47. United

Mir wurde in den Tagen, die Niall in L.A. verbrachte, auf jeden Fall nicht langweilig, auch wenn ich immer wieder Zeit fand, meinen Freund zu vermissen. Er hatte leider kaum Zeit, mir zu schreiben oder mit mir zu telefonieren, weil er so viel arbeiten musste. Es war vor allem viel Organisatorisches zu klären, denn er plante, noch Ende des Jahres sein erstes Solo-Album zu veröffentlichen. Und dafür mussten zunächst die vielen rechtlichen Dinge geklärt werden.

Bei mir stand ein erneutes Treffen mit Mr. Stewart an, der mir mitteilte, neue Informationen bezüglich des weiteren Vorgehens für mich zu haben. Ich musste mich dem ohne Niall stellen, aber darum machte ich mir keine großen Sorgen. Ich war inzwischen eine erwachsene Frau, und ich konnte meine Probleme alleine regeln. Zwar hatte ich somit keine sprachliche Hilfe bei sämtlichen juristischen Begriffen, aber ich traute mir durchaus zu, notfalls nachzufragen. Ich war nun einmal keine Muttersprachlerin, und es war keine Schande, das offen zuzugeben.

Diesmal fuhr ich mit dem Bus zu der Anwaltskanzlei, in der wir uns wieder trafen. Inzwischen kannte ich mich in London so gut aus, dass ich damit keinerlei Probleme hatte. Fast war ich schon ein bisschen stolz auf mich, dass ich nicht in die falsche Richtung fuhr oder mir andere Missgeschicke auf dem Weg passierten. Scheinbar wurde ich tatsächlich langsam erwachsen.

Gar nicht erwachsen kam ich mir allerdings dabei vor, wie ich in Windeseile die steile Treppe hinaufstolperte, um während der Fahrt möglichst viel aus der Windschutzscheibe des roten Busses schauen zu können. Niemand sonst war oben im Bus, sodass ich die freie Sitzplatzwahl hatte. Da ich nicht oft mit dem Bus fuhr in London, kam es mir jetzt umso aufregender vor. Und ich merkte mal wieder, was für ein Glück ich hatte, dass ich in dieser fantastischen Stadt leben durfte.

Das Treffen in der Kanzlei dauerte nicht lang, im Grunde erzählte mir Mr. Stewart lediglich, dass er einen anderen Studenten hatte auftreiben können, dem das Gleiche passiert war wie mir. Da er nicht allein war, sondern ich ebenfalls eine Aussage machen würde, traute er sich nun doch, damit publik zu gehen. Er hatte zuvor die Hoffnung auf sein hart erarbeitetes Geld schon aufgegeben, teilte Mr. Stewart mir mit.

Wir machten außerdem einen Termin am Freitagvormittag aus, an welchem wir uns mit der Anwältin von Mr. Brown treffen würden, um meine Aussage auf Video aufzunehmen. Es beruhigte mich sehr, dass ich nicht in einen Gerichtssaal würde gehen müssen. Diese Art von Institution schüchterte mich normalerweise sehr ein, wie ich schon beim Umgang mit der Konfrontation vor Lukas gemerkt hatte. Und das war ja nicht einmal ein Gericht gewesen.

Mr. Stewart gab mir noch ein paar Formulare mit, auf denen er außerdem ein paar Tipps notiert hatte, die ich bei meiner Aussage beachten sollte. Ein kurzer Blick darauf zeigte mir, dass ich vor allem kurze und präzise Antworten geben sollte, und keinesfalls um den heißen Brei herumreden. Das würde ich hinbekommen, da war ich mir sicher.

Am Abend telefonierte ich über Skype mit meinen Eltern, bei denen ich mich schon länger nicht mehr gemeldet hatte, und die wissen wollten, wie es mir so ging.

„Bei mir ist eigentlich alles super." Bewusst berichtete ich nicht von meinem aktuellen Drama mit den Anwälten. Das würde sich ja klären, und meine Eltern sollten sich auf keinen Fall Sorgen um mich machen. „Ich bin gerade auf Wohnungssuche", sagte ich dann aber doch.

„Warum das denn?", fragte meine Mutter verwundert nach. „Wohnst du nicht eigentlich mit Lilly und Peter zusammen?"

„Ja, das tue ich gerade auch noch", beruhigte ich sie. „Aber die zwei wollen sich eine eigene Wohnung suchen, und damit muss ich auch raus. Ich habe allerdings schon ein paar WGs angeschrieben, die infrage kommen, also kümmere ich mich bereits."

„Kannst du nicht einfach mit Niall zusammenziehen? Der hat doch ein Haus", warf mein Vater ein, und ich war mir nicht sicher, ob er das wirklich ernst meinte.

„Naja", druckste ich herum. „Ich will ihm ja auch auf keinen Fall auf der Tasche liegen."

„Ihr könntet euch ja die Nebenkosten und den Einkauf und so teilen", erwiderte er nur, und ich konnte kaum glauben, wie selbstverständlich er das sagte. Sollten meine Eltern nicht ein Problem damit haben, wenn ich mit meinem Freund in so einem jungen Alter schon zusammenziehen wollte? Und jetzt war mein Vater sogar derjenige, der es vorschlug.

„Ja, aber ..." Ich kam gar nicht dazu, meinen Gedanken weiterzuverfolgen, da schaltete auch meine Mutter sich ein.

„Du würdest auf jeden Fall Miete sparen und könntest das Geld dann für sinnvollere Dinge ausgeben. Du kannst ihn ja mal zum Essen einladen oder so."

„Also eigentlich dachte ich, dass es keine gute Idee wäre, mit ihm zusammenzuziehen. Ich bin doch noch viel zu jung und so. Warum seid ihr denn jetzt plötzlich dafür?", wunderte ich mich.

„Das hat sogar mehrere Gründe, wenn ich jetzt so darüber nachdenke", sagte mein Vater. „Niall ist doch ein vernünftiger junger Mann. Wir kennen ihn, und wir wollen dich natürlich immer in Sicherheit wissen. Ich habe den Eindruck, dass er ganz gut auf dich aufpassen kann."

„Abgesehen davon, dass wir es ungern sehen würden, wenn du einfach so zu fremden Menschen ziehst", ergänzte meine Mutter. „Überleg mal, das können Vergewaltiger, oder Massenmörder sein."

Bei der Erwähnung des Vergewaltigers zog sich alles in mir zusammen. Meine Mutter konnte ja nicht wissen, dass sie damit einen wunden Punkt getroffen hatte, und ich gab mir die größte Mühe, nicht mein Gesicht zu verziehen.

Durch die vielen Sitzungen mit Carly hatte ich jedoch gelernt, wie ich mit so etwas umzugehen hatte. Ich atmete also zweimal tief in den Bauch ein, spürte unter meinen Socken den Boden und erdete mich innerlich. Nach wenigen Sekunden war der Schock wieder verschwunden, und ich konnte weiterreden, als wäre nichts passiert.

„Das kann ich nachvollziehen, und ich bin froh, dass ihr so darüber denkt", sagte ich etwas nachdenklich. „Ich werde mir darüber Gedanken machen und das mal mit Niall besprechen."

„Das klingt doch nach einer guten Idee", antwortete meine Mutter mit einem sanften Lächeln. „Es ist gut, wenn ihr beide so viel miteinander redet."

Zum Ende des Gesprächs erzählten meine Eltern noch, wie mein Bruder es geschafft hatte, sich den kleinen Zeh zu brechen – eigentlich lachten sie eher darüber, denn es war wirklich einfach Dummheit gewesen.

Ich war froh, mit meinen Eltern gesprochen zu haben. Wenn ich dann mit ihnen sprach, vermisste ich sie doch mehr, als ich zugeben würde. Aber vielleicht lag das jetzt auch einfach daran, dass Niall nicht da war. Und ihn vermisste ich riesig.

Ich erwischte mich dabei, wie ich zehn Minuten lang einfach nur ein Bild von uns beiden anstarrte, dann riss ich mich jedoch aus meinen Gedanken. Schließlich hatte ich genug zu tun.

Bereits seit einer Woche arbeitete ich nun bei Sony, und auch am Mittwochnachmittag stand eine Aufnahmesession im Tonstudio an.

Mein Kollege dabei war kein geringerer als David Martell, welcher als Tontechniker viel mit One Direction gearbeitet hatte. Wir begrüßten uns mit einem kurzen, ungezwungenen Handschlag.

Da der Bassist, mit dem wir aufnahmen, ziemlich lange Passagen fehlerfrei mit den gleichen Einstellungen spielte, hatten wir genügend Zeit, uns miteinander zu unterhalten. Und das stellte sich als sehr spannend heraus.

David hatte erst letztens mit Harry zusammengearbeitet, von dem er mir eine lustige Anekdote nach der anderen erzählte. Da One Direction momentan erst einmal Geschichte waren, genoss ich es total, diese Geschichten zu hören.

Niall erzählte nicht viel von den Jungs. Ich wusste, dass sie hin und wieder miteinander chatteten, aber sonst lief da nicht viel. Kein Wunder, nachdem sie fünf Jahre lang quasi nur aufeinander gehockt hatten. Es war erstaunlich, dass sie sich überhaupt noch riechen konnten. Aber sie gingen nun alle ihre eigenen Wege, und das war auch gut so. Niall jedenfalls ging momentan ganz darin auf, sein eigenes Ding durchziehen zu können.

Am Freitagmorgen stand ich extra früh auf, zog mir nach dem Duschen eine schicke Jeans und eine gute Bluse an und schminkte mich sogar ein bisschen. Ich war mir unsicher, wie formell ich bei dem Treffen mit Mr. Browns Anwältin sein musste, und riskierte es deshalb lieber, etwas overdressed zu sein. Jedenfalls für meine Verhältnisse.

Ich musste jedoch bei meiner Ankunft in der Kanzlei feststellen, dass nichts in meinem Kleiderschrank mit dem Kostüm von der Anwältin hätte annähernd mithalten können. Sie trug einen pastellfarbenen Bleistiftrock, eine weiße Bluse und darüber einen farblich zum Rock passenden Blazer. Ihre Pumps waren im gleichen Farbton gehalten, nur ihre rot geschminkten Lippen stachen hervor. Einschüchternd war das erste Wort, das mir dazu einfiel.

Jedenfalls schüchterte sie mich ganz gewaltig ein, nicht jedoch Mr. Stewart, der sie scheinbar schon kannte.

„Hallo Miss Smith, das hier ist Jessica Cooper, die Anwältin von Mr. Brown", stellte er vor. „Am besten setzen Sie sich direkt einmal, sie wird Ihnen wie besprochen ein paar Fragen stellen."

Plötzlich kam ich mir fast schäbig vor in meiner Jeans und nahm dankbar den Sitzplatz ein. Die Anwältin hantierte an der Kamera herum, die auf dem Tisch stand und direkt auf mich zeigte, dann setzte sie sich ebenfalls und begann damit, eine Frage nach der anderen vorzulesen.

Ich hatte kaum Zeit darüber nachzudenken, dass ich mich eigentlich gerade unwohl fühlte, so schnell kam eine Frage nach der anderen. Zum Glück bereitete es mir jedoch keinerlei Probleme, präzise und ehrlich auf die Fragen zu antworten. Die meisten drehten sich nur darum, warum ich überhaupt in London lebte, und was genau ich im Tonstudio gemacht hatte. Keine der Fragen brachte mich in Bedrängnis, worüber ich sehr erleichtert war. Aber schließlich hatte ich wirklich nichts falsch gemacht.

Nachdem die Anwältin mich nur so mit Fragen bombardiert hatte, war Mr. Stewart an der Reihe damit, Fragen zu stellen. Die meisten davon waren ganz ähnlich, nur etwas anders formuliert. Die Frage, die mich jedoch absolut aus den Socken haute, war auch seine letzte.

„Haben Sie jemals die Mitarbeiter von Mr. Brown gesehen, mit ihnen gesprochen oder anderweitigen Kontakt mit ihnen gehabt, der beweist, dass sie tatsächlich existieren?"

Nun war ich doch etwas verunsichert. „Mr. Brown hat mir auf jeden Fall von ihnen erzählt, aber ich habe nie Kontakt mit ihnen gehabt."

„Dankeschön", schloss er, und beendete die Aufnahme.

„Das haben Sie wirklich gut gemacht", sagte er dann an mich gerichtet. Überrascht, dass es das nun schon gewesen sein sollte, bewegte ich mich keinen Millimeter.

„Was sollte denn die letzte Frage gerade?", fragte ich etwas perplex. „Glauben Sie etwa, dass es die beiden Mitarbeiter, also dieses Ehepaar, gar nicht gibt?"

„Das sind beweislose Anschuldigungen", warf die Anwältin Jessica Cooper ein, die bis eben geschwiegen hatte. Das ließ mich wieder 10 Zentimeter kleiner werden.

„Bald nicht mehr", gab Mr. Stewart nur trocken zurück.

Während die Anwältin noch im Raum blieb, geleitete Mr. Stewart mich hinaus. „Ich danke Ihnen sehr für die Kooperation", sagte er, während er meine Hand schüttelte. „In einer halben Stunde zeichnen wir noch die Zeugenaussage von dem ebenfalls betroffenen jungen Mann auf, und wenn sich seine Aussagen mit den Ihren decken, dann sollten Sie nur noch per Post von mir hören, denn dann werden wir diesen Fall gewinnen, und Sie bekommen Ihr wohlverdientes Geld zurück."

„Ich danke Ihnen", gab ich nur zurück, so perplex war ich. Das sollte wirklich alles gewesen sein?

Der ältere Herr ließ ein leichtes Lächeln sehen: „Ach, das ist mein Job."

Es fühlte sich an, als wäre ich von einer großen Last befreit worden. Auf dem Rückweg trällerte ich vor Freude fast vor mich hin.

In der WG, wo weder Lilly noch Peter anwesend waren, packte ich nur meine Sachen für das Wochenende zusammen, das ich komplett mit Niall verbringen wollte. Zum Mittagessen mache ich mir eine Scheibe Toast mit Käse, für mehr hatte ich nicht die Ruhe.

Denn die Schmetterlinge in meinem Bauch machten sich bemerkbar, und wie. Ich konnte es kaum erwarten, Niall endlich wieder zu sehen. Er saß bereits im Flieger, das hatte er mir vorhin geschrieben.

Mit meiner großen Umhängetasche auf der Schulter verließ ich die Wohnung und machte mich auf den Weg zur U-Bahn. Der Weg nach High Barnet kam mir irgendwie länger vor als sonst.

Auf meinem Handy hatte ich eine Zutatenliste gespeichert, die ich nun immer wieder durchging.

Denn ich wollte nicht den gleichen Fehler wie letztes Mal machen, als ich auf Niall gewartet hatte: Dieses Mal würde ich kochen. Und am besten die Küche wieder aufräumen, bevor er nach Hause kam.

Einkaufen ging ich dafür in High Barnet, denn der Supermarkt war praktischerweise nur ein paar Meter von der Endhaltestelle entfernt. Außer den Dingen, die ich für mein Kochexperiment brauchte, kaufte ich noch Eier, Milch und dergleichen, damit wir auch am restlichen Wochenende ausgestattet waren.

Dann fuhr ich mit dem Bus zu Nialls Einfamilienhaus. Die Einkäufe waren schwer und hatten kaum in meine Tasche gepasst, aber ich musste sie zum Glück nicht lange tragen.

Am Gartentor zu Nialls Haus blieb ich stehen und stellte die schwere Tasche ab. In meiner Jackentasche kramte ich nach dem Schlüssel, den Niall mir gegeben hatte, und musste beim Blick auf den Anhänger schmunzeln. Er hatte mir tatsächlich einen Niall and the potatoes Anhänger geschenkt. Das war vor allem witzig, weil ich den gleichen Anhänger damals bei meinem ersten Londonaufenthalt, als wir uns kennengelernt hatten, besessen hatte.

Problemlos schloss ich das Tor auf, und machte es gewissenhaft hinter mir wieder zu. Ich wollte hier schließlich keine bösen Überraschungen erleben. Im Vorgarten war noch alles winterfest eingepackt, kein Wunder. Niall achtete schließlich sehr auf seine Pflanzen.

Im Haus angekommen hängte ich meine Jacke auf, stellte meine Schuhe ab und begab mich in die Küche. Direkt nachdem die Einkäufe im Kühlschrank gelandet waren, machte ich einen kleinen Rundgang durch das Haus. Dabei lüftete ich ordentlich und goss außerdem Nialls heilige Pflanzen. Einige von denen hatten es auch dringend nötig, weil in der Zwischenzeit niemand hier gewesen war, und ich überhaupt nicht daran gedacht hatte, extra dafür in den Norden Londons zu fahren. Hoffentlich merkte Niall das nicht, oder war mir zumindest nicht böse.

Mit einem Blick auf die Uhr begann ich langsam mit den Vorbereitungen für das Kochen. Ich schnitt Zwiebeln, Karotten und Äpfel und legte mir diese in Schüsseln bereit. Als nächstes wollte ich das Fleisch würzen, und öffnete den Kühlschrank, um dieses herauszuholen. Jedoch gelang es mir auch nach mehreren Blicken nicht, dieses zu finden.

Innerlich schlug ich mir mit der Hand gegen die Stirn. Toll, ich hatte das Fleisch vergessen, ich Dummerchen. Eigentlich hätte es mir klar sein müssen, dass ich nicht in der Lage dazu war, fehlerlos ein essbares Gericht zuzubereiten. Dann würde es also vegetarisch werden, auch nicht schlimm.

Ich setzte den Reis mit den geschnittenen Karotten und einem Teil der Zwiebeln auf und begann anschließend, die restlichen Zwiebeln in der Pfanne anzubraten. Natürlich benutzte ich dafür den legendären Gitarrenpfannenwender, nach dem ich erst einmal ein Weilchen suchen musste in Nialls Küche.

Zu den Zwiebeln kippte ich Sahne und würzte die so entstandene Soße mit allem, was ich so in Nialls Gewürzschrank finden konnte. Diesmal machte ich jedoch nicht den Fehler, klemmende Deckel über der Pfanne zu öffnen. Dieses Gericht sollte nämlich nicht nach Zimt schmecken.

Allerdings nach Curry, weshalb von diesem Gewürz besonders viel in der Pfanne landete. Das Rezept hatte ich von meiner Mutter bekommen, und ich vertraute ihr was den Geschmack anging sehr. Hoffentlich würde es Niall ebenso gefallen.

Bei dem Gedanken an ihn waren die Schmetterlinge direkt wieder da, und ein Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Dieser Abend würde noch richtig schön werden, da war ich mir sicher.

Ich schmeckte die Soße ab, und fügte noch die Äpfel hinzu. Während alles weiter vor sich hin köchelte, warf ich einen Blick auf mein Handy. Gutes Timing, denn Niall schrieb mir gerade, dass er gelandet war und bald da sein würde.

Ich wandte mich schon einmal dem Abwasch des Küchenmessers und Schneidebretts zu und räumte die Gewürze weg, damit die Küche nicht allzu sehr im Chaos versank.

Der Wecker, den ich für den Reis gestellt hatte, klingelte, sodass ich mir Nialls riesige Backofenhandschuhe schnappte, und der Gefahr des heißen Deckels gegenübertrat. Vorsichtig hob ich den Deckel an, und rührte mit einem Löffel einmal darin herum. Ein bisschen Flüssigkeit war noch da, weshalb ich den Deckel wieder aufsetzte.

In diesem Moment hörte ich, wie sich die Haustür öffnete, und war schneller als ich gucken konnte in den Flur gerannt.

Niall hatte mich wohl ebenfalls nicht so schnell erwartet, weshalb er etwas überrascht schien, als ich ihn ansprang und direkt küsste.

„Ich hab dich so vermisst", brachte ich zwischen mehreren Küssen hervor und drückte ihn ganz fest.

„Ich dich auch", lachte er, und ich merkte, wie er meinen Duft einsog. „Uh, kochst du etwa?" Vielleicht war es doch nicht mein Duft gewesen, aber das war mir in diesem Moment egal.

„Ja", berichtete ich stolz. „Es ist eigentlich auch schon fertig."

„Okay, lass mich noch kurz die Schuhe ausziehen und aufs Klo gehen", grinste Niall, als ich ihn direkt mitziehen wollte. Das konnte ich ihm nun wirklich nicht verwehren, also ging ich erst einmal allein in die Küche.

Todesmutig bewaffnete ich mich erneut mit den Ofenhandschuhen und hob den Deckel vom Reis an, um ihn zur Seite auf die Arbeitsplatte zu legen. Damit hatten sie ihren Dienst erfüllt, und ich verfrachtete sie zurück in eine der Schubladen.

Rechts daneben holte ich zwei Teller heraus, auf die ich uns nun Reis und Soße schaufelte. Niall hatte schließlich bestimmt Hunger.

Ich war mir nicht sicher, ob die Schmetterlinge in meinem Bauch mir überhaupt Platz für das Essen lassen würden, aber versuchen musste ich es schließlich.

„Wow, Lena, ich bin echt beeindruckt", ließ Niall verlauten, als er die Küche betrat. „Ich war mir nicht sicher, ob ich mir nicht vielleicht eine neue Küche anschaffen muss."

„Du bist gemein", ich knuffte ihn scherzhaft in die Seite. „Schließlich bin ich keine vierzehn mehr."

„Das bist du wirklich nicht." Und wieder küssten wir uns so intensiv, dass ich nach Luft schnappen musste und nicht mehr wusste, wo rechts und wo links war. Aber das war eigentlich egal, solange ich diesen Mann vor mir küssen konnte, so viel ich wollte. Und er schien dem auch nicht abgeneigt zu sein.

„Essen. Kalt", brachte der Ire schließlich hervor, er schien also doch ziemlich hungrig zu sein.

Wir lösten uns also voneinander und trugen gemeinsam die Teller und Gläser ins Wohnzimmer. Während ich jedem von uns ein Bier vom Platz unter der Treppe holte, machte Niall leise Musik an, die mir richtig gut gefiel. Es handelte sich dabei um irgendein Streichquartett, das ich jedoch nicht genauer identifizieren konnte.

Beim Essen sprachen wir nicht miteinander, aber unsere Blicke sagten mehr als alle Worte.

Vor Niall hatte ich nicht gewusst, dass ein Mann beim Reis essen so sexy aussehen konnte. Ich konnte nicht anders, als ihn die ganze Zeit über anzustarren. Wie seine schönen Hände die Gabel zum Mund bewegten, und was diese Hände sonst noch so alles konnten. Meiner Fantasie waren da keine Grenzen gesetzt, vor allem da ich das selbst schon erlebt hatte.

Immer wieder musste ich mich selbst ans Essen erinnern, weil Nialls Äußeres mich so sehr ablenkte. Allein wie seine kräftigen Kiefermuskeln sich bewegten, wenn er kaute. Von seinen wohlgeformten Lippen ganz zu schweigen.

Eigentlich wollte ich die ganze Zeit nur, dass wir endlich fertig wären. Und auch Niall schien das so zu sehen.

Nach dem Essen hielten wir uns nicht damit auf, den Tisch abzuräumen oder auszutrinken, sondern standen direkt auf.

Niall nahm sich seinen Koffer in die eine und mich an die andere Hand, dann zog er mich die Treppe hoch. Ich schaffte es gerade noch so, den Lichtschalter zu betätigen, sodass das Licht des Erdgeschosses ausging.

Dabei hatte ich aber nicht bedacht, dass wir ja nun noch die Treppe hinaufzusteigen hatten, was wir im Dunkeln taten. Erst im Schlafzimmer machte Niall das Licht an, und legte seinen Koffer an die Seite. Der war jetzt nicht wichtig.

Ohne ein weiteres Wort legten wir uns zusammen aufs Bett und kuschelten uns aneinander. Ich bettete meinen Kopf auf seiner Brust und hörte seinem Atem zu.

„Lena, ich habe die ganze Zeit schon darüber nachgedacht, und möchte dir gern ein Angebot machen", wisperte Niall. „Du musst es aber auf keinen Fall annehmen."

„Worum geht es denn?" Ich hatte merkwürdigerweise gar keine Angst, dass er etwas sagen könnte, was mir nicht gefallen würde. Denn ich kannte Niall, und er kannte mich.

„Wenn du das gern möchtest, kannst du bei mir einziehen. Wir würden uns natürlich die monatlichen Ausgaben teilen, wenn das dein Wunsch ist." Ich merkte, dass es Niall Überwindung kostete, dieses Angebot auszusprechen.

In diesem Moment war ich unglaublich froh, mit meinen Eltern über dieses Thema bereits gesprochen zu haben. Denn so stand die Antwort darauf für mich bereits fest.

„Das möchte ich sehr gern", gab ich leise, aber mit fester Stimme zurück. „Ich möchte so viel wie möglich bei dir sein."

Nialls erleichtertes Ausatmen merkte ich ganz deutlich daran, dass ich immer noch halb auf ihm lag.

Eine Weile lang sprachen wir nicht, nur unsere Hände strichen immer wieder über den Körper des anderen.

„Niall, ich möchte dir auch gern ein Angebot machen", flüsterte ich in die Stille hinein. Die Schmetterlinge in meinem Bauch überschlugen sich beinahe vor Freude auf das, was ich nun vorschlagen würde. Ich nahm all meinen Mut zusammen. Auch wenn ich mir sicher war, dass ich das hier wollte, war es dennoch schwer, es auszusprechen.

„Ich möchte gern mit dir schlafen."

Was auf diesen Satz folgen sollte, hätte ich mir niemals erträumen können. Niall antwortete darauf mit Taten, und nicht mit Worten. Er fragte nicht, ob ich mir sicher war, denn er wusste es einfach. Wir verstanden uns blind, und wir vertrauten einander vollkommen in diesem Moment.

Seine Hände strichen über meinen Körper und er hinterließ damit heiße Spuren auf meiner Haut. Während wir uns immer wieder küssten und überall streichelten, verloren wir beide ein Kleidungsstück nach dem anderen.

Mein Herz schlug so schnell wie noch nie, und ich hatte den Eindruck, dass es mir bald aus der Brust springen würde. Niall schien es ebenso zu gehen. Das merkte ich, als ich mit meinen Händen über seine Brust fuhr und seinen Herzschlag spürte. Es war umso aufregender, dass es uns beiden in diesem Moment so ging. Dass unsere Herzen im Einklang schlugen und wir diesen Schritt beide als etwas ganz Besonderes wahrnahmen.

Die Schmetterlinge in meinem Bauch breiteten sich überall dorthin aus, wo Niall mich berührte oder küsste. Seine Lippen wanderten über meinen Hals zu meinem Schlüsselbein und immer weiter nach unten.

Einerseits fühlte es sich so irreal an, fast wie in einem Märchen, weil es so wunderschön war. Und andererseits waren all meine Gefühle in diesem Moment für Niall so richtig, und so echt, dass ich mich kaum halten konnte vor Freude und Glück.

Ich war endlich angekommen. Bei Niall, und bei meinem nun erwachsenen Ich.

Und als unsere Körper sich endlich vereinten, da wusste ich, dass es nichts Besseres auf der Welt gab als Niall und mich, und dass ich ihm für immer so unendlich nah sein wollte.


THE END

Dieses Kapitel ist fast doppelt so lang geworden wie alle vorherigen, weil vor dem Ende noch so Einiges passieren musste. Ich hoffe das hat euch gefallen. Gleich veröffentliche ich noch das Nachwort und würde mich freuen, euch da noch ein letztes Mal zu begegnen.

Mich interessieren eure Meinungen zum Ende und zur ganzen Geschichte sehr, also raus damit :)

LG Catrifa xx

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