Silber und Drache 141

„Und? Worum geht es denn jetzt nun?", fragte ich, während ich neben Jae den Weg entlangeilte.

Mein neues Schwert baumelte, sicher in seiner Hülle verborgen, an meiner Seite und schlug im Rhythmus meiner Schritte gegen mein Bein. Ein beruhigendes Gefühl.

„Mein Schwesterlein hat genug vom Benehmen ihrer Minister und hat den weisen Rat einberufen.", erklärte mir Jae.

Seine Mundwinkel zuckten nach oben. Er wirkte höchst amüsiert über seine Aussage, die ich nur halb verstand.

„Welchen weisen Rat?", fragte ich.

Jae stoppte abrupt und hielt mich ebenfalls auf, indem er mir die Hände auf die Schultern legte.

„Das ist ein Zusammenschluss von zehn sehr alten und weisen Elfen. Sie werden benötigt, wenn eine Entscheidung ansteht, die unabhängig von den herrschenden Elfen getroffen werden muss. Über dem Rat steht nur die Erdenmutter."

Etwas ähnliches gab es bei den Drachen ebenfalls. Wenn weder königliche Entscheidungen noch ein Duell ein Problem lösen konnte. Er war ins Leben gerufen worden, um zu verhindern, dass Drachenherrscher ständig wegen Kleinigkeiten gegeneinander in den Krieg zogen.

„Und mein Schwesterlein lässt heute einen Teil ihrer Minister vom weisen Rat beurteilen. Ich weiß noch nicht, worum es genau geht. Aber ich weiß, dass es etwas mit dem Verhalten der Minister dir gegenüber zu tun hat. Es wundert mich ehrlich gesagt, dass nicht schon früher etwas in dieser Richtung geschehen ist. Aber es ist gut, den Ärger noch vor euer Hochzeit aus der Welt zu schaffen."

Als hätte mich Jae nicht vorher selbst zum Stehen bleiben gezwungen, drückte er nun die Hand auf meinen Rücken, um mich nach vorn zu drücken. Wie ein bockiges Kind, das nicht mehr weiterlaufen wollte, wurde ich für ein paar Schritte angeschoben.

„Deshalb, husch! Voran! Ich kann es kaum erwarten, das Spektakel mitzuerleben. Auch wenn es vermutlich zu Beginn noch recht ruhig sein wird."

Mir kam die Vermutung, er hetzte mich wegen seiner persönlichen Ungeduld, trotzdem ließ ich mich ohne Gegenwehr antreiben. Nicht weil ich mich sonderlich darauf freute, dem weisen Rat gegenüberzutreten. Aber ich wollte unbedingt sehen, wie Armin bestraft wurde. Wenn ich es schon nicht selbst tun durfte.

Ich tätschelte liebevoll das Schwert an meiner Seite. Wie gern ich es Armin in die Brust gerammt hätte. Alvira hätte sich sicher auch darüber gefreut, das Blut eines Verräters zu trinken.

Jae führte mich in den Säulengang, der den inneren Palast, das Herzstück des Elfenpalastes, umschloss. Von dort folgte ich ihm durch scheinbar endlose Marmorhallen, die sich strahlend weiß und prunkvoll in die Höhe streckten. In ihren Kuppeldächern nisteten Vögel und an den mächtigen Säulen rankten sich blühende Rosen nach oben. Ihr süßer Duft tränkte die Luft.

Mal wieder wurde mir bewusst, dass Junas Palast viel weitreichender war als der Winterstein. Immer wieder entdeckte ich neue Bereiche, die, wie diese leeren Marmorhallen, keinem weiteren Zweck zu dienen schienen, als leere Wände und unbenutzte Böden für zahlreiche Kunstwerke zu bieten. Als bauten Elfen stets neue gewaltige Hallen, wenn es wieder ein neues Stück Geschichte zum Unterbringen gab. Vermutlich würden meine Liebste und ich eines Tages genauso enden. Als ein Gemälde an einer dieser Wände, das täglich mehr Staub ansammelte. Am Anfang noch oft besucht, dann mit den Jahren immer weniger, bis auch die letzte Elfe uns vergessen hatte.

Unsere Schritte hallten laut nach und Jae summte gut gelaunt. Sonnenstrahlen zauberten goldene Lichtreflexe auf den reinen Marmor und die schimmernden Rahmen der Kunstwerke. Ein schöner Anblick, doch ich sehnte mich in den inneren Palast zurück. Dort wo mich nicht das ständige Gefühl begleitete, durch ein Mausoleum zu laufen. Wo jeder Grashalm, jeder Busch und die mächtigen Lebensbäume vor Leben explodierten.



Schließlich kamen wir in einem kleinen Saal an, wo zahlreiche Elfenwachen vor einem mächtigen Holztor, mit goldenen Metallbeschlägen, warteten. Mein Körper verkrampfte sich für einen kurzen Moment, als ich den Wachen entgegentrat. Ihre Rüstungen strahlten tiefblau im grellen Licht, das durch riesige Fenster hereinfiel. Wie Statuen standen sie still und beschützten, was hinter der Pforte lag.

Die Erinnerung stieg in mir auf, wie die Wachen mich umkreisten und ihre verfluchte Magie in den Händen sammelten, um mich gefangen zu nehmen. Im Hintergrund lachten die Minister und Armin kreischte: „Tötet Sie!"

Ich krallte die Finger um den Griff meines Schwert. Es lag so gut in meiner Hand.

Sollten sie nur einen Angriff wagen. Ich würde Alvira nur zu gerne füttern. Meine neue Waffe bebte in ihrer Hülle und ich beruhigte sie, indem ich sie kräftig tätschelte. Noch nicht. Niemand bedrohte mich. Die Elfenwachen sahen alle gleich aus in ihren Rüstungen. Ich wusste nicht, ob die vier, die beim Angriff auf mich beteiligt gewesen waren, unter ihnen weilten.

Keine davon stellte sich vor mich, als ich nähertrat. Stattdessen gaben sie wie selbstverständlich den Weg frei und begrüßten uns mit knappen Verbeugungen.

Das Tor schwang vor uns auf und eine dunkle Stimme verkündete unsere Ankunft.

„Willkommen. Sehr geehrte Hoheit Iris von Winterstein und Adrian Sebastien Minuel Jae von Silberwald zu Samtwasser."

Ich blieb stehen, bevor ich durchs Tor trat. Jae rannte beinah in mich hinein. Seine Schulter stieß gegen meine.

Diese neue Art mich anzukündigen, schockierte mich. Bisher hatte mich niemand offiziell als Hoheit bezeichnet. Die meisten nannte mich die Dame von Winterstein, wenn sie höflich sein wollten. Ein Titel, an den ich mich gewöhnt hatte und der ganz klar meinem Status entsprach. Die Bezeichnung Hoheit, die sich plötzlich und schwer auf mich legte, führte mich auf unsicheres Terrain, wo ich nicht wusste, wie ich mich bewegen sollte. Was hatte Juna nur getan? Ich besaß nicht die Fähigkeit, ihr Reich mit ihr zu führen. Ein Drache hatte auf einem Elfenthron nichts zu suchen.

Mit steifen Gelenken marschierte ich weiter. Als passte mein Körper auf einmal nicht mehr ganz so, wie er sollte.

Vom endlosen grellen Marmor trat ich hinaus in einen kleinen, verwilderten Garten. In der Mitte eine Lichtung, umrandet von mächtigen, alten Bäumen, deren mächtige Kronen ineinander verwachsen waren. Der Anblick, des saftigen Grüns und des weichen Grasen, auf dem zahlreiche Elfen in zarten Gewändern umher wandelten, versetzte mich etwa ein Jahr zurück in die Vergangenheit. Als hätte mich Vigour, mein König, gerade eben hergeschickt, um seinen Heiratsantrag zu überbringen und so viele neugierige oder feindselige Augenpaare starrten mich an. Ein Eindringling, im Reich der Elfen, mit einem lächerlichen Anliegen. Und dazwischen leuchteten ihre Augen, wie Juwelen. Ein sanfter, blauer Himmel, der mir zuflüsterte, er würde sich über mich spannen und mich auf jeder Reise beschützen.

Das Gesicht meiner Liebsten strahlte, als wäre eben die Sonne aufgegangen. Auf ihrem Kopf thronte ein Kranz aus Efeublättern und ihr Haar fiel in sanften Wellen über ihre Schultern. Unendliche Lagen, hauchdünnen, grünen Stoffes bauschten sich um ihre Beine, bis zu ihren Knien. Das lange Gras umschmeichelte ihre nackten Füße. Am liebsten hätte ich Küsse auf die süßen Zehen gepresst und meine Liebste dann hochgehoben und herumgewirbelt, weil sie aussah, wie ein zartes, unschuldiges Mädchen.

Juna streckte ihre Hand nach mir aus und ich kam wie selbstverständlich zu ihr. In einem Raum voller Elfen, gab es nur einen richtigen Platz für mich. Direkt an ihrer Seite. Sie stand zwischen ein paar ihrer Minister. Keiner davon war beim Angriff auf mich beteiligt gewesen. Im Gegenteil. Es schienen eben die Elfen an der Seite meiner Liebsten zu verweilen, die mich bisher freundlich, doch höflich distanziert behandelt hatten. Eine eindeutig bessere Gesellschaft als Armin und sein Anhang.

Ich blickte mich im Saal um. Wenn der weise Rat heute Gericht über Armin halten sollte, musste die Pest ebenfalls hier sein. Mein Wunsch ihn in Ketten zu sehen wurde enttäuscht. Vollkommen unbehelligt lehnte er an einem Baumstamm. Etwas blass im Gesicht, doch sein Haar glänzte frisch gebürstet, auf seinem feinen, grünen Anzug befanden sich Goldstickereien und er grinste mir selbstgefällig entgegen. Am liebsten hätte ich ihm gleich wieder die Nase gebrochen. Ein Schwall Blut, der ihm aus den Nasenlöchern blubberte, stand ihm besonders gut. Reiner Hass lag in seinem Gesicht. Ich begegnete diesem Ausdruck niedrigster Emotionen ohne Furcht, und schob stur das Kinn vor. Wie gern ich Alvira an ihm erproben wollte. Deshalb lockte ich ihn mit meinem Blick. Lockte ihn, die Kontrolle zu verlieren. Ich grinste ihn an und er fletschte die Zähne.

Eine sanfte Hand strich über meine Wange und drückte meinen Kopf zur Seite. Fort vom Bild meines Feindes, zum eindeutig schönsten Anblick im Raum

„Tu das hier nicht. Iris. Es hilft uns nicht, wenn du ihn vor dem halben Elfenpalast herausforderst.", wisperte Juna. Sie drückte ihre Lippen in mein Haar.

„Du hast mir ein Versprechen gegeben. Vergiss das nicht. Ich regle das."

Ein kalter Unterton schwang in ihrer Stimme mit. Die Königin und nicht meine Liebste sprach zu mir.

Ich presste die Hand auf mein neues Schwert. Der feste Beweis in meiner Hand, dass Juna ihren Teil des Versprechens eingehalten hatte.

Mit einem leisen Seufzen wandte ich mich endgültig von Armin ab und versank dafür in dem Blick, in dem nur Liebe für mich stand.

„Schon gut, vertrau mir.", flüsterte ich.

„Das tu ich immer."

Juna strich ihre Hand unter mein Kinn und drückte einen Kuss auf meine Lippen.

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