1 | Ein Pakt mit dem Teufel
| ♆︎ Xathros ♆︎ |
In der Hölle war es heiß. Verdammt heiß.
Am ersten Tag waren mir sämtliche Haare meines nackten Körpers weggebrannt. An den darauffolgenden Tagen war meine Haut rot geworden und hatte Brandverletzungen erlitten, bis die Brandblasen schließlich alle nacheinander aufgeplatzt waren. Je öfter das passierte, umso dicker waren meine Hautschichten geworden. Über das Rot hatte sich schließlich stellenweise eine schwarze, rußähnliche Hautschicht gelegt, die hin und wieder erneut austrocknete und aufplatzte.
Die scheiß Hitze hatte ständig in den Augen gebrannt, daran erinnerte ich mich noch allzu gut. Die ersten Stunden hatte ich vor lauter tränigem Sichtfeld kaum was sehen können. Wimpern hatte ich auch nicht mehr gehabt, die vor der Hitze wenigstens etwas Schutz hätten bieten können.
Das schmerzhafteste war aber der glühende Boden gewesen. Wenn mir vorher jemand gesagt hätte, dass ich meine Schuhe nicht mit in die Hölle nehmen könnte, dann hätte ich vielleicht weniger Scheiße in meinem Leben angestellt. Mit nackten Füßen ununterbrochen auf hitzigem Sand und Stein zu stehen war eine unerwartete zusätzliche Qual gewesen.
Umso glücklicher war ich um die dicken Schuhe, die ich heute trug. Genauso wie ich für meine Hose aus Leder dankbar war. Nicht nur, weil sie meine Haut ein wenig schützte, sondern weil meine Genitalien nicht die ganze Zeit frei herumhingen. Es war ja schon schlimm genug gewesen, dass mir sämtliche meiner Sackhaare abgekohlt waren. Ständig darauf zu achten, da nicht auch noch verletzt zu werden oder mir irgendwas einzuklemmen war absolut nicht spaßig gewesen.
Die Schuhe und die Hose waren nur einige Errungenschaften, die ich mir durch meine Arbeit für den Teufel verdient hatte. Mit jedem Einsatz seiner magischen Fähigkeiten hatte sich ein neuer Teil der dämonischen Flügel auf meinem Rücken entwickelt. Anfangs war es nur Knorpel gewesen, der sich nach und nach durch meine Haut gebohrt hatte. Irgendwann war dieser zu zwei langen Knochen mit leerem Gerüst gewachsen, bis sich eine dicke, dunkle Haut darüber gelegt hatte, ungefähr so wie es bei Fledermäusen der Fall war.
Der unfassbare Schmerz war es wert gewesen. Es war leichter, sich fliegend in der Hölle fortzubewegen und sich nicht ständig zwischen den nackten, nach einem greifenden Menschen durchquetschen zu müssen. Zwischen solchen, über die ich nun herüber flog.
Wenn man sie so betrachtete, dann konnte man genau die herauslesen, die Neulinge waren. Kurz zuvor abgekratzt und jetzt hier gelandet. Schreiend, heulend und orientierungslos liefen sie herum. Alle hatten ihre Hände schützend vor die Augen gehalten, um sie vor der quälenden Hitze zu schützen. Die meisten waren unfähig, still zu stehen, weil die Hitze unerträglich an den nackten Fußsohlen war. Und weil sie blind umher irrten, rannten sie in die brennenden Stellen hinein, fingen Feuer und verbannten sich den gesamten Körper, ohne nochmal sterben zu können.
Mein Brustkorb zog sich zusammen, als ich an meine Ankunft hier dachte, die genau so wie die dieser armen Seelen abgelaufen war. Niemand, der einen begrüßte oder ein scheiß Wort mit einem sprach. Niemand, der dir erklärte, wo du warst und warum du aus diesem Albtraum nicht aufwachen konntest. Niemand. Der Bastard von Teufel erst Recht nicht.
In der Ferne erschien nun mit jeder Sekunde die Höllenfestung deutlicher und ich flog ein wenig schneller. Nirgendwo in der Hölle war es kühl. In der Festung war es jedoch nicht so schrecklich heiß, weil man im Inneren ein wenig geschützt von der heißen Luft war und die Entfernung zum glühenden Boden höher war.
Ich flog zum oberen Eingang, wo mich die Wachen passieren ließen. Wie immer sah ich ihnen nicht in die Augen und wandte meinen Blick von ihnen ab. Je länger man unter dem Dienst des Teufels stand und je länger man in der Hölle verweilte, umso mehr veränderte der Körper sich. Der Anblick ihrer verkrusteten und vernarbten Hornhaut, ihrer deformierten Hörner auf der Stirn, der dünnen Haut, die sich ganz straff um die knochigen Gesichtsstrukturen spannten und ihrer roten Augen brachte mich jedes Mal zum Schütteln. Und ich sah ihnen mit jedem Tag ähnlicher.
Schließlich blieb ich vor einer großen, grauen Doppeltür stehen. Der Wächter, der stocksteif davor gestanden hatte, trat nun in den Raum ein und schlug die Tür vor meiner Nase zu. Ich wartete, bis er nach kurzer Zeit wieder heraustrat und mir eine der Türen aufhielt.
Der große Saal, in den ich nun eintrat, war bedeckt von nackten, sich räkelnden Höllenwesen. Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg um die Körper herum bis hin zum hinteren Teil des Raumes und trat die Stufen des Podestes hoch.
Oben angekommen versperrten mir einige Wesen die Sicht auf den Teufel. Eines von ihnen drehte sich zu mir um. Die hellen, weiß und grell leuchtenden Augen erschreckten mich, obwohl es nicht das erste Mal war, dass ich solch ein Wesen hier unten gesehen hatte.
Seine Haut war fast noch vollkommen menschlich. Fast keine Verbrennungen oder Verletzungen. Die langen Hörner auf seinem Kopf zeigten nicht nach vorne, sondern zu den Seiten hin. An den Enden waren sie abgebrochen.
"Sind sie nicht wunderschön?", vernahm ich nun die unverkennbare, unmenschlich klingende Stimme hinter den Wesen. Diese traten nun einige Schritte beiseite, sodass mir der Weg zum Teufel frei gemacht wurde.
Die große, teuflische Gestalt auf ihrem Thron winkte locker mit der Hand, noch immer signalisierend, dass mir Platz gemacht werden sollte. Wie immer wendete ich meinen Blick von ihm ab und versuchte, ihn nicht genauer anzusehen.
Der Thron, auf dem er saß, schien sich wie immer wie von selbst zu bewegen. Noch immer gab es Anblicke, bei denen mir unwohl wurde, obwohl ich das Gefühl hatte, schon seit Jahren in der Hölle festzustecken. Der Thron des Teufels war ein Konstrukt, zusammengebaut aus mehreren, aneinandergebundenen Höllenwesen. Es war wie eine Form aus Körpern, wo hier und da ein Arm herausfuhr, um nach dem Teufel zu greifen. Den schien das aber überhaupt nicht zu stören.
"Ja, sicher. Wunderschön", erwiderte ich schließlich. Es war nicht zu überhören, dass ich es überhaupt nicht so meinte.
"Von allen Wesen hier sind sie mir die liebsten", fuhr der Teufel unbeirrt fort, während ich mich mit dem größten möglichen Abstand vor ihm auf den Boden kniete und meinen Kopf senkte.
Das wusste ich. Das hatte er mir erklärt, als ich sie das erste Mal gesehen hatte. Die treusten Ergebenden des Himmels hatten ihren Heiligenschein verloren. Die Hörer, die ihnen nun zu den Seiten wegstanden, waren einmal zu einem Kreis verbunden gewesen, einem Heiligenschein, in dessen Mitte strahlendes Licht geleuchtet hatte. Durch das Licht hatten diese Engel nichts sehen können und hatten auf die himmlische Führung vertrauen müssen.
Aus irgendeinem Grund waren die Hörner jedoch auseinander gebrochen. Oder auseinander gezogen worden. Die deformierten Hornformen sorgten dafür, dass sie niemals wieder zu einem Heiligenschein zusammenwachsen konnten.
Aus dem Augenwinkel erkannte ich, dass der Teufel nun eines der Wesen zu sich winkte. Er packte sein Gesicht und streichelte die Hörner. "Wunderschön. Das Schönste ist, dass dieses heilige Licht sie nicht mehr blenden kann. Sie können zwar nicht mehr mit dem Himmel kommunizieren, aber dafür haben sie ihr eigenes Licht und sind frei. Siehst du?"
Ich hob meinen Kopf, weil der Teufel aufgestanden war und mir das Gesicht des Wesens beinahe in mein eigenes Gesicht drückte. Ich unterdrückte den Drang, zurück zu weichen. Die strahlenden Augen des gefallenen Engels blendeten fast und ich verkniff mir das Bedürfnis, mehrfach zu blinzeln. Versehentlich streifte mein Blick an den Augen vorbei und landete auf dem Teufel.
Ich versuchte, den Blick abzuwenden. Von der roten, glatten, gesunden Haut und der Perfektion seines Gesichtes. Von den rot glühenden Augen und den fehlenden Augenbrauen, an dessen Stelle seltsame Zeichen in die Haut gesetzt waren. Die vollen Lippen, die stets durch ein grausames Lächeln verzogen waren, öffneten sich leicht und präsentierten mir eine Reihe von spitzen Zähnen.
Mein Brustkorb verengte sich. Ich versuchte, all meine Willenskraft zu nutzen, um meinen Blick abzuwenden und den Gedanken, die sich in mein Bewusstsein drängten, keinen Einlass zu gewähren. Langsam und angestrengt bewegte ich meinen Kopf wieder nach unten. Weil das so schwer war, als hielt man ihn in einer Griffzange befestigt, atmete ich schwer, als mein Blick endlich wieder auf den Boden fand.
„Warum hast du mich her bestellt?", brachte ich nun hervor. Er sollte mir endlich seinen Auftrag mitteilen, damit ich schleunigst wieder von hier verschwinden konnte.
Der Teufel zog den gefallenen Engel an einem der deformierten Hörner zurück. Er setzte sich zurück auf seinen Thron, aus dem noch mehr einzelne Hände herausragten und so wirkten, als würden sie ihn fassen wollen, aber zu schwach seien, um richtig zuzugreifen. Der Teufel nahm eine steinerne Schüssel mit roter Flüssigkeit entgegen. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich, wie er sie an die Lippen setzte und daraus trank.
„Also", äußerte er sich schließlich endlich. „Es gibt da etwas, was ich dir lange verschwiegen habe."
Mein Blick blieb gesenkt. Das war keine Überraschung. Dieser Mistkerl fütterte einen immer nur happenweise mit Informationen über diese verschissene Welt. Innerlich fast platzend wartete ich, bis er nochmal einen Schluck getrunken hatte und sich dann die Lippen leckte.
„Dein menschlicher Körper, Xathros", sagte der Teufel. „Er ist noch am Leben."
„Was?", entfuhr es mir. Ich hob den Kopf, erinnerte mich aber gerade noch rechtzeitig daran, ihm nicht in die Augen zu sehen.
„Er ist nur in komatösem Zustand. Was bedeutet, dass du eigentlich noch überhaupt nicht tot bist."
Mein Blick war starr geradeaus auf den Boden gerichtet. Mir entging nicht, dass der Teufel durch mein so offensichtliches Interesse amüsiert war. Aber es kümmerte mich nicht. „Sagst du wirklich die Wahrheit?", äußerte ich meine nagenden Zweifel laut.
„Nun ja, beweisen kann ich es dir momentan nicht", erwiderte er. „Du kannst dich natürlich dafür entscheiden, mir keinen Glauben zu schenken und weiter deine Wege in der Unterwelt gehen."
Ich biss die Zähne aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten. Spielte er Spiele mit mir? Sollte das irgend so eine Art Probe sein?
Aber was, wenn es stimmte? Wenn mein menschlicher Körper noch immer am Leben war? Wenn ich irgendwie aufwachen und aus der Hölle entfliehen könnte?
„Was würde es dir nützen, mir davon zu erzählen?", hinterfragte ich nun.
„Ich trage schon meinen Nutzen davon, keine Sorge", winkte er ab. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie der Teufel aufstand und Richtung Fenster ging. Na ja, ohne das Glas war es wohl eher ein Loch in der Wand, wodurch man die Unterwelt beobachten konnte, so weit wie das Ende des Horizonts es zuließ.
„Es wird allerdings nicht leicht sein, deinen menschlichen Körper zu wecken", begann der Teufel nun, während ich auf seinen haarlosen Hinterkopf starrte. „Dafür müsstest du aus der Hölle befreit werden. Damit meine ich nicht einen Ausflug in die Zwischenwelt. Sondern eine gänzliche Befreiung."
Meine Gedanken rasten. Mir war nicht einmal bewusst gewesen, dass Ausflüge in die Zwischenwelt möglich waren. In die Menschenwelt. Durch die auch ich vor einiger Zeit noch gegangen war.
„Wie?", fragte ich nun misstrauisch. „Wie geschieht so eine gänzliche Befreiung?"
„Jemand muss sich für dich opfern, Xathros. Um genau zu sein: Eine Person, die dich liebt."
„Hah", entfuhr es mir mit einem schnaubenden Lachen. Wenn das der einzige Weg war, brauchte ich gar nicht erst anfangen, mir Hoffnungen zu machen. „Ich kann dir zu hundert Prozent versichern, dass so eine Person nicht existiert. Glaub mir."
Mit einem Ruck drehte der Teufel sich um und ich wandte schnell meinen Blick wieder ab.
„Was, denn doch?"
Ich wagte einen Blick zu seinem Mund, der zu einem grausigen Grinsen verzogen war.
„Wenn es in der Zwischenwelt doch jemanden gibt, der dich liebt?", kam es zwischen seinen Lippen hervor.
Jemanden, der mich liebte? Meine Eltern waren es nicht. Da war ich mir ganz sicher. Mein Bruder? Ich dachte bisher immer, er wäre ebenfalls in dem Unfall umgekommen. Hatte auch er überlebt? Aber selbst wenn, auch bei ihm war ich mir sicher, dass er mich nicht liebte. Ich meine, er mochte mich ja nicht einmal.
„Dann wäre das echt eine neue Information für mich", antwortete ich nun und konnte den spöttischen Unterton in meiner Stimme kaum verbergen.
Mit langsamen Schritten trat der Teufel an mich heran und legte seine Schüssel vor mir ab. Bei dem roten, flüssigen Inhalt fragte ich mich, ob es Blut war. Was mich ganz und gar nicht überraschen würde, wenn es so wäre.
Das Höllenwesen hockte sich vor mir nieder, legte seine knochigen Finger um das steinerne Gefäß und hob es leicht an. Mit einem Mal begann die Flüssigkeit, sich leicht zu bewegen, bis sie zu einer ovalen Form wurde. Nach und nach erkannte ich Merkmale in dem sich formenden Gesicht. Eine Nase, einen Mund. Geöffnete Augen mit dichten Wimpern.
„Emilia May", sprach der Teufel schließlich, während das Bild immer deutlicher und klarer wurde. „Kommt sie dir bekannt vor?"
„Überhaupt nicht", widersprach ich ehrlich. Ich hatte keine Ahnung, wer diese Person war. Geschweige denn, ob eine junge Frau mit dem Namen Emilia May und diesem Gesicht überhaupt in der Zwischenwelt existierte.
„Würdest du es tun?"
Die Schüssel fiel zu Boden und einiges an rotem Inhalt spritzte heraus. Die Finger, die gerade noch darum gelegt waren, umgriffen nun meinen Kiefer und bohrten sich in die Haut hinein. Der Teufel zwang mich, in seine Augen zu sehen. Diese blutroten Augen, bei deren Anblick das Schlechteste in einem hervorkam. Oder bei dem einfach nur das Verborgenste in einem hervorkam.
„Würdest du zulassen, dass sie deinen Platz einnimmt? Sich für dich opfert?"
„Natürlich würde ich es tun", antwortete ich. „Sie bedeutet mir nichts."
Für einige weitere, quälende Sekunden starrte der Teufel mich an, als blickte er in die Abgründe meiner Seele hinein. "Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum du die Hölle eigentlich verdienst", flüsterte er mir mit Abscheu in der Stimme ins Gesicht.
"Weshalb würdest du mich dann gehen lassen?", wollte ich wissen, während es sich anfühlte, als würde mein Kiefer jeden Moment zerbersten.
Der Teufel antwortete mir nicht, jedenfalls nicht mit Worten. Aber vielleicht kam auch bei meinem Anblick das Verborgenste hervor.
Weil ich sie haben will, schienen seine Augen zu sagen.
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