45. Living circumstances
„Ich hab den Job!", jubelte ich und sprang Niall fast um, der gerade aus der Küche kam. Er riss seine Augen auf und vollführte mit mir einen kleinen, aber sehr merkwürdigen Freudentanz.
„Ich bin so stolz auf dich", keuchte er dann, nachdem wir mit dem Herumspringen aufgehört hatten. „Ich wusste, dass du das schaffst."
„Ich irgendwie auch", gab ich mit einem fetten Grinsen zu.
„Ich bin froh, dass das geklärt ist, denn jetzt können wir das nächste Problem in Angriff nehmen", sagte Niall dann mit einem Blick auf sein Handy. „Mein Anwalt hat mir geschrieben, sie haben einen Ansatz und würden sich gern mit dir treffen, damit du eine Aussage dazu machen kannst."
Bei diesem Satz musste ich erst einmal schlucken, denn das bedeutete wieder einmal Konfrontation. Und das eine Mal mit Lukas hatte mir eigentlich schon gereicht. Aber es half nichts, ich wollte mein wohlverdientes Geld haben und das bedeutete auch, dass ich mich in unangenehme Situationen begeben musste. So war nun einmal das Erwachsenleben.
Am Nachmittag musste ich die Zweisamkeit mit Niall verlassen, da ein wichtiges Seminar an der Uni stattfand, das ich nicht verpassen wollte. Er brachte mich noch mit dem Auto zur U-Bahn-Station von High Barnet, und wir verabschiedeten uns mit einem nie enden wollenden Kuss voneinander.
Hätte ich nicht gesessen, wären meine Knie wohl einfach eingeknickt, so sehr machte Niall meinen Körper zu Wackelpudding. Mit meinen Händen fuhr ich durch seine Haare und zog seinen Kopf noch näher zu mir heran, während seine Zunge auf Entdeckungsreise ging.
Unwillig löste ich mich schließlich leicht keuchend von ihm und warf einen Blick auf die Uhr.
„Die Bahn muss ich jetzt echt kriegen", gab ich bedauernd von mir. Niall nickte nur und schien auch ein bisschen durch den Wind von unserem Kuss.
„Pass auf dich auf", sagte er liebevoll, und ließ mich aussteigen.
Als wir schon am nächsten Tag gemeinsam zur Anwaltskanzlei fuhren, hielt meine Aufregung sich erstaunlicherweise in Grenzen. Ich war eher gespannt darauf, was dieser Termin nun bringen würde.
Beim Betreten der Kanzlei entdeckte ich jedoch ein mir bekanntes Gesicht neben Nialls Anwalt, sodass mein Herz dann doch anfing, schneller zu klopfen. Woher kannte ich nur diesen Mann?
Die beiden Anwälte führten uns in ein Besprechungszimmer, das überwiegend mit alten Holzmöbeln ausgestattet war, und wir setzten uns vor den massiven Schreibtisch.
Der ältere Herr mit dem angegrauten Schnurrbart reichte uns die Hand und stellte sich als Jeffrey Stewart vor. Auch übernahm er den Großteil des Gesprächs, denn Nialls Anwalt schien nur der Vermittler zu sein.
„Ich möchte es gleich von vornherein sagen, ich bin Mr. Brown schon seit längerem auf der Spur, und Sie sind sicherlich nicht die Einzige, der er bisher ein Stipendium angeboten und dann keinen Lohn bezahlt hat. Allerdings hat sich bisher niemand von den Getroffenen vor Gericht oder unter Eid dazu äußern wollen, was die Beweislage äußert schwierig gestaltet hat."
Ich war überrascht davon, dass Mr. Stewart sich scheinbar bereits sehr intensiv mit diesem Fall auseinandergesetzt hatte. Eigentlich war ich bisher davon ausgegangen, dass ich die Einzige war, der so etwas passierte, und dass es sich vielleicht durch höfliches Bitten bei Mr. Brown von selbst erledigen würde. Das schien jedoch nicht der Fall zu sein.
„Dann ist es ja gut, dass das nun geklärt werden kann", war das Einzige, das mir in diesem Moment dazu einfiel. Etwas unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her.
„Ich weiß noch nicht, ob das so einfach wird", antwortete Mr. Stewart. „Wie gesagt, arbeite ich schon länger an diesem Fall, und es ist wirklich schwierig, eine erdrückende Beweislast aufzubauen."
Während er weiter auf die Details einging und von der Geschichte des Falls erzählte, überlegte ich krampfhaft, wo ich ihn schon einmal gesehen haben könnte. Sein Name kam mir eigentlich nicht bekannt vor. War es vielleicht im Fernsehen gewesen?
„Wie genau haben Sie denn Ihre Arbeitsstunden dokumentiert?", wollte er nun von mir wissen, sodass ich aus meinen Gedanken herausgeworfen wurde.
„In einem kleinen Heft, also handschriftlich", antwortete ich, nachdem ich kurz nach Worten gesucht hatte. „Das liegt tatsächlich dort im Büro auf seinem Schreibtisch, ich habe es immer dagelassen."
„Und haben Sie Kopien oder Abschriften davon?", fragte er weiter.
„Nein, leider gar nicht. Ich habe vielleicht die eine oder andere Seite abfotografiert, aber vollständig ist das nicht einmal annähernd."
„Problematisch ist das natürlich schon. Denn ich schätze Mr. Brown so ein, dass er dieses Heft auch verschwinden lassen würde, wenn es darauf ankommt." Der ältere Herr lehnte sich in seinem Stuhl zurück und strich sich über die kurzen Haare.
Erneut hatte ich den Eindruck, dass mir sein Gesicht bekannt vorkam.
„Dann steht es vermutlich Aussage gegen Aussage, wenn es darauf ankommt, oder?", versuchte ich mein weniges juristisches Wissen miteinzubringen.
Nialls Anwalt nickte daraufhin nur und übernahm die Gesprächsleitung, indem er begann zu erläutern, wie sie nun weiter vorgehen würden. Ich baute darauf, dass Niall mir danach helfen würde, denn bei den vielen juristischen Fachbegriffen kam mein Englisch einfach noch nicht mit, auch wenn ich inzwischen fast perfekt sprach.
„Vielen Dank für die Kooperation, wir sprechen uns dann in wenigen Tagen wieder, und ich melde mich bei Ihnen", schloss Mr. Stewart schließlich unser Gespräch.
Wir standen auf, reichten uns zum Abschied die Hand, und als Mr. Stewart seine Aktentasche vom Boden an sich nahm, schoss es mir durch den Kopf. Es war meinem Gefühl nach schon ewig lange her, aber jetzt wusste ich wieder, wo ich Mr. Stewart zum ersten Mal gesehen hatte. Es war an dem Tag, als ich mich mit Mr. Brown über ein Jobangebot unterhalten hatte. Ich war mit der U-Bahn gefahren und hatte durchweg den Eindruck, als würde der Mann mit der Aktentasche mich verfolgen, sogar bis zum Bürokomplex. Wahrscheinlich hatte er das sogar tatsächlich getan, nur eben nicht aus den Gründen, die ich zu dem Zeitpunkt vermutet hatte. Er war den Brown Music Productions schließlich schon etwas länger auf der Spur, wie er selbst gesagt hatte.
Meine Gedanken teilte ich nicht, war jedoch erleichtert, nun zu wissen, woher ich das Gesicht kannte.
Als wir nach dem Gespräch die Treppen zur Straße hinuntergingen, war ich unendlich froh, Nialls Hand zu halten. Mein Hang dazu, zwei linke Füße zu haben, zeigte sich mal wieder von seiner besten Seite, sodass ich Niall fast mit mir die Treppe hinunterriss, als ich stolperte. Stattdessen konnte er mich aber glücklicherweise noch halten. Das Kichern hinter uns hatte ich mir sicher nur eingebildet.
Am Nachmittag hatte Niall einen Termin mit einem befreundeten Musikproduzenten, sodass ich mich alleine mit der U-Bahn auf den Weg zu meiner WG machte. Überraschenderweise waren sowohl Peter, als auch Lilly bereits dort. Normalerweise arbeitete wenigstens einer der beiden länger, dass beide schon um 14 Uhr zu Hause waren kam selten vor.
Wir beschlossen, uns etwas zu essen beim nächsten Nando's zu holen, und zogen kurze Zeit später zu dritt los. Bei unserem Gespräch fiel mir auf, dass wir uns länger nicht mehr zu dritt ganz normal unterhalten hatten. Ich war durch die Beziehung mit Niall viel weniger in der WG als normalerweise, und wenn ich doch mal dort war, war es umso seltener, dass sowohl Lilly, als auch Peter anwesend waren.
Wir betrieben zunächst ein wenig Smalltalk. Peter redete davon, wie es gerade bei Sony aussah, und an welchem Projekt er arbeitete. Von seinen technischen Begriffen verstand ich zwar nur die Hälfte, das war jedoch nicht schlimm. Es war eine Freude, ihm dabei zuzuhören, wie er in dem Thema ganz aufging.
Er verstummte nur, als wir das Nando's betraten und unser Essen zum mitnehmen bestellten. Wir hatten alle unsere Lieblingsgerichte im Hähnchenrestaurant und brauchten deshalb nicht lange, uns zu entscheiden.
Auf dem Rückweg stieg mir immer wieder der Geruch des leckeren Hähnchens in die Nase, der uns alle drei dazu bewog, einen schnelleren Gang einzulegen.
Als wir schließlich beim gemeinsamen Essen am Tisch saßen, übernahm Lilly nach einer Weile des Schweigens das Wort.
„Also Lena, es ist ganz gut, dass wir uns jetzt mal alle zusammen sehen, denn wir müssen unbedingt mit dir reden."
Ich schluckte. Was wollte sie wohl sagen? Hatte ich mich falsch verhalten, oder war irgendetwas passiert?
„Guck doch nicht so." Peter hatte meinen Gesichtsausdruck scheinbar bemerkt. „So schlimm ist es dann nun auch wieder nicht."
Ich atmete, nun etwas erleichterter, mit einem Seufzen meine angehaltene Luft wieder aus.
„Aber angenehm ist mir dieses Gespräch trotzdem nicht", fuhr Lilly fort. „Ich weiß nicht, ob du dich daran noch erinnerst, aber wir hatten ja als du zu uns gezogen bist, mal gesagt, dass das nur eine temporäre Lösung ist."
Ich nickte. Zwar hatte ich das zwischenzeitlich erfolgreich verdrängt, aber jetzt wo sie es sagte, erinnerte ich mich wieder daran.
„Wir wollen dich zwar auf keinen Fall loswerden, allerdings haben Peter und ich uns dazu entschlossen, dass wir uns gern zu zweit eine kleinere Wohnung unabhängig von Sony nehmen wollen. Wir wollen einfach nicht so komplett von unserem Arbeitgeber abhängig sein, und Sony wird diese Wohnung sicher auch gern wieder Minderjährigen zur Verfügung stellen wollen, so wie sie das damals mit uns getan haben, als du in deinen Sommerferien bei uns warst."
Erneut nickte ich, wusste aber nicht so richtig, was ich dazu sagen sollte. Natürlich verstand ich Lillys und Peters Beweggründe und stimmte ihnen auch zu, aber wo ich jetzt hinziehen sollte, vor allem da gerade das Geld so knapp war, wusste ich nicht. Es machte mich sogar ein bisschen wütend, dass sie mich einfach so auf die Straße setzen würden.
„Wir wollten dir so früh wie möglich Bescheid geben, damit du dich nach einer anderen WG umschauen kannst", fügte Peter hinzu, als ich nichts sagte. „Wir haben ja auch selbst noch keine passende Wohnung gefunden, deshalb dauert es sicher noch ein paar Wochen oder sogar Monate, bis es soweit ist."
Das beruhigte mich nun doch ein wenig. So hatte ich Zeit, Geld zu sparen für die erste Miete, die bestimmt nicht so günstig war, wie die, die ich jetzt zahlte. Dass ich überhaupt so lange bei den beiden hatte wohnen können war keine Selbstverständlichkeit, und ich war froh, dass ich diese Möglichkeit bekommen hatte.
„Ich danke euch, dass ich so lange mit euch wohnen durfte", meldete ich mich dann damit auch zu Wort. „Und ich kann eure Entscheidung auf jeden Fall nachvollziehen. Natürlich finde ich es etwas schade, aber es ist gut, dass ihr mir so früh Bescheid gebt. Ich finde bestimmt irgendetwas." Da war ich mir tatsächlich in diesem Moment nicht ganz so sicher, aber ich wollte auch nicht herumheulen. Inzwischen kannte ich ja wirklich ein paar mehr Menschen in London, und vielleicht könnte ich sogar mit jemandem aus meinem Studiengang zusammenziehen, das wäre auf jeden Fall sehr praktisch.
Wir redeten beim Rest des Essens noch darüber, dass ich ja sowieso den Großteil meiner Zeit bei Niall verbrachte, wenn er nicht gerade weg war.
„Du kannst ja eigentlich gleich zu ihm ziehen", witzelte Peter, aber das lehnte ich kategorisch ab.
„Ich will auf keinen Fall von ihm oder seinem Geld abhängig sein", beteuerte ich. „Deshalb brauche ich schon meine eigene Wohnung, auch wenn das vielleicht etwas aufwändiger und teurer ist."
Lilly konnte das sofort nachvollziehen. „Das ist ja auch einer der Gründe, weshalb wir hier ausziehen wollen. Vor allem für mich. Als Kind war ich von meinen Eltern abhängig, als Jugendliche von Sony und jetzt möchte ich wenigstens in einigen Lebensbereichen unabhängig leben können und selbstständig sein", erklärte sie.
Nach dem Essen telefonierte ich noch mit Niall, den ich auf den neusten Stand der Dinge brachte. Er versprach mir sofort, auf jeden Fall bei der Wohnungssuche zu helfen, und sich bei seinen Freunden und Bekannten in London umzuhören, wofür ich ihm sehr dankbar war. Dass ich bei ihm wohnen könnte, brachte er dabei nicht einmal zur Sprache. Stattdessen berichtete er mir aber haarklein vom Treffen mit dem Musikproduzenten.
„Es lief so gut, wir haben sogar schon konkrete Ideen ausprobiert, wie wir den ein oder anderen Song instrumentieren können. Ich muss dir die Samples davon unbedingt zeigen, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Oder warte, ich spiel dir das direkt ab, ein Moment." Er war so begeistert, dass ich unweigerlich mitlächeln musste. Die Klänge konnte ich durch meine Handylautsprecher zwar nur so halb hören, aber das machte mir überhaupt nichts aus. Was zählte, war, dass Niall glücklich war.
Abends im Bett ohne Niall fiel es mir schwer, einzuschlafen. Obwohl der Tag lang, anstrengend und ereignisreich gewesen war, konnte ich keine Ruhe finden. Immer wieder drehte ich mich hin und her und meine Gedanken drehten sich im Kreis.
Meine Lebensumstände würden sich in den nächsten Wochen nicht nur wegen meines neuen Jobs ändern, das stand fest. Gewissermaßen freute ich mich aber auch darauf. Denn Veränderungen mussten nichts Schlechtes bedeuten, das war schon immer meine Einstellung gewesen. So hatte ich mich ja auch in jungen Jahren schon auf das ein oder andere Abenteuer im Ausland eingelassen. Und auch dieses Mal würde ich das irgendwie hinkriegen. Ich war ja glücklicherweise nicht allein damit.
Hallo ihr Lieben :)
Wie hat euch das Kapitel gefallen, hattet ihr Spaß beim Lesen?
Erinnert ihr euch noch an den Mann mit der Aktentasche? Er kam in Kapitel 21 vor, das war also schon lange geplant.
Was haltet ihr davon, dass Lilly und Peter ausziehen wollen? Und wie findet ihr es, dass Lena nicht zu Niall ziehen möchte? Würdet ihr das an ihrer Stelle genauso sehen?
Niana ist übrigens jetzt der offizielle Shipname von Niall und Lena.
Nach aktuellem Stand ist das hier das drittletzte Kapitel. Ich bin gerade fleißig am Schreiben, aber da ich zu einem guten Abschluss kommen möchte, brauche ich dafür auf jeden Fall noch ein paar Tage.
Liebe Grüße und bleibt gesund
Catrifa xx
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