41. Confrontation

Nach meiner Sitzung mit Carly war ich erleichtert, zu Niall zurückkehren zu können. Ich berichtete ihm davon im kleinsten Detail und es war unglaublich hilfreich, wie sehr er mit mir mitfühlte.

„Du machst wirklich das Richtige, Lena, dass du das so verarbeitest. Ich bin unglaublich stolz auf dich, dass du dich gleich zu Anfang für diesen Schritt entschieden hast", sagte er ehrlich.

In den nächsten Tagen wohnte ich halb bei Niall, was ein Zustand war, an den ich mich durchaus gewöhnen könnte. Wir kochten zusammen, machten gemeinsam Musik und vor allem kuschelten wir die ganze Zeit. Ich konnte einfach nicht genug von ihm bekommen und ihm ging es ebenso.

„Weißt du eigentlich, wie froh ich bin, dass du mir vor Silvester geschrieben hast?", murmelte er, als wir abends im Bett lagen.

„Ich bin da auch sehr froh drüber", stimmte ich ihm zu.

„Ehrlich gesagt hätte ich mich das niemals getraut. Ich wusste gar nicht richtig, wie ich mit dir umgehen sollte", gab er zu. „Irgendwie warst du so zerbrechlich, aber wolltest auch auf keinen Fall so behandelt werden. Und du bist die ganze Zeit auf Abstand gegangen, das hat mich so verwirrt. Und andererseits konnte ich es echt verstehen. Ich hatte wirklich Angst, dass wir daran zerbrechen."

Ich fand es unglaublich mutig, dass Niall seine Gefühle so offen darlegte, und das sagte ich ihm auch. „Danke für deine Ehrlichkeit. Ich hoffe, dass wir immer so miteinander reden können", gab ich zurück. „Ich möchte, dass wir alles miteinander teilen können, also kommunikativ."

„Das möchte ich auch, und ich finde bisher klappt das ziemlich gut." Niall begann, mich zu küssen, und ich ließ mich in seine Arme fallen. Mein Herzklopfen zeigte mir, dass das hier genau der richtige Ort für mich war.

Ein paar Tage später saß ich das erste Mal seit den Feiertagen wieder im Tonstudio bei Mr Brown und arbeitete mit Jean und Jane. Die zwei Frauen hatten gerade ein Gesangscoaching hinter sich und wollten mir nun ihre neuen Fähigkeiten präsentieren.

Dass ihre Belting-Technik sich eher nach einem Schreien als einem Rufen anhörte, schienen sie dabei nicht zu registrieren. Etwas genervt seufzte ich. Das mit Bearbeitungen hinzubiegen würde so gut wie unmöglich sein. Vor allem die Technik der kleinen Jane wirkte eher wie ein ohrenbetäubendes Kreischen. Damit konnten sie vielleicht Leute verjagen, aber keinesfalls eine CD verkaufen, das wurde mir mal wieder klar. Und ich beschloss in diesem Moment, bei der nächsten Gelegenheit mit Mr Brown darüber zu reden. Er hatte ja schließlich auch Interesse daran, an der Produktion Geld zu verdienen, und wie er sich das vorstellte, hatte ich noch nicht begriffen.

Als wir die Aufnahme für diesen Tag beendeten, war Mr Brown leider nicht in seinem Büro anwesend. Deshalb machte ich mich, nachdem ich meine Stunden eingetragen hatte, direkt auf den Weg zur U-Bahn-Station. Den ganzen Weg über folgte mir ein Mann mit Aktentasche, der mir irgendwie bekannt vorkam. Einordnen konnte ich ihn allerdings nicht. Er nahm die gleiche Bahn wie ich, stieg aber an einer anderen Station aus, was mich sehr erleichterte. Offensichtlich war ich jetzt schon paranoid. Ich wusste jedoch, dass ich keinen Grund dazu hatte und vergaß die komische Situation direkt wieder.

Bei meiner nächsten Sitzung bei Carly begegnete ich erneut der schmalen Frau, die ich für ihre Tochter hielt. Da ich wieder einmal etwas zu früh dran war, bekam ich durch die geöffnete Tür der Praxis mit, wie die beiden scheinbar stritten.

„Das ist einfach ein Idiot, und das mache ich nicht länger mit", hörte ich die junge Frau sagen. „Auf so eine Hilfe kann ich gut und gern verzichten."

„Das hast du über die letzten drei auch gesagt, und so langsam gehen mir die Kontakte aus", schoss Carly zurück. „Weißt du was, wenn du das besser weißt, dann mach doch einfach was du willst."

„Mache ich auch!"

„Wenn du auf Station liegst wirst du ja sehen, wohin dich das gebracht hat."

Darauf hatte die Jüngere nichts mehr zu sagen und stürmte wutentbrannt aus dem Raum und an mir vorbei. Wieder einmal fiel mir auf, wie extrem dünn sie war. Gefühlt bestand sie nur aus Haut und Knochen, soweit ich das unter den Winterklamotten erkennen konnte.

„Oh Lena, du bist schon da." Carly trat aus dem Raum und ich konnte sehen, dass sie ganz schön durch den Wind war. Aufgeregt fuhr sie sich immer wieder durch die Haare. „Möchtest du einen Tee, bevor wir anfangen?"

Dem stimmte ich zu, denn ich konnte mir vorstellen, dass sie jetzt kurz eine Pause benötigte.

In der heutigen Sitzung sprachen wir über eine Konfrontation mit Lukas, und was ich zu ihm sagen würde. Aoife hatte mir mitgeteilt, dass diese Möglichkeit für mich nicht mehr lange bestand, bevor die Gerichtsverhandlung stattfinden sollte, und ich entschied gemeinsam mit Carly, dass ich das als Chance wahrnehmen wollte, um damit abzuschließen.

Ich wollte Lukas Handlungen nicht länger über mein Leben bestimmen lassen. Außerdem war es mir wichtig, dass er für seine Handlungen bestraft werden würde, und ich wollte dafür sorgen, dass dies auch tatsächlich passierte.

Gemeinsam mit Aoife war ich ein paar Tage später dazu bereit, Lukas gegenüber zu treten. Jedenfalls redete ich mir das ein. Meine Freundin hatte das für mich organisiert, wofür ich ihr unglaublich dankbar war. Diesen ganzen organisatorischen Kram erledigen zu müssen hätte mich vermutlich meinen Mut gekostet.

Aber so wusste ich, dass sie an meiner Seite war. Außerdem würden sich mit uns beiden und Lukas auch zwei Polizeibeamte im Raum befinden, was mir Sicherheit gab.

Bei dieser Konfrontation mit Lukas ging es nicht nur darum, dass ich damit abschließen konnte, sondern es hatte auch rechtliche Hintergründe. Lukas wollte sich wohl bei mir entschuldigen. Zuerst hatte ich das nicht verstanden, denn ich war mir sicher, dass er seine Tat nicht bereute, aber Aoife erklärte es mir. Eine solche, aufrichtig wirkende Entschuldigung konnte für ihn strafmindernd wirken, was natürlich auf jeden Fall in seinem Interesse war. Er hatte inzwischen seine Tat gestanden und schien sich damit aus der Affäre ziehen zu wollen.

Bevor ich Lukas sah, musste ich mich jedoch erneut einigen Fragen eines Polizeibeamten stellen. Es waren ähnliche wie die damals im Krankenhaus, aber hinzu kamen jene zu meinem psychischen Wohlbefinden. Als ich von meiner Therapie erzählte, wurde der Beamte hellhörig.

„Können Sie mir die Kontaktdaten der Psychologin zukommen lassen? Ihre Einschätzung wäre sicher hilfreich für die Staatsanwaltschaft." Dem stimmte ich zu.

Ich berichtete auch, dass ich langsam Fortschritte machte, aber ich versuchte, diese nicht zu sehr zu betonen. Schließlich wollte ich, dass Lukas seine verdiente Strafe bekam.

Als wir schließlich vor dem Verhörraum warteten, in dem Lukas scheinbar bereits saß, griff ich mit meinen schwitzigen Händen nach denen von Aoife. Sie strich mir beruhigend mit dem Daumen über meinen Handrücken.

„Du weißt genau, was du sagen willst, und du schaffst das. Dann lässt du ihn reden, lässt es an dir abprallen und wir sind sofort hier raus", sagte sie freundlich. Ich war ihr unendlich dankbar, dass sie mich begleitete. Und da sie selbst am Tatort gewesen war, hatte sie vom Blickwinkel der Polizei aus betrachtet auch jedes Recht dazu, hier zu sein. Mit Niall hätte ich das so nicht tun können.

Als wir den Raum betraten, konnte ich Lukas nicht in die Augen sehen. Stattdessen starrte ich auf den Boden. Fast erwartete ich, seine schleimige Stimme zu hören, aber er sprach mich nicht an. Scheinbar schien er den Rat seines Anwalts zu folgen, der ihm sicher dazu geraten hatte.

Nachdem ich einmal tief durchgeatmet hatte, sah ich auf, und stockte. Lukas sah inzwischen überhaupt nicht mehr gut aus. Er wirkte bleich und irgendwie abgestumpft. Was genau mich das denken ließ konnte ich nicht benennen. Vielleicht waren es seine Augen, vielleicht aber auch seine ungepflegten Haare. Fest stand, dass ich keine Angst mehr vor ihm hatte. Ich verachtete ihn einfach nur. Er hatte mich monatelang mit seinen Nachrichten psychisch gequält, und dass er mir letztendlich auflauerte und mich vergewaltigen wollte war nur die Spitze des Eisbergs. Ich war wirklich froh, dass er jetzt hier in Handschellen saß.

Ich genoss es, all meine Gedanken laut vor ihm aussprechen zu können. Wie sehr er mich und mein Leben beeinträchtigt hatte. Die beiden Polizisten im Raum hörten dabei aufmerksam zu.

Es sprudelte nur so aus mir heraus, was ich gar nicht erwartet hätte. Aber das vorherige Üben mit Carly zahlte sich aus. Ich wusste genau, was ich sagen wollte, und tat das auch.

Als ich fertig war, fühlte meine Kehle sich trocken an, aber ich war unglaublich erleichtert. Es war, als hätte ich einen schweren Wanderrucksack nach der Ankunft am Ziel endlich abgelegt.

Lukas anschließende Worte nahm ich nur wie durch Watte war. Mir war auch inhaltlich egal was er sagte, denn nichts konnte seine Taten rechtfertigen oder entschuldigen. Er wollte wohl Reue zeigen, aber ich bekam nicht das Gefühl, dass er wirklich verstand, was er mit seinen Taten bei mir angerichtet hatte. Er schien nicht begreifen zu können, dass was er getan hatte grundlegend falsch war.

Wie Aoife es mir geraten hatte, ließ ich all seine Worte einfach an mir abprallen. Sollte er sagen was er wollte, seine Taten widerlegten seine Worte.

Als er fertig war, bekam ich das erst gar nicht richtig mit. Erst als Aoife mich anstupste und mir deutete, aus dem Raum zu gehen, setzte ich mich in Bewegung.

Die Polizisten lobten mich für meinen ruhigen Umgang mit der schwierigen Situation und bedankten sich, dass wir beide auf die Wache gekommen waren. Es fühlte sich gut an, nicht als selbstverständlich wahrgenommen zu werden.

Und ich wusste, ich hatte jetzt alles in meiner Macht Stehende getan, um Lukas hinter Gitter zu bringen. Es war traurig, dass erst etwas Körperliches passieren musste, damit ich gegen meinen bereits bekannten Stalker vorgehen konnte, aber es hätte auch weitaus schlimmer kommen können.

Ich hoffte, dass Lukas dies niemals wieder jemandem antun könnte, denn so etwas wünschte ich niemandem.

Nach der Konfrontation auf der Wache fühlte ich mich ziemlich ausgelaugt und war froh, als Aoife vorschlug, dass ich noch mit zu ihr nach Camden kommen konnte. Sie wollte für mich kochen und ich war ihr unglaublich dankbar für ihre Unterstützung. Ich wusste, dass ich jederzeit auf sie zählen konnte.

Sie bereitete für uns beide einen Grießbrei zu, den wir dann auf dem Sofa aßen, während im Hintergrund ein wenig Musik lief. Ich hatte mich unter eine der vielen Decken gekuschelt, die bei Dylan und Aoife zahlreich auf dem Sofa herumlagen und zum gemütlichen Fläzen einluden. Dabei löffelte ich den leckeren Grießbrei.

„Lukas ist für mich jetzt gestorben", verkündete ich. „Ich habe genug unter ihm gelitten, ab heute ist er aus meinem Gehirn ausradiert und damit ist ganz viel Platz für Niall."

„Apropos Niall", kicherte meine Freundin. „Ihr wart ja ein paar Tage ganz ungestört allein im Haus, lief da etwas?"

Meine Wangen wurden heiß. „Nur so ein bisschen", grinste ich. „Aber – das habe ich dir noch gar nicht erzählt – er hat mir gesagt, dass er mich liebt, und ich habe es zurückgesagt."

„Wow, das ist super schön", freute sie sich. „Und glaubst du, du bist bereit für mehr?"

„Ja", wisperte ich. „Ich warte eigentlich nur auf den richtigen Augenblick. Also den Moment, in dem sich einfach alles richtig anfühlt. Wir haben auch bisher nur so ein bisschen rumgemacht, weißt du." Mir fiel es schwer, die richtigen Worte dafür zu finden.

Aoife schien das zu merken, denn sie fragte nicht noch einmal nach. „Wenn du irgendetwas wissen möchtest oder einen Tipp brauchst, so von Frau zu Frau, sag ruhig Bescheid", ermutigte sie mich stattdessen. „Es ist immer gut, eine Ansprechperson zu haben, die weder die eigene Mutter noch der Partner ist."

„Also eine Sache wäre da schon", murmelte ich. „Kannst du mir sagen wie das mit ... also mit dem Mund geht?" Das Wort dafür wollte ich nicht benutzen.

„Na klar." Aoife zwinkerte mir zu und begann ohne Hemmungen zu reden. Wie sie das so tat bewunderte ich sehr, und ich wünschte mir insgeheim, das auch zu können. Eigentlich sollte Sex schon lange kein Tabuthema mehr sein, und ich nahm mir für die Zukunft vor, vor allem mit Niall offener darüber zu reden. Ich war schließlich kein kleines Mädchen mehr, das sich dabei anstellen musste, sondern eine erwachsene Frau. Es wurde Zeit, dass ich mich auch so benahm.

Abends holte Niall mich bei Aoife ab, damit ich nicht mehr mit der Bahn zu ihm raus fahren musste, was ich sehr schätzte. Ich berichtete ihm während der Fahrt haarklein von der Konfrontation mit Lukas und merkte, dass ich damit jetzt schon kaum Probleme mehr hatte, was mir wie ein gutes Zeichen vorkam. Es wurde also besser.

Da es bereits spät war, und ich am nächsten Morgen früh zur Arbeit ins Tonstudio musste, gingen wir, nachdem wir angekommen waren, sofort ins Bett und schliefen dicht aneinander gekuschelt ein.

Das Aufwachen mit Niall war genauso himmlisch wie das Einschlafen. Ich liebte es, dass er morgens begann, meinen Hals und mein Schlüsselbein mit kleinen Küssen zu übersähen, und wie er mir mit rauer Stimme einen Guten Morgen wünschte.

Genauso sehr mochte ich das gemeinsame Frühstück und die Tatsache, dass wir uns die ganze Zeit über immer wieder küssten.

Mir stand nun die nächste Konfrontation bevor, denn ich wollte Mr Brown unbedingt darauf ansprechen, dass ich die Meinung vertrat, Jean und Jane würden niemals ein akzeptables Gesangsalbum aufnehmen können. Die zwei waren einfach zu untalentiert. Und selbst wenn sie es tatsächlich bis zu einem Album schafften, dann würde sich das niemals gut verkaufen, das konnte ich mir nicht vorstellen. Abgesehen davon, dass Live Auftritte auch mit der heutigen Tontechnik nicht machbar wären. Irgendwann konnte auch das beste Autotune-Programm nichts mehr retten, dessen war ich mir sicher.

Ich hoffte also, dass mein Chef anwesend war, damit ich nachhaken konnte. Auf seine Erklärung war ich gespannt.


Hallo zusammen,
leider geht mein Leben gerade etwas im Chaos unter und ich komme nicht dazu, so zu schreiben wie ich das gern würde. Jedoch habe ich nach wie vor das Ziel, dieses Buch in naher Zukunft zu beenden. Ich hoffe ihr bleibt bis zum Ende dabei und freue mich schon auf eure motivierenden Kommentare.
Liebe Grüße
Catrifa xx

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