Kapitel 2: Flucht und Freiheit
Kirishima Pov
Panik machte sich in mir breit. Herr Tekashi machte einige Schritte zurück, in seinem von Angst verzerrten Gesicht spiegelte sich pure Abscheu. Dann drehte er auf dem Absatz um und rannte weg. Ich setzte an, ihm hinterher zu laufen, aber eine zierliche und dennoch starke Hand hielt mich zurück. Herr Tekashi verschwand hinter der nächsten Hausecke.
Ich drehte mich zu Miss Crownway um, die mich mit Tränen in den Augen ansah. „Eijirou.", flüsterte sie. Noch nie hatte ich die taffe Heimleiterin weinen sehen und es brach mir das Herz. Ich machte einen schnellen Schritt auf sie zu und schloss sie in die Arme. „Eijirou. Du musst fliehen, er wird die Wachen informieren."
Ich unterdrückte ein Schluchzen und nickte, als ich mich von ihr löste. Mein Blick fiel auf Tomoko die mich mit großen verängstigten Augen ansah und eine Hand in den Rock der Heimleiterin gekrallt hatte. Hilflos sah ich sie an. Sie hatte mir immer vertraut, aber das würde sie gewiss nie wieder tun. Wer vertraut schon einer Drachenbrut? „Alles wird gut.", sagte ich, wie um mich selbst zu beruhigen.
„Eiji?", fragte sie mich leiser zitternder Stimme.
„Ja?", antwortete ich hockte mich vor ihr hin. Ich war auf alles gefasst. Auf ihre Angst vor mir. Vielleicht sogar auf ihre Abneigung.
„Bitte ... dir darf nichts passieren. Wer passt denn jetzt auf dich auf?", fragte das fünfjährige Mädchen und weinte los. Tomoko ließ den Rocksaum von Miss Crownway los und fiel mir um den Hals.
Auch mir stiegen die Tränen in die Augen, gerührt von ihrer Sorge, aber auch wegen meiner eigenen Angst. „Es tut mir so leid Tomoko. Aber ich glaube ich muss lernen auf mich selbst aufzupassen. Ich schaff das schon. Versprochen." Es war ein Versprechen, das ich vielleicht nicht halten konnte. Aber ich würde es versuchen. Wenn schon nicht meinetwegen, dann wenigsten wegen ihr. Ich drückte kurz ihren zierlichen Körper und stand dann wieder auf.
„Ich pack dir geschwind etwas zu Essen zusammen, und du holst schnell deine Habseligkeiten. Du musst so schnell wie möglich raus hier.", sagte Miss Crownway bevor sie mit Tomoko in der Küche verschwand, während ich in den Schlafsaal hechtete.
Viel besaß ich nicht. Ich packte meine Kleidung zusammen und holte mein bestes Paar Stiefel hervor. Ich werde viel Strecke zurücklegen müssen. Außer meiner Kleidung besaß ich jedoch nichts. Nur eine wichtige Sache fehlte. Ich eilte zu meinem Nachttisch und las den kleinen sonderbaren Stein auf, der darauf lag. Es war ein Geschenk von Tomoko gewesen. Sie hatte ihn beim Spielen mit den anderen Dorfkindern auf den Feldern gefunden. Außen war er grob und grau, aber er war durch irgendeine Kraft aufgebrochen worden. Im Innenraum funkelte roter Kristall. Ich erinnerte mich daran zurück wie sie ihn mir übergeben hatte. Mehr als verblüfft hatte ich auf den kleinen Stein auf meiner Handfläche gestarrt. Ich war überwältigt so ein kostbares Geschenk von einer damals vierjährigen zu erhalten. „Er erinnert mich an dich.", hatte sie gesagt und mit beiden Händen meine Finger fest um den kleinen Stein geschlossen.
Ich ließ den kleinen Schatz, der mich immer an das Mädchen mit den rabenschwarzen Haaren erinnern würde, in meine Hosentasche gleiten und packte mein Bündel, bevor ich in die Küche lief. Miss Crownway erwartete mich schon.
Sie übergab mir einen Leinensack, in dem Äpfel, Brot und Käse verstaut waren. Außerdem reichte sie mir einen gefüllten Wasserschlauch. Ich nahm alles dankend an und drückte die Heimleiterin fest. Ich hatte ihr so viel zu verdanken. Dann war ich schweren Herzens im Begriff zu Tür zu gehen, als Miss Crownway mich ein weiteres Mal zurückhielt.
Überrascht sah ich sie an, als sie mir einen kleinen ledernen Beutel in die Hand drückte. Ich starrte darauf und spürte das Gewicht der Münzen darin. „Du wirst bald für dich selbst sorgen können, aber nimm es damit du erst einmal zurechtkommst."
Zum wiederholten Male in den letzten zehn Minuten schossen mir die Tränen in die Augen. Das kleine Heim hatte nicht viel Geld. Ehrlich gesagt hatte ich noch nie überhaupt eigenes Geld besessen. „Danke.", flüsterte ich. „Was meinst du damit, ich werde bald für mich selbst sorgen können."
Sie sah mich intensiv an. „Eijirou, wenn es ernst wird, versprich mir, dass du dich verwandelst. Dass du dich wehrst. Ich liebe dich. Ich möchte nicht, dass du stirbst, weil du verleugnest wer du bist."
„Miss Crownway...", sagte ich, während mir eine einzelne Träne über die Wange lief. Ich hatte mich noch nie verwandelt. Ich wusste gar nicht, wie es geht. Mein Leben lang, hatte ich so getan, als wäre ich normal.
„Versprich es mir, Eijirou.", sagte sie sanft. „Dass du alles tun wirst, um zu überleben."
Ich bekam eine Gänsehaut bei ihren eindringlichen Worten und wurde mir bewusst, was sie für eine Tragweite hatten. „Ja. Ich verspreche es.", sagte ich ernst.
„Gut." Sie strich mir eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. „Gehe zuerst zu Ochako. Du musst dein Aussehen ein wenig verändern. Vielleicht kann sie ja was mit deinen Haaren machen."
Ich kicherte leicht. Dieses banale Thema in dieser ernsten Situation fühlte sich so vertraut an. „Das werde ich."
Ich drückte sie ein letztes Mal und gab Tomoko einen Kuss auf die Stirn. Dann ging ich zur Tür hinaus und drehte mich nicht wieder um. Ich konnte einfach nicht. Ich ließ alles hinter mir zurück. Meine Heimat, meine Familie. Wenn ich mich jetzt umdrehte, würde ich vielleicht schwach werden und das durfte ich nicht. Nicht nur, dass ich ihnen versprochen hatte, alles zu tun, um auf mich aufzupassen und um zu überleben. Wenn ich jetzt blieb, würde Miss Crownway des Hochverrats angeklagt werden. So könnte sie zumindest noch beteuern, dass sie nichts davon wusste.
Ich ging zügigen Schrittes die Straßen entlang. Ich rannte nicht, um keine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken und nahm die größten Straßen, um in der Menschenmenge zu verschwinden. Da das Dorf Nirakawa recht klein war, gab es nur ein paar Gesetzeshüter, einige Abgestellte der Landwache des Königs Todoroki, die ab und zu durch die Straßen patrouillierten. Aber es gab keine Stadtmauer, die das Dorf umgrenzte und somit auch niemanden, der den Aus- und Einlass kontrollierte.
Dennoch sah ich den kleinen Menschenauflauf, der sich vor dem Bürgeramt gebildet hatte. Schon von weitem, sah ich die roten Umhänge der Landwache mit dem goldenen Flammenmustern, die das Symbol des Königshauses waren. Die Nachricht musste sich bereits herumgesprochen haben. Schnell bog ich an der nächsten Kreuzung ab um das gefährliche Territorium zu umgehen.
Die ganze Zeit schlug mir das Herz bis zum Hals. Ich musste einfach raus. Raus aus dem Dorf. Die Hexe Ochako lebte in nördlicher Richtung, ein wenig abseits vom Dorf.
Als ich die letzten Häuser des Dorfes hinter mir hatte und ich mich der frische kühle Wind empfing, der mich abseits der Häuserschluchten ungehindert umspielte, musste ich doch ein wenig lächeln. Vor mir lag eine unendliche Weite. Noch nie konnte ich so weit blicken. Und ein Gefühl von Freiheit legte sich über meine Angst. Ich sah in den Himmel hinauf und hatte das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, dass ich genau dort war, wo ich hingehörte. Hinaus aus den engen Gassen, hinauf in die Lüfte. Dort, wo ich im wahrsten Sinne des Wortes, meine Flügel ausbreiten konnte.
Ein Grinsen legte sich auf mein Gesicht. Es fühlte sich so neu und so natürlich an. Niemand war hier, der es sehen konnte. Ich brauchte meine Zähne nicht zu verstecken. Auch wenn in mir noch immer diese glühende Angst vor dem was kam lauerte und ich große Trauer über den Verlust meiner Heimat empfand, war ich diesem neunen berauschenden Gefühl komplett unterlegen. Dem Gefühl Freiheit.
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