43. Angst

In der Nacht konnte ich kaum schlafen, weil meine Geldprobleme mir richtig zu schaffen machten. Ich besaß noch etwas mehr als 30 Pfund, wie hatte es überhaupt so weit kommen können? Wie konnte ich das jetzt noch retten? Ein weiterer Job würde mir nicht schnell genug Geld bringen, abgesehen davon, dass ich momentan noch weiter ins Tonstudio gehen musste. Schließlich hing mein Stipendium ebenfalls daran.

Meine Eltern wollte ich nicht nach Geld fragen, denn ich wollte nicht so sehr von ihnen abhängig sein. Sie überwiesen mir das Kindergeld und Unterhalt, und das war schon sehr viel wert. Außerdem wollte ich ihnen keine Sorgen bereiten.

Niall um Geld zu bitten stand außer Frage. Auch wenn er es mir ohne zu zögern geben würde, das wollte ich keinesfalls. Und so hatte ich jetzt ein richtiges Problem.

Carly schien das bei unserer Sitzung am nächsten Tag ebenfalls zu merken, denn sie fragte mich prompt, was mit mir los sei. Es war mir unangenehm, mit ihr über das Thema Geld zu reden, aber schließlich erzählte ich doch davon. Es war wie eine Last auf mir, die es verhinderte, dass ich an irgendetwas anderes dachte oder daran arbeiten könnte. Und es war eine Last, die durch bloßes Reden nicht besser wurde. Es war gut, dass meine Psychologin darüber im Bilde war, was bei mir gerade los war. Sie hätte meine Laune und mein Verhalten sonst möglicherweise auf die Ursache Lukas geschoben, mit dem das Ganze ja nun gar nichts zu tun hatte. Wir kamen aber in dieser Sitzung überhaupt nicht voran und ich hatte das Gefühl, dass wir die ganze Stunde auf der Stelle traten.

Das Schlimmste für mich war nun die Existenzangst. Ich hatte Angst, meinen Studienplatz zu verlieren, nach Deutschland zurückgehen zu müssen und damit auch Niall zu verlieren. Das war das Einzige, das wir in dieser Sitzung herausarbeiteten, und es machte die Situation meiner Meinung nach nicht besser.

Ich war froh, in den nächsten zwei Tagen nicht ins Tonstudio gehen zu müssen und stürzte mich komplett in meine Vorlesungen und Seminare der Uni.

Das Referat über die Mikrofonqualität beendete ich noch am selben Abend, bevor ich zu Niall fuhr. Dabei versicherte ich mich, dass auf meiner Oyster Card noch fünfzehn Pfund waren und ich keine Probleme mit dem Nahverkehr bekam.

Niall holte mich von der Station in High Barnet ab, damit ich abends nicht noch mit dem Bus fahren musste, worüber ich sehr dankbar war.

Wir begrüßten uns mit einem Kuss, als ich zu ihm ins Auto stieg.

„Um gleich zum Thema zu kommen", begann Niall, „mein Anwalt hat sich bei mir gemeldet und tatsächlich ist er da etwas auf der Spur. Ein Kollege von ihm beschäftigt sich mit solchen Dingen und hat da wohl schon Erfahrung mit gesammelt. Die beiden tragen jetzt ein paar Daten zusammen und melden sich dann wieder."

Das erleichterte mich zumindest ein wenig, denn so tat ich immerhin etwas. Meine Ängste ließen mich aber trotzdem nicht los.

Auch wenn ich diese nicht direkt ansprach, blieben sie Niall natürlich nicht unbemerkt.

„Was beschäftigt dich denn?", fragte er in die Stille hinein, als wir gerade in seine Straße einbogen.

Ich rutschte unruhig auf dem Sitz hin und her. „Ich habe echt nicht mehr viel Geld, und diese Sache mit dem Anwalt wird sich doch bestimmt ganz schön hinziehen, oder?"

„Die arbeiten so schnell wie möglich, vor allem damit du dort nicht wieder hin musst", versicherte er mir jedoch. „Ich habe meinem Anwalt klargemacht, wie dringend das ist."

„Was ist, wenn ich jetzt nach Deutschland zurück muss?", sprach ich meine Ängste laut aus. „Wie soll ich denn hier leben, wenn ich gerade mal die Miete zusammenkratzen kann?"

„Am Geld soll es nun wirklich nicht ..." Niall konnte seinen Satz nicht beenden, denn ich unterbrach ihn.

„Ich werde kein Geld von dir annehmen, auf keinen Fall."

„Ich muss es dir ja nicht schenken", erwiderte er und schien ein bisschen getroffen, dass ich ihn einfach so rüde unterbrochen hatte. Das war er von mir nicht gewohnt.

Aber meine Verzweiflung ließ mich meine Manieren vergessen. „Selbst wenn du es mir leihst kann ich doch niemals garantieren, dass du es zurückbekommst. Das wäre mir wirklich unangenehm." Meine Stimme wurde wieder ein wenig ruhiger.

„Wir sollten uns nicht über Geld streiten", erwiderte Niall. „Du kannst dich auf jeden Fall immer auf meine Unterstützung verlassen, egal worum es geht."

Damit beendete er das Thema vorerst, denn ich hatte darauf nichts zu erwidern. Außerdem waren wir gerade vor seinem Grundstück zum Stehen gekommen.

Den ganzen Abend kreisten meine Gedanken nur um das Geldthema, und es ärgerte mich unheimlich, dass ich nichts tun konnte. Das erklärte ich auch Niall, als das Thema beim Essen erneut zur Sprache kam.

„Du kannst jetzt so direkt nichts tun", stimmte er mir zu. „Aber hast du dich nicht damals, als du nach einem Stipendium gesucht hast, auch bei anderen Firmen oder Stiftungen beworben?" Ich nickte. „Dann tu das doch einfach wieder. So kannst du wenigstens etwas machen. Und ich glaube nicht, dass du bei der Firma, wo du gerade bist, länger bleiben solltest. Egal, was am Ende dabei rauskommt. Du brauchst einfach ein zuverlässiges Einkommen."

Das hielt ich für eine sehr gute Idee. Ich hatte auch nicht bei allen meinen anderen Bewerbungen Absagen erhalten, und so blieb noch Hoffnung. Wir betrieben nach dem Essen ein wenig Internetrecherche und stießen dabei auf mehrere interessante Ausschreibungen. Ich verfasste direkt einige Bewerbungsschreiben per E-Mail und hängte meinen Lebenslauf an, dem ich nur mein begonnenes Studium hinzufügen musste. Einen Versuch war es schließlich wert.

Während ich diese E-Mails verschickte, fiel mir ein, dass ich ja auch noch die Nummer einiger Tontechniker im Londoner Umkreis hatte. Bei diesen konnte ich mich auch persönlich melden, was meine Chancen erhöhen konnte. Ich schrieb also unter anderem David Martell, der bei One Direction als Tontechniker gearbeitet hatte, und Steven, mit welchem ich bei meinem Syco Praktikum zusammenarbeiten durfte.

„Hast du nicht auch noch die Nummer von dem einen Typen, mit dem wir schon mal über dein Stipendium bei Syco gesprochen haben?", fragte Niall nach. „Ich weiß aber nicht mehr genau, wie der hieß."

„Ich glaube irgendetwas mit T", grübelte ich. „Da denke ich nochmal drüber nach, irgendwo habe ich vielleicht noch seine Nummer oder E-Mail-Adresse. Vielleicht haben die dort sogar noch meine Unterlagen. Ich habe ja den Platz dort nicht genommen, weil ich früher ein Angebot von Mr. Brown bekommen habe."

„Vielleicht hast du Glück", zuckte Niall mit den Schultern. „Wäre ja auch langsam mal Zeit, so wie es bei dir drunter und drüber geht."

„Mit dir habe ich auch Glück", murmelte ich. Schließlich war nicht alles in meinem Leben chaotisch und schlecht.

Niall grinste und wurde ein bisschen rot. „Das stimmt, mit mir hast du auch Glück."

Das war unser Stichwort, den restlichen Abend ruhig im Bett ausklingen zu lassen. Auf jeden Fall ruhig was Gespräche anging, denn mein Herz klopfte unheimlich schnell vor Aufregung und die Schmetterlinge in meinem Bauch schmissen mal wieder eine Party, während wir uns gegenseitig berührten und küssten. Diese körperliche Nähe mit Niall fiel mir inzwischen unglaublich leicht und es war wunderbar, wie gut es mir dabei ging. Er ließ mich meine Ängste tatsächlich für einen Moment vergessen und das war so viel wert.

In seinen Armen zu liegen und dabei langsam in den Schlaf zu dämmern erschien mir als das beste Gefühl, das ich jemals haben könnte.

Am nächsten Morgen kehrten meine Ängste jedoch zurück, und nicht zu knapp. Ich hatte bereits die ersten Absagen auf meine Bewerbungsmails im Postfach, und das zog mich richtig runter.

Selbst Nialls legendäre Pancakes zum Frühstück konnten mich nicht aufmuntern.

„Ich habe gleich noch einen Termin bei meinem Management, also kann ich dich zur Uni fahren, wenn du möchtest", gab er nach einer Zeit der Stille von sich.

Dieses Angebot nahm ich gern an, vor allem da ich dadurch keine weiteren Mühen bereitete. Nialls Management hatte sein Gebäude im gleichen Viertel wie der Campus.

Auf der Fahrt berichtete Niall mir von seinem aktuellen Projekt. So langsam hatte er nämlich keine Lust mehr, Pause zu machen, und wollte sich voller Tatendrang in die Musik stürzen. Dass er dafür wieder öfter nach Los Angeles reisen musste, versuchte ich erst einmal auszublenden.

Die heutigen Seminare waren zum Glück so interessant, dass ich meine Sorgen wenigstens für wenige Momente vergessen konnte. Zack hielt einen spannenden Vortrag zur frühen Entwicklung von Tonabnehmern, dem ich fasziniert folgte. Er kannte sich wirklich aus mit seinem Thema. Nebenbei machte ich mir Notizen dazu, welche Details in seiner Vortragsweise ich mir auch unbedingt aneignen wollte. Besonders bewundernswert waren seine ruhigen Hände. Ich musste immer einen Stift oder irgendetwas anderes in der Hand halten, denn ich tendierte dazu, zu zittern wenn ich sehr aufgeregt war. Das war einer der Gründe, weshalb ich nie Musikerin werden könnte.

Abgesehen davon, dass man wirklich durchstarten musste, wie Niall es getan hatte, um auch finanziell erfolgreich zu sein. Die meisten Musiker konnten sich gerade so über Wasser halten, was das anging. Und ich gehörte jetzt wohl oder übel auch dazu.

Den ganzen restlichen Tag checkte ich immer wieder meine E-Mails, bekam jedoch kaum Rückmeldungen, und wenn dann nur Absagen. So richtig wunderte es mich auch nicht, denn diese Art von Stipendien wurden meist zum Semesterstart vergeben, nicht jedoch mittendrin.

„Wir gehen heute Abend essen", bestimmte Niall schließlich, als er das scheinbar nicht mehr mitansehen konnte. „Dann kommst du auf andere Gedanken, ich lade dich ein."

Niall zog sich nach dieser Aussage in sein Arbeitszimmer zurück, weil er noch einige wichtige Telefonate führen musste. Ich vermutete, dass dies mit seinem Management abgesprochen war.

Während Niall arbeitete, nutze ich ebenfalls die Zeit und beantwortete einige E-Mails. Von meinen Bewerbungen für verschiedene Stipendien hatte ich noch keine neuen Antworten. Allerdings bekam ich von der Uni ständig neue Nachrichten mit den verschiedensten Inhalten. Als ich gerade eine Umfrage für eine Bachelor-Arbeit beantwortete, kam Niall ins Wohnzimmer.

„Wir haben einen Tisch für 19 Uhr, nur damit du das weißt." Ich warf einen Blick auf die Zeitanzeige meines Computers und stellte fest, dass ich nur noch eine halbe Stunde hatte, bis ich mich dafür fertig machen musste.

„In Ordnung, ich bearbeite noch diese Umfrage, und dann bin ich soweit durch", verkündete ich.

Niall schnappte sich seine Gitarre und klimperte eine mir unbekannte Melodie, der ich gespannt zuhörte, nachdem die Umfrage beendet war.

Ich beobachtete die Bewegungen seiner Finger und stellte fest, dass die Melodie an sich nicht schwer zu greifen war, jedoch hörte sie sich unglaublich schön an.

Mein Blick wanderte zu Nialls Gesicht, wo sich zwischen seinen Augen eine kleine Falte bildete, die seine Konzentration widerspiegelte. Manchmal war es einfach unwirklich, dass wir hier gemeinsam saßen und ich ein solcher Teil seines Lebens war. Niall war trotz unserer Vertrautheit immer noch ein Superstar, und ich konnte live dabei sein, wie er seine Musik entwickelte.

Als Niall aufhörte zu spielen und zu mir herübersah, musste ich unweigerlich lächeln. Unserer Blicke sagten in diesem Moment mehr als alle Worte, die es auf dieser Welt gab. Diese Vertrautheit zwischen uns war in meinen Augen mit das Schönste. Darüber konnte ich alle meine Sorgen mühelos vergessen.

Den Zweck, meine Sorgen für einen Moment zu vergessen, hatte auch das Abendessen. Eigentlich trug ich so gut wie nie Make-Up, aber da ich noch einen Moment Zeit hatte, bevor wir los wollten, trug ich ein wenig Concealer und Wimperntusche auf.

Wir fuhren mit dem Auto, Niall hatte scheinbar ein Restaurant ausgesucht, das nicht bei uns in der Nähe lag. Darum machte ich mir jedoch keine weiteren Gedanken, denn ich wusste, dass Niall inzwischen meinen Geschmack kannte, und mir kein überteuertes Luxus-Restaurant mit Mini-Portionen andrehen würde.

Tatsächlich schienen wir bei einem Italiener essen zu wollen, was mir sehr zusagte. Niall fuhr auf den bereits ziemlich vollen Parkplatz und ich war wieder einmal froh, hier nicht mit dem Auto fahren und einparken zu müssen.

Beim Betreten des Restaurants kam uns direkt eine Kellnerin entgegen, die freundlich lächelte und uns ohne weiter nachzufragen zu einem Tisch in einer kleinen Ecke des Restaurants geleitete. Ich wunderte mich ein wenig, dass es ein großer Tisch für vier Personen war und keiner für zwei, dachte mir allerdings erst nichts dabei. Manchmal war das in Restaurants halt einfach so.

Komisch kamen mir allerdings Nialls Blicke vor, die ständig in Richtung Tür wanderten. So komisch, dass ich nach kurzer Zeit nachfragen musste: „Erwartest du noch jemanden?" Eigentlich hatte ich es eher als halben Scherz gemeint, aber Niall sah mich erschrocken an.

„Wieso?", fragte er mit etwas höherer Stimmlage als sonst. „Wen sollte ich denn erwarten, du bist doch hier?" Doch so richtig abnehmen konnte ich ihm das nicht und runzelte die Stirn. Was war denn los?

Als ich jedoch einen Mann direkt auf uns zukommen sah, der mir eindeutig sehr bekannt vorkam, ergab Nialls Verhalten einen Sinn. Sollte das ein Geschäftsessen werden?


Frohes Neues Jahr ihr Lieben! Ich hoffe ihr seid gut reingerutscht und konntet schöne Feiertage mit euren Liebsten verbringen.
Ich habe endlich ein neues Kapitel im Gepäck (das war heute meine Art der Prokrastination) und hoffe, dass es euch gefallen hat.
Habt ihr Vermutungen, wer dieser Mann ist, der da auf sie zu kommt? Woher kennt Lena den wohl?
Liebe Grüße und hoffentlich lesen wir uns bald wieder :)

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