6 Skunk

DONALD


Ich habe Beine und kann sehen! Das ist ein echter Fortschritt. Weiterhin lässt der Schrecken Mexikos meine Nackenhaare aufstehen. Noch weiß ich nicht genau, welches Tier ich bin, aber langsam gewöhne ich mich daran, nach jedem Tod eine neue Sichtweise des Lebens zu erfahren. Außer als Kaktus; das möchte ich nicht noch einmal sein.

So, wie ich die Bäume sehe, bin ich ein relativ kleines Tier, das einen buschigen Schwanz hat; größer als ein Streifenhörnchen, kleiner als ein Wolf. Wolf wäre ich gerne einmal. Sie sind mächtig und alle fürchten sie; ja, Wolf wäre super; oder Bär.

„Wolf? Lieber nicht, die fressen unsereins. Bären übrigens auch, aber nicht so gern, weil wir streng riechen; Bären stehen eher auf Süßes. Also wünsche dir etwas Kleineres, bitte."

Es ist sehr befreiend, wenn man sehen kann. Ich drehe mich um und blicke einem Stinktier ins Gesicht. Der Kerl steht nur wenige Inches von meiner Nase entfernt, riecht tatsächlich streng und grinst. „Du bist ein Stinktier." Zu mehr bin ich momentan nicht in der Lage, denn ich befürchte Schlimmes.

„Gut erkannt. Du auch, wenn ich das mal sagen darf."

Meine Befürchtung hat sich bewahrheitet. Ein Skunk; der einzige Vorteil darin liegt in unserem Lebensraum. Ich werde also noch immer in Nordamerika sein. „Wir sind in Amerika, habe ich recht?"

„Ja und nein. Wir sind in Amerika, wenn du von Nordamerika sprichst, also eher auf Amerika, wenn du so willst. Aber wir sind in Kanada; in den endlosen Wäldern des Südens. Wie kommt es, dass du nicht weißt, wo du bist? Wir leben alle hier."

Wenigstens kann der Klugscheißer mich nicht hören, wenn ich denke. Das mit den Saguaros in Mexiko war gruselig. Ich bin also in Kanada. Eigentlich hätten die USA dieses arme Land mit seinen wenigen Einwohnern schon längst übernehmen sollen. Die sitzen auf unermesslichen Rohstoffen und denken bloß an ihren Ahornsirup und Eishockey. Was für eine Verschwendung. „Kanada! Ein schönes Land. Liegt gerade neben Amerika."

„Du verwechselst da etwas. Amerika ist ein Kontinent. Das, was du meinst, ist das eingebildete, eher kleine und sehr zerstrittene Land zwischen uns und Mexiko. Aber hey, wir sind Stinktiere; wen kümmert, was wir denken?"

Sagte ich doch: Klugscheißer! Aber Moment mal: Zerstritten? Die USA? In welcher Zeit lebe ich? „Was meinst du damit, zerstritten?", frage ich mit möglichst neutral klingender Stimme.

„Na, die Menschen dort sind sich nicht einig. Es gibt jene, die alle anderen aufnehmen wollen und solche, die lieber alle anderen wegschicken würden. Menschen eben; sie gönnen sich gegenseitig nichts, also haben sie Streit."

„Welches Jahr haben wir?"

„Das ist mein dritter Sommer! Ich bin also schon ziemlich alt. Komm mit, ich bringe dich zu den anderen."

Damit kann ich nun wirklich nichts anfangen. Wir trotten davon, er voraus, ich hintendrein und erreichen schon bald die Gruppe des Kollegen. Die Gruppe lebt am Waldrand, zwischen Büschen in der Steppe. Seltsamerweise stinkt es hier nicht, obwohl mindestens zwanzig Stinktiere an einem Ort sind. Offenbar ist etwas dran an der Behauptung, dass man den eigenen Mist nicht riechen kann. In lockerer Unterhaltung lerne ich die anderen kennen. Welche Wohltat im Vergleich zu den besserwisserischen Kakteen.

Hinter mir raschelt es, vermutlich handelt es sich um ein weiteres Stinktier, weshalb ich mich nur kurz umdrehe. Keinen Meter von mir entfernt blicke ich in ein ähnliches Gesicht, aber vor mir steht ein Dachs. Ich weiche einige Schritte zurück, stelle meinen Schwanz schon mal in Abwehrhaltung.

„Nur ruhig, Neuling. Der tut niemandem was. Dolph der Dachs lebt hier schon ewig", beruhigt mich mein Kollege. „Aber sei auf der Hut. Er erzählt wirre Geschichten; mit dem stimmt etwas nicht, wenn du verstehst, was ich meine. Dem ist wahrscheinlich unser Serum nicht bekommen." Damit beginnt er zu lachen und trottet davon. Der Dachs tippelt auf mich zu, beschnuppert mich neugierig.

Ich drehe mich hastig nach links und rechts, die Schnuppernase irritiert mich. „Hey, lass das. Was willst du von mir?" Hoffentlich nicht Kinder machen - das Trauma des Regenwurm-Erlebnisses haftet mir noch an.

„Ich prüfe, ob du rein bist."

Der hat sie tatsächlich nicht mehr alle. Rein? „Was willst du damit sagen?"

„Ob du es wert bis, weiterleben zu dürfen oder ob ich meine Wölfe rufen soll." Sein Blick lässt mir die Nackenhaare aufstehen. Es ist, als ob er direkt durch mich hindurch sehen könnte. „Du warst ein Mensch, habe ich recht?"

„Woran siehst du das?" Ich mag es nicht, wenn andere schlauer sind als ich.

„Du hast keine Angst vor mir, obwohl ich größer bin als du, aber du hast Angst vor meiner Macht. Ich sehe es in deinen Augen. Nur Menschen ängstigen sich vor Macht. Wer also warst du, frage ich mich."

„Ich bin der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn wir von Macht reden: Ich bin der mächtigste Mann der Welt."

„Ist das so? Roosevelt als Stinktier? Das passt für mich gut, du hinterhältiger Planer der Koalition."

Was faselt der da? Ich bin doch nicht FDR, das wäre ja noch schöner. Demokrat; pfui. Zudem ist der schon seit achtzig Jahren tot. „Nicht Roosevelt; Trump, Donald J. Trump!"

„Kenne ich nicht, tut mir leid." Kein Muskel an diesem Dachs verrät Reue oder Demut. Aufrecht stolziert er an mir vorüber, währenddem er immer noch über den längst verstorbenen US-Präsidenten schimpft. Der Kerl wirkt sehr interessant, weshalb ich ihm folge.

Wir verlassen das Gebüsch am Waldrand und schreiten tiefer in den Wald hinein. Bei einer Höhle unter einem riesigen Redwood-Baum bleibt der Dachs stehen. Lange verharrt er wortlos. Dann dreht er sich langsam um. „Du bist ja noch immer da, Donald J. Trump. Warum folgst du mir?"

„Ich möchte deine Geschichten hören. Die Stinktiere haben mir berichtet, du könnest interessante Geschichten erzählen. Ich höre gerne zu. Was weißt du über Macht?"

„Sie ist die stärkste Waffe, die es gibt; stärker als Liebe. Wenn du deine Macht geschickt aufbaust, wird sich dir niemand in den Weg stellen. Das schönste Gefühl der Welt." Seine Augen glänzen, als ob er weit in der Vergangenheit wäre und sich an gute Zeiten erinnerte. Der Dachs legt sich vor seinen Höhleneingang.

„Du hattest Macht?", frage ich vorsichtig, immer noch unwissend, wer mir hier gegenüberliegt. „Wie hast du das erreicht?"

„Ich war ein Niemand. Schwach, kleinwüchsig, von allen abgelehnt. Aber ich war schlau und erkannte meine Chance, als die Politik und die Wirtschaft in meinem Land bergab gingen. Menschen sind dumm, sie suchen immer nach einem Verursacher für ihr Schicksal. Als ich ihnen Schuldige präsentieren konnte, folgten sie mir und lauschten meinen Geschichten. Genau wie du vorhin, übrigens." Es scheint, als würde er lächeln.

Seine Worte fesseln mich. Er scheint erkannt zu haben, wie man Menschen manipulieren kann; wir sind uns ziemlich ähnlich, vermute ich, weshalb ich über seine abschätzige Andeutung hinwegsehe. „Wenn dir die Menschen folgen, hast du noch keine Macht. Um ein mächtiger Anführer zu werden, musst du das Gesetz auf deiner Seite haben. Wie hast du das erreicht?" Über uns höre ich ein Rascheln, einzelne Nadeln des Baumes fallen runter.

„Ich sehe, du verstehst etwas von Politik. Du siehst das absolut richtig; aber das Gesetz kannst du auch zu deinen Gunsten zurechtbiegen. Für den ersten Schritt allerdings, brauchst du Geld; treue Verbündete mit viel Geld."

"Geld?", ruft eine piepsige Stimme von oben herab. Wir schauen beide hoch und entdecken einen Waschbären, der am Stamm herunterklettert. "Geld habe ich genug, wenn ihr welches braucht. Obwohl wir als Tiere damit wahrscheinlich nicht viel anfangen können. Tiere geben nichts auf Geld."

Der Dachs verdreht die Augen und wiegt den Kopf hin und her. „Nicht du schon wieder!" Dann blickt er zu mir, dreht jedoch seine Augen in Richtung des Waschbären. „Darf ich vorstellen: Der nervigste Waschbär Kanadas. Träumt davon, zum Mars zu reisen und erzählt allen, wie toll er ist."

„Elon!" Vor Freude hüpfe ich auf, tänzle, als ob ich im Wahlkampf auf der Bühne steh und lache. „Elon, du bist es wirklich."

Der Waschbär plumpst schwerfällig zu Boden, als er versucht hat, freudig in die Pfoten zu klatschen. „Donald! Du bist kein Wurm mehr – obwohl Stinktier nicht viel besser klingt."

„Sagt ausgerechnet ein Waschbär. Was wäschst du denn, wenn ich fragen darf?" Ich weiß, der ist flach. Doch billige Flachwitze kann ich gut.

„Sein Geld", macht sich der Dachs lachend bemerkbar. Der Waschbär knurrt ihn an und auch ich ziehe meine Augenlider hoch. Da ist nichts Verwerfliches dran, wenn man sein Geld ab und zu wäscht; aber was weiß der Dachs schon.

„Du solltest dich auf deine Geschichten konzentrieren", bringt Elon die Diskussion wieder in Gang. „Erzähle uns von deinem Reich, das du aufbauen wolltest." Nervös zupft er dabei an seinem Fell herum.

Der Dachs dreht sich in eine bequemere Position. Noch immer kann ich seine Macht, seine Entschlossenheit spüren. Das ist kein gewöhnlicher Dachs, soviel ist sicher. Meine Ohren sind gespitzt, die kleinen Pfötchen zittern und mein Geist ist bereit für neue Erfahrungen. Der Waschbär hat sich inzwischen von den vielen Nadeln, die nach dem Sturz in seinem Fell verheddert waren, befreit und legt sich zu uns.

Mit ruhiger Stimme beginnt der Dachs zu erzählen. „Es war nicht in Amerika, sondern in Europa, dem kleinen und zerstrittenen Kontinent, aus welchem auch eure Menschenkörper einst hergezogen sind. Damals ging es den Menschen schlecht; eine gewaltige Inflation hatte den wirtschaftlichen Aufschwung gestoppt. Meine Reden gegen die Regierung fielen auf fruchtbaren Boden, ich wurde sehr schnell bekannt und fand viel Zustimmung, in allen Bevölkerungsschichten. Sie sogen meine Gedanken in sich auf und träumten mit mir von einem besseren Leben.

Eine relativ kleine Partei wählte mich zu ihrem Anführer, wir gewannen sehr schnell neue Mitglieder. Als wir später die Macht im Land übernehmen konnten, begannen wir zielgerichtet auf unser gemeinsames Ziel hinzuarbeiten. Dabei folgten wir einem Plan, den ich in einem Buch aufgeschrieben hatte."

Unglaublich spannend, was der Dachs hier erzählt. Das klingt ganz nach mir; wir könnten direkt Verwandte sein. Der einzige Unterschied liegt in der Größe der Partei; meine Partei ist jetzt schon die stärkste Partei des Landes und wächst mit mir nur noch weiter. „Ich versuche das auch. Ich habe einen Plan, mit dem ich Amerika wieder groß machen will. Hattest du keinen Widerstand?"

Der Dachs hustet und schüttelt seinen Kopf. „Nur die Intellektuellen, die Schriftsteller und einige wenige Menschen. Ich hatte von Anfang an viele vermögende und einflussreiche Männer an meiner Seite; Geld war zu Beginn nicht mein Problem. Der Widerstand kam aus dem Ausland, aber damit muss man rechnen, wenn man mächtiger wird als alle anderen. Das Wichtigste überhaupt ist die Disziplin deiner Leute. Ohne Disziplin und ohne konsequent durchgezogene Folgen bei Vergehen wirst du scheitern. Mein Ziel war es, ganz Europa zu vereinen und unter meiner Führung in friedliche Zeiten zu leiten. Nie wieder Krieg, weil alle vereint in einem Land leben."

Der Dachs hat uns stundenlang von diesem Traumland und dem folgenden Krieg, den seine Nachbarn angezettelt hatten, berichtet. Elon hat ihm mit offenstehendem Mund zugehört. Er fand vor allem die Finanzierung des Plans und das ausgeklügelte Steuerwesen spannend, weil die Regierung sich dadurch bereichern konnte, während das Volk verarmte ohne es rechtzeitig zu bemerken. Menschen sind dumm; biete ihnen Brot und Spiele und sie tun alles, was du von ihnen willst; das wussten bereits die Herrscher Roms.

Mir hingegen haben die Säuberung der Gesellschaft, die konsequente Deportation der illegalen und rechtslosen Menschen beeindruckt. Konzentrationslager, damit sie kontrolliert werden können. Ich könnte Guantanamo vergrößern lassen und dort nicht nur Sträflinge, sondern auch Abgewiesene unterbringen. Eine gute Idee, wie ich finde. „Warum bist du gescheitert?", frage ich den Dachs schließlich.

„Ich hatte nicht mit der vereinten Gegenwehr meiner Nachbarländer gerechnet. Sie waren unter sich zerstritten, doch sie kämpften als Verbündete gegen mich. Auch ihr Amerikaner, ihr verräterisches Pack. Daraus habe ich eine Lehre gezogen: Verlasse dich auf niemanden und vertraue nur dir selbst."

Elon und ich trotten vom Dachsbau weg, wir sind hungrig geworden und der Dachs ist plötzlich eingeschlafen. Zu unserem Ärger, bevor er uns seinen Namen hat nennen können. Die anderen Stinktiere nennen ihn nur „Dolph der Dachs", ich frage mich, ob sie damit Dolph Lundgren meinen, doch der hat meines Wissens nur Actionfilme gemacht und nie versucht, ein Land aufzubauen.

Mein Gefährte und ich suchen nach kleinen Nagetieren, die wir jagen und verspeisen könnten. Wir diskutieren über die gehörte Geschichte und ich stelle fest, dass Elon von der Idee begeistert ist. Er spricht nur noch von Disziplin, von Macht und von Reichtum. Dabei glänzen seine Augen und er tänzelt nervös um mich herum. Durch seinen Lärm bemerken wir den Bären nicht, der aus dem Wald kommt. Er packt Elon mit seinen Pranken, zerreißt und frisst ihn. Dieses Bild bringe ich nie wieder aus meinem Kopf und ich habe mir zum ersten Mal gewünscht, ein blinder Wurm oder ein Kaktus zu sein.

Glücklicherweise mögen Bären keine Stinktiere – ein Vorteil der Duftdrüsen. Ich renne weg, obwohl mein Magen noch immer knurrt, doch ich möchte so schnell wie möglich zu meiner Familie zurück. Plötzlich werde ich von starken Krallen gepackt, mein Körper fliegt hoch und weil ich nicht nach unten sehen kann, riskiere ich einen Blick nach oben. Eine gewaltige Eule hat mich erwischt; als sie mich hoch im Baum absetzt, ist ihr spitzer Schnabel, der auf mich zuschießt, das Letzte, was ich vor der Dunkelheit wahrnehme.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top