15. Exposures

Ich konnte mir nicht erklären, was Niall dazu gebracht hatte, einfach so schnell zu verschwinden, aber erstmal musste ich mir zum Glück keine Gedanken darum machen, weil ich hier in London genug zu tun hatte. Ich stellte mich endlich bei der Firma vor, die mir das Stipendium offerierte und schien einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Das Gebäude schien ein wenig heruntergekommen zu sein, aber ansonsten wirkte es nett. Die beiden anderen Mitarbeiter bestanden aus einem Pärchen, wie mir der Chef freundlich erklärte. Sie hatten genau an dem Tag keinen Dienst, an dem ich beschlossen hatte, mich vorzustellen, sodass der Chef mich allein ein bisschen herumführte. Das Studio in dem kleinen Gebäudekomplex war in Ordnung, aber nichts Besonderes. Die Technik war nicht die Neuste und allgemein wirkte alles, wie auch der Chef, ein bisschen in die Jahre gekommen. Das sagte ich allerdings nicht sondern nickte freundlich und wunderte mich innerlich, warum genau diese kleine Firma ein Stipendium anbot. Würde es nicht mehr Sinn machen, die Mikrofone zu erneuern oder ein neues Computersystem zu kaufen, als einem jungen Menschen ein Studium zu ermöglichen?

Allerdings hatte ich nicht vor, mich zu beschweren, schließlich war ich der junge Mensch, der in den Genuss einer wunderbaren Ausbildung kam.

Auch die Uni gefiel mir immer besser. Als ich dort an einem Nachmittag vorbeischaute, um meine genaue Kurswahl zu bestätigen, traf ich auf Professor Palmer, der mich freundlich begrüßte.

„Es ist so schön, Sie hier zu treffen, Lena!"

„Das finde ich auch", gab ich zurück. „Ich freue mich schon richtig auf das Studium, das wird bestimmt super."

„Das glaube ich ebenfalls. Wir sehen uns dann sicher in der ersten Vorlesung im Oktober, sehe ich das richtig?"

„Absolut", stimmte ich ihm zu. „Ich muss jetzt auch weiter, meine letzten Wahlen bestätigen. Aber es war schön, Sie mal wieder getroffen zu haben!"

Wir verabschiedeten uns voneinander und ich hatte gleich ein gutes Gefühl. Sich mit einem Professor gut zu verstehen hatte sicher praktische Seiten.

Während ich in der U-Bahn auf dem Rückweg zur Wohnung saß, klingelte mein Handy und ich nahm ab.

„Hey Lena", begrüßte eine mir sehr bekannte Stimme mich.

„Hi Niall, warum rufst du an?", fragte ich.

„Hast du Lust und Zeit, dich mit mir zu treffen? Ich würde dir gern meinen merkwürdigen Abgang letztens erklären." Er schien irgendwie zerknirscht. War das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Ich beschloss, es vorerst als gutes Zeichen zu werten.

„Klar, ich sitze gerade in der U-Bahn und wollte eigentlich nach Hause fahren, aber ich kann auch gern zu dir rumkommen", bot ich an. Es fühlte sich immer noch etwas komisch an, die Wohnung mein Zuhause zu nennen, obwohl sie genau das war.

„Echt? Das wäre toll", sagte er euphorisch. „Dann bis gleich."

Ich stieg also in der nächsten Station um und fuhr mit der entsprechenden Linie in Richtung Norden.

Niall schien schon auf mich gewartet zu haben, denn das Gartentor und auch die Haustür gingen sofort auf, sodass ich einfach durchgehen konnte.

Da es heute für Londoner Verhältnisse sehr warm war, trug ich nur eine kurze Strickjacke, die ich an Nialls Garderobe aufhängte.

Er schloss die Haustür und begrüßte mich dann sozusagen richtig mit einem Kuss. Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen hatte, zog er mich an der Hand ins Wohnzimmer, wo wir uns auf die Couch setzten. Meine Hand ließ er aber nicht los, was mich irgendwie irritierte und nervös werden ließ. Zudem wusste ich genau, dass in kurzer Zeit meine Hand beginnen würde zu schwitzen.

Das schien Niall aber nicht zu interessieren, als er zu reden begann.

„Es tut mir echt leid, dass ich letztes Mal einfach so ohne ein weiteres Wort gegangen bin, es war nicht meine Absicht, dich zu verletzen", versicherte er mir.

„Niall, du hast ...", wollte ich ihn unterbrechen, kam aber nicht weit mit diesem Vorhaben.

„Ich hab doch dein Gesicht gesehen, als ich gegangen bin, und es tut mir leid. Ich musste schnell weg, weil ich einen Termin total verpennt hatte. Einen Termin in Los Angeles, um genau zu sein. Es ging dabei darum, dass ich ein paar Solosongs aufnehmen möchte und dazu natürlich gern einen Vertrag hätte. Es tut mir wirklich leid, dass ich dich einfach so sitzen gelassen habe, es wird nicht wieder vorkommen", versicherte er mir.

„Aber dass du Solosongs aufnimmst ist doch super!", freute ich mich für ihn. Sein plötzliches Verschwinden hatte ich ihm nicht wirklich übel genommen, noch weniger jetzt, wo ich dafür eine logische Erklärung vorliegen hatte. „Hat das denn geklappt?" Ich bemerkte, dass seine Hand meine immer noch umfasst hielt, weil er jetzt begann, mit seinem Daumen über meinen Handrücken zu streicheln.

„Eh, ja, das hat geklappt." Er hatte kurz auf unsere Hände geschaut und sah jetzt wieder zu mir hoch. „Das heißt leider, dass ich in Zukunft öfter mal von London nach LA fliegen werde. Jetzt bist du nach London gezogen, wir könnten uns endlich öfter sehen und dann fliege ich dauernd weg. Echt blöd."

„Das ist doch okay", versuchte ich ihn und vor allem mich selbst, meine Schmetterlinge und mein Herz zu beruhigen. „Wir sehen uns trotzdem öfter als vorher. Und ich habe schon ein Leben hier, denk bloß nicht, dass ich nur von deiner Gesellschaft abhängig bin."

„Oh, das wollte ich auch nicht damit ausdrücken", sagte er erschrocken. „Ich würde einfach nur gern mehr Zeit mit dir verbringen. So." Um mir darzustellen, wie er genau die Zeit mit mir verbringen wollte, legte er seine andere Hand, die nicht meine hielt, an meine Wange und begann, mich zu küssen.

Ich konnte mich einfach nicht an dieses Gefühl gewöhnen, das er in mir auslöste. Es war unbeschreiblich, und zwar unbeschreiblich schön. Viel zu schnell löste er sich von mir.

„Sag mal, Lena, atmest du noch?" Oh.

„Danke für die Erinnerung." Ich atmete zischend aus. Daraufhin kicherte er.

„Hast du gerade wirklich vergessen zu atmen?"

„Kann ja mal passieren." Und schon wieder wurde ich rot. Das sollte wirklich aufhören. Wenn ich aber schon mal rot war, konnte ich jetzt auch sagen, was ich dachte, schlimmer konnte es schließlich nicht werden. „Ich verbringe auch gern so Zeit mit dir." Und hey, ich bin voll in dich verknallt, falls du blind sein solltest und das noch nicht gemerkt hast.

„Es ist echt süß, wenn du rot wirst." Er strich mir mit der Hand über meine heiße Wange.

„Schön, dass dir das gefällt", gab ich etwas ironisch zurück. „Ich kann's irgendwie nicht abstellen."

„Damit kann ich leben." Und schon wieder drückte er seine unheimlich tollen Lippen auf meine. Der Wahnsinn.

Noch schöner war es, als ich mich plötzlich liegend auf dem Sofa wiederfand und Niall über mir war und damit fortfuhr, mich zu küssen. Zudem wirkte er jetzt irgendwie energischer. Als er mit seiner Zunge in meinen Mund eindrang, spürte ich, wie mir noch heißer als zuvor wurde, und das, obwohl ich wegen des warmen Wetters sowieso nur eine Hotpants und ein T-Shirt trug. Ich schlang meine Arme um seinen Körper, um ihn näher bei mir zu haben. Er ließ das zu und auch seine Hände schienen sich zu verselbstständigen. Er fuhr mit ihnen unter mein T-Shirt, was mich nun ziemlich nervös werden ließ, aber seine Berührungen gefielen mir sehr. Er streichelte meinen Bauch und bewegte seine Hand langsam weiter nach oben. Es war fast zu spät, als mein Gehirn seine Funktion wieder aufnahm und ich bemerkte, was das hier werden sollte. Kurz bevor Niall meinen BH berührte, legte ich meine Hände auf seine Brust und stieß ihn von mir weg.

Verwirrt und ein bisschen verletzt sah er mich an: „Was sollte das jetzt?"

„Das sollte ich dich fragen!", gab ich zurück. „Du denkst wohl, dass du dir alles nehmen kannst, was du willst?"

„Ich dachte das gefällt dir auch?" Er schien wirklich verwundert.

„Wenn du das willst, kannst du gleich wieder zu deinen ganzen Schlampen zurückgehen", erklärte ich ihm und verschränkte meine Arme vor der Brust.

„Lena, was ist denn los?", fragte er und tat das so lieb klingend und einfühlsam, dass ich am liebsten geheult hätte.

„Tut mir leid, ich hätte wissen müssen, dass du das auch nur willst." Ich musste mich jetzt echt zusammenreißen.

Was will ich nur?" Ich hatte wirklich keine Lust auf diese Verständnismasche und stand auf, um mich von Niall wegzudrehen und das Haus zu verlassen. „Lena, rede bitte mit mir! Habe ich was falsch gemacht?" Jetzt stiegen mir tatsächlich die Tränen in die Augen, aber ich ging weiter, in der Hoffnung, dass er mir nicht folgte. Was er natürlich doch tat.

Er nahm meine Hand und brachte es damit fertig, mich zu ihm herumzudrehen, bevor ich sie ihm wieder wegreißen konnte.

„Weinst du etwa?" Da war es dann um mich geschehen. Niall war wirklich lieb, das begriff ich jetzt, während ich von den Tränen geschüttelt wurde. Er nahm mich vorsichtig in den Arm und strich mir über die Haare. „Sht, sht", machte er, wohl um mich zu beruhigen, und es half tatsächlich.

Er lotste mich zum Sofa und wir setzten uns wieder hin.

„Willst du darüber reden?", fragte er dann, als ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte und Niall mir ein Taschentuch reichte.

Nach kurzem Überlegen nickte ich. Wenigstens ein Teil musste jetzt raus. Ich hatte das schon zu lange mit mir herumgeschleppt und Niall war so ziemlich der Einzige, dem ich mich anvertrauen wollte.

„Es hat nichts mit dir zu tun", begann ich und schniefte einmal. „Aber ich ... ich kann einfach nicht. Erinnerst du dich noch an Lukas?" Niall nickte. „Ich war mit ihm zusammen, ziemlich lange sogar. Und irgendwann wollte er, naja, Sex, aber ich wollte nicht." Bei dem Wort lief ich schon wieder rot an. Dann räusperte ich mich und nahm meinen Mut zusammen, um weiterzureden. In die Augen schauen konnte ich Niall dabei nicht. „Ich war einfach nicht bereit. Das hat er nicht verstanden und er hat versucht", ich schniefte erneut, „also er hat's versucht, aber ich habe mich gewehrt, und dann kam mein Bruder rein und er ist abgehauen."

„Und jetzt hast du Angst?", ergänzte Niall meine Erzählung und strich mir mit seiner Hand den Rücken auf und ab. Ich konnte nur nicken. „Das tut mir wirklich leid", sagte er betreten. „Ich wollte in dir auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass ich dich nur für Sex mögen könnte, denn das ist nicht der Fall." Ich nickte erneut, denn das hatte ich spätestens jetzt verstanden.

„Aber hey, wenn dir etwas auf Seele liegt, kannst und sollst du mit mir reden. Ich versuche gern, auf deine Bedürfnisse einzugehen, aber das kann ich nicht, wenn ich nicht weiß, welche Bedürfnisse du hast." Das alles kam mir vor wie ein Traum. Niall war liebevoll, er hörte mir zu und Verständnis hatte er außerdem.

„Du bist so toll." Ich schmiegte mich an seinen Oberkörper und umarmte ihn fest.

„Das höre ich gern." Jetzt konnte ich den Schalk aus seiner Stimme heraushören. „Um mal wieder ernst zu werden: Ich würde gern wissen, wo deine Grenzen sind, denn ein Problem mit Körperkontakt scheinst du nicht zu haben."

„Das siehst du ganz richtig." Verlegen löste ich mich aus der Umarmung. „Eigentlich weiß ich das selber gar nicht so genau, ich hatte nämlich noch keine Gelegenheiten, es auszuprobieren", gab ich zu. „Aber, eh, also was du eben machen wolltest, das war zu viel."

„Ich glaube dann kann ich mir meinen Teil dazu denken und erlöse dich von deinen Qualen. Sex scheint nicht gerade dein Lieblingsthema zu sein", stellte er fest.

„Super, dass du das bemerkt hast", gratulierte ich ihm matt.

„Was hältst du davon, wenn wir jetzt erstmal was essen? Danach kann ich dich ja rumfahren", schlug er vor. Dieser Idee stimmte ich zu, weil ich tatsächlich ein bisschen hungrig war und mit Niall zu essen war viel besser, als dies in der Wohnung alleine zu tun, weil Lilly momentan mal wieder unterwegs war und Peter sich auf einem ganztägigen Workshop befand.

Wir gingen also zusammen in die Küche, wo wir uns schnell für eine Suppe entschieden, deren Rezept in einem der aufgeschlagenen Kochbücher stand.

„Wie steht es inzwischen mit deinen Kochkünsten?", wollte Niall scherzhaft wissen.

„Oh, ich bin jetzt Starköchin", prahlte ich und zeigte ihm ganz ordentlich, wie ich am besten kochendes Wasser in einen Topf goss. Daraufhin applaudierte er.

„Herzlichen Glückwunsch, das hast du echt toll gemacht!"

„Vielen Dank", antwortete ich geschmeichelt. „Ist ja auch wirklich schwierig!"

„Absolut." Er lachte.

Die Suppe war schließlich tatsächlich ohne Unfall zubereitet, essbar und gar nicht so schlecht.

„Die ist echt gut", lobte ich Niall. „Du scheinst dich ja tatsächlich viel mit Essen auseinandergesetzt zu haben."

„Ich hatte gar keine andere Wahl", grinste er. „Du hast ja keine Ahnung, was die dir in Asien teilweise vorsetzen – da musste ich lernen, aus wenigen Zutaten einfache, aber leckere Dinge zu kochen."

„So kann es gehen." Ich zuckte mit den Schultern.

Nach dem kurzen gemeinsamen Essen fuhr Niall mich schließlich mit dem Auto nach Hause und ich bedankte mich bei ihm für den schönen Nachmittag.

„Eigentlich habe ich ihn dir ziemlich versaut", bekannte Niall daraufhin.

„Ach Quatsch." Ich schüttelte meinen Kopf. „Du bist der erste, dem ich das erzählt habe, und es musste endlich mal raus. Danke, dass du so verständnisvoll warst und mir zugehört hast, Niall."

„Immer wieder gern, Lena", kam die Antwort zurück und er gab mir einen kurzen Abschiedskuss. „Melde dich mal."

„Mach ich." Ich musste grinsend, stieg aus dem Auto, winkte noch einmal und schloss dann die Haustür auf.

Heute war mir wirklich ein Stein von meinem Herzen genommen worden. Und dass Niall das gewesen war, bedeutete mir unglaublich viel. Ich freute mich bereits jetzt auf die folgenden Wochen, die wir zusammen verbringen würden, bevor ich zur Uni musste.


Das Kapitel hatte wirklich ein paar Enthüllungen zu bieten. Niall muss jetzt öfter nach LA, es gab eine Unstimmigkeit zwischen den beiden und Lena hat endlich darüber geredet, was damals mit Lukas passiert ist. Was sagt ihr denn dazu?

Und was haltet ihr von ihren neu gewonnen Kochkünsten?

Welchen Gesamteindruck habt ihr bisher eigentlich von der Geschichte? Geht es euch zu langsam mit Lena und Niall oder findet ihr es in Ordnung? Das interessiert mich, weil es zum letzten Kapitel relativ wenige Kommentare gab und ich mich ein wenig gewundert habe.

Ihr habt jetzt nur eine Woche Zeit, diese Informationen zu Lukas sacken zu lassen, denn das nächste Kapitel werde ich am Dienstag, den 13. Juni hochladen. Welchen Grund das hat, da ich ja eigentlich nur alle zwei Wochen update, erkläre ich euch beim übernächsten Kapitel.

Liebe Grüße, Catrifa x

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