Kapitel 1
Kapitel 1
Seufzend legte der Wächter der Eisinsel Barafu den Stift zur Seite und starrte zum Fenster hinaus. Dort war wie immer alles voller Schnee und Eis. Rei Zeki war gerade dabei, Berichte aus dem Keller anzufertigen, doch er konnte sich nicht konzentrieren. Nicht, nachdem er schmerzlich jemanden vermisste.
Sein Hilfswächter Elgatos saß am zweiten Schreibtisch, den Rei ihm in sein Arbeitszimmer gestellt hatte. So konnten sie gleichzeitig arbeiten und wurden schneller fertig.
Als er ohne Quinn zurückgekehrt war, hatte Elgatos geschockt ausgesehen, doch Rei glaubte, dass er es mittlerweile verstand.
Quinns Wandteppich, der in ihrem alten Schlafgemach hing und einen großen Eisdrachen zeigte, der mit einer jungen Frau durch die Wolken glitt, während unten an der Seite Elgatos, sein Sohn und sogar Liron und der Heiler zu sehen waren, sorgte nur dafür, dass es nicht besser wurde.
Tagtäglich wurde Rei an die junge, wunderschöne Frau erinnert und oft ertappte er sich dabei, wie er sich wünschte, dass sie wieder bei ihm war. Den Ärger mit seinem Vater würde er noch auf sich nehmen, denn bisher hatte er Zakai nur geschrieben, dass es Quinn nicht gut ging. Doch irgendwann konnte er das nicht mehr. Dann würde er Zakai schreiben, dass Quinn weg wäre.
Einen Monat war es nun her und er fragte sich, ob es Quinn gut ging. Sie war nun hoffentlich frei und konnte tun, was immer sie wollte. Aber ob das wirklich so gut gewesen war? Manchmal ertappte er sich bei der Frage, ob sie überhaupt in der Lage war, allein zu überleben. Sie konnte nirgendwo hin. Kein Drache würde sie aufnehmen und zu den Menschen konnte sie auch nicht, da man ihr ansah, dass sie nicht mehr menschlich war.
Und trotzdem hoffte er tagtäglich, dass es ihr irgendwie gut ging. Ohne sie war es in der Burg trostlos und traurig geworden. Und vor allem ruhig. Wenigstens hatte Quinn frischen Wind gebracht.
Liron kochte wieder und versuchte sich sogar daran, etwas zu backen. Doch das ging oft genug schief, auch wenn der Geruch die anderen Männer immer irgendwie ruhig stimmte. Als würden auch sie Quinn vermissen.
Dennoch war es nicht dasselbe. Auch Elgatos vermisste die junge Frau und ihre Backkünste, da Lirons oft ungenießbar waren. Aber das war nicht der eigentliche Grund, warum Quinn vermisst wurde. Es war ihre Art gewesen, die sie einzigartig gemacht hatte.
Der Wächter riss sich zusammen und warf Elgatos schließlich einen Blick zu. „Bist du fertig?", fragte Rei gedankenverloren.
"Ja", murmelte dieser und plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Liron stürmte herein.
"Da ist jemand am Tor und klopft", erklärte er und wirkte sichtlich überfordert und geschockt, denn das war noch nie vorgekommen.
Genau aus diesem Grund standen beide Wächter auf. Normalerweise kam niemand und klopfte einfach an. Dazu war die Insel zu weit von den anderen entfernt. Nicht einmal die Boten, die Lebensmittel oder Briefe brachten, taten es.
"Wer klopft denn bei uns an?", fragte Elgatos, der Rei sehr schnell nach unten in die Eingangshalle folgte.
„Keine Ahnung", murmelte dieser und stemmte sich gegen die schwere Eisentür, musste sie aber auch gleichzeitig festhalten, damit der Wind sie nicht aus den Angeln riss. Mit weit geöffneten Augen sah er auf die Person, die ihm gegenüber stand.
Obwohl sie eine Kapuze trug, erkannte er den Mantel und die Frau, die darunter verborgen war. Als sie die Kapuze zurückstrich und langsam auf Rei zukam, erkannte er Quinn.
Sie war abgemagert, wirkte erschöpft und ihre sonst so glanzvollen Augen waren leer. Nur wenige Schritte trat sie auf Rei zu, bevor sie stehenblieb. "Werdet Ihr mich reinlassen?", fragte sie, als wäre sie unsicher darüber, ob sie hier überhaupt erwünscht war.
Sein erster Instinkt war, ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen, doch in dem Zustand brachte Rei es nicht übers Herz. Sein Schock stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben, aber in seinen Augen war auch so etwas wie Erleichterung zu sehen. Wortlos machte er einen Schritt zur Seite und gab Quinn stumm zu verstehen, dass sie reinkommen konnte.
Diese war langsam, kam aber durch die Tür und wirkte alles andere als gesund. Trotzdem schenkte sie dem sichtlich überraschten Elgatos ein Lächeln.
„Quinn", brachte der Feuerdrache heiser hervor und nahm sie einfach in die Arme, während Rei sich darum kümmerte, das Tor zu schließen. Der Eisdrache ließ sich nicht anmerken, was er in dem Moment dachte.
Auch Liron war überrascht, die junge Frau hier zu sehen.
"Oh mein Gott, was ist denn mit dir passiert?", fragte Elgatos entsetzt, als er bei der Umarmung bemerkte, dass sie wirklich nur noch Haut und Knochen zu sein schien. Er schob sie ein Stück von sich und bemerkte, dass ihr Gesicht wohl das war, was am besten aussah. Als er ihr aus dem Mantel half, bemerkte er, dass ihre Arme so dünn waren, dass man sämtliche Knochen sehen konnte.
"Wahrscheinlich Nebenwirkungen, weil die letzte Phase fehlt", bemerkte sie und klang so unbeteiligt, als wäre es ihr egal. Als hätte sie sich damit abgefunden zu verhungern. Gleichzeitig war das aber seltsam, weil sie dann nicht die Mühe auf sich genommen hätte, um hierherzukommen. Oder hatte sie Rei und Elgatos vor ihrem Tod noch einmal sehen wollen?
Alles war möglich. Möglicherweise war sie mit dem Leben auf der Insel nicht zurechtgekommen.
Als der Wind draußen blieb, räusperte sich Rei und kam auf Quinn zu. Diese wurde von ihm ohne ein Wort einfach hochgehoben. „Liron, bring Essen. Elgatos, du sorgst für ein Bad und frische Kleidungsstücke", befahl er seinem Hilfswächter, bevor er die Treppe mit Quinn im Arm nach oben lief.
Er hatte erwartet, dass sie sich an ihn schmiegte, doch das tat sie nicht. Lediglich ein leiser, erleichterter Laut verließ ihre Lippen und sie schloss die Augen, während sie seinen Geruch genoss.
Wahrscheinlich war sie sauer auf ihn, was er auch verstehen konnte. Es war ihr gegenüber nicht gerecht gewesen. Trotzdem hatte Rei keine andere Möglichkeit mehr gesehen, um Quinn zu schützen. Zusätzlich war es gut, wenn sie sich nicht mehr unnötig näher kamen. Jetzt, nachdem sie wieder da war, würde er die Wandlung wohl oder übel weitermachen müssen.
Dass er ihr Vertrauen missbraucht hatte, war ihm klar, doch was das in Quinn ausgelöst hatte, hätte er niemals geglaubt.
"Es ist nicht nötig, dass Ihr Euch so um mich kümmert", meinte sie leise. Eigentlich wollte sie zu Zakai, doch dann würde Rei Ärger bekommen.
„Warum bist du dann hier?", fragte er kühl und legte sie ins Bett, bevor er ihr die Decke überlegte. Ihre Gestalt schockierte ihn, doch er ließ es sich nicht anmerken.
"Weil ich Euch gern noch einmal sehen wollte", gestand sie und öffnete ihre Augen nicht. Auf ihren Lippen lag ein zufriedenes Lächeln.
Seufzend streichelte Rei ihr Gesicht. „Ich hätte nicht geglaubt, dich eines Tages wiederzusehen", flüsterte Rei und es war, als könnte sie hören, dass er innerlich weinte. Sein Äußeres gab jedoch nichts davon preis.
"Ich habe selbst nicht erwartet, dass ich es irgendwann hierherschaffe", flüsterte sie und wirkte unglaublich erschöpft.
Dabei entging ihr der vertraute Geruch, den sie so sehr vermisst hatte, nicht.
Rei wollte gerade etwas sagen, als Liron und Elgtaos fast gleichzeitig in das Zimmer kamen. Der Koch stellte das Essen gleich ans Bett, sodass Rei nicht aufstehen musste und Elgatos informierte den Wächter, dass er das Bad einlassen würde. Die saubere Kleidung legte er auf den Stuhl. Beide Drachen warfen Quinn einen besorgten Blick zu, bevor Rei sie einfach hinaus scheuchte.
Dann wandte er sich an die junge Frau. „Es tut mir leid, Quinn", flüsterte er heiser. Seine Hand streichelte vorsichtig über ihren Kopf, bevor Rei diesen behutsam anhob. „Trink etwas", bat der Eisdrache eindringlich. Wann sie das letzte Mal getrunken hatte, war ungewiss. Ihre rissigen Lippen deuteten daraufhin, dass es bereits einige Zeit her war.
Mühsam blinzelnd öffnete sie ihre Augen und betrachtete das Trinken. Unsicherheit stand in ihrem Blick, doch sie nickte. Sie brauchte etwas.
Der Geschmack von Pfefferminz berührte ihren Gaumen. Diesen Tee hatte sie am liebsten gemocht. Obwohl sie weg gewesen war, erinnerten sich die Männer noch daran.
Rei war vorsichtig und gab ihr nur schluckweise, damit es ihr nicht zu viel wurde.
Quinn trank gierig und das zeigte ihm, wie groß ihr Durst war. Sie wirkte wirklich sehr schwach und er wollte ich nicht vorstellen, was sie getan hatte, um so auszusehen. War sie so lange geflogen? Sie kannte den Weg hierher nicht, daher musste sie viel länger gebraucht haben, als er damals.
Natürlich hätte sie auf anderen Insel Halt machen können, um sich auszuruhen. Ob sie es getan hatte, wusste Rei nicht. Deshalb fragte er sie danach und reichte ihr ein Stück Apfel, der bereits geschnitten war.
Quinn öffnete den Mund und nahm ein Stückchen. "Ich habe auf vielen Inseln Pausen gemacht", murmelte sie und kaute genüsslich, aber sehr lange.
„Es tut mir leid", murmelte Rei reumütig.
"Es war Eure Art, mich zu beschützen", meinte sie und versuchte, sich leicht aufzusetzen. Dabei wurden ihre Muskeln, die sich anspannten, sehr deutlich.
Der Eisdrache half ihr dabei und nickte zustimmend. Fürsorglich legte er Quinn ein zusätzliches Kissen in den Rücken, um sie zu stützen. „Ja. Ich wollte das Beste für dich. Und das ist nicht bei Zakai", gestand Rei seufzend. Er hatte seine Entscheidung schon sehr bald bereut und wusste, dass er es nicht wieder gut machen konnte. Schon gar nicht konnte er das ändern, was vorgefallen war. „Aber ich habe die falsche Entscheidung getroffen", gab er zerknirscht zu.
"Zumindest seht Ihr das ein", seufzte sie und schloss die Augen erneut, weil sie sich so schwach fühlte. "Würdet Ihr mich in den Arm nehmen?" Die Frage kam nur zögerlich über ihre Lippen, da sie nicht wusste, ob Rei noch immer Gefühle für sie hegte.
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