23. Internal destruction
Während ich versuchte, Nialls Geschenk ohne größere Unfälle aufzureißen, warf dieser einen neugierigen Blick in die Küche.
„Es riecht super lecker, Lilly, was kochst du denn?"
„CTM", antwortete sie grinsend. „Lena kann sich ruhig schon mal richtig an die britische Küche gewöhnen, wenn sie hier jetzt länger bleibt." CTM war die Abkürzung von Chicken Tikka Masala, einem Hähnchengericht mit Currysauce, das als typisch britisch betitelt wurde. Dass es gerade erst heute Mittag Essen von Nando's gegeben hatte, machte mir in der Hinsicht tatsächlich auch gar nichts aus, weil das Hähnchen mit Currysauce noch einmal ganz anders schmeckte.
Ich wandte mich wieder dem Päckchen zu. Mit den Fingern würde das wohl nichts werden, also nahm ich mir doch eine Schere aus der Küchenschublade.
„Sei damit bloß vorsichtig", grinste Niall und legte einen Arm um mich. „Ich hätte vielleicht doch nur einmal Tesafilm verwenden und nicht alles damit zukleben sollen."
„Nächstes Mal weißt du es besser." Endlich ließ sich das Geschenkpapier entfernen und gespannt blickte ich auf den filigranen Gegenstand in meiner Hand. Nialls Geschenk war ein goldfarbenes Armband, an dem eine wirklich winzige Uhr in Form eines vierblättrigen Kleeblatts befestigt war. „Wow, das ist wunderschön!" Begeistert betrachtete ich das fein gearbeitete Ziffernblatt aus der Nähe.
„Freut mich, dass es dir gefällt. Willst du es gleich tragen?"
„Klar. Magst du mir helfen?" Auf den Gedanken war Niall auch schon gekommen, denn er nahm mir das Armband aus der Hand und legte es mir vorsichtig ums Handgelenk. Bei der Berührung unserer Haut begann mein Arm zu kribbeln und ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. Ich war wirklich immer noch verdammt verknallt.
„Danke Niall, das ist wirklich super süß." Genau in dem Moment, in dem ich ihn küsste, kam Aoife in die Küche.
„Der Tisch ist jetzt gedeckt und das Essen soweit fertig, wir können also essen, wenn ihr nichts anderes zu tun habt." Sie verkniff sich ganz offensichtlich das Lachen.
„Nein, essen klingt definitiv gut", stimmte Niall ihr zu.
Als wir am Tisch saßen, warf ich noch einmal einen kurzen Blick auf mein Handy, um zu schauen, ob mir noch jemand gratuliert hatte. Tatsächlich hatte ich eine neue E-Mail in meinem Posteingang und öffnete diese, während ich in Gedanken schon beim Essen war, das Lilly gerade auf die Teller verteilte.
Was ich nun auf meinem Handybildschirm sehen konnte, ließ mich erstarren.
Ich musste dreimal auf das angezeigte Bild schauen, und konnte es immer noch nicht glauben. Was war das? Wie konnte das überhaupt möglich sein? Das gab es so nicht und das konnte es so nicht geben. Meine Gedanken rasten immer weiter. Wieso war es jetzt plötzlich wieder da? Wieso auch ausgerechnet heute? Und wie funktionierte das? Dieses Bild konnte nicht existent sein und trotzdem sah es täuschend echt aus.
„Lena? Lena? Magst du Brot?" Erwartungsvoll sah Lilly mich an, als ich zu ihr aufblickte. „Oh Gott, was ist denn mit dir passiert?" Ich schüttelte kurz meinen Kopf. Was hatte sie gerade gefragt? Da war nur die ganze Zeit dieses Bild vor meinem inneren Auge.
„Lena, geht's dir gut? Du siehst ganz blass aus", mischte auch Aoife sich ein, und Niall beugte sich zu mir hin.
„Lena, was ist los?" Vorsichtig strich er mir mit dem Daumen über die Wange und realisierte dann, dass ich nicht aufhören konnte, auf mein Handy zu starren. Er warf also ebenfalls einen Blick darauf und ich merkte, dass er in seiner Bewegung mit dem Daumen erstarrte.
„Ach ... oh Gott." Er verstummte. Stattdessen spürte ich deutlich, wie er tief durchatmete und das Handy vorsichtig aus meinen Händen nahm.
Was passierte hier gerade? Alles sah ein bisschen verschwommen aus, und das eben gesehene Bild hatte sich in mein Gehirn eingebrannt. Immer noch konnte ich es nicht verstehen.
Nialls Arme legten sich um meinen Körper und ich hörte leise, wie er mit den anderen Anwesenden redete. Am liebsten wollte ich nur meine Augen schließen und hoffen, dass das hier ein böser Traum war und ich in Nialls Armen aufwachte. Aber auch mit geschlossenen Augen ging das Bild nicht weg. Eigentlich wurde es sogar noch schlimmer. Was konnte damit passieren? Das Bild selber war ja nicht das Problem. Das Problem war die Grenze, die damit überschritten wurde.
Ich spürte, wie Niall mich hoch hob und aus dem Raum trug. Er legte mich auf etwas Weichem, vermutlich meinem Bett, wieder ab. Vorsichtig strich er mir durch die Haare, während ich immer noch nicht begreifen konnte, was da gerade passierte.
Es war fast wie in einem Horrorfilm, der sich als ziemlich real entpuppte. Das hinderte mich aber trotzdem daran, denn Sachverhalt richtig realisieren zu wollen. Das Ausmaß des Bildes wollte und konnte ich nicht begreifen. Das war eine deutliche Grenze, die überschritten wurde, was sich nicht rückgängig machen ließ. Und er wollte es vermutlich auch nicht rückgängig machen, sonst würde das Bild nicht existieren. Existieren tat es definitiv, das konnte ich nicht einmal vor mir selbst leugnen.
Nialls ruhige Zusprache bekam ich nur am Rande mit. Was mich dabei am meisten beruhigte, war der Klang seiner Stimme, obwohl selbst die nicht imstande dazu war, das Bild aus meinem Kopf zu verdrängen. Es tauchte immer wieder auf. Fast schon als hätten meine Augen einen Fotomechanismus verwendet, um alle Details des Bildes in meinem Kopf speichern zu können.
Und dabei war das Einzige was ich wirklich wollte, dieses Bild zu vergessen und zu verdrängen.
Das schien mir nicht gegönnt zu sein, obwohl ich versuchte, mich nur auf Nialls Worte zu konzentrieren.
„Ich bin da, Lena." Das Bild war auch da, und es sollte nicht da sein. „Du musst keine Angst haben, wir werden das hinkriegen. Es wird alles gut." Nialls Worte verschwammen wieder in einem einzigen Brei meiner verqueren Gedanken und seiner Stimmmelodie.
Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas mal passieren würde, und dann auch noch unter diesen Umständen. Vor allem hatte ich eigentlich nicht gedacht, dass so etwas tatsächlich Menschen passierte, die nicht berühmt waren oder ständig von Paparazzi verfolgt wurden. Und das wurde ich nicht, jedenfalls war ich mir da relativ sicher.
Niall nahm irgendwann seine Hand aus meinen Haaren, was mich wieder aus meinen Gedanken aufschrecken ließ und ich blinzelte ein wenig mit meinen Augen.
„Versuch am besten erstmal zu schlafen, Lena. Soll ich hier bleiben?"
„Mh", brachte ich heraus, zu mehr war ich einfach nicht in der Lage.
„Ich bin sofort wieder da, ich sage nur kurz den anderen Bescheid", versicherte er mir ziemlich glaubhaft, und ich versuchte, zu nicken.
Ich wollte meine Augen nicht wieder schließen, aber es war auch nicht aufbauend, an die Decke zu starren. Dort projizierten meine Augen nun das Bild, was die Situation überhaupt nicht besser machte. Bilderverbreitung war im Zeitalter der Medien ein Kinderspiel für jeden. Welcher Art diese Bilder waren, spielte überhaupt keine Rolle.
Nach einer halben Ewigkeit kam Niall wieder in das Zimmer. „Magst du deine Jeans ausziehen?"
Ich konnte gar nicht genau darüber nachdenken, ich wusste nur, dass ich wahrscheinlich nicht würde schlafen können. Aber trotzdem war die Jeans sicher unbequem. Auf dem Bild war auch eine Jeans zu sehen. Nun ja, eigentlich waren es zwei Jeanshosen.
„Lena?", fragte Niall noch einmal nach.
„Mh", antwortete ich erneut. Ich war immer noch auf das Bild an der Decke fokussiert. Wie war es überhaupt möglich, dass ich mich an all diese Details erinnern konnte? Es fühlte sich wirklich an wie von meinem Gehirn abfotografiert.
Es wurde ein bisschen kalt an meinen Beinen, aber das wurde sofort besser, als Niall mich zudeckte.
„Soll ich mit ins Bett kommen oder hier sitzen bleiben?" Da ich das dringende Bedürfnis nach seiner Nähe hatte, zog ich ihn zu mir ran. „Alles klar." Er stand auf und entledigte sich ebenfalls seiner Jeans. Dass er auch sein Hemd ausgezogen hatte, merkte ich als er sich zu mir legte und mich in den Arm nahm. „Das wird alles wieder, Lena. Gute Nacht", murmelte er mir zu und küsste mich auf die Stirn.
Seine Arme um mich waren angenehm und sein Körper war schön warm.
Das war der Moment, in dem mir die ersten Tränen über die Wangen rollten, was mir erst bewusst wurde, als Niall sie vorsichtig mit deinen Fingern wegwischte.
„Du bist stark und ich unterstütze dich", fügte er noch hinzu, während ich weiter leise vor mich hin weinte.
Erst jetzt konnte ich die Gefühle herauslassen, die sich mit diesem Bild angestaut hatten. Denn jetzt bei Niall fühlte ich mich so sicher, als wäre all das nicht passiert. Dennoch wurde mir jetzt immer mehr bewusst, dass es passierte. Vor allem passierte es mir. Mir persönlich. Und dieses Gefühl war so schrecklich, dass ich es kaum begreifen konnte. Selbst die lauten Schluchzer, die sich jetzt zwischen die eigentlich stummen Tränen mischten, konnten nicht ausdrücken, wie schrecklich ich mich fühlte. London hatte ein komplett positiver Neustart sein sollen. Und plötzlich wünschte ich mich ins sichere Deutschland an meine alte Schule zurück. Dort wäre mir all das bestimmt nicht passiert.
Dass es passierte, ließ sich jetzt allerdings nicht mehr ändern, was eine Gewissheit war, die sich noch weniger verdrängen ließ als das Bild in meinem Kopf. Ich war jetzt hier und ich musste mich dem stellen, mit dem ich konfrontiert wurde, egal wie schrecklich es auch war.
Und obwohl es schrecklich war, hatte ich doch immer noch Niall und meine anderen Freunde, die mir hier zur Seite standen. Vor allem Niall. Wie er es schaffte, mich so aufzufangen, war mir ein Rätsel und es würde wohl auch eins bleiben.
Wieder tauchte das unwirkliche Bild vor meinen Augen auf. Je mehr ich es mir innerlich ansah, desto mehr wurden mir jetzt auch die Ausmaße bewusst, die es haben konnte. Das konnte mein Leben zerstören. Diese Vorstellung gruselte mich über alle Maße. Vor allem die Vorstellung, dass ich darauf überhaupt keinen Einfluss hatte und auch nicht haben konnte. Jemand anderes hatte die Fäden in der Hand und wie das wieder gut werden sollte, wie Niall das behauptete, konnte ich mir nicht vorstellen. Wir konnten schließlich nichts machen.
Wie hatte es nur so weit kommen können?
Das ist ja nun doch ein ziemlicher Schock. Ich weiß noch, dass es mir unheimlich schwer gefallen ist, dieses Kapitel zu schreiben, weil ich zu dem Zeitpunkt ziemlich glücklich war. Trotzdem hoffe ich, dass es mir gelungen ist, Lenas Emotionen darzustellen.
Was haltet ihr von der derzeitigen Entwicklung? Was für ein Bild könnte das wohl sein?
Ich freue mich sehr über eure Vermutungen! Keine Angst, auf das nächste Kapitel werdet ihr nicht so lange warten müssen wie das beim letzten der Fall war. Ich kann euch aber leider noch keinen konkreten Termin nennen. Bis dann!
Liebe Grüße, Catrifa x
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