Kapitel 6 - Zweifel
Zumindest hatte Shota somit Zeit gehabt, den Bericht für Tsukauchi zu schreiben, während er das Training der Klasse überwachte. Doch er legte bald den Stift beiseite, nachdem er das Nötigste zu Papier gebracht hatte, und sah den Kindern zu. Vielleicht war es gar nicht schlecht, wenn er zuguckte um ebenso etwas dazu zu lernen. Er hatte sich schon gestern vorgenommen, mit Yamada zu trainieren, sobald es ihm besser ging und Recovery Girl grünes Licht gab. Außerdem musste er auch noch Tipps geben, falls etwas falsch gemacht wurde und wo es Verbesserungspotential gab, damit man wenigstens noch behaupten konnte, er hätte eine Unterrichtsstunde abgehalten, anstatt in Gedanken zu versinken und die Heldenkommission zu verteufeln.
Kaum als die Stunde vorüber war, machte er sich auch schon auf den Weg ins Krankenzimmer, wo ihm die Alte jedoch erklärte, dass Hizashi schon weg war. Nemuri hatte ihn abgeholt und ins Lehrerwohnheim gebracht, wo er auf dem Sofa im Gemeinschaftsraum lag und von ihr bemuttert wurde, als hätte er sich eine schwere Grippe eingefangen.
„Da wird man fast eifersüchtig", scherzte Shota trocken, als er auf die beiden zutrat, seine Tasche neben das andere Sofa fallen lassend. Yamada sah aus dem Berg an Decken und Kissen auf, und warf seinem Freund einen kurzen, hilfesuchenden Blick zu. Sein Gesicht war immer noch weiß wie ein Blatt Papier, und auch sonst wirkte er nicht sonderlich vital. Kein Wunder, dass Kayama so einfach über ihn verfügen konnte, schließlich konnte der Blondschopf sich nicht wehren.
„Du wolltest gleich wieder arbeiten! Ich war drauf vorbereitet, euch beide zu pflegen, aber du warst schon weg", motzte Midnight vorwurfsvoll, ehe sie sich erhob und auf Shota zuging, „was mich aber jetzt nicht daran hindert, das nachzuholen!" Es klang tatsächlich wie eine Drohung und die Tatsache, dass sie Aizawa schnappte und aufs Sofa schubste, ehe sie ihn in eine Decke wickelte, ließ es auch zu einer werden. Er war viel zu überrumpelt, als dass er sich hätte wehren können. Außerdem hinderte ein Schmerz im Bein ihn daran, zu flüchten, sodass er sich geschlagen geben musste. Er konnte ihr auch kaum einen Tritt oder Faustschlag verpassen, um sich zu befreien.
Triumphierend stand Kayama über ihnen und stemmte die Hände in die Hüfte, bevor sie mit einer Moralpredigt begann. „Ich schwöre euch beiden! Wenn ihr nicht besser auf euch aufpasst, werde ich euch in einem Turm einsperren! Ehrlich mal! Was habt ihr euch dabei gedacht?" Vorwurfsvoll sah sie die beiden an, als ob sie etwas dafür konnten, dass sie angegriffen worden waren und alles schieflief. Schließlich hatte der Plan ganz anders ausgesehen und einen Kampf nie vorgesehen.
„Das gehört nun mal zum Beruf", versuchte Shota sie zu erinnern, und befreite sich etwas von der Decke, weil er sich fühlte wie ein eingequetschtes Sushi und es darunter furchtbar heiß wurde. „Verletzungen gehören nun einmal dazu. Als Held hat man ein gewisses Berufsrisiko!" Dass ihr das fremd sein könnte, war ihm durchaus bewusst, schließlich versetzte sie ihre Angreifer sehr leicht in einen harmlosen Zustand, indem sie diese ins Reich der Träume schickte. So einen Vorteil hatten die beiden Männer leider nicht.
Yamada seufzte nur und sah betreten zu Boden. „Beruf ... ja", murmelte er vor sich hin und verzog seine Miene. „Ich bin mir da nicht mehr so sicher, ob ...", begann er, brach aber ab und schüttelte den Kopf, „ach vergesst es." Eigentlich hatte er gar nicht vorgehabt, seine momentanen Gedanken überhaupt anzusprechen.
Kurz trafen sich die Blicke von Nemuri und Shota. Was war nur los mit dem sonst so lauten und stets gut gelaunten Present Mic? Irgendetwas stimmte da doch nicht. Vielleicht war er einfach nur noch immer etwas müde. „Alles in Ordnung? Du weißt, dass du mit uns reden kannst, ja?", versicherte Midnight ihm und sah ihn aufmunternd an, „dafür sind Freunde schließlich da."
Mic starrte auf seine Bettdecke und begann am Stoff herumzufummeln, ihren Blicken ausweichend. „Naja ... ich habe nachgedacht ... über das was die Schurken gesagt haben ... und über Tensei", erklärte er, während er immer wieder stockte und nachdachte, „ich meine ... der Typ war schon immer einer der aufrichtigsten Kerle, den wir kennen und trotzdem hat der Heldenmörder ihn angegriffen ... Ingenium wurde Held, weil er den Menschen helfen wollte, wirklich richtig helfen und sie retten! Und trotzdem hat Stain ihn fast getötet ... da beginnt man einfach nachzudenken ..." Erneut entfuhr ihm ein schwerer Seufzer.
Besorgt musterten die beiden den Grünäugigen, der es immer noch nicht wagte aufzusehen. „Komm schon, Mic. Du weißt doch, dass der Heldenmörder ein Irrer ist und seine Anhänger ebenso. Du bist doch aus denselben Gründen Held geworden wie wir alle!", erinnerte Nemuri den Blonden, während sie sich zu ihm auf die Sofakante setzte.
Doch Yamada seufzte nur vor sich hin. „Bin ich das? Ich fand es immer eher amüsanter mit meiner Macke legal Leute anbrüllen zu können. Das ist wohl kaum sehr heldenhaft", gab er zu und rieb sich den Arm, „im Grunde genommen hätte ich es mehr verdient vom Heldenmörder angegriffen zu werden als Ingenium! Vielleicht stand ich ja auch auf seiner Liste, er konnte ja schließlich nicht sein Werk fortsetzen, weil ..."
„Schluss damit!", entfuhr es Shota laut und wütend, „du dämlicher Idiot! Du hast oft genug bewiesen, dass du es wert bist, den Titel eines Helden zu führen. Und vielleicht hattest du als Kind einen wenig heldenhaften Vorsatz dafür, aber wir beide wissen, dass wir uns entwickelt haben und du ohnehin nur gern blöde Sprüche klopfst und das nur einer davon ist. Lass dich von einer Horde Verrückter nicht so runterziehen, verdammt nochmal. Das hast du nicht verdient!"
Natürlich wusste Hizashi, dass so etwas aus dem Mund des Schwarzhaarigen keine leeren Wortgebilde waren, dennoch lächelte er bitter, und zog eine Grimasse. „Das ist wirklich lieb von dir, aber du hast selbst schon oft genug gesagt, dass das Heldentum nur mehr ein Beliebtheitscontest ist und dich das ankotzt ... und ich habe langsam das Gefühl, dass mir das auch zu wichtig geworden ist, was mich zu einem beschissenen Helden macht, der auch nicht sonderlich gut kämpfen kann."
Es kam selten vor, dass Shota bereute, was er gesagt hatte, weil er wirklich kaum Mist von sich gab und alles meist so meinte, wie es über seine Lippen kam. „Das war nie auf dich bezogen, Hizashi", murmelte er. Wobei es doch auch auf ihn zutraf, schließlich tauchten Mic und Midnight in dem Ranking auf, viel weiter vorne als Eraser, der darauf aber auch keinen Wert legte. Er blieb lieber unerkannt, was seine Arbeit auch tausendmal einfacher machte. Sonst wäre er auch ein schlechter Undergroundhero. „Du bist einfach nur aus der Übung. Wir werden demnächst anfangen, zu trainieren. Du musst besser im Nahkampf werden, wenn du mich weiter begleiten willst." Hoffentlich würde er diese Worte nicht auch noch irgendwann bereuen, auch wenn er eher hoffte, seinen Freund damit anzuspornen.
Der Blonde äußerte sich jedoch nicht dazu, sondern versank stumm in seinem Kissen, was bei jemanden wie ihm meist nie ein gutes Zeichen war. Doch keiner der beiden anderen wagte, noch etwas zu sagen, weil sie auch unsicher waren, was sie noch anfügen könnten, damit er sich besser fühlte. Solche Zweifel aus seinem Mund waren ihnen neu. Wobei Mic bisher immer schon alles am besten von allen überspielen konnte und man ihm schlechte Laune auch niemals wirklich ansah. Er war eben immer in seiner Rolle als Present Mic, der Voicehero und Showmaster, der für Stimmung sorgte und die Leute nachts übers Radio wachhielt. Da blieb auch kein Platz dafür, ein Miesepeter zu sein.
Yamada war froh, dass seine Freunde ihn daraufhin in Ruhe ließen. Er hatte keine große Lust sich weiter zu erklären. Auch wenn er ein Mensch war, der immer wusste, wie er sich ausdrücken sollte, und sich auch nicht zu schade dafür war, über Gefühle zu sprechen, zog er es nun lieber vor, wie Shota einfach dicht zu machen. Zumindest so lange, bis er sich sicher war, wie er es ansprechen sollte, was er sich im Moment dachte. Wie sollte man schließlich seinen besten Freunden beibringen, dass man den Job als Held an den Nagel hängen wollte?
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