27) Reue

Liebes Tagebuch,

ja, ich fange diesmal ein neues Buch an. Vielleicht wird das die gesamte Verwirrung etwas legen. Die Kunst, etwas zu vergessen - mein größtes Talent, wie ich glaube. Hamlet ist dabei auch nicht sonderlich hilfreich.

Hamlet. Er ist doch nur eine Fantasie aus einem kleinen Trinkgelage heraus. Wie sollte er mir helfen? Alte Literatur hilft einen in heutigen Zeiten auch nicht weiter. Sowie Rache mir auch nicht bei der Lösung dieses Rätsels hilft. Ich bin hoffnungslos verloren.

Beatrice. Meine liebe, kleine Halbschwester, die ich irgendwie nicht loswerde. Was macht sie nur mit den Leuten? Etwas muss sie an sich haben, dass die Menschen so lieben. Nur ihr grausiges Geheimnis kennt niemand.

Wie kann jemand in einem Moment blutbefleckt und tot sein und im nächsten Moment in völlig anderer Kleidung quicklebendig vor einem stehen? Ich kann es einfach nicht verstehen. Ich weiß auch nicht, von wem sie das haben könnte. Vielleicht ist sie ja nicht tot? Aber dann verstehe ich noch weniger. Etwas in meinem Kopf hält mich davon ab, dieses Rätsel endgültig zu lösen und auch im Kopf zu behalten. Will ich denn nicht, dass sie auf ewig verschwindet? Schon. Doch was hält mich davon ab? Ich weiß es nicht.

Madame Schreckschraube und Alexandrine sind zwar sehr nett, aber wenn wir uns weiter mit Constance und Hamlet über Mordmethoden unterhalten, drehe ich noch durch. Ich denke deshalb, dass ich zu Dora und Madame Troudeau zurückfahren sollte. Auch wenn sie mich nun hassen.

Dora. Meine liebe Schwester. Wieso war ich nur so wütend auf sie? Eifersucht kann einem vieles erzählen, wenn man seine Ziele nicht erreicht. Und ich hatte meine Ziele nicht erreicht. Vermutlich habe ich sie einfach falsch verstanden. Sie hat bestimmt nur das Beste für mich gewollt. Ich war diejenige, die sich falsch benommen hat. Ich hätte ihre Meinung akzeptieren sollen. Ich meine, wie sollte sie auch wissen, was Beatrice getan hatte? Sie war ja nicht dabei. Und ich habe es gewagt, sie anzumeckern Sie hatte einfach nur Recht mit allem, was sie gesagt hatte. Ich war einfach eine schlechte Freundin für sie gewesen.

Wie kann man seine Meinung nur so schnell ändern? Und ich dachte, ich hätte einen beständigen Charakter. Doch wenn ich merke, wie ähnlich ich Beatrice bin... Auch wieder egal. Ich hätte nur einfach früher begreifen sollen, dass ich nicht besser als Beatrice bin. Dora hatte ja so Recht gehabt.

Doch dieses eine kleine Rätsel bringt meine gesamte Welt ins Schwanken. Was macht Beatrice nur? Wieso lebt sie noch? Wie schafft sie es nur immer, gleichzeitig tot und lebendig an zwei verschiedenen Orten zu sein?

Wieso lebt sie noch? Das ist wohl die größte Frage, die ich mir über sie jemals gestellt habe. Ich überlege Tag für Tag, wie ich sie ermorde, doch ich tue es nicht. Wieso? Vielleicht finde ich auch darauf keine Antwort. Genügend Hass habe ich, die Mittel fehlen mir nicht, also wieso es nicht tun? Auch manche Dinge scheint man einfach keine Antwort zu finden. Und besonders ich bin in letzter Zeit viel zu oft ratlos.

Ob sich Dora freuen wird, mich wiederzusehen? Ich weiß es nicht. Sie wird nicht verstehen, wieso ich weggelaufen bin. Sie scheint in letzter Zeit sehr wenig zu verstehen, was mich betrifft. Dafür habe ich mich aber auch sehr geändert. Vermutlich wird sie aber erst einmal wütend sein, dass ich mich so schlecht benommen habe. Ich sollte mich definitiv bei ihr entschuldigen, schließlich weiß ich nun, wie falsch ich lag. Vielleicht wird sie mich sogar wieder als Freundin akzeptieren, auch wenn es nur reines Wunschdenken ist.

Hamlet, ich... Vielleicht sollte ich mir die seltsamen Selbstgespräche abgewöhnen. Tagebuch zu schreiben scheint für viele wenigstens normal. Oder ich sollte einfach hier bleiben bei Alexandrine und Madame Schreckschraube, die es irgendwie geschafft haben, sich eine Welt außerhalb der eigentlichen Welt aufzubauen. In diesem Haus sehe ich mich schon in der Zukunft als noch eine abgedrehte Madame Schreckschraube.

Soll ich wirklich fort von hier? Das bleibt wohl die wichtigste Frage. Aber ich denke, es ist das Beste. Viel bleibt mir sonst nicht mehr übrig, jahrelang in einem Haus bei fremden Leuten zu bleiben wäre auch viel zu skurril.

Naja, ich habe morgen noch genug Zeit um nachzudenken. Dora wird mir eine Entschuldigung aber nicht leicht machen, wenn ich mich doch entscheide, zu ihr zurückzukehren.

Bis morgen dann.

Lissy 

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