Silber und Drache 111

Ranjas Sicht:

Herbststürme rüttelten Blätter von den Bäumen und fegten sie mit einem kalten Windhauch in die Eingangshalle des Wintersteins, an dem Morgen, als ich meine Reise nach Elfenhain antrat.

Drei Monate hatte ich gehadert und jeden Brief an Iris mit einem schlechten Gewissen fortgeschickt. Weil ich meinen Besuch nicht ankündigte.

Bis die Einladung zur Hochzeit ins Haus flatterte. Im Frühjahr fand die Feier statt, denn nach dem Winter begann, laut den Elfen, eine Zeit der Liebe. Eine Zeremonie, die zwei Liebende miteinander verband, brachte den Segen der Erdmutter und damit Fruchtbarkeit. Ein Wunsch den Elfen und Drachen teilten.

Informationen, die Iris Briefe enthielten, ausgeschmückt mit dem Seitenhieb, das selbst Rosalie mit Momo sie bereits besucht hatte.

Um sie vor der Hochzeit noch zu sehen, gab ich nach und versprach vor Einbruch des Winters zu kommen

Mein Herz klopfte aufgeregt. Ein Ärgernis.

Kein Drache begab sich gern in die Fänge der Elfen. Vor allem nachdem diese ihn eingesperrt hatten.

Diese widerlichen Schwächlinge. Konnten nichts, außer wild mit Magie herumzufuchteln.

Nur Iris lebte freiwillig bei den Elfen. Besiegt von der Liebe. Meine arme Freundin.

Das Schattenportal bildete einen dunklen Wirbel. Rasch drehte er sich größer, bis an die Ränder des mächtigen Steintores. Dunkelheit wabberte gefährlich und schlug Wellen, bis sie sich endgültig ergab. Sie bildete eine glatte Fläche.

„Ist bereit.", teilte mir ein Drachenmagier aus der Gruppe mit, die das Portal aufgestellt hatte.

Ich nickte, doch zögerte.

Sorge regte sich in mir. Ob sich meine Freundin sehr verändert hatte? Vielleicht war sie in den letzten drei Monaten übergelaufen und benahm sich kaum noch wie ein Drache.

Mein lautes Seufzen hallte durch die Eingangshalle. Dann überwand ich mich und trat mit geballten Fäusten durch das Schattenportal.

Von undurchdringlicher Dunkelheit empfing mich das magisch weiße Licht der Kugeln, die die Empfangshöhle der Elfen erleuchteten.

Ein paar Wachen blickten mir entgegen, von Kopf bis Fuß in ihren bläulich schimmernden Rüstungen gekleidet. Sie erinnerten mich an meine Liebelei, mit einem Soldaten der Elfenkönigin. Ein nervöser Bursche, zu schlank und zart, aber liebevoll. Ich hoffte ihm nicht über den Weg zu laufen, um diesem peinlichen Irrtum nicht ins Gesicht blicken zu müssen.

Niemand sonst empfing mich. Enttäuscht starrte ich in die traurige Leere der Höhle.

Iris holte mich nicht ab. Aus Ärger? Hatte sie meine letzten Briefe nicht erhalten?

Oder sie hatte ihre alten Freunde bereits vergessen.

„Ich suche Iris. Sie ist ein Drache und lebt jetzt bei euch. Du kennst sie sicher."

Aus Mangel an Alternativen wandte ich mich an eine der Wachen. Wie immer, wenn ich mit Elfen sprach, bemühte ich mich meine Abneigung herunter zu schlucken. Sie stahl sich in meine Stimme und brachte die Elfen dazu, mir nicht helfen zu wollen.

„Die Dame von Winterstein.", verbesserte mich der freche Elf. Als ob ich nicht wusste, wie ich meine Freundin nennen musste.

Ich knirschte mit den Zähnen.

„Ja. Iris von Winterstein."

„Die Dame befindet sich im inneren Palast. Wir können einen unbekannten Drachen nicht dorthin lassen."

Meine Fäuste juckten der Wache einen kräftigen Schlag zu verpassen.

„Sie ist meine Freundin. Und erwartet mich...eigentlich."

„Wartet einen Moment."

Mit einer knappen Verbeugung trollte sich die Wache zu seinen Kollegen.

Meine Wut knisterte leise vor sich hin. Mit jedem Moment, der verstrich, loderte sie heißer. Es war nicht die Schuld der mickrigen Elfen allein. Iris enttäuschte mich schon wieder. Diese Situation reihte sich ein, in den Haufen der Entscheidungen, die ich ihr Übel nahm. Allen voran die Leidenschaft für unsere Feinde.

Eine Elfe konnte sich vielleicht nicht gegen ihre wahre Liebe entscheiden. Aber Drachen blieb das Recht, gegen solche Gefühle zu handeln. Ich kannte diese Emotionen ganz genau. Sie kamen und gingen, wie sie wollte und blieben nie beständig. Stattdessen gaukelten sie nur einen kurzfristigen Traum vor. Ich hoffte Iris würde ihrer Täuschung noch vor der Hochzeit entrinnen.

Deshalb entschied sich ein kluger Drache stets für seine Familie und Heimat. Seitdem ich Iris kannte, hatte ich sie für klug gehalten. Klüger als ich sogar. Bis vor ein paar Monaten.

Die Wache kam wieder, mit halbwegs guten Neuigkeiten.

„Wir bringen euch in den inneren Palast. Doch ihr müsst eure Waffen abgeben und vier Wachen werden mit euch gehen."

Die Zähne fest aufeinandergepresst, um nicht zu schimpfen, nickte ich. Meine einzige Wahl zu Iris zu gelangen.

Beim ersten Zusammentreffen würde ich meine Freundin zu Boden hauen. Als Belohnung für diese beschämende Begrüßung.




Den inneren Palast hatte ich noch nie gesehen. Ich kannte ihn nur aus Iris Erzählungen.

Ein Wald umgab mich. Rotes und gelbes Herbstlaub wurde nur durchbrochen von den mächtigen Kronen riesiger Bäume, an denen Blätter unterschiedlichster Färbungen sprossen. Die Sonne tauchte die Natur in goldenes Licht. Sanfte Wärme umschmeichelte mich, wie das Zwitschern der Vögel im Geäst und das fröhliche Plätschern kleiner Bäche, die sich wie Irrwege durch den Garten zogen.

Rasch legte ich meinen Mantel ab. Im Winterstein zog bereits der Winter ins Land, mit Morgenfrost und kalten Stürmen. Hier hing die Wärme in der Luft, wie es im Drachenland selbst im Sommer nicht der Fall war.

Bestimmt fiel in diesem Wald niemals Schnee.

Meine Begleiter hielten mehrfach um nach der „Dame von Winterstein" zu fragen, bis wir vor einem großen Apfelbaum mit dicken knorrigen Ästen hielten. Er bog sich unter der Last strahlend, roter Früchte.

„Du bist schon hier?", rief eine mir allzu bekannte Stimme begeistert.

Iris sprang vom Baum herunter und landete geschickt vor mir. Mit ihren blauen Augen strahlte sie mich begeistert an, wie ein Kind.

Meine Freundin war ganz dieselbe in engen Lederhosen und einem lockeren Hemd und sah doch anders aus.

Blasse Röte schmückte ihre Wangen. Ein Schimmer Lebendigkeit.

Das lockige Haar zierte ein mit weißen Blumen besticktes Haarband und an ihren Armen baumelten goldenen Armbänder. So dekoriert hatte ich sie selten gesehen. Zuvor nur während unserer Gefangenschaft.

Sie hielt mir einen dicken Apfel hin.

„Stand in deinem Brief nicht, du kommst erst nachmittags?"

Hatte ich das geschrieben?

Ich boxte sie dennoch. Geschickt wich Iris meiner Faust aus. In den nächsten paaren Minuten rangelten wir. Bis wir beide durchgeschwitzt und lachend auf dem schmutzigen Erdboden lagen.

Die Elfenwachen standen um uns herum, scheinbar verwirrt darüber, ob sie eingreifen sollten. Im sicheren Befehlston schickte meine Freundin die Wachen fort. Sie gehorchten aufs Wort.

„Die Dame von Winterstein befehligt jetzt also auch Elfenwachen.", zog ich sie auf.

Iris runzelte die Stirn und kicherte nervös.

„Ja. Du weißt ja Elfen und ihre Titel. Einfach nur Iris geht hier nicht. Wenn ich erstmal verheiratet bin, werden sie mir vermutlich weitere Titel andichten. Nur weil ich mit der Königin verheiratet bin. Ich werde nicht regieren oder ähnliches, dass darf ein Drache hier sowieso nicht. Aber trotzdem."

Sie schnappte sich einen Apfel vom Boden und biss herzhaft hinein. Schon immer faszinierte mich, dass sie Früchte und Gemüse so sehr zu schätzen wusste. Vielleicht war sie schon immer für ein Leben bei den Elfen bestimmt gewesen.

„Soll ich dich herumführen? Dir alles zeigen? Es gibt viel zu sehen."

Begeistert stimmte ich zu.

Doch zuerst nahm ich meine Freundin in den Arm. Ich hatte sie vermisst.


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top