13. Test trip

Ich hatte Glück, dass Lilly zuhause war und den Hörer sofort abnahm. Nach kurzem Begrüßungsgeplänkel kam ich zu dem Grund, weshalb ich anrief.

„Ich habe vor, ab nächstem Herbst in London zu studieren und wollte mich erkundigen, ob ihr mich für die ersten Wochen, bis ich eine WG gefunden habe, bei euch wohnen lassen könntet?"

„Oh, das freut mich für dich!", war ihre erste Reaktion. „Das dürfte eigentlich kein Problem sein, aber ich frage sicherheitshalber nochmal nach. Peter?", rief sie dann nach ihrem Freund. „Hättest du was dagegen, wenn Lena im nächsten Herbst für ein paar Wochen bei uns lebt?"

Ein lautes: „Nö!", kam zurück, welches mich sehr erleichterte. Damit wären meine ersten Wochen in London gesichert.

„Es geht klar", bestätigte Lilly mir. „Melde dich einfach, wenn du weißt, wann du bei uns einfallen willst. Echt super, dass wir uns dann mal wieder länger wiedersehen."

„Oh ja, das finde ich auch. Vielen Dank, es ist echt lieb von euch, mich aufzunehmen", bedankte ich mich ernsthaft.

„Kein Problem", gab sie zurück.

Nach dem Telefongespräch mit Lilly rief meine Mutter mich ins Wohnzimmer, sodass ich vorerst keine Chance hatte, andere Nummern anzurufen.

Sie hatte einen Briefumschlag in der Hand, der an mich gesendet wurden und den ich gespannt öffnete, da ich hoffte, er könne von Sony Music sein. Tatsächlich war er aber von einer Uni in London, die mir eine Absage zu meiner Bewerbung erteilte. Zum Glück hatte ich bereits die Zusage von der anderen Universität in der Tasche, sodass ich mich nicht einmal über die Absage ärgerte. Sie zeigte bloß, dass es eine gute Idee gewesen war, sich bei mehreren Colleges zu bewerben.

Der Rest des Schuljahres zog nur so an mir vorbei. Während alle anderen schließlich in die frühen Sommerferien verschwanden, musste ich mich um ein paar organisatorische Sachen kümmern. Irgendwie hatte ich immer noch nicht begriffen, dass ich schon sehr bald in London leben und studieren würde. Studieren! Das ging irgendwie nicht in meinen Kopf rein. Es bedeutete auch, dass ich mich von allen hier verabschieden musste. Dazu zählte zunächst einmal die Abmeldung von meiner Schule. Ich hatte es geschafft, alle schulischen Anforderungen, die das Fachabitur stellte, zu erreichen und würde deshalb im nächsten Jahr, nachdem ich einen Beweis für meinen Auslandaufenthalt bringen konnte, mein Zeugnis für das Fachabitur abholen können. Es war merkwürdig, die Schule ohne einen Abschluss zu verlassen, da ich diesen schließlich erst später erhalten würde.

In wenigen Tagen würde meine praktische Fahrprüfung stattfinden, vor der ich schon ordentlich Bammel hatte. Einmal hatte ich eigentlich nicht das Geld, die Prüfungsgebühren erneut zu bezahlen, und zusätzlich kostete mich das wertvolle Zeit.

Ich arbeitete wie verrückt im Tonstudio, denn dass London sehr teuer war und ich nicht sofort einen Job finden würde, war mir durchaus bewusst.

Niall hatte ich schon seit Irland nicht mehr gesehen und er fehlte mir unglaublich. Man sollte meinen, dass sich das mit der Zeit legte, aber das war nicht der Fall. Immerhin war er inzwischen aus Asien zurückgekehrt und lebte aktuell wieder in London. Ich plante, nach meiner bestandenen Fahrprüfung auf die Insel zu fliegen, um mich persönlich beim College vorzustellen, es mir einmal anzugucken und außerdem die Firma kennenzulernen, die mir jetzt mein Stipendium stellte. Ich hatte zusagen müssen, weil das Stipendium sonst an jemand anderen weitergegangen wäre. Sony hatte sich immer noch nicht gemeldet, aber da konnte ich jetzt eben nichts machen.

Meine Eltern sahen dem Ganzen immer noch mit Argwohn entgegen, weshalb sie mich diesmal nach London begleiten wollten. Da wollten sie sich anschauen, wo ich in Zukunft leben würde, und was ich plante zu tun. Das wiederum verbaute mir natürlich, Niall endlich richtig wiederzusehen, so, wie ich ihn eigentlich wiedersehen wollte. Denn dass meine Eltern das, was zwischen uns war, was auch immer es war, nicht gut heißen würden, darüber musste ich nicht lange nachdenken. Schließlich war Niall wirklich deutlich älter als ich es war. Ich würde meine Eltern demnach die ganze Zeit bespaßen müssen und einen auf Touristenführer machen, was meine Vorfreude auf London leicht schmälerte.

Trotz dessen freute ich mich wie irre, alle wiederzusehen. Auch Aoife von Nialls Silvesterfeier hatte ich bereits kontaktiert, dass ich bald in London auftauchen würde.

Am Tag von meiner Fahrprüfung wachte ich morgens schweißnass auf und huschte zunächst unter die Dusche. Na toll, der Tag fing ja echt gut an.

Nach einem ausgiebigen Frühstück holte mich dann mein Fahrlehrer ab.

„Du schaukelst das schon", sprach er mir aufmunternd zu. „Wir fahren jetzt noch ein bisschen rum, und dann fährst du eben in der Prüfung einfach weiter, nur dass ein anderer sagt, wo es lang geht." Ich nickte etwas ängstlich. Okay, ich konnte das schaffen. Nein, ich musste das schaffen.

Mit einem fast vergessenen Blinker, einer nicht ganz perfekten Einparkaktion und einer kaum zu erwähnenden Tempoüberschreitung hatte ich es dann schließlich erfolgreich hinter mich gebracht.

Damit konnte ich das Kapitel Autofahren getrost abhaken und mich in meine Vorbereitungen zu London stürzen.

Da ich viele E-Mails organisatorischer Herkunft schreiben musste, fiel mir irgendwann auf, dass Lukas nicht aufgehört hatte, mir Mails zu schreiben und diese langsam mein Postfach sprengten. Damit mein Mailserver nicht zu meckern begann, öffnete ich einen neuen Ordner und schob alle Mails hinein. Löschen wollte ich sie nicht, aber lesen genauso wenig.

Einige Tage später flog ich mit meinen Eltern nach London. Mein Bruder hatte keine Lust gehabt und zog deshalb in dieser Zeit zu Onkel Wilfried.

Es war tatsächlicher anstrengender als erwartet. Meine Eltern hinterfragten alles und jeden. Von den Oyster Cards des Nahverkehrs, deren Sinn ich insgesamt dreimal erklären musste, über Londons Sehenswürdigkeiten bis hin zu der netten jungen Frau, die uns einen Kaffee verkaufte. Als wir schließlich bei Lilly und Peter zur Tea Time vorbeischauten, war ich schon halb fertig mit den Nerven. Lilly schien das zu merken, denn sie übernahm vorerst die Beantwortung der vielen Fragen meiner Eltern und gönnte mir ein bisschen Pause, in der ich mich mit Peter unterhalten konnte, der sich freute, mich wiederzusehen.

„Es ist echt verrückt, dass wir uns vor drei Jahren kennengelernt haben und du jetzt hier sitzt und in ein paar Wochen tatsächlich einziehst", bemerkte er. Meine Eltern hatten sich dazu überreden lassen, dass ich bereits im August nach London ziehen durfte, damit ich mir einen Job suchen konnte und eine Chance hatte, mich einzuleben. Dessen war ich sehr dankbar, weil ich mir vorstellen konnte, dass es für sie nicht einfach war, mich jetzt schon ausziehen zu lassen. Und obwohl ich es unbedingt wollte und dies eine einmalige Chance war, ging es auch mir vielleicht ein bisschen zu schnell, sodass ich mich gern schon etwas in London einleben wollte, bevor es dann so schnell mit meinem Studium weitergehen würde.

Wir hatten spontan ein kleines Apartment gebucht, in welchem ich in den nächsten zwei Tagen mit meinen Eltern schlafen würde. Um noch etwas Abendbrot essen zu können, gingen wir erst einmal zum nächsten Marks and Spencer und deckten uns dort mit Lebensmitteln ein. Hier schaute besonders meine Mutter darauf, was es zu essen gab und welche Inhaltsstoffe sich in den verschiedenen Lebensmitteln befanden.

„Mum, das sind dieselben Inhaltsstoffe wie in Deutschland", wies ich sie freundlich darauf hin, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte. „Auch das hier ist ein westeuropäisches Land, in dem die Lebensmittel geprüft werden."

„Ich möchte trotzdem schauen, was du in Zukunft so essen wirst", gab sie zurück und warf mir ein typisch mütterliches Lächeln zu. „Damit ich weiß, was ich dir regelmäßig schicken muss, sodass du nichts vermisst."

„Hier gibt es kein richtiges Brot, nur Toast und Sandwich." Dass ich das besser nicht gesagt hätte, fiel mir zu spät ein.

„Wie willst du denn hier ohne ein richtig gutes Vollkornbrot überleben, Kind?", erkundigte meine Mutter sich entsetzt. „Hast du gehört, es gibt hier kein Brot!", wandte sie sich zusätzlich an meinen Vater, der nur nickte.

„Ich werde das schon überstehen, Mum", versuchte ich sie zu überzeugen. „Die Briten leben ja auch alle noch, wie du siehst. Außerdem gibt es hier auf jeden Fall ordentliches Müsli."

„Das wäre ja noch schöner", erboste sie sich.

„So, haben wir jetzt alles?" Ich konnte meinem Vater ansehen, dass er jetzt lieber auf der Couch vorm Fernseher liegen würde, als hier im Supermarkt mit meiner Mutter über britische Lebensmittel zu diskutieren.

„Ja, ich brauche nur n... Lena!", unterbrach meine Mutter sich plötzlich selbst. Erschrocken kam ich zu ihr gerannt. Ich hatte mir gerade noch einen Joghurt geschnappt. In der Vermutung, es sei etwas Schreckliches passiert, starrte ich auf ihren Finger, der direkt in ein Regal zeigte.

„Was denn?", fragte ich verwirrt nach.

„Da ist Niall auf einer Torte mit pinker Verzierung!", sagte sie entsetzt. „Wie kommt der denn da hin?"

Ich konnte nicht mehr, das brachte mich wirklich zum Lachen. Vor allem als ich die Torte genauer betrachtete. Die Abbildung von One Direction war definitiv schon etwas älter. Und die pinke Verzierung war herrlich! Schnell holte ich mein Handy raus, um ein Foto für Niall zu schießen. Meine Mutter dagegen schien das gar nicht witzig zu finden.

„Warum lachst du denn jetzt? Was macht der da auf der Torte?!"

„Mama, die Torte ist schon uralt", kicherte ich. „Kennst du diese Benjamin Blümchen Torte im Rewe?"

„Ja, aber was hat Benjamin Blümchen mit Niall zu tun?" Jetzt schien sie vollkommen verwirrt.

„Da ganz viele junge Mädels in England auf One Direction und damit auch auf Niall stehen ist das hier normal, dass Torten mit deren Abbildung im Supermarkt verkauft werden. Das macht wohl einfach Profit."

„Weiß er, dass er auf einer Torte ist?", fragte mein Vater, der jetzt auch dazugekommen war.

„Keine Ahnung", zuckte ich mit den Schultern. „Aber gleich wird er es wissen, denn ich habe ihm eben ein Foto davon geschickt." Ich schaute kurz auf mein Handy, hatte aber noch keine Antwort von ihm bekommen.

„Treffen wir uns eigentlich auch noch mit Niall, während wir hier sind?", wollte meine Mutter wissen, als wir zur Kasse gingen.

„Ja, morgen wollen wir das machen", antwortete ich ihr. „Er hat ja immer noch Pause und macht sich aktuell wieder einen ruhigen Monat in London, nachdem er von seiner großen Reise zurückgekommen ist."

„Oh, ich freue mich schon darauf, ihn wiederzusehen", meinte mein Vater.

Es stimmte mich glücklich, dass meine Eltern sich so gut mit Niall verstanden und ihn überhaupt nicht als verzogenen Star ansahen, sondern als ganz normalen Menschen, was er schließlich auch war. Das lag wahrscheinlich daran, dass er mich damals zu meinem Geburtstag besuchen gekommen war und sie die Chance hatten, sich mit ihm ganz normal zu unterhalten. Allerdings dachten sie ja momentan auch noch, dass wir einfach nur so befreundet waren. Eigentlich waren wir das sogar, aber etwas hatte mich in Irland spüren lassen, dass sich das verändern konnte, was ich sehr begrüßen würde.

„Lena, was hat der gesagt, wie viel Pounds das kostet?", unterbrach meine Mutter meine Gedanken, als wir an der Kasse ganz vorne standen. „Kannst du mir mal mit dem Geld helfen?"

Ohne Kommentar nahm ich ihr das Geld aus der Hand, lächelte dem Kassierer nett zu, gab es ihm passend und schob meine Eltern vor mir her aus dem Laden, jeder von ihnen mit einer Tasche Einkäufen.

„Wie ihr seht, ich komme hier super zurecht", sagte ich dann. Meine Mutter nickte nur etwas perplex.

Das kleine Apartment, in welchem wir übernachteten, war wirklich nett eingerichtet und es reichte für die zwei Nächte vollkommen aus.

Am nächsten Morgen frühstückten wir kurz und machten uns dann mit der Bahn auf den Weg zu Nialls Haus, wo wir uns mit ihm verabredet hatten. In der Station Barnet stiegen wir auf einen Bus um, der über die Grenze nach Hertfordshire fuhr und ziemlich in der Nähe von Nialls Haus hielt. Er hatte mir angeboten, uns mit seinem Auto abzuholen, aber das hatte ich dankend abgelehnt. Schließlich wollte ich meinen Eltern beweisen, dass ich durchaus dazu in der Lage war, mich in einer Millionenstadt wie London zurechtzufinden.

Also klingelten wir pünktlich an Nialls Gartentor, das sich auch sofort mit einem kurzen Summen öffnete. Er schien uns bereits durch die angebrachte Kamera gesehen zu haben, sodass die Haustür schon offenstand, als wir uns durch seinen Vorgarten auf das Haus zubewegten.

„Kommt ruhig rein, ich bin sofort da!", kam es von irgendwo aus dem Haus und ich musste grinsen. Bestimmt räumte er gerade noch seine Küche auf oder versuchte, herumliegende Klamotten schnellstmöglich zu beseitigen.

Ich zeigte meinen Eltern also kurz, wo sie ihre Jacken aufhängen und ihre Schuhe hinstellen konnten und tat es ihnen dann gleich.

Dann erschien auch Niall endlich im Hausflur und ich sah, was ihn aufgehalten hatte: Seine Haare! Die waren jetzt um Einiges brauner als zuvor und sahen immer noch ein bisschen strubbelig aus. Offensichtlich hatte er eben noch mit ihnen zu kämpfen gehabt. Er gab meinen Eltern höflich die Hand und umarmte mich dann. Ich genoss diese Umarmung richtiggehend, weil ich seine Arme schon so lange nicht mehr um mich gespürt hatte und mich wieder das Gefühl von Sicherheit überkam.

„Kommt doch erstmal rein. Wollt ihr etwas trinken? Vielleicht noch ein kleines Frühstück?", bot er an.

„Oh, das ist aber nett", versuchte meine Mutter sich auszudrücken.

„Wir haben gerade gefrühstückt, aber etwas zu trinken würde ich jedenfalls gern nehmen."

„Was hättet ihr denn gern? Ich kann Saft, Kaffee oder Tee anbieten?"

Meine Eltern entschieden sich jeweils für ein Getränk und ich wollte es ihnen gerade gleichtun, als Niall mir einen Blick zuwarf, den ich nicht ganz bestimmen konnte und deshalb verstummte.

„Lena, magst du mir nicht kurz in der Küche helfen? Meine Kaffeemaschine klemmt immer so komisch. Sie können sich dann schon mal hinsetzen, dort drüben ist das Wohnzimmer." Niall wies meinen Eltern den Weg ins Wohnzimmer und ich hatte kurz Zeit, nachzudenken. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass Nialls Kaffeemaschine tatsächlich klemmte, denn sonst würde er sich sicher sofort eine neue anschaffen. Warum also sollte ich mit ihm in die Küche gehen?

Der Ire legte auf dem Weg in die Küche einen Arm um die Schultern, was die Schmetterlinge in meinem Bauch wieder erwachen ließ und auch mein Herzklopfen steigerte.

„Ich muss dich doch noch richtig begrüßen", sagte er leise, als wir schließlich in der Küche angekommen waren und begann mich zu küssen.

Wow. Wie sehr ich das vermisst hatte konnte ich gar nicht beschreiben! Ich legte meine Arme um ihn, damit ich ihn noch näher bei mir haben konnte, weil ich mich genau nach dieser Nähe sehnte.

Mit einem Grinsen unterbrach er den Kuss: „So, was möchtest du denn trinken?"

Ja, diese Torten mit One Direction gibt es wirklich. Das weiß ich nur, weil ich vor zwei Jahren mit meinem jüngeren Bruder in London in einem Supermarkt war und er mich freundlichst darauf aufmerksam gemacht hat, dass diese komischen Jungs jetzt auch noch auf Torten seien. Ansonsten wäre ich an dem Ding sicher einfach vorbeigelaufen.

Wie findet ihr Lenas Eltern ansonsten so? Was haltet ihr von der aktuellen Beziehung zwischen unseren beiden Protagonisten?

Das nächste Kapitel erscheint in zwei Wochen am Dienstag, den 23. Mai, also kurz vor Himmelfahrt.

Liebe Grüße, Catrifa x

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