4 Pläne
SEBASTIAN
Am nächsten Morgen, beim Kaffee in der Küche, fragt mich Melania, was denn gestern mit mir los gewesen sei. Ich sei offenbar bei der Gartenarbeit eingenickt. Ich erkläre ihr meine Gedanken zur Weltpolitik und dass ich mitten in der Arbeit wohl zwei Regenwürmer getötet habe.
„Weißt du, ich habe mir auch Gedanken gemacht. Wir sollten Donald helfen. Er ist ein Egoist und ein Rüpel, schon klar, aber er sollte wieder in seinem Körper leben dürfen. Wir haben das bei dir hingekriegt, dann sollte es hier doch auch möglich sein. Was denkst du?"
Ich bin mir nicht sicher, wie ich auf ihren Vorschlag reagieren soll. Doch es scheint auch mir die bessere Variante zu sein. Der Kerl, der sich momentan als Präsident der USA ausgibt, könnte gefährlich werden. Da hätten wir noch lieber einen etwas egoistischen, alten Mann, der wenig begreift, als jemanden, der nach Weltherrschaft dürstet.
„Was schwebt dir vor? Das mit den Träumen und dem Wiederfinden der Seele wird hier nicht funktionieren. Ich denke, die ausgetauschte Seele fühlt sich mit der verliehenen Macht wohl und wird sich dagegen wehren."
„Das wird sie, da bin ich mir absolut sicher. Wir müssen anders vorgehen und uns deshalb auch besser informieren. Wir sollten nachforschen, ob und wie man einen Seelensprung, ich nenne das mal einfach so, absichtlich und gegen den Willen der Person herbeiführen kann."
Das scheint mir eine gute Herangehensweise zu sein, obwohl es leicht nach Hokuspokus klingt, und ich willige ein. Die nachfolgenden Stunden sind eher öde; wir verbringen sie mit Recherche am Computer.
Hätte ich den ganzen Tag langweilige Dinge am Computer recherchieren wollen, so wäre ich Autor oder Lehrer geworden, verdammt.
Mir wird das sehr rasch zu trocken. Ich gebe vor, etwas unglaublich Leckeres kochen zu wollen und verkrieche mich in die Küche. Melania lacht, denn sie hat meine Ausrede selbstverständlich durchschaut. Nun bin ich gefordert und muss ebenso selbstverständlich ein exquisites Menü erschaffen.
‚Uber Eats' kann ich somit vergessen, und auch der Asiate um die Ecke kommt nicht in Frage. Zut.
Melania ist nicht mehr ansprechbar. Sie sitzt vor dem Bildschirm und versinkt in den Abgründen des digitalen Informationsozeans. Ich wühle mich inzwischen durch einige Kochbücher, werde fündig und stelle zufrieden fest, dass alle Zutaten vorrätig sind. Ich werde Teigwaren mit Frühlingszwiebeln und dazu einen Seefisch an einer raffinierten Weißwein-Vanille-Sauce bereiten. Den Fisch muss ich aus dem Gefrierfach holen, doch das kümmert am Ende niemanden, wenn er auf dem Teller liegt.
Während ich mit einem einfachen Apero beschäftigt bin und bereits die kleine Platte garniere, eilt Melania in die Küche, schnappt sich eine Bruschetta, beißt rein und küsst mich danach auf die Wange. „Sehr lecker, weiter so!"
Liebe geht also doch durch den Magen!
„Danke! Aber deswegen bist du nicht in die Küche gerannt. Was hast du gefunden?" Ich muss immer wieder lachen, wie jugendlich diese mächtige Frau geblieben ist, wenn sie sich nicht um Etikette kümmern muss.
„Ich hatte eine Idee: Wir sollten versuchen, Ivanka an Bord zu holen. Immerhin weiß sie auch über dich und deine Geschichte Bescheid. Wir könnten ihr gegenüber unsere Befürchtungen äußern und sie um Mithilfe bitten."
Ivanka. Ausgerechnet sie soll mit uns zusammenarbeiten? Ich denke, das ist keine gute Idee – obwohl ich mich sehr freuen würde, die hübsche Powerfrau wiederzusehen.
„Meinst du das ernst? Wie soll sie uns helfen können, wenn sie sich aus den politischen Ämtern zurückgezogen hat?"
Melania hat unterdessen die Platte mit den Vorspeisen in den Garten getragen und nach einer Flasche Wein gefragt, die ich während meiner Frage nach draußen bringe, zusammen mit zwei Gläsern.
„Sie wird sich wieder mehr einbringen müssen. Vielleicht auf Kosten von Baron. Das ist mir sowieso ein Dorn im Auge, dass ausgerechnet mein Sohn so stark in die Administration eingebunden wird. Ich muss ihn da irgendwie rausholen." Ihre Augen blicken auf den See, woraus ich schließe, dass es ihr mit diesem Gedanken ernst ist.
„Ob sie das auch will?"
„Ich denke, sie wird es wollen, wenn wir ihr erklären, womit wir es zu tun haben."
„Okay, nehmen wir einmal an, das trifft zu. Welche Rolle würdest du ihr geben wollen? Alle wichtigen Posten sind bereits durch Donalds Millionärsfreunde besetzt." Meine Einwände sind berechtigt, denn im Unterschied zu seiner ersten Amtszeit, wo er auch einige liberal denkende Politiker eingesetzt hat, und sogar einige Frauen beschäftigte, sind die aktuellen Gefolgsleute sehr reiche und mächtige Männer, allen voran der Tesla-Chef. Die einzige wirklich präsente Frau seiner Regierung ist eine sehr junge, attraktive Blondine als Präsidentensprecherin. Melania nannte sie eine fotogene Propaganda-Puppe, was ich durchaus nachvollziehen kann.
„Wir werden sie nicht offiziell in die Regierung einbinden. Wir werden sie bitten, im Hintergrund die Fäden zu ziehen und sich bei ihm wieder vermehrt als Beraterin einzubringen."
„Und du denkst, das könnte funktionieren?"
„Über die Sprecherin wird das funktionieren, ja. Sie ist eine karrierehungrige Frau, die durchaus Tipps und Hilfe von einer mächtigen Politfrau entgegennehmen wird. Vor allem dann, wenn diese Politfrau die Tochter ihres Chefs ist. Ja, das wird funktionieren."
Wir besprechen die Details und beschließen , für einige Tage in die USA zu reisen. Während sie danach die Reisevorbereitungen trifft, koche ich mein Menü fertig.
Umgekehrte Vorzeichen, die in unserem Haus gelten. Die Frau erledigt das Geschäftliche, der Mann kocht und kümmert sich um den Garten. Diese Umstände sollten sich doch finanziell verwerten lassen. Ich muss einmal mit meinen Sponsoren reden.
***
Ivanka holt uns am internationalen Flughafen ab. Wir fahren zu ihr nachhause, denn ein Zutritt zum Weißen Haus würde uns nicht gewährt werden. Melania eventuell schon, doch mir mit Sicherheit nicht, zumal Donald offiziell noch immer nichts von mir weiß. Die Begrüßung ist herzlich, Ivanka freut sich sehr, uns zu sehen.
Was für mich auf Gegenseitigkeit beruht.
Sie hat extra das Gästezimmer bereitmachen lassen, damit wir die Tage in ihrem Heim verbringen können. Seit meiner unkonventionellen Reise in den Körper des Präsidenten hat sich die Beziehung zwischen Melania und Ivanka deutlich verbessert. Sie sind mehr Freundinnen als Stiefmutter und -tochter und pflegen einen regen Austausch über Internet. Sehr schnell ist Ivanka von unserer Idee begeistert, hat aber einige Einwände.
„Das mit der sprechenden Barbie aus dem Weißen Haus wird nicht funktionieren. Sie ist machthungrig, das seht ihr absolut richtig, doch sie ist ihrem Präsidenten zu hundert Prozent hörig und betont in all ihren Anreden immer wieder, wie sie sich mit ihm abspricht. Sie wird niemals etwas zulassen, was er nicht genehmigt hat. Sie ist und bleibt eine Sprecherin – zu mehr ist sie nicht in der Lage. Sagen, was gesagt werden darf und dabei die anwesenden Herren von der Presse mit ihrem Lächeln beeindrucken."
Ich höre den verabscheuenden Unterton aus ihren Worten. Gemeinsam suchen wir nach einem anderen Weg. Der einzig Gangbare scheint ein Charmeoffensive zu sein. Ivanka wirkt von der Idee nicht sehr angetan, was aus ihrem Blick und dem Kopfschütteln deutlich zu entnehmen ist.
„Ich soll mich also bei ihm einschmeicheln? Bei meinem eigenen Vater, von dem ich momentan nicht viel halte?"
„Du vergisst dabei, dass die Seele in diesem Körper nicht Donald ist."
Als ob das einen wesentlichen Unterschied machen könnte.
Ivanka wiegt Melanias Worte ab. „Wisst ihr schon, wer es diesmal ist? Mir scheint, als sei Donalds Körper ein sehr attraktives Reiseziel für verwirrte Seelen – entschuldige, Sebastian, ist nicht gegen dich gemeint." Ivanka lächelt, Melania grinst und ich schmolle.
„Nein, wir wissen es nicht. Es scheint, als hätten wir es mit einer schlimmeren Version seiner selbst zu tun. Ich forsche in Richtung „Parallel-Welten für Seelen"; eine Möglichkeit, in welcher unterschiedliche Versionen einer Persönlichkeit existieren könnten. Sehr spannendes Forschungsgebiet, übrigens. Psychologie trifft auf Wissenschaft." Melania hat in ihrer kurzen Zeit am Computer sehr viel erfahren, alle Achtung.
Ivanka zieht die Brauen hoch, blickt zwischen uns hin und her. „Ihr wisst also nicht, mit wem ihr euch anlegt? Das könnte der Teufel persönlich sein."
Stimmt – seine Handlungen und Äußerungen sehen ihm ähnlich.
„Wir könnten gegen die Seele Hitlers oder die eines schrecklichen Tyrannen aus dem Mittelalter ankämpfen. Habt ihr euch das schon einmal überlegt?" Ivanka ist sichtlich aufgewühlt. Ihre fundierte Bildung zur Weltgeschichte geben ihr viele Ideen, mit welcher Seele wir hier zu kämpfen haben könnten.
Melania schüttelt den Kopf, legt ihn aber auch zur Seite. „Wir wissen noch nicht, ob es auch Seelen aus der Vergangenheit betreffen kann. Da bin ich aus den Nachforschungen noch nicht schlüssig geworden. Denkbar wäre es, denn Seelen überdauern den Körper. Aber ich weiß noch nicht, für wie lange das gilt. Wenn Seelen unsterblich sind, würde das viele schreckliche Dinge, die sich im Laufe der Menschheitsgeschichte wiederholt haben, erklären helfen."
„Dann behauptest du also, wenn ich dich richtig verstehe", wende auch ich ein, „dass die Menschheit nicht einfach nichts aus ihrer eigenen Geschichte lernt, sondern, dass die gleichen Bösewichte immer wieder vorkommen? Mit unterschiedlichen Körpern?" Um meinen absurden Worten mehr Gewicht zu geben, halte ich die Arme ausgestreckt, die Handflächen nach außen gekehrt und ziehe die Augenbrauen hoch.
Ivanka nickt, was mich auf den Boden der Realität zurückholt. „Ja, Sebastian, genau das behaupte ich. Wie sonst erklärst du es dir, dass ein kleiner Mann, der kein Deutscher war, mit dunklen Haaren auf dem Kopf, den arischen Mustermenschen erschaffen konnte?"
Und einmal mehr werde ich von Ivanka total entwaffnet. Diese Frau ist mein Kryptonit; ich stürze ab.
„Wenn das richtig, ist, was du hier befürchtest, dann haben wir es mit einer sehr mächtigen Seele zu tun", gibt Melania zu bedenken. „Das müsste eine Seele sein, die seit Jahrhunderten immer wieder Unheil bringt und Chaos verbreitet. Wer könnte das sein?"
„Das überlasse ich dann gerne euch", erwähnt Ivanka freundlich lächelnd, „ihr seid die Seelenforscher. Aber ich werde euch helfen. Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um Donald. Zuerst werde ich versuchen, wieder mehr in den Fokus zu rücken. Dort hat mir dein Sohnemann, Melania, die Rolle geklaut. Er ist nun das Vorzeigekind; ich werde einiges aufzuholen haben."
Melania wird bei der Nennung ihres Sohnes ruhig, sie senkt den Kopf. „Darf ich dich um einen Gefallen bitten? Von Mutter zu Mutter?", flüstert sie.
„Aber sicher. Du willst, dass ich Baron aus dem Schussfeld nehme?" Ivanka lächelt und Melania nickt.
Ich werde hier gerade Zeuge von einem umfassenden Komplott der beiden vermutlich mächtigsten Frauen der USA gegen ihren eigenen Präsidenten (Vater und Ehemann) – das macht mir so schnell keiner nach.
Melania nickt traurig und Ivanka verspricht ihr, alles zu versuchen. Es ist nicht einfach, mit der sich sehr schnell verändernden Politik im Weißen Haus Schritt zu halten. Fast scheint es, als versuche die neue Administration in so kurzer Zeit Chaos zu stiften, damit sie anschließend ihre eigene Version einer Regierung, den Masterplan 2025, umsetzen können.
Wir diskutieren mögliche Vorgehensweisen. Die meisten Pläne scheitern daran, dass wir vermutlich nicht nah genug an die Zielperson herankommen werden. Für Melania wäre das nur möglich, wenn sie sich in der Öffentlichkeit reumütig zeigen würde. Verständlicherweise findet sie diesen Weg nicht prickelnd; sie reagiert darauf, als schicke man eine Maus auf direktem Weg zur Mausefalle.
Mit vergammeltem Käse bestückt.
„Ich soll wieder bei ihm wohnen? Ist das der Plan? Es muss einen anderen Plan geben. Lasst uns nachdenken."
Ivanka und ich tauschen Blicke, auch ich bin gegen diesen Weg. Ivanka willigt am Ende ein, den Part der Annäherung zu übernehmen, wenn wir ihr versprechen können, alles Notwendige zu tun, um die Identität des Seelenwanderers ausfindig zu machen. Sie will wissen, mit wem sie es zu tun hat; das kann ich absolut nachvollziehen.
Allmählich fühle ich mich wie in einem Horrorfilm oder einem Fantasy-Buch, mit Gestaltwandlern und Untoten. Das wird echt creepy hier.
Während Melania ihre Kontakte und ihren Namen nutzt, um mit möglichst kompetenten Geschichtsprofessoren und Wissenschaftlern zu reden, durchstreife ich die Bibliotheken und das Internet nach hilfreicher Sachliteratur. Jeden Abend tauschen wir unsere Resultate aus und hören uns an, was Ivanka erreicht hat.
IVANKA
Ivanka lässt sich bei ihrem Vater im Oval Office anmelden. Leicht wehmütig denkt sie an die Zeit zurück, in welcher sie das nicht musste; eine Zeit, wo sie alle Schlüssel des Gebäudes besaß und ohne anzuklopfen jede Tür öffnen konnte. Sie weiß nicht, was ihr lieber ist.
Als man sie aber vor dem Büro bittet, noch einen Moment Platz zu nehmen, weil der Präsident bereits Besuch habe, wird ihr mulmig. Sie setzt sich auf einen der bereitstehenden Stühle am Rand des Flurs und wartet, wie das unartige Mädchen vor dem Büro des Rektors, überlegt sie sich kurz. Der Flur scheint unbewohnt. Einige Wachleute stehen bereit, weil der POTUS im Haus ist, aber ansonsten ist keine Menschenseele zu sehen.
Die Tür öffnet sich und Karoline, die Sprecherin, verlässt das Büro, auf einmal stehen sich die zwei starken Frauen für einen Moment gegenüber, unsicher, wie sie in diesem unerwarteten Fall reagieren sollen. Der Blick, den Karoline Ivanka ins Gesicht schießt, bringt Glas zum Zerspringen und lässt Springbrunnen einfrieren. Ivanka hält stand, die Szene erinnert an einen Harry Potter, der sich mit „Duweißtschonwem" duelliert.
So stehen sie frontal zueinander, keine weicht zur Seite. Nur der Wachmann, der Ivanka zur Tür begleitet hat, reagiert, indem er sie etwas nach links drückt, damit die Sprecherin vorüberstolzieren kann, siegessicher. Ohne sich nochmal um zudrehen, stöckelt sie den Flur hinunter und verschwindet hinter der nächsten Ecke.
Ivanka stößt den verwirrten Wachmann schroff von sich weg, betritt das Büro und lässt die schwere Tür ins Schloss fallen. Donald sitzt an seinem Schreibtisch und blättert lustlos einige Seiten Papier hin und her. Ivanka schreitet zu den Stühlen und setzt sich. Respektvoll wartet sie ab.
Eine kühle Begrüßung seitens ihres Vaters lässt sie aufhorchen. Ihre Sinne sind alarmiert, sie muss sich auf eine harte Verhandlung einstellen. Hinter dem Präsidenten ist das Siegel sichtbar, die Flaggen flankieren ihn – er scheint unantastbar. Doch seine Tochter lässt, auch wenn sie eventuell abgehört werden, ihren Ärger über die neuesten Dekrete, welche ihr Vater unterzeichnet hat, in sein Gesicht wehen wie der Santa Ana auf die kalifornische Küste trifft.
Seine Reaktion auf ihre Anschuldigungen und ihre Forderungen beginnt erwartungsgemäß unpersönlich, selbstlobend. Doch was er danach zu seiner Tochter sagt, lässt selbst sie als erfahrene und starke Politikerin, als Tochter des mächtigsten Mannes der Welt, erschrocken zusammenfahren.
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