28) Dora

Ein großartiges Wiedersehen. Wieso kam ich bloß hierher? Dora ist ausgerastet, als sie mich sah! Ja, ausgerastet. Wo sei ich bloß hingegangen... Ich solle nicht so zimperlich sein... Ich sei bescheuert... Es wäre besser, wenn ich in die Irrenanstalt gegangen wäre... Ich solle lieber sterben... Ja, selbst den Tod hat sie mir gewünscht! So hat sie nie mit mir geredet. Was ist nur aus ihr geworden? Noch vor so kurzer Zeit waren wir die besten Freundinnen, auf Fotos immer zu zweit, auf jeder Feier nur im Doppelpack anzutreffen. Und das, obwohl wir nicht einmal Zwillinge sind. Sie war immer diejenige, die hinter mir stand. Doch nun ist sie bereit, zusammen mit Beatrice, mich in den Abgrund zu schubsen. Wieso nur? Wieso liebt sie mich nicht?

Madame Troudeau hingegen interessiert sich nicht im Geringsten für meine Wiederkehr. Wieso sollte sie auch? Sie verbringt den halben Tag auf der Arbeit und die andere Hälfte in ihrem Zimmer. Seit sie weiß, dass ich und Beatrice verwandt sind, verhält sie sich nur noch abweisend zu mir, auch wenn sie sonst so freundlich ist. Die liebe Dora mag sie trotzdem. Aber Dora und Beatrice mag jeder. Ich bin doch nur schrecklich.

Also sitze ich wieder in diesem eiskalten Zimmer und schreibe in mein Tagebuch. Etwas Besseres habe ich sowieso nicht zu tun. Wirklich wunderbar. Es ist der beste Sommer meines Lebens.

Wieso ist Dora nur so? Das passt nicht zu ihr. Frankreich scheint sie wirklich geändert zu haben, was man allerdings nicht sieht, wenn man sie und ihre allerbesten Freundinnen aus dem Fenster betrachtet. Ja, allerbeste Freundinnen. Und das nach gerade einmal zweieinhalb Wochen. Mich kann sie aber nur pausenlos schimpfen und in die Hölle wünschen. Wirklich grandios. Wenigstens kann ich mich dann auf meine kleine Ermittlung stürzen, etwas Gutes muss das alles schließlich haben. Auch wenn selbst das nicht besonders gut ist.

Leider ist es so, dass mir die Gespräche mit Hamlet und Constance mehr fehlen, als der Kontakt mit meiner Schwester. Doch irgendwann, wenn ich dazu gezwungen bin, mich mit Menschen zu unterhalten, könnten meine imaginären Bekannten einige Probleme aufwerfen. Auch wenn sie meine einzigen Freunde waren.

Mit fällt gerade auf, dass die Albträume schon so lange Zeit verschwunden sind. Vielleicht hören sie nun endgültig auf, was eine kleine Erleichterung wäre. Auch gibt es kein Rot mehr. Wenigstens etwas.

Eins kann ich jedenfalls sagen - ob Zuhause oder in Frankreich - schlechte Menschen gibt es überall in großen Mengen. Beatrice, Dora, meinen Vater, meine besten Freunde... Wenn ich alle zählen würde, säße ich noch stundenlang hier. Aber so ist das Leben. Man muss sich damit abfinden, gehasst zu werden.

Was ist nur mit Beatrice? Eigentlich habe ich nicht vor, mir damit die gesamten Ferien verdüstern zu lassen. Aber andersherum habe ich auch nicht vor, mir von ihrem Geheimnis mein Leben versauen zu lassen. Es ist einfach verzwickt, wenn ich bemerke, wie auch sie mich unter Kontrolle hat. Eine wirklich tolle Halbschwester habe ich. Wenn ich bedenke, wie sehr ich meine Familie früher mochte... besonders Dora.

Unser Foto auf meinen Schreibtisch. Ich, die gerade im Matsch spazieren war und Dora, die sich über und über mit roter Farbe bekleckert hatte. Und trotz all der Farbe war das Bild nicht rot. Nein, es war das einzige, das Beatrice noch nicht ruiniert hatte, sie würde es niemals tun.

L&D

Dabei bin ich nicht Lissy und Dora nicht Dora.

E&T

So würde es richtig heißen, aber das habe ich niemandem jemals erzählt.

Früher war ich immer Elisabeth und sie Theadora. Doch das weiß niemand mehr. Nur wir beide.

Unsere Freundschaft wird ewig halten, selbst wenn Beatrice alles in meinem Leben zerstört.

Ein kleiner Auszug aus meinem alten Tagebuch. Unsere Freundschaft wird ewig halten... Leider nicht. Wir hatten uns beide verändert und das würde auch so bleiben. L&D gab es nicht mehr. Es gab nur noch Theodora, wie sie jeder hier nannte, und mich, Lissy. Es gab nur zwei Schwestern, deren Freundschaft in die Brüche ging. Damals hätte ich vielleicht Tränen geweint, doch ich tat es schon lange nicht mehr. Dora hatte nun ihr eigenes Leben und ich existierte nur. Und wieder hatte sie Recht – ich war wirklich bescheuert.

Beatrice. Sie hatte alle ihre Ziele erreicht, doch es würde ihr noch schlecht bekommen. Wenn wir schon eine Familie sein mussten, dann sollte ich wenigstens ihre Geheimnisse kennen... Auch wenn es mir weder was bringt, noch irgendetwas an meinem trostlosen Dasein ändern würde. 

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