v. zwei
Weißt du, wenn deine Familie der Ansicht ist, dass du nichts weiter als ein Stück Dreck bist, tja, dann beweist man ihnen eben, dass sie damit Recht haben, verstehst du? "
— Kai zu Alaric ("Ich denk an dich die ganze Zeit")
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Julie rieb sich stöhnend die müden Augen. Während die Mädchen noch über ihre Lehrer hergezogen hatten war Julie, obwohl sie sich zu Beginn noch bemüht hatte dem Gespräch zu folgen irgendwann doch eingenickt. Sie streckte die schlaffen Glieder und warf lächelnd einen Blick auf Marlene und Alice, die aneinander gelehnt auf der gegenüberliegenden Sitzbank vor sich hin schlummerten. Mary, die neben ihr saß hatte als einzige nicht geschlafen und war anscheinend so in ihr Buch vertieft, dass sie nicht bemerkt hatte, dass Julie aufgewacht war.
Schließlich lehnte Julie den Kopf erneut gegen die kühle Scheibe und starrte aus dem Fenster. Sie versuchte Häuser oder Menschen zu auszumachen, doch die Landschaft flog so schnell an ihr vorbei, dass Julie nichts als eine verschwommene Mischung aus leuchtenden Grüntönen zu erkennen vermochte.
Ihre Gedanken schweiften ab, von Regulus über ihre ehemalige Mitbewohnerin Cecilia bis zum Landhaus in Clervaux, in dem Julie ihre Kindheit verbracht hatte. Sie konnte nicht behaupten, eine schlechte Kindheit gehabt zu haben. Wenn sie nur an Orion Black dachte, war sie froh um ihre Eltern. Ihr Vater wirkte durch sein düsteres, erhabenes Auftreten zwar oft furchteinflößend, doch hinter den dicken Mauern, hinter denen er sich versteckte, besaß er doch einen weichen Kern. Julies Mutter kam sogar dem Begriff einer Blutsverräterin gefährlich nahe. Sie war eine Malfoy, Abraxas kleine Schwester, und aus rein politischen Gründen von ihren Eltern an die Rosenhayn Dynastie verheiratet worden. Sie hatte ein sonniges Gemüt und im Gegensatz zum Rest ihrer Familie schmückten sie weiche, hellbraune Augen, die nichts als Sanftmut ausstrahlten.
Julies Großeltern jedoch bedienten ein weit verbreitetes Klischee. Reinblüter, wie man sie aus alten Geschichten kannte - immer nur auf Ansehen und Macht bedacht schreckten sie vor keinem Übel zurück um ihre abartigen Ziele zu erreichen. Natürlich machten sie sich nicht selbst die Finger schmutzig, wofür hatte man schließlich Keller voller Galleonen? Tanzte auch nur einer ihrer Schützlinge aus der Reihe, rief man den lieben Onkel Greyback, der keine Scheu zeigte, gewisse verbotene Zauber einzusetzen. Und genau aus diesem Grund durfte Julie keinesfalls die negative Aufmerksamkeit ihrer Großeltern auf sich ziehen.
Das Mädchen schüttelte angeekelt den Kopf um den Gedanken an den skrupellosen Werwolf aus ihrem Kopf zu vertreiben und versuchte sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Zum Beispiel auf das Grauen, das nur wenige Abteile entfernt sein Unwesen trieb. Regulus war der einzige, den der perfide Reinblutwahn noch nicht eingenommen hatte. Ihr Vater hatte nur in frühen Jahren Wert darauf gelegt, dass sie sich mit anderen Reinblütern anfreundete, also konnte Julie nicht behaupten, dass sie viele von ihnen kannte. Aber eine Begegnung mit Bellatrix und Rodolphus hatte ihr gereicht, um sich ihre Meinung zu bilden.
Gerade als sie anfing sich zu fragen, wieso sie Lucius, den einzigen britischen Zauberer mit dem sie verwandt war, eigentlich noch nie getroffen hatte spürte sie, wie jemand auf ihre Schulter tippte. Sie sah auf und blickte direkt in Marys dunkelbraune Augen. "Wir sind gleich in Hogsmeade, such deine Sachen aus dem Chaos da drüben", meinte sie mit einem Blick auf die Ansammlung verschiedenster Spiele und Bücher auf dem Boden, "die Koffer werden direkt in unsere Zimmer gebracht."
Julie nickte dankbar und zog ihre Ausgabe von Goethes Faust und einige deutsche Kartenspiele aus dem Durcheinander. Sie hatte sich schon immer für Muggle Literatur interessiert und fand es faszinierend, was die Fantasie der Menschen hervorzubringen vermochte. Mary hatte inzwischen Alice und Marlene aufgeweckt, die jetzt hektisch ihre Koffer nach den Schuluniformen durchwühlten. Julie, die ihre Uniform schon in Luxemburg angezogen hatte, musste sich nur noch ihren Umhang umwerfen. Sie band sich noch schnell die Haare zu einem Pferdeschwanz hoch, als auch schon das eindringliche Pfeifen des Zuges das unruhige Geplapper durchschnitt. "Wir sehen uns dann hoffentlich in Gryffindor.", rief Alice, die immer noch dabei war sich in ihren Rock zu zwängen ihr hinterher. Julie drehte sich noch einmal um und grinste. "Hoffentlich."
Kühle Nachtluft schlug ihr entgegen und eine Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte flatterte ihm Wind. Das pausenlose Geschnatter der übrigen Schüler ignorierend, bahnte das Mädchen sich ihren Weg zu einem beinahe riesenhaften Mann, der munter seine Gaslaterne durch die Luft schwang.
"Sir?" versuchte Julie schüchtern auf sich aufmerksam zu machen. Doch ihre Worte gingen im Geschrei der aufgeregten Erstklässler unter.
"Sir?" versuchte sie es etwas lauter und schaffte es tatsächlich den Lärm zu übertönen.
Der Mann beugte sich zu ihr herunter und runzelte verwundert die Stirn.
"Wer bissn' du?" Der Riese musterte sie erneut, während er ihr Gesicht mit seiner Laterne beleuchtete.
Julie straffte die Schultern und bemühte sich um eine möglichst laute Stimme.
"Julie Philine Rosenhayn, Sir. Ich war der Annahme, dass Professor Dumbledore-"
Weiter kam sie nicht, der riesenhafte Mann hatte ihr mit einer seiner mächtigen Pranken auf die Schulter geschlagen, man konnte ihm förmlich ansehen, wie ihm ein Licht aufging.
Was eher als freundschaftlicher Klaps gemeint war, ließ das Julie beinahe in die Knie gehen. Wieder bemühte sie sich um eine aufrechte Haltung und sah den Hünen abwartend an.
"Aber klar doch! Du bis' die Neue aus Frankreich, nich'?"
"Luxemburg," korrigierte Julie höflich, blieb aber weiter abwartend stehen. Der Hüne wedelte mit der Laterne in Richtung der Bäume "Da hinten sin' die Kutschen zum Schloss, du kanns' aber auch mit den Booten-"
"Nein danke, ich denke ich nehme die Kutsche." lehnte Julie freundlich ab. Sie hatte etwas von einem Seeungeheuer gelesen und das Risiko wollte sie auf keinen Fall eingehen. Sie winkte kurz zum Abschied bevor sie sich in die Richtung begab, in die der Riese gedeutet hatte.
***
Leichtfüßig sprang das Mädchen in das gerade angekommene Fuhrwerk. Sie wippte nervös mit dem Fuß, beim Gedanken an die zuvorstehende Einteilung wurde ihr doch ein bisschen mulmig zumute. Marlene hatte sie auf der Zugfahrt kurz über die Häuser aufgeklärt, aber wirklich verstanden hatte Julie das Prinzip nicht. Das einzige was sie wusste war, dass ihre neuen Freundinnen allesamt Gryffindors waren und diese mit den Slytherins, zu denen Regulus und Bellatrix zählten, bis aufs Blut verfeindet waren. Es konnte für Julie also eigentlich gar kein gutes Ende nehmen. Bevor sie sich noch mehr Sorgen machen konnte, sprang Regulus gefolgt von drei anderen Slytherins in den Wagen. Die Kutsche setzte sich mit einem Ruck in Bewegung und Julie spürte, wie Regulus ihr immer wieder verstohlene Blicke zuwarf. Schließlich fasste sie sich ein Herz und lächelte ihn an. Regulus entspannte sich merklich, offenbar hatte er nicht gewusst was er von ihrem plötzlichen Abgang im Zug halten sollte.
"Gleich müsste man das Schloss sehen können." Er sah sie nicht an, doch trotzdem wusste Julie, dass die Worte an sie gerichtet waren. Und tatsächlich: Als die Kutsche die nächste Biegung nahm und die Baumwipfel hinter sich ließ, stockte Julie der Atem. Im Gegensatz zum luxemburgschen Institut, das mehr einer großen Villa ähnelte, kam ihr das Gebäude auf der Hügelkuppe beinahe schon wie ein Palast vor.
"Es ist wunderschön, nicht wahr?" Regulus sah sie von der Seite an. Julie lächelte überwältigt. "Ja, das ist es."
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