10 Misserfolg
MELANIA
Endlich etwas Ruhe. Ich musste raus, frische Luft tanken und Raum für meine Gedanken finden. Ich liebe die Constitution Gardens mit dem Teich in Erdnuss-Form, Sitzbänke, wo ich in der Sonne und den Joggern beim Rumrennen zuschauen kann. In der Ferne steht der Monolith auf seinem runden, beflaggten Platz, der in vielen Filmen einen prominenten Auftritt hat.
Die Energie, die hier an jeder Ecke spürbar ist, fließt durch meinen Körper und drückt gar einige Tränen aus den Augen. Es ist schon sonderbar, wie mein Leben verläuft. Hier habe ich die Liebe gefunden, damals in New York, Pläne für die Zukunft gemacht; an diesen Teichen, in diesem Land gestaltete ich mir eine mögliche Karriere; zusammen mit dem erfolgreichen Mann, den ich nun ermorden soll.
Was ist geschehen? Das frage ich mich, seit ich nicht mehr mit Donald zusammenlebe. Zürich und die Schweiz sind traumhaft, der Alltag mit Sebastian wird nie langweilig. Hm, ich muss jedes Mal lachen, wenn ich an die Zeit zurückdenke, als der liebenswerte Tollpatsch in mein Leben trat. Er hat Fortschritte gemacht; beginnt langsam, für sein Leben Verantwortung zu übernehmen und das ist schön. In der Schweiz darf ich so sein, wie ich bin. Selbst wenn die Menschen mich erkennen, lächeln sie nur und bleiben respektvoll auf Abstand.
Mache ich das hier für die Schweiz? Mache ich es für Sebastian oder für mich? Ich mache das für alle Menschen der Erde, denke ich. Die dunkle Seele, die in Donalds Körper steckt, muss gestoppt werden; die Zukunft unzähliger Menschen steht auf dem Spiel. Und nur Ivanka und ich können etwas dagegen tun. Selbst wenn ich überzeugt bin, eine echt gefährliche Seele zu beseitigen, so ist es noch immer der Körper des Mannes, den ich einst geliebt habe. Es zerreißt mich.
Der Gardens Pond mit seiner kleinen Insel funkelt in intensivem Blau, kleine Vögelchen hüpfen auf dem Rasen umher und suchen nach Regenwürmern. Ich mag die Farbe des Wassers, sie beruhigt meine Gefühle, gibt mir Kraft. Ganz anders als der leicht grünliche, scharfkantige Lincoln-Pool, über welchen die Präsidentenhubschrauber in Hollywoodfilmen so gerne fliegen. ‚White House Down' – genau das könnte es werden, wenn wir Erfolg haben. Wie können wir den Präsidenten umbringen und ihn gleichzeitig mit seiner eigenen Seele weiterleben lassen? Ich befürchte, unser Plan geht nicht auf; das wird ein endgültiges Ende werden. Will ich das?
Zweifel machen sich breit, unser Komplott scheint zu scheitern, bevor wir es richtig geplant haben. Misserfolg auf der ganzen Linie. „Nein, Melanija Knavs! Aufgeben existiert in deinem Wortschatz nicht! Komm schon; kämpfe!"
Auf meinem Mobiltelefon suche ich nach einem Schamanen, der sich mit tibetanischem Wissen auskennt. Es gibt da einen, der nicht weit von hier lebt und arbeitet; zu ihm muss ich hin. Rasch tippe ich Sebastian und Ivanka eine Textnachricht, dass sie nicht auf mich warten sollen und ich mich wieder melden werde. Ich spüre, wie mein Körper und mein Geist neustarten. Danke, meine liebe Erdnuss.
***
Taxi fahren ist etwas, das ich schon fast vergessen hatte. Ein unbekannter Fahrer plaudert mit mir über seine Familie, lobt seine Kinder und kritisiert den aktuellen Präsidenten. Nein, kritisieren ist falsch; er flucht über ihn, verabscheut die Milliardärs-Klasse und fürchtet um seinen Job oder abgeschoben zu werden. Ich lächle, denn er scheint mich nicht erkannt zu haben. Zürich, mitten in D.C.
Die Wohnung des Schamanen liegt in einem Außenbezirk der City, das unscheinbare Gebäude erweckt kein Vertrauen und erinnert mich an viele Häuser, die ich während meiner Kindheit in Slowenien gesehen habe. Heimkehren in der Fremde; das Leben ist ein Kreis.
Quietschend öffnet sich die brüchige Holztür, als ich am Knauf ziehe. Dahinter liegen ein schmaler Flur und ein dunkles Treppenhaus. Es fühlt sich seltsam an, ohne Sicherheitsdienst an einem solchen Ort zu sein. Es riecht faulig feucht, ein Geruch, den meine Nasenflügel seit vielen Jahren nicht mehr eingeatmet haben. Als ich langsam die Treppen hochsteige, kann ich ein asiatisches Menü riechen, das in der Wohnung im zweiten Stock offenbar gekocht wird. Ich höre Kinderstimmen, ich höre TV-Geräte und entfernt ein Piano. Echtes Leben, kein Showbiz.
Über der Tür im vierten Stock hängen fünf Gebetsfahnen: blau, weiß, rot, grün und gelb. Hier bin ich richtig, und dass die Fahnen eher neu aussehen, werte ich als gutes Omen. Es riecht würzig, nach Kräutern, die ich nicht kenne, aber deren Geruch ich mag. Auf mein Klopfen öffnet ein Mann in einem roten Gewand die Tür. Sein Kopf ist rasiert, er wirkt gepflegt und elegant, obwohl sein Körper deutliche Spuren des fortgeschrittenen Alters zeigt. Seine grau-blauen Augen vermitteln Willkommen, sein Mund, in welchem ein Zahn fehlt, lächelt. „Komm herein und bring die Liebe mit." Das hat noch nie jemand zu mir gesagt, wenn ich vor einer Tür gestanden habe. Ich spüre mich lächeln.
Respektvoll betrete ich die Wohnung und kann sofort erkennen, woher der würzige Geruch stammt. In einer Nische qualmen vier dünne Holzstäbchen vor sich hin, verbreiten kleine Wölkchen des beruhigenden Geruchs in der ganzen Wohnung, die erstaunlich modern und hell eingerichtet ist. Der Mann bittet mich, die Schuhe bei der Tür zu lassen. Er führt mich zu Sitzkissen, deutet an, mich dort niederzulassen. Ohne mich zu fragen, greift er nach einer Tonschale und füllt sie mit heißem Tee aus einer bereitstehenden Kanne.
Hat er mich erwartet? Nein, das kann nicht sein. Ich habe seine Adresse aus dem Internet. Das ist nicht möglich; obwohl ich in letzter Zeit sehr viele Dinge erlebe, die ich noch vor wenigen Monaten als unmöglich abgetan hätte. Seltsam, dass mir gerade hier Nelson Mandelas Worte einfallen: ‚Alles scheint unmöglich, bis es getan wird.' Ich nippe an meinem Tee; er schmeckt wunderbar.
„Was führt dich zu mir?" Der Mann holt mich aus meinen Gedanken zurück.
„Ich brauche deine Hilfe. Es geht um die Wanderung der Seele", komme ich direkt auf den Punkt. Ich berichte ihm von unserem Problem und erzähle ihm auch von Sebastian, den ich durch Seelenwanderung kennengelernt habe. Er hört schweigend zu, nickt dann und wann und schaut mich die ganze Zeit an. Er blickt direkt in meine Seele.
***
„Wie lange wir in der Folge miteinander geredet haben, kann ich nicht genau bestimmen; es spielt auch keine Rolle. Mir schien, als hätte die Zeit sich eine Pause gegönnt. Es ist längst dunkel, als ich das Gebäude wieder verlassen habe." Ivanka und Sebastian starren mich an; mein Blick schwenkt zwischen ihnen hin und her.
„Du warst sieben Stunden weg, zwischen deiner Nachricht und jetzt", erklärt mir Sebastian.
„Entschuldigt bitte, ich hätte euch benachrichtigen sollen. Aber ich habe mehr erfahren als in allen vorangegangenen Nachforschungen zusammen. Ich weiß nun, wie wir erfolgreich sein können. Es gibt einen Weg, ohne den Präsidenten umbringen zu müssen." Falls ich Euphorie als Reaktion auf meine Worte erwartet habe, werde ich bitter enttäuscht. Ivanka und Sebastian blicken mich ungläubig, beinah mitleidig an. „Stopp, nicht gleich überborden vor Begeisterung", füge ich noch an, worauf wir alle zu lachen beginnen.
Ich berichte ihnen von meinem neuen Plan und davon, dass eine Seele, welche vertrieben werden soll, nur durch den Tod – das hatten wir schon – oder durch ein Trauma zu einem Wechsel bewogen werden kann.
„Mir scheinen die Figuren, die der aktuelle Donald um sich schart, traumatisierend genug zu sein. Was könnte das übertreffen?" Sebastian grinst bei seinen Worten.
„Jodeln?" Wieder lachen wir alle und ich bin froh, dass die beiden meinen Erklärungen gegenüber offen zu sein scheinen. Diese Albernheit tut gut, unsere Anspannung löst sich etwas.
„Danke, Melania, dass wir damit nicht zu Mörderinnen werden", fügt nun auch Ivanka an. „Ich mag diesen Plan deutlich mehr als unseren letzten. Dann lasst uns mal ein Trauma kreieren. Wovor hat wohl diese Seele am meisten Angst?"
Echte Liebe, schwirrt es mir spontan durch den Kopf, doch ich äußere den Gedanken nicht.
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