Epilog Teil 4

August

Sei nicht so vorwurfsvoll,

ich kam nicht zum Schreiben

Julian ist einfach so wunderbar ... Henriette aber auch. Dank ihrer kleinen Aktion zu meinem Hochzeitstag bin ich glücklich verheiratet, wenn auch der blaue Fleck auf Julians Auge fast einen ganzen Monat nicht verschwand, und musste nur noch zum Abitur in die Schule zurückkehren, dank meines kleinen Verweises.

Im Moment bin ich in einer Lehre als Lektorin und eigentlich gefällt es mir dort ganz gut. Die Kollegen sind nett, meine Mutter ist meine indirekte Chefin und ich verbringe den Tag mit dem, was ich am liebsten tue – lesen. Besser könnte es eigentlich nicht sein.

Na gut, ab und an gibt es schon kleine Problemchen, aber keine, die unser seltsames Trio nicht lösen könnte. Auch wenn die Polizisten auf Streife uns schon besser kennen, als wir es gerne hätten.

Am Abend, kurz bevor ich meinen letzten Eintrag abbrach, kehrte Henriette mit Julian im Schlepptau zurück. Offenbar saß er die gesamte Zeit über teilnahmslos hinter dem Haus, nachdem er vom Standesamt verschwunden war. Jedenfalls bis Henriette ihn einfach ohne Worte ins Haus und die Treppe hinauf gezerrt hat.

„Klappe auf, Entschuldigung heraus, Klappe wieder zu. Und wehe, wenn sie weint, dann bist du deinen Arm los" waren ihre Worte zu Julian, als sie ihn in mein Zimmer geschubst hat.

Mit verschränkten Armen und etwas trotzig, ich hatte schließlich nicht wirklich etwas getan, außerdem konnte ich nur so meine Tränen verbergen, wartete ich. Die Stunden direkt vor und nach der Hochzeit waren die Hölle gewesen, und dafür würde nicht ich mich als Erste entschuldigen. Ich hatte nur meine Familie verschweigen, er die Hochzeit ruiniert. Außerdem hätte ich sonst geweint und einarmig sähe Julian nicht annähernd so schön aus.

Die ersten Minuten stand auch Julian schweigend da. Feigling, dachte ich mir schon. Irgendetwas Schlechtes muss ja jeder Mensch an sich haben. Doch erst als Henriette seinen Arm ergriffen hatte, fing er an zu reden.

„Also ... Ähm ... Betti ... Es tut mir leid, dass ... Was ich sagen will, ist ... Ich war nur ein wenig durcheinander, deshalb ...", stotterte er vor sich her.

„Man eh, so schwer kann plappern doch nicht sein! Früher konntest du deine Klappe doch auch immer aufreißen, wenn niemand danach gefragt hat." Ich glaube, manchmal spricht sie schneller, als sie überhaupt denkt ...

„Tut mir leid, dass ich mich so verhalten habe, wie ich mich verhalten habe. Es war ... etwas kindisch von mir", brachte er letztendlich hervor.

„Etwas kindisch?" Ich schluckte. Das war mehr als etwas kindisch gewesen! Das war ... einfach gemein!

„Es tut mir ja leid." Worte waren nie seine Stärke gewesen, aber das ging zu weit.

Den Tränen nahe verpasste ich ihm eine Backpfeife. Einfach entschuldigen und schon ist alles vergeben, aber nicht mit mir! Jedenfalls nicht auf Anhieb. Aber süß ist er schon ...

„Ich liebe dich, Betti. Und ich werde dich lieben und ehren, bis dass der Tod uns scheidet. Du bist meine Traumfrau. Verzeihst du mir?" Damit hatte er mich wirklich überrascht und ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was ich machen sollte. Ich stand einfach da und öffnete den Mund wie ein kleiner Goldfisch in einem Aquarium. Originell war es zwar nicht gerade, doch das zwar nicht wichtig. Romantisch war es auf jeden Fall.

„Ich gehe dann jetzt", flüsterte Henriette und ging langsam aus dem Zimmer hinaus.

Voller Liebe blickte mir Julian in die Augen und legte sanft seine Hände um meinen Rücken, um mich näherzuziehen. „Es gibt nichts, das uns jemals trennen kann. Du bist die Liebe meines Lebens", hauchte er mir ins Ohr. Seine Stimme war so zart und liebevoll, dass ich ihm augenblicklich verzieh.

„Und du meine", entgegnete ich, „Für immer und ewig."

Nun legte auch ich meine Hände sanft um ihn und unsere Lippen trafen sich. Wir versanken in einer Welt aus Liebe und Hoffnung, nah beieinander, so wie es immer sein sollte. Alles schien für einen Augenblick perfekt. Nichts konnte uns jemals trennen. Ich liebte ihn und er mich, und das war das einzige, was zählte.

„Bäh! Erst dieses Liebesgelaber, nun auch noch Herumgesabbere. Wie eklig!", kommentierte Henriette und unterbrach diesen wunderbaren Moment. Dann stampfte sie einfach die Treppe hinunter, wie immer, wenn sie nicht das bekam, was sie wollte. Manchmal ist sie zwar noch ein kleines Mädchen, das von Romantik gar nichts versteht, aber andererseits hatte sie auch dafür gesorgt, dass wir beide erst wieder zueinander fanden, also war es verzeihlich. Nachdem keiner ihrer Schritte mehr zu hören war, wandte ich mich wieder zu Julian und wir versanken abermals in einem unendlichen erscheinenden Kuss.

Doch – das alles interessiert dich mit Sicherheit nicht. Zudem habe ich noch einiges zu schreiben. Bis bald.

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Mittags

Kurz vor der Besuchszeit im Gefängnis

Nein, Henriette wurde nicht verhaftet

Lange Zeit hatte ich überlegt, ob ich wirklich das hier tun sollte. Doch so konnte es einfach nicht weitergehen. Er sollte endlich begreifen, dass ich nicht das kleine Mädchen bin, das er behandeln konnte, wie wollte. Nur weil er wieder mit gelogenen Liebesbekundungen und Beschuldigungen, ich hätte mich nicht genug um ihn gesorgt, ankam, hießt es lange nicht, dass ich ihm helfen würde. Nein, er hat sich dazu entschlossen, uns alle im Stich zu lassen, nur damit er seinen Ruf und sein Vermögen schützen konnte. Er konnte nicht ewig damit davonkommen und ich würde ihm ganz sicher nicht helfen, wieder Menschen verletzen zu können. Das, was er getan hatte, war genug. Und ich weiß, dass mein Vater jederzeit wieder so handeln würde, wenn er sich selbst schützen will.

Ich hoffe nur, dass ich stark genug bin, um nicht wieder nachzugeben ...

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Nach der Besuchszeit

Fast neunzehn Uhr

Nachdem ich durch die Durchsuchung am Eingang gekommen war, wurde ich bis zu einem großen Saal geführt. Überall standen Tische herum, doch keinem davon durfte ich mich auch nur nähern.

Nach endlos erscheinenden Minuten durfte ich mich an einen Tisch setzen. Ich fragte mich, wieso ich bloß gekommen war. Natürlich, er würde keine Ruhe geben und Woche für Woche neue Briefe an mich abschicken, obwohl alle fast denselben Inhalt hatten, aber was wollte ich hier nur? Ich war an einen Ort gekommen, den ich nie in meinen Leben sehen wollte, zu einem Menschen, den ich nicht im Entferntesten leiden konnte und aus einem Grund, der mir selbst unklar war. Wirklich grandios.

Während ich auf ihn wartete, trommelte ich ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch, bis ich von allen Seiten nur böse Blick erntete. Was konnte ich dafür, dass er es offenbar nicht nötig hatte, pünktlich zu sein?

Nach fast einer halben Stunde, seit ich durch das Tor der Strafanstalt getreten war, kam er endlich an.

„Meine liebe kleine Lissy. Du siehst so süß aus! Hast du deinen Papi nicht vermisst?", säuselte er vor sich hin und rutschte so nah an den Tisch wie nur möglich. Zum ersten Mal seit ich fünf war lächelte er mich an.

„Ich bin weder klein, noch lieb, noch süß. Und nein, ich habe dich nicht vermisst", antwortete ich.

Sofort war das vorgetäuschte Lächeln verschwunden und nur noch sein böser Blick lastete auf mir.

„Wie kannst du das deinem Vater antun, der dich über alles liebt. Was habe ich doch alles für dich getan, und nun stößt du mich fort. Wie kannst du mir das nur antun?" Er versuchte sich Tränen aus den Augenwinkeln laufen zu lassen, doch offenbar funktionierte es nicht. Nach all den Jahren unter Menschen, die sich offenbar nicht so leicht täuschen ließen, hatte er tatsächlich das falsche Weinen verlernt.

„Nach all den Jahren hast du dich wirklich wenig verändert, Vater. Ich bin dir nichts schuldig und es gibt nichts, das uns noch beieinander hält. Du hast deinen Weg ganz alleine gewählt, nicht ich habe deine Zukunft festgelegt. Ich werde dir nicht helfen, nur weil du gewillt bist, dich wieder meiner anzunehmen. Das ist alles."

Ich kniff meine Lippen zusammen und überlegte. Gab es noch etwas, das ich sagen musste? Nein. Taten mir meine Worte leid? Auch nein. Zwar hätte ich ihm gern alles an den Kopf geworfen, dass ich mir in den letzten Tagen zurechtgelegt hatte, doch ich tat es nicht. Ich würde mich nicht so wie er verhalten.

„Du enttäuschst mich, Lissy", brachte er weinerlich hervor. Tränen traten aus seinen Augenwinkeln hervor. „Wie kannst du das mir nur antun? Du bist ein Monster! Jawohl, ein Monster und eine Versagerin! Nichts in deinem Leben bekommst du auch nur auf die Reihe! Du bist ein Nichts, ein Niemand! Du egoistisches kleines Stück Scheiße!", schrie er urplötzlich, während ihn die Wachmänner wegzerrten.

„Ich habe dich nur gebeten, ein gutes Wort für mich einzulegen, damit ich entlassen werde, und du? Du lässt deinen armen Vater in der Hölle schmoren! Du widerwärtiges Dreckskind, ganz nach deiner Mutter! Ich hätte dich lehren sollen, was Anstand bedeutet! Ich ...", zeterte er, bis er außer Hörweite war.

Schweigend saß ich da. Wieso nur? Wieso war ich ihm nur begegnet? All die lange verdrängten Gefühle kamen auf einmal hoch und ich brach in Tränen aus. Jahrelang hatte ich mich gefragt, wieso alles so kommen musste. Ob ich ihm nicht zu Unrecht alles unterstellt hatte. Ob nicht eigentlich nur Beatrice Schuld an allem war.

Ich weiß nicht mehr, wie ich nachhause gekommen war, denn an den Rest kann ich mich nur bruchstückhaft erinnern. Nach all der Zeit war alles doch bedeutender, als ich denken könnte.

Nachdem am Abend jedoch die Tränen versiegt waren, wurde mir eins klar – ich trug niemals die Schuld für sein Handeln. Nicht ich, nicht Mutter und nicht einmal Beatrice. Nur er selbst. Er hatte sich für seinen Weg entschlossen und ich für meinen. Es gab nichts, das uns beide mehr verband und nichts, das ich daran bereute. So sehr es auch wehtat, wie Vater sich verhielt, so war es dennoch erleichternd.

Hier und jetzt – zuhause, unter Menschen, die ich liebe – gibt es nichts, das mich zu ihm zurückzieht. Er hatte selbst den Schlussstrich gezogen und ich würde nicht um seine Verzeihung betteln.

Ich bin wirklich erleichtert. Erleichtert darüber, dass ich nicht wieder nachgegeben habe. Und auch, weil ich mich nicht einfach dem Zorn hingegeben habe.

Alles hat ein Ende. Und es wurde längst Zeit, meine wundervolle Familie nicht mehr mit der meiner Vergangenheit zu vergleichen. Morgen ist ein neuer Tag.  

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