40. Acceptance
Die Zeit mit Niall war einfach himmlisch und ich wollte keinesfalls raus aus unserer schönen rosaroten Blase, aber daran führte kein Weg vorbei, wenn wir nicht verhungern wollten.
Entsprechend machten wir uns am gleichen Tag mit Nialls Range Rover auf den Weg zu seinem bevorzugten Supermarkt in Hertfordshire. Mir fiel wieder einmal auf, dass es hier mit den Öffnungszeiten der Geschäfte deutlich entspannter war als in Deutschland. In meinem Heimartort hätte ich heute niemals irgendetwas einkaufen können, außer vielleicht am Hauptbahnhof.
Der Einkauf lief glücklicherweise ohne weitere Vorkommnisse ab. Im Supermarkt war wenig los und wir fanden schnell ein paar essbare Dinge für die nächsten Tage. Außerdem kauften wir noch Getränke, was mit dem Auto überhaupt kein Problem darstellte. In der WG mit Lilly und Peter ließen wir das meist sein und tranken Leitungswasser, weil wir diese einfach zu Fuß nicht schleppen wollten.
Beim Einräumen der Einkäufe in Nialls Küche diskutierten wir den heutigen Speiseplan.
„Lass uns etwas Einfaches machen, damit wir nicht so viel Zeit in der Küche verbringen müssen", schlug ich vor.
„Das halte ich für sinnvoll. Was hältst du von Nudelauflauf?"
„Das klingt super und geht schnell", nickte ich.
Als wir anschließend gemeinsam auf Nialls Sofa saßen, beziehungsweise eher lagen, meldete sich plötzlich mein Handy zu Wort, an das ich keinen Gedanken verschwendet hatte. Da es jedoch mehrmals hintereinander piepte und vibrierte, richtete ich mich auf und warf einen Blick darauf.
Mein Bruder hatte mir geschrieben, und das nicht nur einmal.
„Du wirst nicht glauben, was ich gerade auf facebook gefunden habe. Du wurdest gesichtet, und ich weiß jetzt, wer der Grund dafür war, dass du so früh fahren musstest. Sei bloß froh, dass nur ich das weiß und die restliche Welt nur vermutet, in welcher Beziehung ihr zueinander steht. Vielleicht solltest du das Mama und Papa sagen, bevor die das von jemand anderem erfahren."
Dazu hatte er mir mehrere Bilder von facebook geschickt. Diese waren ganz offensichtlich am gestrigen Tag am Flughafen gemacht worden, von der Meute, die Niall so belagert hatte. Zum Glück konnte man zwischen uns wirklich nicht mehr sehen als nur eine Freundschaft, aber mein Gesicht war auf den Bildern genauso deutlich zu erkennen wie Nialls. Meine Freunde würden also ziemlich wahrscheinlich wissen, was dort abging. Und dass meine Eltern so von meiner Beziehung erfuhren wollte ich wirklich nicht, weshalb ich meinem jüngeren Bruder sehr dankbar war, dass er mir geschrieben hatte.
Nach einer kurzen Erklärung für Niall, dem ich ebenfalls die Bilder zeigte, wählte ich die Nummer meines Elternhauses.
„Nanu, wir dachten, dass wir nicht so schnell etwas von dir hören, schließlich hattest du jetzt erst einmal genug Familiendosis", witzelte mein Vater, der ans Telefon ging und scheinbar meine Nummer erkannt hatte.
„Hättet ihr auch nicht", lachte ich zurück und atmete dann einmal tief durch. „Es ist eigentlich nichts Großes, aber ihr solltet das wissen, bevor es in den Medien breitgetreten wird." Ich wusste überhaupt nicht, wie mein Vater reagieren würde, und wollte es deshalb kurz und schmerzlos hinter mich bringen. „Niall war der Grund, weshalb ich früher nach London zurückgeflogen bin. Und am Flughafen gab es einen kleinen Zwischenfall mit ein paar Fans, die auch Fotos gemacht haben, welche jetzt überall im Internet kursieren."
„Ach so." Ich bildete mir ein, dass mein Vater wohl mit den Schultern zuckte. „Na dann, richte ihm schöne Grüße aus."
Etwas verwirrt hakte ich nach: „Bist du jetzt nicht irgendwie überrascht davon? Und bekomme ich keine Moralpredigt?"
„Nein, wieso denn?", fragte er verwundert. „Wir kennen doch Niall und wissen, dass er ein vernünftiger junger Mann ist. Deine Mutter hat das sowieso schon vermutet, also ist das gerade nichts Neues für mich."
Mir fiel ein Felsbrocken in der Größe eines halben Himalayas vom Herzen. „Das beruhigt mich sehr", gab ich zu.
„Wenn ich noch eine kleine Bemerkung machen darf?" Er machte eine kurze Pause.
„Kommt auf die Bemerkung drauf an", gab ich zurück.
„Auch wenn Niall sicher kein Problem mit Unterhaltszahlungen hat, denkt an das Kondom."
Damit hatte ich nun wirklich gar nicht gerechnet und brachte nur ein: „Papa!" heraus. Meine Wangen liefen schon wieder knallrot an.
„Ich wollte nur sichergehen. Wie gesagt, richte liebe Grüße aus."
„Du auch." Damit beendeten wir das Telefonat und mir begegnete Nialls fragender Gesichtsausdruck.
Manchmal vergaß ich schlichtweg, dass ich jetzt bilingual lebte, sodass ich einen kurzen Moment brauchte, um zu begreifen, dass Niall gern eine Übersetzung hätte.
„Bei meinen Eltern ist alles okay, die haben sich das irgendwie eh schon gedacht. Ich soll liebe Grüße ausrichten, und dass wir an das Kondom denken sollen." Letzteres sagte ich deutlich leiser, aber Niall hatte es gehört.
„Solange das deren einzige Sorge ist, ist ja alles gut", lachte er. „Ich hoffe bloß, dass das nicht zu große Ausmaße annimmt, oder sie irgendwann eindeutige Fotos schießen. Das möchte ich dir unbedingt ersparen."
Das wollte ich mir allerdings auch ersparen. Doch zum Glück schienen die Vermutungen bisher harmlos zu sein. Die Presse kannte mich schließlich schon ein wenig und auch dieses Mal hatten sie keinen Grund, zwischen Niall und mir mehr als eine Freundschaft anzunehmen.
Irgendwie war ich auch froh, dass meine Eltern zumindest darüber Bescheid wussten und kein Problem damit hatten. Das würde kommende Telefonate und Besuche für mich sehr viel einfacher machen, denn so musste ich keine Angst haben, über mein Privatleben in London zu reden.
In dieser gemeinsamen Zeit mit Niall war alles so wunderschön, dass ich mir kaum vorstellen konnte, dass dies tatsächlich der Wahrheit entsprach. Immer wieder küssten wir uns und beim Kuscheln fühlte ich mich unheimlich geborgen. Eine Zeit lang lag ich auf Nialls nackter Brust und hörte seinem Herzschlag zu. Ich hatte das Gefühl, stundenlang so mit ihm liegen zu können und nichts zu tun.
Ganz untätig blieben wir jedoch nicht. Nach dem Mittagessen machte Niall den Vorschlag, dass wir uns noch einmal mit dem Song beschäftigen könnten, den wir am gestrigen Abend komponiert hatten. Wir holten also unsere Notizen heraus und Niall machte es sich mit seiner Gitarre auf dem Sofa bequem, während ich mich vor sein Klavier setzte. Irgendwie zog mich dieses heute fast magisch an, obwohl ich selbst nur ein paar einfache Akkorde oder einstimmige Melodien spielen konnte. Aber der Klang von Klavier und Gitarre hatte irgendetwas.
Niall stimmte die Gitarre schnell nach dem Klang des Klaviers und dann legten wir los.
Zwischendurch hatten wir eine Menge zu lachen, weil meine pianistischen Künste leider deutlich unter dem lagen, was ich zuletzt gekonnt hatte. Instrumente musste man eben regelmäßig üben, das merkte ich mal wieder. Also kratzte ich mühsam die richtige Tonart zusammen und klimperte ein wenig zu Nialls Klängen. Trotzdem hatten wir viel Spaß und kamen auch tatsächlich musikalisch ein wenig weiter. Der Text stand soweit, nur an ein paar Übergängen in der Begleitung feilten wir noch.
Dass ich die Musik mit Niall teilen konnte, war so viel wert. Durch unsere unterschiedlichen Erfahrungen konnten wir auch beide etwas zu dem Song beitragen, was mich besonders stolz machte. Niall war schließlich schon lange im Musikbusiness aktiv, und dass ich mich trotzdem gut einbringen konnte, zeigte mir, dass ich in der Hinsicht wohl nicht ganz auf den Kopf gefallen war.
Natürlich verbrachten wir danach erneut Zeit auf dem Sofa und auch später am Abend im Bett wurde es wieder heiß. Es fühlte sich so unglaublich gut an, wenn Niall meine nackte Haut berührte, und ich genoss es ebenso, seinen Körper zu erforschen und zu spüren.
Am nächsten Tag musste ich unsere kleine Blase leider verlassen, da ich erstens in der WG vorbeischauen musste, denn Lilly und Peter waren noch in Japan, und zweitens hatte ich einen Termin bei meiner Psychologin Carly.
Mir ging es inzwischen schon deutlich besser was den Vorfall mit Lukas betraf, aber ich war noch lange nicht geheilt, oder wie man so etwas nannte.
Nialls Angebot, mich zu fahren, lehnte ich dankend ab. Da war wieder mein Wunsch nach Selbstständigkeit. Und mitten am Tag in London machte ich mir auch keine Gedanken, dass irgendetwas passieren könnte.
Nach einem kurzen Frühstück nahm ich meinen Trolley, zog meine dicke Jacke an, gab Niall einen etwas längeren Kuss und lief zur Bushaltestelle, die sich nicht weit von Nialls Haus entfernt befand. Mit meinem Handy hatte ich vorher geprüft, dass er Bus passend fuhr, und tatsächlich musste ich nicht lange warten.
Von High Barnet aus, wo ich ausstieg, nahm ich die Northern Line und stieg dann noch einmal um, um zum Apartment zu gelangen. Die Strecke war mir inzwischen total vertraut, aber trotzdem fühlte ich mich irgendwie anders, als ich sie heute fuhr. Genau benennen, was das war, konnte ich jedoch nicht.
In der WG angekommen ging ich gleich zur Arbeit. Die Fenster öffnete ich zum Lüften und in der Küche goss ich die Blumen. Auf dem Küchentisch lag die Post, die Sally wohl dort hingelegt hatte. Diese schaute ich kurz durch, aber für mich befand sich kein Brief dabei. Dann ging ich in mein Zimmer, das ich genauso vorfand, wie ich es verlassen hatte. Das Bett war ordentlich gemacht und der Schreibtisch aufgeräumt. Mitten im Raum öffnete ich meinen Trolley und begann damit, die Schmutzwäsche auf einen Haufen zu stapeln.
Da ich mit Niall abgesprochen hatte, direkt nach meiner Sitzung bei Carly wieder zu ihm zu fahren, öffnete ich die Schubladen des Schrankes und füllte den leeren Trolley direkt wieder mit frischer Unterwäsche und Kleidung. Dabei achtete ich darauf, welche Unterwäsche das war, was ich sonst eigentlich nie tat. Aber sicher war sicher.
Eine Waschmaschine stellte ich nicht an, da ich gleich wieder losfahren würde und die Wäsche nicht aufhängen konnte. Allerdings sprang ich noch schnell unter die Dusche und zog mir frische Klamotten an.
Fertig mit allem schloss ich vorsorglich alle Fenster im gesamten Apartment und machte mich mit meinem Trolley und einer Handtasche im Gepäck auf den Weg zu Carly.
Da ich ein wenig zu früh dort war, verbrachte ich die Wartezeit damit, im Internet alle aktuellen Fotos von Niall und mir aufzuspüren. Was dazu geschrieben stand, war teilweise sehr interessant, aber auch höchst merkwürdig. Die alte Geschichte von meiner ersten Zeit in London wurde wieder ausgekramt, aber dazu gesellten sich auch allerlei andere Theorien, weshalb Niall mit mir ein Taxi nehmen könnte. Eine davon war, dass wir ein musikalisches Kooperationsprojekt planten. Die Fans waren seit dem Anfang der Pause ganz erpicht darauf, neue Musik von den Jungs zu bekommen, und darauf sprangen natürlich entsprechend viele an. Welche Rolle ich in dem angeblichen Projekt spielte wurde zwar in dem gesamten Artikel nicht deutlich, aber unterhaltsam war es trotzdem.
Ich war froh, dass uns keine anderen merkwürdigen Dinge angedreht wurden. Die Vermutung einer romantischen Beziehung stand zwar im Raum, jedoch wurde diese von den meisten Kommentaren zu den Artikeln abgetan, da es einfach keine Hinweise dafür gab. Das erleichterte mich sehr, denn ich wusste, dass das, wenn es einmal herauskommen würde, kein Zuckerschlecken werden konnte. Und momentan hatte ich noch genug private Probleme, als dass ich solche brauchte.
Daran erinnerte mich die Sitzung mit meiner Psychologin auch direkt, denn ich wurde ganz schnell aus meiner aktuellen Traumwelt in die Realität zurückgeholt.
Nachdem ich erzählt hatte, was über die Feiertage bei mir gefühlstechnisch passiert war, nickte Carly freundlich. „Das hört sich gut an, denn ich würde heute gern an deiner Traumabewältigung arbeiten. Und zwar auf der eher tiefenpsychologischen Ebene, da du oberflächlich jetzt gut klarzukommen scheinst."
Was genau sie damit meinte, sollte ich direkt im Anschluss erfahren.
„Erzähl mir doch noch einmal in der Kurzfassung, was dir genau passiert ist, dass du hier bist."
Diese Aufgabe verwunderte mich sehr, denn Carly wusste recht genau, was passiert war. Trotzdem begann ich, zu erzählen.
„Mein Ex-Freund, Lukas, hat mich gestalkt und hat mir schließlich aufgelauert. Er ist mir körperlich sehr nah gekommen und hat mich bedroht." Ich schluckte einmal. Es war zwar inzwischen einfacher, darüber zu reden, aber trotzdem noch nicht leicht. „Zum Glück hat Aoife mich gefunden und vor ihm gerettet."
„Was genau hat Lukas gemacht?", fragte sie nach. „Kannst du das benennen?"
Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte es ja noch nicht einmal denken. Ich merkte, wie sich schon wieder Tränen in meinen Augen sammelten. Eigentlich hatte ich gedacht, dass ich inzwischen besser damit umgehen könnte, aber es schien sich noch nichts geändert zu haben. Durch die rosarote Blase mit Niall hatte ich das nur einfach verdrängt.
„Du weißt, was Lukas machen wollte. Und ich weiß, dass du das Wort dafür kennst", ermutigte Carly mich und strich sich eine Strähne ihrer dünnen Haare hinter das rechte Ohr.
Einen Moment wartete ich ab, und legte mir die Worte im Kopf ganz genau zurecht. Ich vertraute Carly und wusste, dass sie mit dieser Aufgabe nur das beste für mich wollte. „Er wollte mich vergewaltigen", flüsterte ich.
„Stell dir vor, du berichtest davon wie ein Fakt. Ein bisschen wie ein Nachrichtensprecher."
„Er wollte mich vergewaltigen", sagte ich etwas lauter, aber meine Stimme zitterte sehr und ich merkte, wie mir die Tränen die Wange herunterliefen. Wie sollte ich denn das wie ein Nachrichtensprecher sagen? So etwas sagten Nachrichtensprecher nicht, schon gar nicht über sich selbst. „Er wollte mich vergewaltigen", sagte ich erneut und merkte, dass ich wütend wurde. „Er wollte mich vergewaltigen." Obwohl die Tränen flossen, sagte ich es dieses Mal mit Nachdruck. „Lukas wollte mich vergewaltigen."
Und ich merkte, wie mir das laute Aussprechen tatsächlich half. Ich konnte akzeptieren, dass das Lukas Intention war, und vor allem begriff ich, dass das nicht meine Schuld war. Es war ganz allein Lukas Schuld, und ich beschloss in diesem Moment, dass er dafür bezahlen würde.
Hallo zusammen! Ich bin wieder da und habe, wie ihr gelesen habt, ein neues Kapitel im Gepäck. Wie hat es euch gefallen? Was glaubt ihr, was wird Lena tun, um Lukas für seine Taten bezahlen zu lassen? Ich freue mich schon auf eure Vermutungen!
LG Catrifa xx
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