Als ich Rebecca das erste Mal sah...
Die wenigen Lichtstrahlen, welche sich einen Weg durch meine zugezogenen Vorhänge bannen konnten, kribbelten angenehm auf meiner Haut. Noch im Halbschlaf kuschelte sich mein Körper in die Decke, welche mir Wärme spendete. In der Mitte des roten Bettbezuges war ein schwarzer Narrenkopf, den man auch auf dem Kissen sehen konnte. Leise drang das Gezwitscher der Vögel zu mir durch und lies mich aufschrecken. Mein müder Blick schaute zur alten Standuhr meinem Bett gegenüber, der Stundenzeiger stand kurz vor der 10, womit sich meine Vermutung bewahrheitete. Ich hatte verschlafen. Unüberlegt sprang meine Wenigkeit auf und schlüpfte schnell in die Uniform, die achtlos über dem Schreibtischstuhl hing. Sobald die Jacke ordentlich zugeknöpft war, sammelte ich meine Sachen zusammen und rannte los. Die leeren Gänge des Wohnheims, wurden durch die schon am Himmel stehende Sonne beleuchtet. Ab und zu konnte man ein paar herumschwebende Staubteilchen wahrnehmen. An der Decke hingen gleichmäßig verteilte Kronleuchter, sie gehörten zwar nicht zu den großen Exemplaren, die man oft in Ballsälen sah, aber sie verliehen dem Gebäude eine edlere Ausstrahlung. Die dunkle Tapete wurde von vielen Ornamenten geziert, welche man erst auf den zweiten Blick erkennen konnte. Auch wenn es sich dabei nur um schlichte Rankenmuster handelte, sah es, im Kontrast zu dem alten, schon angerauten Paneel, welches den unteren Teil der Wand umschloss, sehr altertümlich aus. Schnell verlies (?) ich das Wohnheim und eilte zum Schulgebäude. Die ersten beiden Stunden, also meine einzigen Musikstunden in der ganzen Woche, hatte ich definitiv verpasst. Laut schallten meine gehetzten Schritte den Flur entlang, bevor die geöffnete Tür zu meinem Ethik-Kurs in mein Sichtfeld trat. Der Lehrgang fand in einem der hintersten Räume statt. Unbemerkt schlüpfte ich in den Saal und schlich mich in die hinterste und damit höchstgelegene Sitzreihe zu meinem Fensterplatz. Zum Glück stand unser Lehrer Toga Yagari, ein sehr mürrischer und strenger Mann, mit dem Rücken zu der Klasse und schrieb groß: Vorurteile, an, bevor er sich uns wieder zu wand und sein kalter Blick über die Schüler wanderte. „Ah, Luciel schön dass sie uns mit ihrer Anwesenheit beehren..." schweren Schrittes ging er zum Lehrerpult und schaute in ein geöffnetes Buch. „Soweit ich weiß waren sie in den ersten beiden Stunden abwesend. Wollen sie uns vielleicht den Grund mitteilen?" sein harter, neugieriger Blick lag auf mir, und löste in der ganzen Klasse ein unangenehmes Gefühl aus. Gerade als sich mein Mund öffnete um kurz Luft zu holen, stellte ich erschrocken fest, dass irgendwas meinen Brustkorb blockierte, als würde man mir einen Stein auf diesen legen. Eingeschüchtert erhob ich dann doch das Wort: „Nun ja, ich hatte gestern Probleme einzuschlafen- der Grund sollte ihnen ja bekannt sein. Auf jeden Fall habe ich deswegen meinen Wecker überschlafen. Entschuldigen sie."
Es stimmte wirklich, das ich am Vorabend Probleme damit hatte einen ruhigen Schlaf zu finden, allerdings hatte meine Wenigkeit es nach einer Weile des Versuchens aufgegeben und hatte gegen die Ausgangssperre verstoßen. Aber es hatte sich gelohnt, denn das Gespräch mit dem Night-Class Schüler, dessen Name Nathen war, hatte mir viele Informationen über Becci gebracht. Wie in Trance kritzelte meine Hand seine Erzählung wortgetreu an den Rand des Ethik-Buches:
„Weißt du, als ich Rebecca das erste Mal sah, saß sie ganz allein und weinend am Brunnen. Ihre Uniform war an manchen Stellen kaputt geschnitten und einer ihrer Zöpfe hing weiter unten als der Andere. Ihr Kopf lag auf ihren verschränkten Armen und sie zitterte. Mir war klar was passiert sein musste. Ein paar ihrer Mitschüler hatten sie aufgelauert, sie geschlagen, ihre Sachen zerschnitten und sie dann zurückgelassen. Damals konnte ich den Mut nicht aufbringen, sie einfach beim Klassenwechsel anzusprechen- schließlich könnte das ihre ganze Situation noch zusätzlich verschlimmern. Also ging ich zu ihr um sie zu trösten oder den Schmerz wenigstens ein wenig zu lindern. Wir verstanden uns wirklich gut, was uns dazu brachte heimliche Treffen zu organisieren. Sie redete wirklich gern, und vor allem erzählte sie viel über dich, die große Schwester die immer alles richtig tat, sie immer beschützte, alles konnte und einfach ihr größtes Vorbild war. Becci wollte so stark wie du sein und ertrug deswegen viele Attacken ihrer Schüler schweigend oder wehrte sich nur mit Worten- was nicht immer klappte, aber am Ende konnte sie wenigstens sagen: Luciel hätte es auch so getan. Nach den Herbstferien jedoch, wehrte sie sich gar nicht mehr, sie redete auch nicht mehr so viel und wirkte sehr bedrückt. Ich schaffte es ein paar Wochen sie aufzumuntern, sie zu stützen und zu beschützen. Jeden Abend versprach sie mir, dass sie mich am nächsten Tag wieder treffen würde. Doch irgendwann kam sie nicht mehr...am nächsten Morgen ging das Gerücht um, dass sie sich umgebracht hätte...ich wollte es nicht glauben- bis Kaname es mir persönlich bestätigt hatte..."
Aus irgendeinem Grund hatten sich die Worte in mein Gedächtnis gebrannt, unauffällig überflogen meine Augen die Zeilen noch einmal. Irgendwas musste ich überlesen- etwas was dafür sorgte, dass mir die Worte so gut in Erinnerungen blieben. Vielleicht erschien es mir zu offensichtlich oder mein Gehirn wollte es einfach nicht wahr haben, weil es eventuell auf Schuld an ihrem Nervenzusammenbruch, bei mir hinwies.
Das schrille Klingeln zur Pause riss mich aus meinen Gedanken, im Klassenraum ertönten überall erleichterte Seufzer und die Schüler packten schnell ihr Ethik- Buch in die Ranzen. Jedoch handelte es sich nur um eine 10 Minuten Pause, weswegen alle außer Yagari im Raum blieben. Der Lehrer war merkwürdig. Er hatte gewellte, schwarze Haare und trug eine Augenklappe, außerdem schien er den schlafenden Vertrauensschüler neben mir zu kennen. Die Beiden versuchten zwar es zu leugnen, allerdings wurde der Blick von Zero immer wehmütig, wenn er Yagari ansah- als würde er irgendeine Tat bereuen. Unbemerkt wanderte mein nachdenklicher blick zu dem Silberhaarigen, der wie immer im Unterricht schlief genau wie Yuki zwei Reihen weiter vorne. Auch ihr Kopf lag auf dem Tisch, während sie gleichmäßig atmete. Die Vertrauensschüler hatten es aber auch wirklich nicht leicht, schließlich mussten sie jeden Abend auf Patrouille gehen, welche teilweise erst um vier Uhr morgens endete. Manche der Day-Class Schüler kamen nämlich auf die Idee, die Eliteklasse während deren Unterrichtsstunden zu beobachten und heimlich Bilder zu machen- diese Leute nennt man Nachtschwärmer. „Was starrst du mich so an?" scharf zog ich die Luft ein, als mir klar wurde, dass der Silberhaarige wach war und mich kühl anschaute. „Entschuldigung..." nervös lachte ich: „mir ist nur aufgefallen wir müde du und Yuki-Chan immer seid. Es muss echt ätzend sein, die ganze Nacht über den Hof zu rennen, nur weil die Mädchen der Day-Class sich nicht an die Regeln halten können."
„Wem sagst du das..." murrend wand er sich der Tafel zu: „Dich habe ich bis jetzt nur zwei Mal beim Gebäudewechsel gesehen. Wie kommt es?"
„Mir sind Menschenmassen sehr unangenehm, sowie die Lautstärke der Mädchen...außerdem finde ich es albern so einen Tumult für ein paar Schüler zu machen."
Zero nickte nur leicht, aber auch wenn er nach vorne schaute, dachte ich die Andeutungen eines kleinen Lächelns auf seinen Lippen zu sehen...
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