40) Wiedersehen mit Beatrice
"Einen wunderschönen guten Morgen, Beatrice!", rief ich voller vorgetäuschter Freude.
Ihr Gesicht war diese kaum aushaltbare Freundlichkeit hundertprozentig wert. Entsetzen gemischt mit unstillbarer Wut – das war Beatrice, ohne Frage. Wohingegen ihre liebe Schwester Bernadette nun tot herumlag. Bernadette, das arme Mädchen, bestimmt war sie nett gewesen. Naja, die Kopie von Beatrice konnte nicht wirklich nett sein, aber ein halbwegs vernünftiges Mädchen musste es dort doch geben.
"Lissy!", schrie eine hysterische Frauenstimme. Oh je ... Mutter stürmte aus dem Haus, doch ich gab mir die größte Mühe, weiterhin zu lächeln. Niemand würde mir den Triumph zerstören, den ich mir so sorgfältig erspielt hatte. Beatrice konnte nicht so einfach gewinnen. Und vielleicht würde ich meine Familie zurückgewinnen, sobald sie fort ist. Sie mussten mich doch auch lieben, oder? Ich war doch ihre Tochter!
"Einen wunderschönen guten Morgen, Mutter. Beatrice, meine herzallerliebste Halbschwester, begrüßte ich schon." Ich zahlte es Beatrice auf dieselbe Art heim, wie sie mich geärgert hatte. Mit einem wunderbaren lächeln und mit einer Stimme, als könnte man kein Wässerchen trüben. Geschah ihr Recht ...
Verstörte Blicke trafen mich. Zum ersten Mal war Beatrice nervös, schlimmer noch, sie schien, als hätte sie Angst. Ich lächelte weise, schließlich musste sie nicht wissen, wie viel ich in Frankreich erfuhr.
"Wie meinst du ... Halbschwester?", fragte Mutter irritiert. Ihre Stimme zitterte. Offenbar wusste sie noch nichts von unserer kleinen Familiengeschichte. Doch alles kommt irgendwann ans Licht und wenn alle Beatrice schon wie eine Tochter behandelten, sollten sie doch akzeptieren können, dass sie in gewisser Hinsicht auch eine war, oder?
"Erinnerst du dich etwa nicht an Vaters kleine Affäre in Frankreich? An seine beiden Töchter Beatrice und Bernadette? Das würde mich sehr wundern, wo ihr beide doch so eine glückliche Ehe führt. Und dass deine Stieftochter zu Besuch ist, ist sicherlich auch ein Grund zum Freuen." Innerlich schrie ich vor Schmerz, doch ich durfte es mi8r nicht anmerken lassen. Schließlich war alles nicht mein Fehler. Ich war doch nicht schuld daran, dass es Beatrice gab, oder? ich meine, ich war nicht einmal auf der Welt, als alles geschah! Aber trotz dass ich mir diese Szene so perfekt ausgemalt habe, war nichts von dem Stolz und der Genugtuung übrig, die ich erhofft hatte. Im Gegenteil, es tat mir schon beinahe leid, was ich gesagt hatte.
Dennoch ... wie konnte Vater nur so etwas tun? Er stand kurz vor seiner Hochzeit! Er hatte doch alles gehabt! Und wie konnte er nur seine außereheliche Tochter einfach zu seiner Familie hinzufügen, ohne jemandem zu erzählen, wer sie ist? Es war einfach schrecklich. doch das war mal wieder ganz typisch für ihn. Ihm wart es egal, wie andere darüber dachten und was sie fühlten, wenn der etwas Schlimmes getan hatte. In seiner Welt schien es immer nur ihn selbst zu geben.
Genau in diesem Augenblick trat auch er auf den Gartenweg. Wie versteinert blieb er stehen, als er mich erblickte. Offenbar hatte er nicht gedacht, dass die kleine Lissy sich trauen würde, nachhause zurückzukehren. Doch ich war längst nicht mehr das kleine Mädchen, das bei jedem Problem ihre Augen und Ohren verschloss und fortlief.
Ich blickte zu Beatrice hinüber. Zum ersten Mal hatte sie nichts zu sagen. Ihr Mund klappte auf und ab und sie starrte fassungslos von einem zum anderen. Scham oder Demut konnte man ihr definitiv nicht ansehen, was mich wütend machte, sodass ich ihr am allerliebsten eine gescheuert hätte, aber das liebliche Lächeln war auch von ihrem Lippen verschwunden.
"Beatrice ist deine Tochter?", fragte Mutter mit zitternder Stimme. Sie konnte es wohl noch nicht fassen. Wusste sie etwa nichts von Beatrice? Vater jedoch stand ruhig da, ohne eine Gefühlsregung anmerken zu lassen. Nicht einmal eine Antwort gab er ihr, als wäre es selbstverständlich, dass sie so etwas akzeptierte. Doch dieses Mal war es nicht eine seiner kleinen Lügen, wie dass er Überstunden gemacht hatte, obwohl er mit seinen Saufkumpanen durch die Straßen getorkelt ist. Dieses Mal würde er nicht alles mit einem "Aber ich habe es doch nur gesagt, um euch zu schützen. Ich würde euch doch nie verletzten. Und ihr, ihr misstraut mir, obwohl ihr wisst wie sehr ich euch liebe" wiedergutmachen können. Es war eine Lüge zu viel, die das wortwörtliche Fass zum Überlaufen brachte.
Kurz bebte meine Mutter am ganzen Körper, doch dann hatte sie sich auch schon wieder gefasst. "Wie konntest du nur jemals erlauben, dass sie hierher kommt! Wie konntest du nur verheimlichen, dass es sie gibt? Wie?", schrie sie so laut, dass ich zusammenzuckte. All die Wut, die sie jahrelang unterdrückt hatte, kam urplötzlich aus ihr heraus.
Recht so! Ich wollte ihren Wutausbruch gegen Vater einmal nur miterleben. Wir Derens ließen nichts auf uns sitzen und genau dafür mochte ich meine Familie im Geheimen doch ein wenig. Mit einem lauten Knall landete ihre Handfläche in seinem Gesicht. Wie gerne hätte ich auch sein Gesicht getroffen! Doch diesmal verkniff ich es mir. Ich hatte noch viel zu viel zu erledigen.
"Du Mistkerl! Das kann nicht wahr sein! Wie konntest du nur so etwas machen!", schrie sie weiter, doch immer noch sagte Vater kein Wort.
"Ja, wie konnte er bloß verheimlichen, dass es sie gibt? Sie kam hierher, wissend, dass er sie nicht persönlich kannte und sich nach seiner Abfindung auch nicht mehr um ihr Wohlergehen kümmerte. Sie kam hierher, um diese Familie zu zerstören. Wie sie auch ihre Schwester Bernadette ermordete. Und mein lieber Herr Vater hat es natürlich akzeptiert. Nicht nur das, es kam ihm sogar recht. mit seiner Abfindung war er Beatrices Familie nichts mehr schuldig, aber diese hier verbraucht bestimmt Unmengen von Kosten. Wieso also nicht den Mund halten und die beiden überteuerten Kinder mitsamt der Ehefrau loswerden? Wo die liebe außereheliche Tochter auch noch das kriminelle Talent von ihm geerbt zu haben scheint."
Diesmal war ich nicht die kleine Lissy, die Angst zu reden und auch Angst zu schweigen hatte. ich hatte nichts mehr zu verlieren, sondern nur ein Ziel vor Augen. Die Wahrheit. Und diesmal würden sie mir zuhören. Sie mussten mir einfach zuhören.
"Sie lügt! Hört ihr nicht zu! Sie ist eine gemeine Lügnerin! Seit sie hier ist, versucht sie nur, mich zu tyrannisieren! Sie ist einfach nur hinterhältig!", schrie Beatrice erbost. Sie ballte die Fäuste zusammen und es sah aus, als hätte sie mich am liebsten geschlagen.
"Unsere liebe Beatrice kann plötzlich ohne Akzent sprechen? Wie sonderbar! Und sind das Blutflecken auf ihren Armen?", redete ich weiter. Ich kostete die Stille bis zur letzten Sekunde aus. Danach regte sich lange Zeit niemand mehr.
Beatrice blickte wütend zu Boden, die Hände nervös zuckend. Als ob ich nicht wüsste, was sie vorhatte! Manchmal war sie einfach zu leicht zu durchschauen. Sie war hier nicht die Erste, die an Mord dachte, doch die Erste, die es wirklich eiskalt tat.
Mutter blickte ebenfalls zu Boden. Doch im Gegensatz zu Beatrice wirkte sie eher betroffen. So viele Fehler hatte sie in letzter Zeit begangen, dass ich sie währenddessen kaum wiedererkannte. Sollte ich ihr verzeihen? Vermutlich. Würde auch es tun? Ich weiß es nicht, zu viele Fragen stehen noch offen. Diesmal jedoch keine echten, sondern Fragen, die ich mir selbst beantworten musste.
Vater. Was war mit ihm? Er versuchte möglichst beschämt dreinzublicken, doch man sah es ihm nicht an. Er wirkte, als würde er einfach nur seine Fehler zu vertuschen versuchen. So wie Beatrice es immer versucht. Eine grandiose Familie habe ich. Nur Menschen um mich herum, deren eigenes Wohl ihnen am Wichtigsten war.
"Und was ist mit ... Bernadette?" Endlich durchbrach Mutter die erdrückende Stille.
"Bernadette. Ihre Zwillingsschwester. Niemand wollte mir glauben, dass ich eine Leiche sah. Anfangs dachte ich auch nicht, dass es eine Zwillingsschwester gäbe, doch ein so ähnliches Mädchen mit blauen Augen?"
Es war plausibel. Und wenn meine Mutter, als Literaturexpertin, den Sinn hinter einer Sache nicht verstand, weiß ich nicht, wer das könnte. Logik war alles. Und alles, was ich sprach, war logisch.
"Du ... du mieses Biest! Du mieses reiches Mädchen mit der perfekten Familie!", brüllte Beatrice.
"Wir werden hier doch nicht unflätig, meine liebe Beatrice. Das ist kein gutes Benehmen von dir, meine liebe Halbschwester." Ich konnte meine Wut mittlerweile gut kontrollieren. Kälte ging von meinem Herzen aus, während es innerlich brodelte. Ich konnte nur mit eisiger Kälte siegen, so wie sie es tat.
"Du Monster! Ich vernichte dich und deine Familie! Ich werde euch sterben lassen! Ihr verdient den Tod! Ihr alle!" Ich hätte Mitleid mit ihr gehabt, wäre sie nicht so gemein und wäre sie mir nicht in diesem Moment an die Gurgel gegangen.
Kalte Hände umschlossen meinen Hals. Die grünen Augen zeigten eine unglaubliche Wut und Mordlust an. Diesmal gab es kein Rot und kein Blut, das mich hätte beruhigen können. Diesmal gab es nur Beatrice, den Tod und mich. Ich schnappte verzweifelt nach Luft, doch ich erhielt keine. Es schien ausweglos.
Eiskalte Traurigkeit erfüllte mich. Selbst in solch einer wütenden Situation eines Mordes hatte Beatrice etwas Manipulatives an sich. Was wäre, wenn ich sterben würde? Ich wusste sowieso nicht, wie es weitergehen sollte. Alles lag in Trümmern. Doch wofür hatte ich dann gekämpft? Für meinen eigenen Untergang?
Ihre grünen Augen brannten sich in meinen Kopf ein. Wie traurig sahen doch die ihrer Schwester aus. Wie traurig würden wohl meine mit einem roten Hintergrund aussehen. Besser gesagt, mit rotem Blut im Hintergrund, das meinen Tod bedeute. Doch das würde ich nicht zulassen!
Mit einem entschlossenen Ruck griff ich nach ihrer Hand. Sie konnte nicht immer gewinnen. Jemand, der gegen die Wahrheit kämpft, konnte nicht gegen mich gewinnen. Mein Entschluss stand plötzlich genauso fest, wie auch meine Wut. Ich hasste Beatrice, sie durfte nicht gewinnen!
Mit einem kurzen Kraftaufwand riss ich sie gewaltsam von mir weg. Sie hatte schon genug zerstört. Diesmal war es mein eiskalter Blick, der sie zum Stocken brachte. Mit einem letzten Stoß ließ ich sie auf den Boden fallen.
Oh, wie gerne hätte ich nach ihr getreten! Wie sehr wünschte ich es mir doch, sie zu zerstören! Wie gerne wollte ich sie leiden sehen! Ich wünschte ihr den Tod, doch ein Tritt wäre zu erbärmlich. Sollte sie doch wie der letzte Dreck am Boden kriechen, nach Hilfe winseln und hoffnungslos verloren sein. Ich würde ihr weder helfen, noch sie zerstören. Nein, sie hatte sich schon selbst zerstört, indem sie es wagte, mich herauszufordern.
"Schlag doch! Ich sehe es in deinen Augen! Du wünscht dir den Mord nur", zischte sie herausfordernd. Ich lachte schallend. Ich hatte tatsächlich geschafft, über sie zu siegen. Ich, das kleine Mädchen, das nichts wert war.
"Das hättest du wohl gerne. Aber ich, im Gegensatz zu dir, bin nicht jemand, der auf Liegende noch niedertritt."
Ich hatte gewonnen. Ich hatte mit der Wahrheit über den Dämon Beatrice gesiegt. Ich hatte alles versucht, Lügen, geheime Machenschaften, Wut und Hass hatten mir nichts gebracht. Man kann seine Dämonen nicht auf dieselbe Art schlagen, sonst wird man selbst zu einem. Ich kannte die Wahrheit, doch Rache ist nicht meine Sache. Sie würde schon so die Strafe für ihre Taten bekommen.
Ich hatte tatsächlich gewonnen ... Noch immer bin ich im Siegestaumel, auch wenn längst noch nicht alles vorbei ist.
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