36. Longing
Niall rief mich nur zwei Minuten, nachdem ich meine Nachricht abgeschickt hatte, an.
„Lena, ich bin so froh, dass du mir das geschrieben hast", brachte er heraus. „Ich weiß nicht, wie lange ich das noch aushalte, ich brauche dich so sehr."
Daraufhin war ich erst einmal sprachlos. Ich war so mit mir selbst beschäftigt gewesen, dass ich mir gar nicht hatte vorstellen können, wie schwierig das alles für Niall war. Und er hatte die ganze Zeit auf mich Rücksicht genommen, obwohl sein Herz ihm scheinbar etwas anderes sagte.
„Ich halte es auch nicht mehr aus", ließ ich mein Herz sprechen. „Ich möchte einfach nur bei dir sein."
„Soll ich zu dir kommen? Ich kann morgen in Deutschland sein", schlug er sofort vor. „Lass mich nur schnell schauen, wie die Flüge gehen."
Es tat mir im Herzen weh, seinen Vorschlag abzulehnen. „Ich glaube das ist keine gute Idee. Hier sind doch meine Eltern, da sind wir niemals zu zweit." Dass mein Flug erst am Tag nach Neujahr nach London gehen würde, ging mir in diesem Moment jedoch gehörig gegen den Strich.
„Möchtest du hierher kommen?", schlug er als nächstes vor. „Ich bin gerade noch in Irland, aber hier wären wir etwas ungestörter. Die Fans von Weihnachten haben sich zum Glück schon verzogen. Oder wir treffen uns morgen in London, wenn du möchtest."
„Dann treffen wir uns in London. Ich muss nur meiner Familie irgendwie erklären, dass ich doch schon eher fliege und den Flug umbuchen."
„Das sollte kein Problem sein." Niall schien mal wieder schneller als ich zu sein. „Morgen geht ein Flug von Hannover nach London Heathrow um zwölf, dann kommen wir sogar fast zeitgleich am Flughafen an."
Es war so aufregend, dass wir uns nun doch schon eher sehen würden. Wir verabredeten uns am Flughafen, damit wir dann gemeinsam ein Taxi zu Nialls Haus nehmen konnten. Sein Bodyguard Basil hatte leider so kurzfristig keine Zeit, sodass wir das zu zweit hinkriegen mussten, aber Niall nahm das Ganze locker. Es würde ihn dort ja niemand erwarten, und zwischen den Feiertagen sei eh immer etwas weniger los.
Die Schwierigkeit bestand nun noch aus meinen Eltern. Ich musste ihnen deutlich machen, wie wichtig es für mich war, doch schon am morgigen Tag zurückzufliegen, und nicht wie geplant bis zum 2.1. zu bleiben. Und das am besten noch am heutigen Abend, denn morgen war nicht mehr viel Zeit, wenn mein Flug um 12 Uhr startete.
Ich trat aus meinem Zimmer und hörte glücklicherweise noch ihre Stimmen bei uns im Wohnzimmer. Leise tapste ich die Treppen hinunter.
„Ich habe einen kleinen Anschlag auf euch vor", verkündete ich leise von der Treppe aus. Sofort drehten sich beide zu mir um.
„Was ist denn los?", wollte meine Mutter wissen.
„Ich möchte schon morgen nach London zurückfliegen", rückte ich direkt mit der Sprache raus.
„Warum das denn?", wollte mein Vater wissen und fuhr sich mit der Hand durch die kurzen Haare. Das tat er immer, wenn er sich aufregte oder etwas nicht verstand.
Da ich meine Eltern nicht anlügen wollte, aber irgendwie ebenso wenig von Niall und mir erzählen wollte, fiel es mir schwer, darauf zu antworten. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie darauf reagieren würden, wenn ich erzählte, dass ich mit einem Popstar zusammen war, der zudem noch fünf Jahre mehr auf dem Buckel hatte als ich.
„Es gibt da so jemanden", druckste ich herum.
„Aha?" Meine Mutter zog ihre Augenbrauen hoch. Jetzt wollte sie vermutlich alles wissen, was mich schon seufzen ließ. Ich würde ihr ganz bestimmt nicht von meiner Achterbahn an Gefühlen mit Niall erzählen.
Von meinem Vater kam gar keine Antwort, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Er verhielt sich in solchen Situationen meist eher still.
„Naja, es ist kompliziert", deutete ich vage an.
Das machte es nicht wirklich besser, denn jetzt schwiegen meine Eltern mich beide an.
Diese Stille war fast schlimmer als alles andere, das sie hätten sagen können. „Was ist denn? Darf ich morgen schon fliegen?"
„Wir können dir nichts verbieten, Lena, du bist jetzt achtzehn. Du kannst tun und lassen was du möchtest, und wir sind dir natürlich nicht böse, wenn du morgen schon zurückfliegen möchtest, auch wenn wir es schade finden. Wir sehen dich ja jetzt nicht mehr so häufig."
„Pass aber auf dich auf", fügte mein Vater hinzu.
Das versprach ich den beiden hoch und heilig.
Gleich nach dem Gespräch setzte ich mich an meinen Laptop, buchte den morgigen Flug und stornierte den, den ich eigentlich hatte nehmen wollen. Ich schicke Niall ein Foto von dem neuen Ticket und bekam direkt eins von seiner Buchung zurück.
Wow, ich würde ihn wirklich morgen wiedersehen. Vor Aufregung konnte ich die halbe Nacht nicht schlafen und stand am nächsten Morgen für meine Verhältnisse super früh auf, damit ich beim Packen ja nichts vergaß.
Beim Frühstück berichteten wir auch meinem Bruder davon, dass ich heute bereits nach London zurückfliegen würde.
„Ich besuche dich da vielleicht in meinen Osterferien", versprach er mir als Reaktion auf meine Neuigkeiten.
„Das kannst du gern tun, in meiner WG gibt es auch genug Gästezimmer. Lass es mich nur früh genug wissen."
„Das mache ich. Dann kannst du mir die ganzen geheimen Orte der Einheimischen zeigen und so", träumte er bereits wieder vor sich hin.
Ich lachte daraufhin nur. Mein Bruder war manchmal wirklich ein Träumer.
So langsam musste ich los zum Bahnhof. Da meine Mutter sowieso noch bei einer Freundin vorbeischauen wollte, brachte sie mich kurzerhand dorthin.
Als sie mich zum Abschied umarmte, hielt sie mich etwas länger fest als gewöhnlich, und ich drückte sie noch einmal fester an mich. Die achtzehnjährige Tochter auf unbestimmte Zeit ins Ausland zu entlassen war sicher nicht einfach, das begriff ich jetzt erst. Zuvor hatte ich immer nur meinen eigenen Wunsch gesehen, nicht jedoch den meiner Eltern. Als wir uns losließen, sah ich ihre feuchten Augen.
„Ich komme bestimmt bald wieder, Mama", versuchte ich sie zu trösten. „Oder ihr kommt mich auch in den Osterferien besuchen, das wäre doch lustig."
Sie nickte, und lächelte. „Ich bin wirklich stolz auf dich, dass du schon so selbstständig bist."
Als der Zug einfuhr, umarmten wir uns kurz erneut. Bevor ich einstieg, grinste sie auf eine Art und Weise, die ich bei ihr so noch nie gesehen hatte. „Grüß übrigens Niall von uns!"
Ich war viel zu verwirrt, um darauf zu antworten. Niall hatte ich in der gesamten Zeit nicht einmal laut erwähnt. Erst im Zug begriff ich, dass das wohl mütterliche Intuition sein musste. Meine Mutter wusste scheinbar, dass zwischen Niall und mir mehr war als nur Freundschaft.
Den gesamten Flug über war ich hibbelig, denn ich konnte es kaum erwarten, Niall endlich wiederzusehen. Die Vorfreude war riesig, und auch meine grimmige Sitznachbarin konnte diese nicht trüben. Sie meckerte nicht nur lautstark an der geringen Beinfreiheit, sondern auch am mangelnden Service herum. Darüber konnte ich nur innerlich lachen, denn wer sich das Leben so vermieste, war selbst schuld.
Als ich aus dem Flugzeug trat, schlug mein Herz mir bis zum Hals und ich hatte das Gefühl, kaum noch atmen zu können. Ich war so unglaublich aufgeregt.
Zuerst suchte ich nach dem Handyempfang, um Niall zu schreiben, dass ich jetzt auf britischem Boden angekommen war. Über die Feiertage hatte ich nur meinen kleinen Trolley mitgenommen, sodass ich jetzt auch nicht am Gepäckband warten musste.
Ich stellte mich schließlich in die Eingangshalle und wartete auf den Iren. Sein Flug landete zehn Minuten nach meinem, sodass ich mir keine Sorgen machte, dass ich ein wenig längere Wartezeit hatte.
Endlich zeigte mein Handy eine neue Nachricht von Niall an und mein Puls ging sofort wieder nach oben.
„Bin gelandet. Treffen wir uns nach meiner Ausweiskontrolle am Taxistand?"
Ich schickte kurz eine zustimmende Nachricht und machte mich sofort auf den Weg dorthin. Ich vermutete, dass Niall bereits online ein Taxi gebucht hatte. Dann waren diese nämlich deutlich günstiger.
Die Ausweiskontrolle schien länger zu dauern, denn ich wartete eine ganze Weile auf Niall.
Was ich dann jedoch sah, beunruhigte mich zutiefst. Niall kam mit Sonnenbrille und einer Cap auf mich zu, was für ihn auch Ende Dezember nichts Ungewöhnliches war, aber hinter ihm und um ihn herum war eine ganze Horde an Menschen. Das waren nicht nur junge Frauen und Mädchen, sondern auch Männer. Sie trauten sich wohl glücklicherweise nicht, ihn körperlich zu berühren, aber trotzdem grenzte das, was sie taten, an Belästigung. Sie hatten ihre Handys in der Hand, machten Fotos, Videos und redeten durchgängig auf ihn ein. Dabei kamen sie ihm gefährlich nah.
Jetzt musste ich schnell handeln. Zwei Meter von mir entfernt stand ein Taxifahrer neben seinem Gefährt, und diesen sprach ich an.
„Hey Sir, können Sie mich und meine Begleitung jetzt sofort nach Hertfordshire fahren?" So schnell hatte ich wohl noch nie Englisch gesprochen, ohne mich dabei zu verhaspeln.
Der Mann nickte zum Glück geistesgegenwärtig und öffnete die Tür. Dabei nahm er mir direkt meinen Trolley ab. Er hatte wohl auch die Horde gesehen, die sich auf uns zu bewegte. Keinen Moment zu spät, denn Niall war fast auf unserer Höhe. Er war kreidebleich im Gesicht und nutzte den Moment der Überraschung seiner Begleiter, um ohne zu zögern mit seinem kleinen Koffer in das Taxi zu steigen. Ich kletterte sofort hinterher und schloss die Tür hinter uns. Das Taxi hatte jedoch keine getönten Scheiben, was sich als entscheidender Nachteil herausstellte.
In der Zeit, die der Taxifahrer benötigte um meinen Koffer zu verstauen und sich selbst hinter das Lenkrad zu klemmen, hatten die Fans das Taxi umringt und schossen fleißig Fotos. Dass ich meine Haare vor mein Gesicht fallen ließ half auch nur bedingt weiter.
Als wir endlich losfuhren, atmete ich erleichtert auf.
Ganz und gar nicht erleichtert war jedoch mein Gegenüber. Niall nannte dem Taxifahrer noch die genaue Adresse, dann hatte ich das Gefühl er könnte jeden Moment zusammenbrechen. Sein Gesicht war schneeweiß, aber schweißüberströmt und als er seine Sonnenbrille abnahm, sah ich seine deutlich geröteten Augen.
„Niall, was ist los?" Ich hatte ihn noch nie so gesehen und es machte mir ehrlich gesagt ziemliche Angst.
Ich sah, dass er mir antworten wollte, aber er brachte kein Wort heraus. Stattdessen atmete er nur schwer, was mich dazu veranlasste, seine Hände in meine zu nehmen und vorsichtig darüber zu streichen.
„Es ist alles okay, die sind jetzt weg", sagte ich leise. „Du musst dir keine Sorgen machen, alles wird gut." Mit meinem Daumen strich ich ihm den Schweiß von der Stirn. „Möchtest du ein Taschentuch?"
Er konnte nur nicken, aber seine Gesichtsfarbe änderte sich nicht.
Froh, etwas tun zu können, kramte ich in meiner Handtasche nach einer Taschentuchpackung, die ich glücklicherweise schnell fand. Was ich außerdem fand, war ein Schokoriegel, den ich mir in meiner Aufregung im Duty Free in Hannover gekauft hatte, aber dann doch nicht essen wollte. Diesen überreichte ich Niall, nachdem er sich ausgeschnäuzt hatte.
Dankbar nahm er den Schokoriegel an und biss gleich ein großes Stück ab. Er hatte immer noch nichts gesagt, aber sein Atem normalisierte sich langsam wieder.
Ich hatte wohl einen guten Taxifahrer ausgesucht, denn dieser ignorierte uns einfach, während er auf die Schnellstraße fuhr.
So gut das im Auto ging umarmte ich Niall, als der Riegel verputzt war, und für eine Weile schwiegen wir beide einfach nur. Ich merkte, wie Niall immer ruhiger wurde, und schließlich räusperte er sich.
„Danke, ich glaube du hast mir gerade das Leben gerettet."
Etwas verwirrt wollte ich widersprechen, denn das war ja nun wirklich keine große Aktion für mich gewesen, aber ich kam nicht dazu.
„Weißt du noch, dass ich Klaustrophobie habe?" Tatsächlich hatte ich das irgendwie verdrängt, also schüttelte ich den Kopf. „Ich bin deswegen mal im Flughafen bei genau so einem Ansturm zusammengeklappt. Allerdings waren damals Bodyguards dabei. Seitdem habe ich panische Angst davor, dass so etwas noch einmal passiert. Aber heute dachte ich, dass das gar nicht passieren kann. Ich meine wir sind jetzt schon ein Jahr lang in der Pause, so langsam müssten die Leute sich doch beruhigt haben, oder?" Dass das nur eine rhetorische Frage war merkte ich daran, dass er direkt weitersprach. „Ich wollte dich so unbedingt sehen, dass ich das ganz ausgeblendet habe. Ich war so naiv, ohne Bodyguard am Flughafen rumrennen zu wollen. Das mache ich sonst ja auch nicht. Und jetzt habe ich unser Wiedersehen einfach versaut."
Diesen Niall kannte ich überhaupt nicht. Er war plötzlich so gar nicht selbstbewusst, sondern fiel fast in sich zusammen. Im ersten Moment wusste ich nicht, wie ich darauf reagieren sollte, aber dann war mir alles klar. Ich hatte diese zweifelnden Momente auch, und ich wusste, was ich in einem solchen Moment brauchte.
Irgendwie half es mir, zu sehen, dass Niall auch nicht perfekt war. Dass auch er manchmal Unterstützung brauchte. Dass diese Beziehung ein Geben und ein Nehmen war, jeder von uns durfte schwach sein. Und jetzt war ich die Starke.
Ich nahm seinen Kopf zwischen meine Hände und dann küsste ich Niall, so wie ich das noch nie zuvor getan hatte.
Na, hättet ihr das erwartet? In diesem Kapitel passiert ja so Einiges. Was haltet ihr von dieser Entwicklung? Und was glaubt ihr, passiert als nächstes? Ich freue mich schon auf eure Vermutungen!
Wie ihr vielleicht schon in der Ankündigung auf meinem Profil gelesen habt, geht die Geschichte um Lena und Niall so langsam in den Endspurt, weshalb ich versuchen möchte, jetzt möglichst oft daran zu schreiben und euch auch entsprechend mit neuen Kapiteln zu versorgen. Falls ihr gerade ein wenig Motivation oder den ein oder anderen Tritt in den Hintern übrig habt, immer her damit bitte! Ich hoffe so sehr, dass ich das hier noch schaffe, bevor meine Zusatzausbildung und mein neues Semester beginnt. Ein paar Kapitel kommen allerdings noch, ich schätze momentan mindestens 7 Stück.
Macht euch also gefasst auf regelmäßige (vielleicht sogar tägliche, wenn ich entsprechend vorankomme) Updates. Ich freue mich natürlich entsprechend auch auf eure Votes und Kommentare, die mich immer besonders motivieren :)
LG Catrifa xx
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top