8 | Eine verschissene Schrottkarre
| ♆︎ Xathros ♆︎ |
Ich saß auf einer Bordsteinkante neben dem Parkplatz. Im Hintergrund hörte ich das Rauschen der vorbeifahrenden Autos auf der Autobahn. Vor mir hatten nun schon zwei Autos umständlich Emilias Wagen umrundet, um wieder auf die Autobahn zu fahren.
Tief ausatmend schloss ich die Augen, während ich Emilia ein wenig entfernt telefonieren hörte.
Wenn ich wegen dieser verschissenen Schrottkarre im Krankenhaus abkratzen würde, dann würde ich den Wagen in die Luft sprengen. Ich würde die vierzehn Stunden Flug auf mich nehmen, um wieder in die Menschenwelt zu gelangen. Dann würde ich mir einen Sprengsatz besorgen und das verfickte Teil in die Luft jagen und jeden einzelnen Augenblick davon genießen. Das versprach ich mir in jenem Moment hoch und heilig.
Wahrscheinlich würde ich aber vorher noch die CDs und Alben meiner Lieblingsbands herausholen, die Emilia bei der Fahrt durcheinander abgespielt hatte. Obwohl ich so getan hatte, als wären mir die Bands unbekannt oder als würde ich deren Lieder nicht schon auswendig kennen.
Ich hörte, wie Emilia auf mich zuging. Als ich die Augen öffnete setzte sie sich mit einem tiefen Seufzer neben mich auf die Bordsteinkante. Mit einer seitlichen Handbewegung hielt sie mir die angebrochene Schokoladentafel hin. Langsam wandte ich ihr meinen Kopf zu. „Emilia, ich packe mir gleich dich und deinen Wagen und schmeiße mindestens eines von beidem zwischen die rasenden Autos auf der verschissenen Autobahn."
„Interessante Wortwahl für nein, danke", erwiderte diese, zog die Tafel Schokolade wieder weg und zuckte nicht einmal bei meinen Worten. Wahrscheinlich war sie Drohungen schon von zu Hause gewohnt.
„Der Abschleppdienst bringt uns gleich in die nächste Werkstatt und das Auto wird schnellstmöglich untersucht", fügte Emilia jedoch schließlich noch hinzu. „Sicher sind wir in ein paar Stunden schon wieder unterwegs."
„Wenn du weiterhin herum labern willst, solltest du wieder deine Kopfhörer anziehen", bemerkte ich mit einem Blick auf eine Frau, die gerade aus der Tankstelle kam, Emilia einen seltsamen Blick zuwarf und dann in ihr Auto einstieg.
Also fischte sich Emilia ihre Kopfhörer aus dem Rucksack und steckte sie in die Ohren. Einige Sekunden später hörte ich jedoch leise, wie Musik aus den Hörern kam.
Hey. Ich dachte, sie hätte mit mir reden wollen.
Ich griff vorne um ihr Gesicht herum und zog einen der Hörer aus ihrem Ohr. „Dann gib mir wenigstens einen ab", motzte ich und stopfte ihn mir ins Ohr hinein. Mann, ich hatte Musik wirklich richtig vermisst.
„Wenn ich da jetzt Dämonenohrenschmalz dran habe besorgst du mir neue", motzte Emilia zurück, hatte jedoch ein leichtes Grinsen auf den Lippen.
Danach fielen wir ins Schweigen, während Under the bridge aus den Kopfhörern kam. Endlich kam nun auch die Sonne wieder hinter einer großen Wolke hervor und spendete ein wenig willkommene Wärme auf meinem Gesicht. Emilia streckte neben mir die zuvor an sich gezogenen Beine aus. Kurz sah ich zu ihr herüber und realisierte aus dieser Nähe zum ersten Mal richtig die vielen Sommersprossen, die sich um ihre Nase verteilten. Mein Blick wanderte ihren Körper herunter und blieb an den leicht schmutzigen, ein wenig durchlöcherten, gelben Schuhen hängen.
Schließlich verbrachte ich die restliche Zeit damit, das gemächliche Geschehen auf dem Parkplatz, sowie die vorbeirauschenden Autos auf der Autobahn zu beobachten.
Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so still und ruhig irgendwo gesessen und einfach mal gute Musik genossen hatte. Vielleicht würde ich das öfter machen, wenn ich mein Leben zurück hatte. Vielleicht würde ich aber auch wieder durch die Straßen ziehen und alles Ruhige und Stille zunichte machen.
Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis der Abschleppwagen kam. Emilia stand auf, um mit den Männern zu sprechen. Sie gestikulierte mit den Händen, während sie erklärte, was mit dem Wagen passiert war. Nachdem ihre Schrottkarre auf dem Abschleppwagen gesichert worden war, nutzte ich die kurze Zeit, um in den Wagen zu klettern.
Sicher würde ich nicht zu der Werkstatt fliegen. Um das zu tun müsste ich meine Jacke ausziehen und dafür war es definitiv zu kalt. Und zu riskant. Die Engel könnten mich viel leichter entdecken. Auch, wenn ich auf dem Dach des Abschleppwagens mitfahren würde.
Emilia warf mir einen argwöhnischen Blick zu, während sie vorne in das funktionierende Fahrzeug stieg und dann nicht mehr zu sehen war. Während wir auf die Autobahn fuhren versuchte ich es mir in dem engen Auto einigermaßen bequem zu machen. Gelangweilt durchstöberte ich Emilias Handschuhfach. Autopapiere, eine Parkscheibe, Kugelschreiber, nichts besonderes. Unter den Papieren streiften meine Finger jedoch etwas glattes, was ich schließlich hervorzog.
Es war ein Polaroidfoto von zwei jungen Mädchen. Eines von ihnen erkannte ich sofort. Es hatte dieselbe helle Haarfarbe, aber kürzere Haare als heute. Die Augen hatten dieselbe Farbe, wirkten aber ein wenig strahlender als sonst. Um die Nase waren sogar noch mehr Sommersprossen auf der hellen Haut verteilt wie heute. Ihr Mund war zu einem riesigen Lächeln geformt.
Das andere Mädchen neben Emilia hatte ich noch nie vorher gesehen. Der Pony ihrer schwarzen Haare hing ihr beinahe in den dunklen Augen. Ihre Lippen waren zu einem schelmischen Grinsen verzogen.
Die beiden sahen aus wie Tag und Nacht. Wie lange das wohl schon her war? 5 Jahre? Mehr?
Seufzend warf ich das Foto zurück und klappte das Fach wieder zu. Eigentlich interessierte es mich überhaupt nicht.
Während der Fahrt sah ich wie üblich aus den Fenstern und in den Rückspiegel. Ich hoffte, dass die Engel ihre Suche bereits aufgegeben hatten. Keine Ahnung, ob ich es in einem Kampf mit ihnen aufnehmen konnte, wenn sie uns finden sollten.
Es war nicht so, als könnte ich nicht kämpfen. In der Hölle hatten wir anfangs regelmäßig Kämpfe zur Belustigung des Teufels austragen müssen. Natürlich hatten wir nicht sterben können. Aber das war das Schlimme daran gewesen. Man konnte verbrannt werden, zu Brei geprügelt und zerrissen werden, ohne zu sterben. Die Schmerzen musste man trotzdem erleben. Meine Auseinandersetzungen und Prügeleien als Mensch waren dagegen Kinderkram gewesen.
Trotzdem. Ich hatte noch nie gegen Engel gekämpft und darauf konnte ich wirklich auch getrost verzichten.
Ich dachte daran, dass es in der Hölle auch manchmal Engel gegeben hatte. Solche, die gefallen waren. Deren Heiligenscheine auseinandergebrochen waren und in abstrusen Formen als Hörner von ihrem Kopf wegwuchsen. Aber der Teufel hatte die Engel nie kämpfen lassen, jedenfalls nicht, dass ich davon wüsste. Vielleicht waren die Engel in der Hölle eine zu seltene Rarität, um sie in Kämpfe zu stecken.
Der Abschleppwagen nahm eine Ausfahrt und fuhr von der Autobahn herunter. Es dauert nicht lange, bis er einen großen Platz mit einer Autowerkstatt anfuhr. Als wir stehen blieben schlich ich mich aus der Schrottkarre heraus und beobachtete, wie Emilia mit den beiden Männern die Werkstatt betrat.
Ärgwöhnisch trat ich näher und blickte durch die Fensterscheiben. Im Hauptraum der Werkstatt waren beide Hebebühnen bereits von Autos besetzt, an denen ein paar Männer herumschraubten. Hoffentlich würde das nicht lange dauern und wir könnten bald an der Reihe sein. Könnte ich den Prozess nicht irgendwie beschleunigen? Mir fiel jedoch nichts anderes ein, als mich den Männern zu zeigen und sie zu zwingen, zuerst Emilias Auto zu reparieren. Aber wahrscheinlich würde das eher kontraproduktiv sein und noch mehr Zeit in Anspruch nehmen.
"Also", hörte ich eine Stimme hinter mir sagen, sodass ich mich umdrehte. Emilia stellte sich neben mich und schaute ebenfalls durch die Fenster auf die Werkstattarbeiter. "Mein Wagen ist direkt danach dran. Man konnte aber noch nicht einschätzen, wie lange das dauern wird."
"Fantastisch", murmelte ich genervt.
Vielleicht waren wir ja mit dem Zug oder so schneller? Aber wenn die Engel die Flugzeuge kontrollierten, würden sie dann auch andere öffentliche Verkehrsmittel Richtung der Eifel überprüfen?
Plötzlich merkte ich, wie meine Zähne schmerzen. Ich hatte wohl unbewusst den Kiefer angespannt und die Zähne aufeinander gebissen. Wieso konnte denn eigentlich nicht einmal irgendwas in meinem Leben glatt laufen?
"Also gut", meinte Emilia neben mir. "Ich schaue mal, ob ich hier irgendwo etwas Anständiges zu Essen finde."
"Moment mal", widersprach ich und griff nach ihrem Arm, bevor sie weggehen konnte. "Was glaubst du, was du da tust?"
Verdutzt legte sie den Kopf ein wenig schief. "Habe ich doch bereits gesagt. Außerdem tust du mir weh."
Ich spürte, wie sich in meiner Brust noch mehr Ärger anbahnte. Am liebsten hätte ich ihr Handgelenk noch fester gedrückt. "Du willst auf offener Straße herumlaufen? Keine so gute Idee, Skippy."
„Deshalb habe ich uns ja auch eine Verkleidung besorgt", erwiderte Emilia. Vor lauter Verwunderung blieb ich verdutzt still stehen, während sich Emilia streckte und mir etwas über den Kopf streifte.
Langsam drehte ich meinen Kopf zum Fenster und betrachtete meine Reflexion in der Glasscheibe. Auf meiner haarlosen, verbrannten Kopfhaut befand sich eine schwarze Cappy mit der weißen Aufschrift ,Andys Autowerkstatt'.
„Man sieht meine Hörner noch", bemerkte ich halb murmelnd, darüber nachdenkend, wie unfassbar dämlich ich aussah.
Emilia neben mir knotete ihre Haare zusammen und zog sich dann eine genau gleich aussehende Cappy darüber, sodass ihr goldener Haarschopf vollkommen versteckt war. „Sie steht dir", lachte Emilia, als sie mich anblickte. „Du warst früher bestimmt ein Cappy-Träger."
Ich konnte nicht einschätzen, ob sie das ernst meinte oder sich über mich lustig machte.
„Wir gehen nicht weit weg. Wenn das Auto fertig ist werde ich angerufen", meinte Emilia und wedelte demonstrativ mit ihrem Handy in der Hand. Dann setzte sie sich bereits in Bewegung.
Heute war ich einfach viel zu fertig, um mit ihr zu diskutieren. Seufzend folgte ich der strahlenden Emilia, die mit leichtem, schwungvollem Schritt den Ausgang des Parkplatzes ansteuerte. Warum zum Teufel war sie so fröhlich? Worüber könnte man sich in unserer Situation schon freuen?
Die Werkstatt lag ganz am Rande eines verschlafenen kleinen Städtchens, wo wenige Menschen und Autos unterwegs waren. Die Mittagssonne schien am wolkenlosen, blauen Himmel. Ich wünschte, dass es regnen würde, um sich unauffällig unter einem Regenschirm zu versteckten. Die Anspannung lastete gefühlt körperlich auf meinen Schultern und ich rechnete jeden Moment damit, von oben gepackt zu werden.
Wenig später hielt Emilia an, verschwand in einem Imbiss und kam schließlich mit einem gefüllten Wrap in der Hand wieder heraus. Während sie durch die Stadt streifte und ihr Mittagessen beim Gehen aß versuchte ich, mir den weiteren Prozess unserer Reise zu verbildlichen.
Sobald wir in der Nähe der vulkanischen Systeme angelangt waren, würde der Teufel uns wahrnehmen können und uns den Weg zur Hölle freimachen. Dann würde ich Emilia bis herunter in die Hölle zerren, um sie beim Teufel für mein altes Leben einzulösen.
Tja. Das kommt davon, wenn man sich in einen Kerl verknallt, ohne ihn überhaupt zu kennen.
Ich hoffte wirklich, dass mein menschlicher Körper unsere Verzögerungen verkraften würde. Vor zwei Wochen hatte der ganze Plan noch viel einfacher geklungen, als es jetzt war. Natürlich waren wieder scheiß Probleme aufgetreten, die alles komplizierter machten und verlangsamten.
Ich wurde mir meiner Umgebung erst wieder richtig bewusst, als ich einen Schritt auf eine grüne Wiese setzte. Emilia hatte einen Park gefunden. Mit schnellen Schritten ging sie vor, näherte sich dem kleinen See und setzte sich nahe ans Wasser unter dem Sichtschutz eines hohen Baumes auf das Gras.
Unbehaglich warf ich einen Blick in den Himmel und ließ mich zwangsläufig neben Emilia nieder. Die Baumkrone schützte uns wenigstens etwas von möglichen Blicken aus dem Himmel.
Wir saßen dort einige Sekunden, bis ich mir der Stille bewusst wurde. Aufgrund des ungewöhnlichen Schweigens warf ich einen Blick zu Emilia herüber, die leicht lächelnd geradeaus sah. Ich folgte ihrem Blick und entdeckte ein Elternpaar, welches gerade ‚Engelchen, Engelchen, flieg' mit dem Kleinkind in ihrer Mitte spielte.
Als ich wieder zurücksah bemerkte Emilia meinen Blick, woraufhin sie sich nach hinten fallen ließ, sich mit dem Rücken auf die Wiese legte und hoch in die Baumkrone sah.
Vorsichtig legte auch ich mich auf den Rücken und bemühte mich, meine unter der Jacke versteckten Flügel nicht unter meinem Gewicht zu zerquetschen. Über mir schienen sanfte Sonnenstrahlen durch die grün funkelnden Blätter des Baumes. Es war so ruhig und dennoch nicht furchtbar still. Damals hatte ich immer das Gefühl gehabt, jegliche Ruhe würde mir das Gehör zerfetzen. Ich hörte das Plätschern von Wasser, das Zwitschern von Vögeln und das entfernte gemeinsame Rufen von "Engelchen, Engelchen, flieg." Ich schloss die Augen und wünschte mir sehnlichst, zu schlafen. Ohne Unterbrechungen, ohne Alpträume und ohne Schmerzen.
Eigentlich wollte ich gar nicht dringend wieder leben. Es würde mich nicht einmal stören, wenn ich ein paar gute Taten tun und daraufhin sterben würde. Ich wollte einfach nur nicht mehr in der Hölle sein.
Und Emilia war unweigerlich der Preis dafür.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top