1) Das Mädchen

2 1 : 3 4

"Liebes Tagebuch,

wie viel habe ich dir zu erzählen... 

Ja, ich wollte damit aufhören, ich fand es kindisch, babyhaft. Doch nun brauche ich jemanden, mit dem ich reden kann, ohne meine Familie zu beunruhigen. 

Rot. Immer taucht diese Farbe vor meinen Augen auf. Immer wieder, immer öfter. Meine Familie kann es nicht verstehen, vermutlich, weil ich ihnen nichts von dem Mord erzählt habe. 

Mord, jawohl. Dieses junge, wunderschöne Mädchen tot auf dem Fußweg. Das Messer in ihrem Bauch. Rot. 

Lieber rede ich nicht weiter, sonst wird mir schwindelig. Doch ich habe diesen Drang, alles darüber aufzuschreiben. 

Also, kaum dass ich dieses Mädchen sah, rannte ich voller Panik nach Hause, doch dort saß SIE. 

SIE, das Mädchen, welches ich sah. 
Das Mädchen in rot. 
Sie saß da und aß mit meinen Eltern zu Abend, als wäre nie etwas geschehen. 
Vielleicht ist nichts geschehen? Doch ich konnte es mir nicht eingebildet haben, nein. 
Selbst dieser rote Fleck auf meiner Hose, als ich fast über sie stolperte, beweist es.  

Doch plötzlich waren ihre Augen grün. Grün, nicht hellblau. Es war wirklich seltsam... 

SIE saß dort, aß, lachte und sah mich an. Das Funkeln in ihren Augen, als ich zur Tür hereinkam, war gruselig. Als kannte sie mich schon. Als hätte sie auf mich gewartet, doch ich sollte nicht so früh zurückkommen, wo ich doch noch mit meinen Freundinnen aus war. 

"Die neue Austauschschülerin. Freust du dich?", fragte Mutter. 

Meine Mutter war wirklich seltsam. 
Es saß eine Tote bei uns am Tisch und sie bemerkte es nicht. 
Überall rot, doch sie sah es nicht. 
Ein Messer in ihrer Brust, doch das gab es nicht mehr...  

Halluziniere ich? Nein, das Blut an meiner Jeans bewies das Gegenteil. 
Erinnere ich mich falsch? Dafür war es zu detailliert. 

"Herzlich willkommen bei uns", meinte ich zögerlich. Eigentlich sollte es ein Lächeln werden, doch es wurde nur ein verkrampftes Lippenzucken. Ich konnte nicht lächeln. Nicht in IHRER Gegenwart... 

"O! Isch freue misch, eusch kennenzülerne!" 

Ihr Akzent war seltsam. Doch das ist, glaube ich jedenfalls, normal, wenn man aus Frankreich kommt. Frankreich. Dort, wo meine Schwester gerade ist. 

Was meine Schwester wohl momentan macht? Ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich wüsste es. Ich wünschte, sie würde nach Hause kommen, doch das würde wohl nicht wahr werden. Nein, ich musste zwei Wochen mit dieser... dieser Leiche in meiner Wohnung aushalten! Katastrophal! 

Normalerweise war mein Leben ja nicht so durcheinander. Schule, Gespräche mit meinen Freunden und natürlich meiner herzallerliebsten Schwester Dora. Nur keine Leichen. 

Insgesamt verlief der Abend kalt und trüb. Wir redeten kaum, wenn doch, blockte ich nach Sekunden ab. Meine Eltern warfen mir Unhöflichkeit vor, ich mir selbst Wahnsinn. Was wohl schlimmer ist? 

Nachts bin ich, trotz des Verbots, nachts herauszugehen, wieder zu der Stelle spaziert. Meine Hände wanderten über die Blutlache. Ich habe nicht geträumt! Sie war hier! Jetzt aber nicht mehr... Ist sie etwa auferstanden? Mein Essen machte also seinen Weg auf die Blutlache, was allem einen noch schlechteren Anblick verlieh. 

Meine Eltern hätten mich für diesen kleinen Ausflug ausgeschimpft. Wie die Austauschschülerin reagiert hätte, weiß ich nicht. Meine Schwester wäre mit mir gekommen. Sie war immer für mich da, bis zu diesem blöden Austausch. 

Nachdem ich wieder durch die Gänge spaziert war und in mein Zimmer kam, erlebte ich den Schock meines Lebens. Dort stand das Mädchen, vor einem roten Pferd. 

Rot.
Alles leuchtete rot.
Rot wie Blut.
Rot wie meine Albträume.
Rot wie der Tod, der mich nun verfolgte. 

Doch dann drehte sie sich um und lächelte mich an. 

"Allo Lissy. Wie get es dir?" 

"Gut. Sehr gut. Möchtest... möchtest du dich nicht setzen?" 

Ich wollte nur, dass sie weg von dem Poster verschwand. 
Ich wollte, dass das Rot verschwand. 
So wie meine Albträume, wenn ich mich bemühte. 
So wie die Leiche, als ich wiederkam.  

Sie setzte sich hin und blickte erwartungsvoll zu mir hinauf. Immer wieder flackerte das Messer vor meinen Augen auf und meine Hände erschienen blutig. 

Rot. 
Immer wieder wurde alles rot. 
Doch plötzlich... 
Grün. 
Sie war wieder grün. 
Grün wie ihre bösartig funkelnden Augen.  

"Was möchtest du hier?" 

"Isch wollte disch fragen, wieso du misch nischt magst", verdammt, war sie unhöflich! Und dieser dämliche Akzent, der zu ihren seltsamen Hütchen passte. 

"Natürlich mag ich dich" Besonders betonte ich das "ch", um sie darauf aufmerksam zu machen, "Du bist nur neu hier. Man muss sich eben erst einleben." 

Ihr seltsamer, bösartiger Blick durchbohrte meine Augen. 

Rot. 
Grün. 
Rot. 
Verdammt! 
Diese Farben sollten aufhören!  

Diesmal schaffte ich es aber sogar zu lächeln, doch ich spürte, dass meine Lippen sich pausenlos verkrampften. 

Es ist einfach zu viel!

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 

6 : 4 7

Gerade habe ich das Frühstück hinter mir und lese durch, was ich gestern geschrieben habe. Immer noch verfolgen mich diese Albträume. Ich wache nachts grundlos auf und schreie. 

Alles wird rot. Immer wieder. 

Das ganze Frühstück lang blickte sie mich an, durchbohrte mich mit ihren Blicken, verhöhnte mich. Wie zur Hölle konnte sie auferstehen? 

Alles scheint irreal, wie ein Traum. Wie konnte alles so kommen? Ich stelle mir alle möglichen Lösungswege vor, doch keiner scheint plausibel. In Mathe habe ich x aber auch nie gefunden, also nichts Neues. 


Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top