10. Irish Pub
„Ich gehe dann schon mal rein", kicherte Bobby bloß. Da merkte auch Niall, was er gerade von sich gegeben hatte.
„Oh, so war das natürlich nicht gemeint. Ich wollte damit sagen, dass du die Klamotten tragen kannst, die du jetzt gerade an hast. Also, du weißt was ich meine, oder?" Dass Niall verlegen werden konnte hatte ich auch noch nicht oft erlebt.
„Eh, ja. Vielleicht gehen wir einfach rein?" Das taten wir dann auch und wurden von Bobbys Freundin begrüßt, die zur Feier des Tages eine Torte gebacken hatte – natürlich mit entsprechender Verzierung.
„Ich hoffe übrigens, dass es dir nichts ausmacht, wenn wir in einem Zimmer schlafen", brachte Niall zur Sprache. „Wir haben leider nicht wirklich einen Raum übrig und ich wollte dich nicht auf die Couch im Wohnzimmer verfrachten."
„Ich denke das ist okay", lächelte ich ihn an. Wir hatten schließlich schon einmal gemeinsam in einem Zimmer geschlafen. Tatsächlich hatten wir uns sogar ein Bett geteilt. Bei dem Gedanken daran wurde ich rot.
Dieses Mal hatte Niall jedoch ein Schlafsofa in seinem Zimmer stehen, das auch schon mit Bettzeug bezogen war. Er stellte meinen Koffer im Raum ab und drehte sich zu mir um.
„Wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt ganz gern den Kuchen probieren, machst du mit?"
„Klar", grinste ich ihn an. Was für eine Frage!
Während des Essens fragten Bobby und seine Freundin mich ein wenig über Deutschland und mein weiteres Leben aus, was mir aber überhaupt nicht unangenehm erschien.
„Du gehst noch zur Schule, hat Niall erzählt?", erkundigte Bobby sich.
„Ja, das tue ich", nickte ich und fühlte mich dabei unglaublich jung. Kein Wunder, Niall hatte die Schule schließlich abgebrochen. „Ich hoffe aber, dass ich bald nach London gehen kann, um zu studieren", fügte ich dann noch hinzu. „Ich habe gerade meine Bewerbungen abgeschickt."
„Was möchtest du denn machen?", fragte Bobbys Freundin interessiert.
„Ich würde gern Tontechnik studieren", gab ich zu. „Ich habe ja auch schon bei Sony ein Praktikum gemacht und das hat mir sehr gut gefallen."
„Dann habt ihr zwei ja auf keinen Fall Mangel an Gesprächsthemen", lachte Bobby.
„Nein, das haben wir nicht", stimmte Niall seinem Vater zu. „Außerdem haben wir uns so lange nicht gesehen, dass ich immer noch nicht weiß, was in den letzten zwei Jahren in Lenas Leben alles passiert ist." Sofort verkrampfte ich mich innerlich. Ich wollte nicht darüber reden, was in den letzten zwei Jahren meines Lebens passiert war. Jedenfalls nicht vor mehreren Leuten die ich erst seit kurzem kannte. Mit meinen Eltern wollte ich auch nicht darüber reden. Bei Niall würde ich mir das Ganze wohl nochmal überlegen müssen.
Glücklicherweise wurde das Thema Vergangenheit schnell wieder fallengelassen und Bobby erkundigte sich nun über die deutsche Kultur und Sprache.
„Alle sagen immer, dass die Deutschen sehr pünktlich sind und hart arbeiten, stimmt das wirklich?"
Ich nickte heftig. „Oh ja, verglichen mit anderen Nationen bestimmt. Deutsche sind auch unglaublich regelkonform habe ich mir von einer Französin sagen lassen. Und dann gibt es da natürlich noch die deutsche Bürokratie. Wenn eine Akte nicht mindestens von zehn Leuten unterschrieben wurde und über zwanzig Schreibtische gegangen ist, ist sie praktisch nicht existent. Wenn man einen Antrag stellen möchte, dauert das auch Jahre. Und durch das Sozialwesen steigt ebenfalls keiner mehr durch."
„Das klingt ja doch ziemlich aufwendig", schüttelte Bobby seinen Kopf.
„Das ist es tatsächlich", stimmte ich ihm zu. „Deutsch klingt auch im Vergleich zu vielen anderen Sprachen ganz schlimm. Ich glaube, wenn ich mit euch Deutsch reden würde, hättet ihr durchgehend das Gefühl, dass ich euch beleidige."
„Sag doch mal was auf Deutsch", grinste Niall. Als ich denselben Satz auf Deutsch wiederholte, hob Bobby seine Augenbrauen.
„Freundlich klang das wirklich nicht", stellte er fest.
Wenige Stunden später machten wir uns auf den Weg in ein Pub dem Niall wohl öfter einen Besuch abstattete, denn er wurde von allen Seiten freundlich begrüßt.
Eine Gruppe von etwa fünf Menschen winkte Niall zu und dieser steuerte daraufhin sofort den Tisch an, an welchem sie saßen.
„Hey Leute, das ist Lena." Er schob mich schräg vor sich und ich fühlte mich sofort wie auf einem Präsentierteller, denn alle vor uns sitzenden jungen Erwachsenen betrachteten mich interessiert.
Der peinliche Moment war jedoch zum Glück schnell vorbei, als der erste von ihnen aufstand und mich zur Begrüßung umarmte.
„Hey Lena, willkommen in Irland, ich bin Sean."
Nacheinander stellten sich auch die anderen bei mir vor. Es waren drei Jungs und zwei Mädchen, deren Namen ich dummerweise sofort wieder vergaß. Das lag aber auch zum Teil daran, dass ich manche der Namen noch nie gehört hatte. Die Iren hatten schon merkwürdige Namen auf Lager.
Zum Glück tat das der generellen Stimmung keinen Abbruch. Der gesamte Pub schien gutgelaunt und ich konnte nicht umhin, als mich von der Feierlaune anstecken zu lassen.
„Was trinkst du, Lena?", sprach mich eins der Mädchen unserer Runde an.
„Oh, ich kann mir auch selbst was holen." Es war mir immer ein bisschen unangenehm, mich von fremden Menschen, die nicht als Kellner arbeiteten, bedienen zu lassen.
„Ach, Quatsch. Ich kann dir gern was mitbringen. Wir wechseln uns immer ab mit den Runden, heute bin ich eben dran." Sie lächelte mir zu.
„Ehm, okay, dann nehme ich eine Cola." Ich erwiderte das Lächeln ein bisschen unsicher. „Danke."
„Kein Problem." Sie nickte und machte sich dann schnellen Schrittes auf den Weg zur Theke.
„Sag mal Niall, steht eigentlich der Plan deiner Weltreise noch?", erkundigte einer der Jungs sich, der glaube ich Sean hieß.
„Das tut er. Ich möchte erstmal Asien in Angriff nehmen", erzählte Niall. „Würdest du gern irgendwohin mitkommen?"
Interessiert stützte ich meine Ellenbogen auf dem Tisch auf. Niall hatte mir bisher nicht von seinem Plan einer Weltreise erzählt. Allerdings hatten wir auch genug anderen Gesprächsstoff gehabt. Wie lange wollte er wohl wegbleiben?
„Ich würde gern mit nach China fliegen, aber das wird sich spontan entscheiden", antwortete Sean. „Erstens weiß ich noch nicht, ob ich so lange Urlaub bekomme, dass sich das lohnt, und zweitens muss ich noch schauen, wie teuer die Flüge und Hotelübernachtungen sein werden. Du weißt ja, dass ich zwar viel spare, aber keine Millionen auf dem Konto liegen habe."
„Ich sage dir einfach Bescheid, wenn ich genauere Pläne habe, dann kannst du dir überlegen, ob du mitkommen möchtest", schlug Niall vor.
Das machte mir wieder bewusst, dass auch ich gar nicht so weit davon entfernt war, eigene Entscheidungen zu treffen, was mein weiteres Leben anging. Bisher war alles immer genau geregelt gewesen, es war klar, dass ich nicht einfach aufhören konnte, zur Schule zu gehen. Aber nach der Schule sah das ganz anders aus. Da ging es um Eigenverantwortung. War ich wirklich bereit, die Schule schon im Sommer zu verlassen und auf eigenen Füßen zu stehen? Dessen war ich mir plötzlich nicht mehr so sicher. In Gedanken strich ich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
Das Mädchen, das unsere Getränke geordert hatte, kam wieder an den Tisch und stellte vor jeden von uns ein gefülltes Glas.
„Cheers!", kam es von allen Seiten, und schon begannen die Iren um mich herum zu trinken. Um nicht weiter aufzufallen, tat ich es ihnen gleich, musste die Cola aber nach zwei Schlucken absetzen, weil die Kohlensäure ein unangenehmes Kribbeln in meiner Nase verursachte und ich mich nicht vor den Menschen um mich herum blamieren wollte. Das tat ich schließlich ohnehin oft genug.
„So, Lena, jetzt müssen wir dich aber mal etwas ausquetschen", grinste ein Junge, nachdem er sein Glas fast ausgetrunken hatte.
„Genau", stimmte ihm das andere Mädchen zu, das bisher, außer sich vorzustellen, noch nicht so viel gesagt hatte. Etwas unsicher nickte ich den beiden zu.
„Sag mal, Niall, was hast du ihr denn über uns erzählt? Sie ist ja ganz verschüchtert", bemerkte das Getränke-Mädchen.
„Vor euch kann man nicht genug warnen", grinste Niall und begann zu lachen, als Sean ihm mit einem auf dem Tisch liegenden Magazin scherzhaft auf den Arm schlug. „Ich habe gar nichts gesagt. Naja, fast nichts."
„Was wollt ihr denn wissen?", unterbrach ich Seans erneute Aktion gegen Niall, der mir aufmunternd zuzwinkerte.
„Ach, nur dies und das", zuckte einer der Jungs mit den Schultern. „Dass du keinen Alkohol trinkst, ist offensichtlich, das brauchen wir nicht mehr zu fragen."
„Sie darf gar keinen Alkohol trinken", warf Niall ein. Oh, nett.
„Oh, hast du was mit der Leber oder bist du schwanger?", fragte das andere Mädchen nach.
„Weder noch." Wahrscheinlich musste ich ein wenig erschrocken ausgesehen haben, denn Niall sprang ein.
„Lena ist siebzehn, ihr Hohlköpfe", löste er die fragenden Gesichter der anderen auf.
„Oh, Horan, jetzt schleppst du schon Minderjährige an, unglaublich, diese Verantwortlichkeit." Sean schüttelte seinen Kopf.
Das Gespräch entwickelte sich definitiv in keine gute Richtung. Im einen Moment ging ich davon aus, gereift zu sein und diesen blöden Altersunterschied endlich hinter mir gelassen zu haben, und im nächsten Moment wurde genau dieses Gefühl wieder zerstört. Da ich nicht wusste, was ich als nächstes hätte tun oder sagen sollen, trank ich einen erneuten Schluck von meiner Cola. Und noch einen. Und noch einen. Ich würde mich davon jetzt nicht runterziehen lassen.
Dummerweise war immer noch genug Kohlensäure in dem Getränk, sodass meine Nase erneut begann zu kribbeln und ich es diesmal nicht aufhalten konnte. Ich konnte gerade noch das Glas absetzen, da überkam mich auch schon der erste Niesanfall, gepaart mit Husten, weil ich mich verschluckt hatte.
„Geht's?" Niall begann, mir etwas unbeholfen auf den Rücken zu klopfe.
„Ja, ich sterbe gerade nur fast", brachte ich gerade so heraus. Meine Lunge zog sich zusammen und entspannte sich danach wieder. „Sorry, sowas passiert mir öfter."
„Das mit der Minderjährigkeit war gerade ein Scherz, Lena", stellte Sean klar.
Ich nickte: „Habe ich mir schon fast gedacht."
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, dass wir dich wegen deines Alters verurteilen oder so", mischte einer der anderen Jungs sich ein. „Kennie ist auch gerade erst achtzehn geworden", er zeigte auf das andere Mädchen, „und George ist immerhin schon stolze achtundzwanzig Jahre alt. Wir gehen hier nach dem geistigen Alter und das bestimmt sich nicht durch Zahlen."
Ich lächelte. Die Iren waren wirklich schwer in Ordnung.
Der weitere Abend gestaltete sich durch viel Lachen und coole Gespräche. Kennie saß gerade an ihrem Schulabschluss und plante, anschließend die Schaffarm ihrer Eltern zu übernehmen.
„Ihr könnt ja mal bei uns vorbeischauen, es ist super spannend, die Border Collies beim Schafetreiben zu beobachten", schlug sie vor.
„Das klingt auf jeden Fall cool. Was die Planung meiner Tage hier angeht, müsstest du das allerdings mit Niall abklären. Ich habe nämlich keine Ahnung, ob wir dafür noch Kapazitäten haben."
„Na klar", mischte Niall sich ein. „Wir können sicher mal bei euch vorbeischauen."
George, der bei der Post arbeitete, erklärte mir, dass die Iren keine Postleitzahlen hatten.
„Ist das nicht furchtbar kompliziert?", dachte ich laut. „Da findet man doch nichts!"
„Quatsch, Irland ist dafür viel zu klein. Dadurch, dass wir uns hier alle auskennen, ist das ganz einfach. Über irgendwelche Ecken kennt hier jeder jeden, sodass wir manchmal einfach kurz herumtelefonieren und schon ist eine Adresse gefunden."
„Faszinierend", bemerkte ich. „In Deutschland würde das sicher nicht funktionieren."
„In Deutschland regiert ja auch die Bürokratie, wie du vorhin so schön erklärt hast", sagte Niall. „Kein Wunder, dass da Zahlenfolgen für bestimmte Bereiche nötig sind."
Mit fortschreitender Zeit merkte ich tatsächlich, wie ich immer müder wurde und gähnen musste. Das blieb auch von Niall und den anderen nicht unbemerkt, sodass ich mir schließlich einen weiteren ironischen Kommentar von Sean einfing.
„Sollten kleine Mädchen wie du nicht schon längst im Bett liegen?", kicherte er, da er offensichtlich schon ein bisschen zu tief ins Glas geschaut hatte.
„Pff, klein." Ich musste ein weiteres Gähnen unterdrücken. „Ich bin groß und ich kann noch aufbleiben."
Leider schienen meine Augen mir nicht zuzustimmen, da sie langsam zufielen. Ich hätte die vorherige Nacht wirklich besser schlafen sollen, das wurde mir jetzt erneut klar.
„Vielleicht sollten wir uns trotzdem auf den Weg machen", schlug Niall vor. „Schließlich haben wir in den nächsten Tagen eine Menge vor."
„Wenn du bei einer der Wanderungen Müdigkeitserscheinungen zeigst, fällst du auf ewig in Ungnade", versicherte mir das Getränke-Mädchen mit verschwörerischer Stimme.
„Merke ich mir", gab ich zurück.
„In zwei Tagen gibt Brian eine Grillparty, habt ihr vielleicht Lust, vorbeizuschauen?", fragte der Junge, dessen Namen ich immer noch nicht wusste.
„Wir überlegen uns das", nickte Niall, und stand auf, was ich ihm gleich tat. Er umrundete den Tisch, um sich von allen zu verabschieden und auch ich wurde umarmt.
Dann verließen wir zusammen das Pub und gingen auf die Straße hinaus.
„Wollen wir laufen oder noch ein Taxi rufen?", fragte Niall und sah dabei deutlich so aus, als würde er lieber laufen wollen.
Nun, ein bisschen frische Luft wäre sicher nicht schlecht. Aus diesem Grund entschied ich mich für die Laufvariante.
Der Hinweg war mir nicht halb so lang vorgekommen wie der Rückweg an den Rand von Mullingar, das wurde mir während des Laufens klar. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich wirklich müde war.
Wie hat euch dieses Kapitel in einem irischen Pub gefallen? Wie findet ihr Nialls Freunde aus seiner Heimatstadt?
Übrigens ist Mullingar viel größer als man denkt. Ich jedenfalls dachte, das wäre eben so ein Dorf. Aber ganz ehrlich, ich komme aus einem Dorf, und im Vergleich dazu ist Mullingar mindestens eine Stadt. Ich musste außerdem feststellen, dass man sich da ganz einfach verlaufen kann. Und das obwohl ich damals eine Begleitung hatte, die schon einmal dort gewesen war. War jemand von euch schon einmal dort und hat sich Nialls Heimatort genauer angesehen?
Das nächste Kapitel lade ich in zwei Wochen am Dienstag, dem vierten April hoch.
Dort werdet ihr dann noch ein bisschen mehr über Irland erfahren können.
Liebe Grüße
Catrifa x
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