast in dem Moment deine Verteidigung vernachlässigt."
„Warum habe ich schon damit gerechnet, dass du wieder etwas kritisieren wirst?"
„Du kennst mich wohl schon gut. Außerdem kann ich doch nicht zulassen, dass du Fehler machst, ich bin dein Kampfpartner, Trainingspartner und früherer Mentor."
„Lass es uns einfach noch einmal versuchen, vielleicht bin ich jetzt besser. Immerhin habe ich dir auch gesagt, dass ich schon etwas eingerostet bin."
Die nächsten drei Tage brachten sie größtenteils damit zu, mit Liliths Onkel zu trainieren, er machte schnell Fortschritte, einige Jahre zuvor war er einer der besten Kämpfer des Ordens gewesen. Auch wurden immer mehr Vorbereitungen für die anstehende Expedition gemacht, Waffen wurden geschärft, Köcher aufgefüllt, Ausrüstungen vervollständigt. Lilith sah dem ganzen Geschehen mit wachsender Nervosität entgegen. Was würde sie ihm Norden erwarten? Wie groß waren die Drachen wirklich? War sie den Gefahren dort gewachsen?
In der Nacht vor ihrem Aufbruch schlief sie noch schlechter als sonst, Nuys Worte wiederholten sich wieder und wieder, auch sah sie nicht mehr nur einen Schatten und zwei Augen. In ihrem Traum erschien vor ihrem inneren Auge eine Landschaft, Berge, grüne Wiesen, ein Wald um einen See. Wo würde sie diesen Ort finden? Existierte er überhaupt wirklich oder war er eine Ausgeburt ihrer Fantasie?
Als die Gruppe Drachenjäger zu ihrer Jagd aufbrachen, war es für einige das erste Mal, dass sie das Institutsgelände im Zuge einer Expedition verließen. Sie alle saßen auf Pferden, an diesem Tag wagte keiner, etwas gegen sie zu sagen. Ihr Weg führte durch die Stadt, die Straßen waren, wie bei jedem Aufbruch, mit Blumen geschmückt und die Menschen standen auf den Straßen um den Drachenjägern viel Glück zu wünschen. An solchen Tagen würde keiner es wagen zu sagen, dass die Drachenjäger nicht mehr waren wie früher. Sie zogen erneut in einen Kampf, um das Reich zu beschützen und sollten sie alle sterben, so würde das Reich von dreißig, voll ausgebildeten Kämpfern weniger beschützt werden.
Auf beiden Seiten, hinter dem Sattel, waren Taschen voller Verpflegung, hinter dem Sattel war die Decke eines jeden Jägers befestigt. Ihr Schwert und andere Stichwaffen hingen an ihren Gürteln, das Schild an der rechten Satteltasche, der Köcher gut versteckt und geschlossen an der Linken. Den Bogen hatten sie alle über ihre Schulter. Der Meister und Liliths Onkel führten die Gruppe an, zwei der älteren Drachenjäger bildeten den Schluss.
Die meisten waren froh, als sie endlich die Enge der Stadt hinter sich ließen, vor ihnen erstreckten sie Wiesen und Felder, Wälder und hin und wieder war ein kleines Dorf oder nur ein Gehöft zu sehen. Viele Stunden, viele Meilen würden sie der großen Straße folgen, sie führte nicht bis ganz oben in den Norden, ihr Ziel war eine der Hafenstädte nordöstlich der Stadt. Warum die Straße erst viele Meilen in nördliche Richtung verlief, bevor sie sich nach Osten wandte, konnte keiner sagen. Manch einer Legende zufolge, hatte die Straße ursprünglich zu einer Stadt im Norden geführt, doch diese Stadt existierte schon sehr lange nicht mehr. Vielleicht war sie von Drachen zerstört worden, vielleicht war diese Zerstörung der Grund gewesen, weshalb die Drachenjäger überhaupt ins Leben gerufen worden waren.
Die Straße war sehr belebt, Händler und Bauern nutzten sie, auch einzelne Reiter oder reiche Bürger oder Adelige in ihren Kutschen. Hier im Süden war die Straße noch sicher, doch gelegentlich hörte man von Überfällen weiter im Norden, vor allem dort, wo das Land hügeliger wurde und die Straße durch einen Wald führte.
Sie ritten den ganzen Tag, nur mittags hatten sie sich und ihren Pferden eine Pause gegönnt. Abends mussten sie vor einem Gasthaus warten, der Meister und Liliths Onkel waren in das Gasthaus gegangen. Sollte dort nicht genug Platz sein, dann müsste ihnen eine einfache Wiese oder die Scheune eines Bauern reichen.
„Es ist fast voll, sie können uns nicht mehr alle aufnehmen. Aber der Wirt meinte, dass keine Meile nördlich von hier ein Hof ist. Dort könnten wir bestimmt in der Scheune nächtigen." Die Worte des Meisters lösten allgemeinen Unmut aus, natürlich waren sie Drachenjäger, aber so weit im Süden, hätten sie alle gerne noch ein Bett zum Schlafen gehabt.
„Wenn du mich fragst, hätten wir dort noch gut übernachten können. Im Gasthaus sind höchstens zehn Leute." Liliths Onkel nahm die Zügel seines Pferdes dankend entgegen. „Der Wirt kann froh sein, dass er nicht im Norden lebt. Dort wird mit etwas anderen Regeln gespielt."
„Im Norden hätte uns kein Wirt die Unterkunft verwehrt. Im Notfall hätten wir dort in der Stube schlafen müssen." Stimmte ihm einer der älteren zu.
Der Meister warf ihnen einen strengen Blick zu, bevor er sein Pferd wieder antrieb.
„Aber ich muss sagen, jede Scheune ist besser als dieses Lokal. Das Essen ist fad und die Betten stinken. Außerdem ist es viel zu teuer für das was es zu bieten hat." Diese Worte kamen von Clara. Ab und zu war sie schon bei kleineren Botengängen dabei gewesen.
Der Hof von dem der Wirt gesprochen hatte, war wirklich nicht sehr weit entfernt. Da es langsam zu dämmern begann, hätte der Meister sich sonst gezwungen gesehen, einfach auf einer Wiese zu übernachten.
„Was wollt ihr?" Der meister war gerade auf den hof gertitten, da fingen die Hunde auch schon zubellen auf und der Bauer stand nur einen kurzen Augenblick später in der Tür. Er war schon etwas in die Jahre gekommen, seine Augen schienen ihm nicht mehr den besten Dienst zu erweisen.
„Wir sind Mitglieder des Ordens der Drachenjäger, wir suchen Schutz vor der Nacht."
„Ich kann euch hoffentlich einen Moment hier draußen stehen lassen, Licht werde ich holen und meine Söhne. Sie sollen euch mit den Pferden helfen und meine Frau soll noch etwas Suppe über das Feuer hängen." Der Mann drehte sich um und verschwand ins Haus. Das spärliche Licht, dass durch die offene Tür fiel, war einladend.
Lange ließ er sie nicht warten, der Meister hatte ihnen erlaubt ab zu steigen. So führten sie die Pferde hinter den Gutsbesitzern her. „Früher, in meiner Jugend, haben wir oft Drachenjäger aufgenommen. Mein Großvater hat extra eine Scheune gebaut, für euch und eure Pferde. Natürlich, bietet dies nicht den Komfort eines Gasthauses, aber es ist besser als nichts." Der alte Mann schob einen Riegel zur Seite und öffnete eine Tür. „Zündet die Lichter an den Wänden an, wir wollen unsere Gäste ja nicht im Dunkeln sitzen lassen." Wies er seine Söhne an und reichte einem von ihnen eine Kerze.
Nach und nach wurde die Scheune von immer mehr Licht erhellt. Entlang der Wände, waren einige Kerzen in Gläsern angebracht. In einer Ecke der Scheune war ein Zaun, er endete an einer Wand, doch als der alte Besitzer dorthin ging und eine Tür öffnete, sahen sie, dass sich die Weide noch ein kleines Stück nach draußen ausbreitete.
„Ich weide hier nur ab und an meine Pferde, viele habe ich auch nicht." Die Drachenjäger begannen ihr Gepäck von den Pferden zu lösen, die Sättel folgten, dann wurden die Pferde auf die Weide gelassen. Der Meister wies ein paar Drachenjäger an, die Pferde mit Stroh trocken zu reiben.
„Ihr könnt euer Lager dort aufschlagen." Er zeigte auf eine große Fläche, in der Stroh lag. „Ich hoffe ihr seid nicht allzu hungrig, die Suppe kocht leider nicht schneller als sie es sonst auch tut."
„Wir sind mehr als froh, eine warme Mahlzeit zu erhalten. Da werden wir auch noch ein bisschen warten können. Ihr müsst Euch wegen uns nicht zu sehr beeilen."
Die Drachenjäger begannen ihre Decken aus zu breiten, jeder hatte zwei Decken. Eine zum darauf schlafen, die andere um sich zu wärmen.
„Ich habe eine Frage an Euch, Ihr sagtet doch, dass die Drachenjäger hier früher öfters übernachtet haben, gab es das Gasthaus zu dieser Zeit noch nicht?" Liliths Onkel sah den Mann freundlich an.
„Das Gasthaus steht dort schon seit sehr vielen Jahren, doch der Wirt ist ein etwas komischer Mann, er nimmt keine großen Gruppen an Drachenjägern auf. Und meine Familie hat vor ein paar Generationen, den Drachenjägern angeboten, dass sie auf ihren Reisen bei uns unterkommen können."
„Dann werden wir den Großmeister erneut davon in Kenntnis setzen. Wir sind sehr froh, dass es Bürger wie Euch gibt." Der Meister deutete eine leichte Verbeugung an.
„Ich bewundere euren Mut, den Mut von euch allen. Ihr zieht ins Ungewisse um gegen etwas zu kämpfen das Tod und Verderben über das Reich bringen könnte. Ihr kämpft gegen Drachen, angeblich riesengroße, feuerspeiende Wesen mit spitzen Zähnen und langen Krallen und sie können auch noch fliegen. Ihr fordert dafür keine Belohnung, keinen Ruhm und keine Ehre. Die Menschen in der Stadt sind dumm, wenn sie etwas gegen euch sagen, ohne den Orden wären sie vielleicht alle Tod."
Bevor einer der Drachenjäger etwas erwidern konnte, betraten eine alte Frau und ein paar jüngere Mädchen und Jungen die Scheune.
Die Stimmung an diesem Abend war fast schon ausgelassen, das Essen schmeckte allen sehr gut und die auf dem Gehöft lebende Familie war sehr nett. Später in der Nacht fragte einer der kleineren Jungen, er war vielleicht sieben Jahre alt, Lilith erstaunt wie alt sie sei. Als sie ihm Antwortete, dass sie bald sechzehn Jahre alt werden würde, war er ganz erstaunt. „Du bist noch so jung und gehst schon Drachen jagen. Die anderen sind doch bestimmt viel älter als du, oder?" wollte er erstaunt wissen.
„Ja, sie sind mindestens drei Jahre älter als ich."
„Aber bist du dann nicht zu jung um mit zu gehen?"
„Sie hat sehr hart trainiert und manchmal machen wir Ausnahmen und nehmen auch jüngere Mitglieder mit auf die Jagd." Erklärte ihm Liliths Onkel.
„Ich glaube ich will auch Drachenjäger werden. Das Leben hier ist so schön, aber ich schaue gerne in die Ferne und frage mich was dort ist."
„Kannst du lesen?" fragte Lilith ihn.
„Nur ein paar Buchstaben, Großmutter bringt mir manchmal ein bisschen was bei. Ich kann nicht immer draußen helfen, dann darf ich ihr beim Kochen helfen und die Suppe rühren. Meine Großmutter kommt ursprünglich aus der Stadt, sie kann lesen und schreiben." Ganz stolz sah er zu der alten Frau.
„Dann lern schön fleißig die Buchstaben, damit du das hier eines Tages lesen kannst." Liliths Onkel hatte ein Buch aus der Tasche, die er sich umgehängt hatte, gezogen. ‚Märchen und Sagen, die Drachen des Nordens' stand auf dem Titel. Dieses Buch kannte Lilith nur zu gut, wie oft hatte sie es gelesen als sie so alt wie dieser Junge war.
„Seid Ihr Euch sicher, Sir?" Die Augen des Jungen wurden groß.
„Natürlich, dort wo ich wohne gibt es einen ganzen Raum voller Bücher und bis mein Kind lesen lernt vergehen noch ein paar Jahre."
„Du hast ein Kind Onkel?" fragte Lilith sofort interessiert, keiner hatte ihr bis jetzt gesagt, dass sie einen Cousin oder eine Cousine hatte.
„Noch nicht, aber meine Frau erwartet ein Kind." Erzählte er ihr stolz.
„Meinen Glückwunsch."
Nicht lange danach, wurden die Kinder ins Bett geschickt, nach und nach kehrte auch bei den Drachenjägern Ruhe ein.
„Du wolltest mir noch was erzählen." Jack hatte seine Decke neben Liliths gelegt. Jetzt war er zu ihr gerutscht und flüsterte ihr ins Ohr.
„Nicht hier drinnen, wir könnten raus gehen." Schlug Lilith ebenso leise vor.
„Das sollten wir wahrscheinlich, ich kann dir nicht genau sagen wie viele der anderen uns auch so hören können."
„So laut wie ihr redet bestimmt alle." Sie hörten, wie sich Clara, die ein Stück entfernt lag, umdrehte.
„Wir reden nicht laut." Lilith verdrehte bei Jacks Rechtfertigung die Augen.
„Wir sind von Drachenjägern umgeben, für die ist jedes Geräusch laut." Lilith konnte sich ihr Lachen kaum verkneifen. Dann stand sie auf, Jack folgte ihrem Beispiel. Das Scheunentor stand ein Stück weit offen, leise schlüpften sie nach draußen.
Jack warf ihr einen Blick zu, ‚wohin? ' lautete seine unausgesprochene Frage.
Lilith nickte in Richtung einer Wiese. Ihr viel auf, dass Jack, seinen Dolch wieder umband.
„Du solltest niemals ohne Waffen nach draußen gehen." Erklärte er ihr leise.
„Aber, ..."
„Kein aber Lil." Unterbrach er sie. „Hier, so nah an der Hauptstadt mag es zwar noch nicht so gefährlich sein, aber weiter im Norden ist es das definitiv. Wer weiß was uns dort erwartet. Du wärst naiv wenn du glauben würdest, dass dir nichts passieren kann, du bist ein Drachenjäger, du weißt was für Gefahren auf dich warten. Und du hast selber gemerkt, dass wir nicht mehr so beliebt sind wie früher, wer weiß zu was die Menschen eines Tages fähig sind." Sie waren ein Stück weit gegangen, ihre Umgebung hatten sie gut im Blick, keiner würde sich ihnen unbemerkt nähern können. „Also schieß los, ich weiß, dass es dich mehr belastet als du zugibst." Jack lächelte sie warm an.
„Ich hatte vor einigen Tagen eine komische Begegnung in der Bibliothek, erinnerst du dich, als du mich abends in der Bibliothek eingesammelt hast?" Jack nickte. „Kurz davor war ich nicht allein." Und dann begann sie ihm alles von vorne zu erzählen.
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