xii. neun

Die Nacht hatte ihre langen Finger um Hogwarts zahlreiche Türmchen geschlungen und sich wie ein dunkler Samtvorhang über den See gelegt. Unter Julies Stiefeln knirschten die ersten Blätter des Herbsts, der hier im vergleichsweise nordischen Schottland schneller ins Land gezogen war als sie es aus dem Institut gewohnt war, das geschützt in der Senke, die die Mosel in jahrhundertelanger Anstrengung durch Luxemburg gegraben hatte, lag. Über die Hänge erstreckten sich kilometerweite Weinfelder, die dem Tal eine leicht italienisch angehauchte Atmosphäre verliehen und Julie gegen die regnerische Kälte Großbritanniens mit seinen tiefen Wäldern und den weiten Mooren nicht gewappnet hatten. 

Vor ihr hob sich das Bootshaus aus den Schatten der umstehende Weiden ab. Die Bäume wiegten ihre langen, fühlerartigen Zweige im lauen Wind und umhüllten die steinernen Mauern, als versuchten sie, sie von der Außenwelt abzuschirmen. Julie hatte sich das Bootshaus deutlich kleiner vorgestellt, wie eine Hütte oder einen Verschlag, doch das Gebäude, das sich nun vor ihr erhob, schien ganz in Hogwarts' herrschaftlich-glamourösen Stil gehalten zu sein. 

Sie betrat das Haus durch eine leicht offen stehende Seitentür, die in den dicken, hohen Mauern klein und verloren wirkte. Ihre Schritte hallten auf dem Pflasterstein und sanfte Wellen schwappten gegen die von Algen überzogenen Beckenmauern in der Mitte der Halle. 

Julies Augen tasteten sich durchs Halbdunkel - das einzige, was ihr Licht spendete waren die Petroleumleuchten an den Wänden und der schwache Mondschein, der sich durch die spitz zulaufenden Fenster schlich. Doch egal wie sehr sie sich anstrengte, sie konnte im schummrigen Licht keine menschlichen Silhouetten ausmachen. War das alles nur ein Scherz? Saß hinter der nächsten Mauer eine Horde Slytherins, die der Neuen aus Gryffindor einen fiesen Streich spielen wollte? Lag Regulus längst wieder in seinem Bett im Schlafsaal im Kerker, enttäuscht darüber, dass Julie nicht aufgetaucht war? Sie tastete vorsichtshalber nach ihrem Zauberstab. 

Bevor sie ihn jedoch zücken konnte, entdeckte Julie in einem der kleinen Boote, die im Becken angedockt lagen, einen schemenhaften Umriss. Regulus saß auf dem Süllrand des Ruderbootes, die bestiefelten Füße gegen die gegenüberliegende Bordwand gedrückt, um die Balance zu halten. Sein Rücken lehnte an der nasskalten Felsmauer und er hatte den Blick gen Boden gerichtet, als würde auf dem Bodenrost unter ihm etwas unfassbar spannendes vor sich gehen. 

Regulus sah auf, als Julie die gepflasterte Dockzufahrt herabstolperte. "Danke, dass du gekommen bist. Ich dachte schon du schaffst es nicht mehr - oder du versuchst erst gar nicht, es zu schaffen." Die groteske Mischung aus Schmerz und Gleichgültigkeit, die in seiner Stimme mitschwang, ließ es Julie kalt den Rücken herunter laufen. 

All die Jahre seit Sirius Black sich von der Reinblutgesellschaft losgesagt hatte (in einer Familie wie den Blacks war Blutsverrat so selten und so rufschädigend, dass selbst die Rosenhayns in Luxemburg damals davon erfahren hatten) hatte Julie nur darüber nachgedacht, wie Sirius sich fühlen musste, enterbt und verstoßen von seinen eigenen Eltern. 

Nie hatte sie dabei an seinen kleinen Bruder gedacht und daran, wie sehr er unter dem Verlust zu leiden hatte. Nie hatte sie daran gedacht, wie viel härter Orion Black seinen jüngsten Sohn maßregelte, war er nun doch die einzige Chance, den Ruf der Blacks zu bewahren - oder sollte man sagen, wiederherzustellen? Julie wollte sich gar nicht vorstellen, welcher Druck von Tag zu Tag auf Regulus lastete. 

Sie lächelte ihn schief an, in der Hoffnung, den Schmerz in seiner Stimme zu ersticken. "Ich wurde aufgehalten, rausschleichen ist anscheinend nicht so meine Stärke." 

Regulus war inzwischen von der wackligen Bootskante geklettert und hatte sich auf einer der Sitzplanken niedergelassen. "Hüpf rein, wir machen einen kleinen Ausflug." Seine Augen funkelten abenteuerlustig und Julie hatte das Gefühl, noch nie so viel Emotion in ihnen gesehen zu haben. 

Mit etwas wackligen Knien kletterte sie über die Holzverkleidung des Bugs. Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sie Regulus trauen konnte. Natürlich waren sie in ihrer Kindheit befreundet gewesen, doch die Zeiten ändern sich und Julie wusste nicht, wie tief Regulus in der Reinblutnummer drinsteckte. Ob er er ihr drohen würde, wenn sie, ihm hilflos ausgeliefert, in einem winzigen Ruderboot in der Mitte des Sees fest saß. Ob den Slytherins (und vor allem Julies Großeltern) so viel daran lag, sie nicht an die Blutsverräter zu verlieren. 

Regulus musste ihre Nervosität bemerkt haben. "Philine - bitte vertrau mir. Dieses eine Mal." Julie spürte wie ihr Herz bei der Enttäuschung, die seine Stimme bitter belegte, noch einen weiteren kleinen Knacks machte. Sie lies sich auf der zweiten Sitzplanke nieder, sodass sie ihm direkt gegenüber saß. Regulus stieß sich mit den Rudern von der Beckenmauer ab und ließ das Boot langsam aus dem Dock auslaufen.

Der See fing den Sternenhimmel auf und lies die Wellenkämme funkeln wie ein Meer aus Diamanten. Julie betrachtete ihren Gegenüber - etwas anderes hätte man auf einem einsamen See wohl auch kaum machen können. Regulus hatte seine kindlichen Züge, die besonders neben seinem großen Bruder immer hervor gestochen waren, vollends abgestreift. Schwarze Strähnen hingen ihm in die sturmgrauen Augen und umschmeichelten seine feinen Gesichtszüge, die ihm einen aristokratischen Hauch verliehen. Julie hatte Regulus als schwächlichen, schmalen Jungen in Erinnerung gehabt, doch das Quidditchtraining schien seine Wirkung zu zeigen - unter dem dünnen Hemd, das er trug (für Julie war es ein Wunder, dass er noch nicht erfroren war) zeichneten sich deutliche Muskeln ab. 

Der Slytherin hatte inzwischen die Paddel angezogen und das Boot trieb nun mehr leicht vor sich hin, während das Wasser Bug und Heck plätschernd umspielte. "Ich fahr immer hier raus, wenn ich meine Ruhe haben will. Keiner da, der mich stören könnte." Regulus neigte seinen Kopf leicht zur Seite, um die verspannte Muskulatur im Nacken zu lösen. 

In der Ferne leuchteten schwache Lichter aus Hogwarts' Turmfenstern und der Mond erhellte die scharfen Felsklippen, auf denen das Schloss über die umliegenden Ländereien hinabschaute.  

"Du willst also nicht gestört werden? Was mach ich dann hier?"

Regulus zog die Augenbraue hoch. "So hab ich das nicht gemeint, Line, das weißt du. Ich will nicht, dass uns jemand zusammen sieht, besonders nicht meine-", er stockte kurz, bevor er sich wieder fing. "Besonders nicht meine Freunde." 

"Bin ich dir so peinlich?" Witzelte Julie, obwohl ihr gerade überhaupt nicht zu Späßen zumute war. Wenn Regulus von den Slytherins nicht gesehen werden wollte, konnte das nur bedeuten, dass etwas in der Reinblutgesellschaft vor sich ging, von dem die Rosenhayns nichts wussten - oder besser, nichts wissen sollten. 

Regulus schluckte schwer. "Du weißt, dass du mir nicht peinlich bist, das wirst du auch nie sein. Ich verliere nicht noch jemanden, weil meine Eltern, meine Freunde, es mir vorschreiben. Nicht nach-". Er sah zu Boden. 

"Nicht nach Sirius." vervollständigte Julie seinen Satz mit einem verständnisvollen Nicken. "Regulus, ich weiß, dass du dich wahrscheinlich nicht mit mir sehen lassen kannst, ohne Gefahr zu laufen als Blutsverräter abgestempelt zu werden, aber bitte sag mir, dass du mich aus einem trifftigen Grund hier treffen wolltest. Mir wird nämlich langsam echt kalt." 

Zum ersten Mal an diesem Abend lächelte Regulus. Dann griff er in den Heckraum hinter sich und streckte Julie einen Slytherinblazer entgegen. "Dass du so eine Frostbeule bist, wusst ich nicht." Sie nahm dankbar die Jacke entgegen. Julie hatte zwar gedacht, ihr dünner Herbstmantel - ein taupefarbener Trenchcoat mit rosig bestickten Epauletten - würde genügen um der nächtlichen Kälte stand halten, doch scheinbar hatte sie Schottlands Temperaturen mächtig unterschätzt.

Als Julie Regulus ansah, war sein Lächeln längst in die Dunkelheit verflogen, er hatte sich anscheinend erinnert, wieso er sich mit der Rosenhayn treffen wollte. 

"Es geht um deine Eltern, Julie.", er griff nach ihrer zarten, kalten Hand, wollte ihr Halt geben, in dem Orkan der Gefühle, der gleich über sie hereinbrechen würde. 

"Du weißt, wie sie zum dunklen Lord stehen, dass sie sich für keine Seite entschieden haben, und du weißt wahrscheinlich auch, dass nicht jede Reinblutfamilie so besonders glücklich über diese Einstellung ist. Ich habe gehört, wie meine Eltern nachts geredet haben, mit Riddle, mit den Lestranges und mit den Malfoys, weiß Gott wer sonst noch da war. Sie saßen alle zusammen in unserer Lounge, als wäre das, was sie besprochen haben, ganz alltäglich." Er atmete tief durch und massierte sein Stirnbein, als würde es ihm sehr schwer fallen, die nächsten Worte über die Lippen zu bringen.

"Sie werden deine Eltern vor die Wahl stellen, Philine. Entweder sie schließen sich den Todessern an, oder-" seine Augen trafen auf Julies. Sie ahnte es bereits. "oder der Dunkle Lord wird sie eigenhändig umbringen." 

Julie atmete zittrig ein und aus, versuchte sich irgendwie zu beruhigen. Doch wie könnte sie das? Wie könnte sie sich beruhigen, wenn Regulus ihr gerade überbracht hatte, dass ihre Eltern sterben würden? Sie wusste, dass Aurelien Rosenhayns Herz zu gut war, dass er seiner Moral zu treu war, um sich jemals dem Bösen zu verschreiben. Sie wusste auch, dass er zu sturköpfig war, um wegzulaufen. Er würde dem Tod ins Auge sehen und mit reinem Gewissen von der Erde scheiden. Wäre er nach Hogwarts gegangen, wäre er ein Gryffindor gewesen, da war Julie sich sicher.

"Wann?" Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauchen, das sich im Wind verlor.

"Ich weiß es nicht, aber es wird bald passieren. Der Dunkle Lord ist weit genug mit seinen Plänen, mit seiner Armee, um nun auch die letzten, größten Hindernisse aus dem Weg zu räumen." Er fing mit dem Daumen eine Träne auf, die Julies Wange herunter kroch. 

"Es tut mir so unglaublich Leid, Philine, aber das ist noch nicht alles." 

Sie sah ihn an, ihre Augen waren tränengefüllt. Und doch konnte das, was jetzt kommen würde - was immer es auch sein mochte - sie nicht mehr treffen. Was könnte schlimmer sein, als der Tod ihrer Eltern? 

"Nach dem Tod deines Vaters bist du die nächste in der Thronfolge, wie du weißt, und die Tatsache, dass du eine Gryffindor bist, hat den Dunklen Lord verunsichert. Du wirst heiraten, Julie, Rabastan Lestrange." Es war das erste Mal, dass Regulus nicht ihren zweiten Namen benutzte. 

Julies saß auf ihrer Planke, wie ein geschlagener Hund. Die Ärmel des Blazers waren nass von Tränen, die sie sich ununterbrochen von den Wangen wischen musste. Am liebsten wäre sie Regulus in die Arme gefallen und hätte sich dort für immer verkrochen, doch sie wollte nicht riskieren, das Boot zum Kentern zu bringen.

Ihr Blick war glasig, als sie zu Regulus aufsah. "Bring mich nach Hause, Reg, bitte. Und trink morgen keinen Kürbissaft." 

Das war der mindeste Dank, den sie ihm zollen konnte. 


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Es tut mir soooo Leid, dass ihr so lange auf das Kapitel warten musstet, aaaber ich war erst im "Urlaub" und hatte bissl schlechtes Wlan und dann hab ich Genie meine Seminararbeit gelöscht und musste mich auf die konzentrieren....^^ 

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