09. St. Patrick's Day

Klausuren über Klausuren. Wir Schüler hatten schließlich sonst nichts zu tun.

Niall hatte ich schon seit gefühlten Ewigkeiten nicht mehr gesehen. Dafür hatte ich aber ein paar Bewerbungen für ein Stipendium bei Sony und anderen Firmen verschickt und außerdem Professor Palmer wegen eines Tontechnikstudiums kontaktiert.

Ende Februar war ich mal wieder am Lernen und saß deshalb am Computer, weil ich noch Dinge recherchieren musste, als eine neue Mail eintraf. Ich ignorierte sie zunächst, weil ich davon ausging, dass diese von Lukas war, der mir in letzter Zeit ständig Mails gesendet hatte. Diese ließ ich allerdings weiterhin gekonnt links liegen.

Dann blinkte allerdings auch mein Handy auf und ich musste lächeln als ich sah, dass Niall mir geschrieben hatte.

„Lies meine Mail!"

Damit hatte ich wohl keine Nachricht von Lukas bekommen. Gespannt klickte ich das Mailsymbol an und staunte, als ich las, was er mir geschrieben hatte.

„Liebe Lena,

ich weiß nicht, ob du dich noch daran erinnerst, dass wir uns ganz am Anfang mal darüber unterhalten haben du seist noch nie in Irland gewesen. Das müssen wir ändern! Aus diesem Grund möchte ich dich gern in deinen Osterferien in mein Heimatland einladen. Damit du gleich die ganze irische Ladung kriegst, habe ich bereits mit deinen Eltern abgeklärt, dass du schon am letzten Schultag vor den Ferien zu mir reisen kannst. Wie du vielleicht weißt, ist das der Saint Patrick's Day, den wir ganz groß feiern.

Ich würde mich sehr freuen, wenn du Lust hast und wir uns bald wiedersehen!

Love, Niall."

Von Freude überwältigt schlug ich mir die Hände vor das Gesicht. Es bedeutete mir unglaublich viel, dass Niall an mich dachte und sich an so etwas erinnerte. Um ihm das mitzuteilen, nahm ich mein Handy und rief ihn an. Tatsächlich nahm er schon nach wenigen Sekunden ab.

„Hi, hier ist Niall."

„Dankeschön", brachte ich heraus. „Natürlich möchte ich dich in Irland besuchen kommen!"

„Das habe ich mir fast gedacht." Ich hörte ihn fast schon schmunzeln.

„Ich wusste nicht einmal, dass du dir gemerkt hast, dass ich noch nie in Irland war."

„Na klar habe ich mir das gemerkt, du hast da schließlich echt was verpasst, aber das werden wir nachholen", versprach er mir. „Wenn du magst kann ich dir gleich die Flugtickets per Mail senden."

„Also Niall, ich kann die auch selber bezahlen", wollte ich protestieren.

„Du kannst die sicher selber bezahlen, du sollst aber nicht, weil ich dich einlade", lachte er am anderen Ende der Leitung.

Just in diesem Moment bekam ich eine neue E-Mail, die ich sofort öffnete. In ihr befanden sich die Flugtickets, die er schon vorher gebucht zu haben schien. Als ich jedoch die Abflugzeit studierte, stutzte ich.

„Du, Niall, ich habe aber am siebzehnten noch Unterricht, da kann ich nicht morgens fliegen", wandte ich ein.

„Theoretisch hast du da Recht. Praktisch habe ich wie gesagt alles mit deinen Eltern abgeklärt, die es wiederum mit deinen Lehrern abgesprochen haben. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen."

Er schien sich offensichtlich schon um alles gekümmert zu haben. Auch um das anstehende Programm auf der grünen Insel, wie er mich in seinem nächsten Satz wissen ließ.

„Übrigens werden wir viel laufen und es kann regnerisch werden, du solltest also wetterfeste Kleidung und Wanderschuhe mitbringen", informierte er mich.

Beim Abendessen war meine Irlandreise schließlich das Hauptgesprächsthema.

„Warum darf sie eigentlich ständig durch die Weltgeschichte reisen und ich sitze immer nur hier zuhause rum?", beschwerte mein Bruder sich in die allgemeine Freude hinein.

„Du darfst das natürlich auch, aber bisher hast du nicht den Wunsch dazu geäußert", versuchte meine Mutter zu beschwichtigen. „Den ein oder anderen Flug würden wir dir bestimmt auch finanzieren, aber Lena kann nur so oft reisen, weil sie das selbst finanziert oder ihre Freunde das tun. Wo möchtest du denn mal hin? Vielleicht können wir Wilfried fragen, ob er dich mitnimmt wenn er wieder unterwegs ist." Mit Onkel Wilfried hatte auch ich meine ersten Reisen unternommen. Dass mein Bruder jetzt, mit 14, auch anfangen wollte, in der Welt herumzukommen, konnte ich gut nachvollziehen.

„Vielleicht kann Lena dir auch ein paar ihrer Freunde vorstellen", schlug mein Vater vor.

„Sind die denn cool?", wollte mein Bruder wissen.

„Das kommt drauf an was du unter ‚cool' verstehst", zuckte ich mit den Schultern. „Aber die sind natürlich alle schon super alt."

„Nee, mit alten Leuten will ich nichts zu tun haben", schreckte er sofort zurück. „Dann fliege ich lieber mit Onkel Wilfried weg. Ich frage ihn gleich wenn er das nächste Mal hier ist", beschloss er, offensichtlich zufrieden mit seinen Plänen.

Ich für meinen Teil war auch sehr zufrieden. In etwas weniger als drei Wochen würde ich Niall wiedersehen – und zwar in Irland am St. Patrick's Day.

Die Zeit bis dahin verging durch die Klausuren viel schneller als gedacht – schließlich waren diese aber geschafft und ich verabschiedete mich am Mittwoch vor meinem Abflug von meinen Mitschülern in die Ferien. In der Nacht konnte ich vor Aufregung kaum ein Auge zu tun, was ich dann auf dem eineinhalbstündigen Flug nach Dublin etwas nachholte.

Niall hatte mir bereits mitgeteilt, dass sein Bodyguard Basil mich vom Flughafen abholen würde, weil dieser sowieso in Dublin lebte und Niall sich damit nicht in die Öffentlichkeit begeben müsste. Damit war ich komplett einverstanden, vor allem als Basil mich offensichtlich wiedererkannte und überschwänglich begrüßte als ich nach den Einreisekontrollen in den öffentlichen Bereich des Flughafens trat. Irgendwoher hatte der Mann einen quietschgrünen Samthut aufgetrieben, den ich jetzt aufgesetzt bekam.

„Herzlich Willkommen im Land der Kobolde", grinste er und deutete auf sein ebenfalls grünes Shirt, auf dem tatsächlich ein Kobold abgedruckt war.

„Ich bin offensichtlich genau am richtigen Tag hier gelandet." Kichernd sah ich mich um, denn wir waren nicht die einzigen, die grün trugen.

„Oh ja, das bist du", versicherte er mir und lotste mich Richtung Ausgang. Es ging eine Rolltreppe hinunter und schließlich standen wir auf einem großen Parkplatz.

„Niall wartet im Auto, er hat es sich nicht nehmen lassen, selbst nach Dublin zu fahren. Ich bin also diesmal tatsächlich nur das Abholkommando, nicht einmal bis nach Mullingar muss ich mit."

Nachdem mein Koffer im Kofferraum des Wagens mit den abgedunkelten Scheiben gelandet war, öffnete Basil die Tür des Wagens und zwei starke Hände zogen mich ins Innere.

„Wow, nicht so stürmisch, Mr. Horan", kicherte ich aufgrund seiner enthusiastischen Begrüßung. Dabei war nun auch mein Hut heruntergefallen, den Niall aufhob und mir wieder aufsetzte.

„Der ist wirklich todschick", nickte er.

„Du brauchst gar nicht so zu tun, ich habe deine Socken schon entlarvt", gab ich zurück und deutete auf die grünen Plüschdinger, die er an den Füßen trug.

„Glaub mir, die sind jetzt voll in Mode." Er versuchte, ernst zu bleiben, was ihm aber misslang. „Naja, wir sollten mal lieber den heutigen Plan besprechen. Damit du auch wirklich die volle Ladung Irisch abbekommst, wie ich es versprochen habe, bleiben wir über Mittag noch in Dublin, machen einen auf Tourist, und fahren erst danach nach Mullingar, wo es heute Abend in ein Pub geht. Ich hoffe sehr, dass du letzte Nacht gut geschlafen hast", zwinkerte er.

„Hätte ich mal machen sollen", seufzte ich. „Der Plan klingt aber prinzipiell nicht schlecht."

„Ich halte dich schon wach, keine Angst", versicherte er mir. Davon ging ich ganz stark aus.

Basil war so nett uns mitten in der Innenstadt abzusetzen, wo schon Einiges los war. Niall schien auf den Trip in die Öffentlichkeit vorbereitet zu sein und der heutige Tag schien sich perfekt dazu anzubieten, denn er hatte grüne Sonnenbrillen dabei, sowie einen weiteren idiotischen Hut für sich selbst. So würde uns sicherlich niemand erkennen, davon ging ich aus. Hier liefen schließlich alle so rum.

Mit etwas Glück schafften wir es, uns einen Platz in einem Pub zu ergattern, das ein spätes Frühstück anbot, zu dem Niall mich einlud.

Während ich mich ein bisschen in dem, ungelogen, komplett grünen Pub umsah, schien Niall noch etwas mit seinem Handy zu klären, jedenfalls tippte er etwas hektisch darauf herum.

„Ist irgendetwas passiert oder tippst du immer so hektisch?", wunderte ich mich laut als er auch nach kurzer Zeit nicht damit aufhörte.

„Ich versuche gerade, ein paar meiner Kumpels davon abzuhalten, dich gleich heute Abend zu verschrecken, sie haben ja noch die ganze Woche dazu Zeit", sah er auf und grinste ein bisschen. „Sie übertreiben es im Pub einfach manchmal und ich wollte eigentlich verhindern, dass du gleich einen schlechten Eindruck von ihnen bekommst. Leider scheinen sie das nicht zu verstehen." Seufzend steckte er sein Handy weg. „Naja, das wird schon. Du bist ja jetzt vorgewarnt und ich wollte meine Zeit mit dir nicht wirklich am Handy verbringen."

„Bist du nicht eigentlich aktuell chronisch unterfordert?", erkundigte ich mich. „Jetzt, wo du so gar nichts zu tun hast?"

„Anfangs war es schon komisch", gab er zu. „Aber ich glaube so langsam gewöhne ich mich daran, so viel Zeit für mich selbst zu haben und es ist wirklich schön. Ich kann tun und lassen was ich will, ich kann irgendwohin reisen wenn ich das will und ich kann genauso gut zuhause bleiben."

„Das klingt echt gut. Hattest du mal Kontakt mit den anderen, wie sie damit umgehen?"

„Wir haben schon ab und an Kontakt, aber aktuell gehen wir uns eher erstmal aus dem Weg. Ich glaube wir brauchen ein wenig Abstand nach all den Jahren in denen wir tagtäglich aufeinander gehockt haben."

Eine Bedienung, ganz in grün gekleidet, brachte unser Frühstück und Tee, sodass wir erst einmal zu essen anfingen.

„Und, wie sind deine Klausuren so gelaufen?", erkundigte Niall sich dann.

„Es ging so", zuckte ich mit den Schultern. „Ich habe mein Bestes gegeben, aber die Noten werden wahrscheinlich nicht gerade herausragend sein. Solange ich damit mein Abi bestehe, kann mir das aber egal sein. Ich habe mich jetzt übrigens bei Sony für ein Stipendium beworben, hoffentlich klappt das."

„Ich drücke dir die Daumen", nickte Niall.

Nach dem ausgiebigen Frühstück verließen wir das Pub und schlenderten ein bisschen durch die Innenstadt Dublins. Dabei zeigte Niall mir unter anderem, wo sich das Trinity College befand und den nicht zu übersehenden Spire, eine riesige Edelstahlnadel mitten in der Shoppingmeile. Dublin war voll von fröhlichen, teilweise bereits angetrunkenen, Iren, die in ihren grünen Kleidern feierten und stolz auf ihr Land waren. Ich vermutete, dass es sonst viel ruhiger in Irlands Hauptstadt war, war aber trotzdem froh, dass Niall mich am heutigen Tag hier herumführen wollte. Diese ausgelassene Fröhlichkeit erleben zu können war wirklich schön.

Am Nachmittag holte Basil uns schließlich ab und Niall übernahm das Steuer, als wir ihn an seinem Haus absetzten.

„Die Fahrt ist gar nicht so lang, wir brauchen ungefähr eineinhalb Stunden", erklärte er mir. „Wir kommen an sehr vielen Schafweiden vorbei, darauf kannst du dich schon mal einstellen. Wenn du schlafen willst kannst du das ruhig tun, wirklich interessant wird die Fahrt nämlich nicht."

Dieses Angebot nahm ich dankbar an und wurde tatsächlich erst wieder wach als wir angekommen waren.

Noch etwas verschlafen öffnete ich die Autotür und stieg aus. Vor mir befand sich ein süßes rotes Backsteinhaus mit einem Vorbau vor der Haustür. Niall schien meinen Blick dorthin richtig gedeutet zu haben.

„Die Fans haben öfter mal Sturm geklingelt, also mussten wir das Ding da anbauen lassen."

Jetzt öffnete sich die Haustür und ein älterer Mann, der freundlich lächelte, trat heraus.

„Hi, du musst Lena sein! Ich bin Bobby, Nialls Vater."

„Hi", antwortete ich, etwas eingeschüchtert, und wusste nicht ganz, ob ich ihm jetzt die Hand geben oder sonst etwas machen sollte. Er nahm mir diesen Gedanken jedoch ab, indem er mich einfach umarmte.

„Niall hat schon von dir erzählt. Kommt doch erstmal rein, bevor hier doch wieder Fans auftauchen. Es lässt sich einfach nicht vermeiden. Soll ich beim Gepäck helfen?"

Niall hatte derweil schon meinen Koffer aus dem Auto genommen.

„Wow, hast du da Backsteine drin?", fragte er verwundert aufgrund des Gewichts.

„Nein, eigentlich nicht", zuckte ich mit den Schultern. „Ich wusste nicht, was ich vielleicht alles brauchen könnte."

„Heute Abend brauchst du jedenfalls nichts, mal abgesehen von dem Hut natürlich", zwinkerte er und ich lief rot an. Na super, wie meinte er denn das jetzt schon wieder? Irgendwie kam ich mit seinen Gedankengängen nicht ganz mit. Ich würde nichts als den Hut brauchen? Halleluja.

Niall und Lena haben sich endlich wiedergesehen und jetzt kann sie auch sein Heimatland bewundern. Ich war auch schon dort, wenn auch nicht am Saint Patrick's Day, und es hat mich tief beeindruckt. Irland ist wunderschön, und vor allem Dublin fand ich toll, eigentlich sogar besser als London. Wusstet ihr, dass es tatsächlich eine Ladenkette gibt, die irische Fanartikel verkauft? Wart ihr schonmal in Irland?

Lena ist manchmal wirklich eine Meisterin im Missverstehen und Niall kann sich nicht immer so gewählt ausdrücken wie er das wohl gern hätte. Hättet ihr seinen letzten Satz auch missverstanden?

Das nächste Kapitel gibt es am Dienstag in zwei Wochen, dem 21. März. In der folgenden Woche begebe ich mich auf drei Tage lang Konzertproben pur und am Wochenende geht es endlich wieder nach London. Da gibt es ein Country Festival, das ich besuche :) Zwar findet dieses Festival auch in Glasgow und Dublin zeitgleich statt, jedoch tritt mein Lieblingsmusiker in diesen beiden Städten an ungünstigen Tagen auf. Ansonsten wäre ich natürlich nach Dublin geflogen, aber unter diesen Umständen ist auch London willkommen. ;)

Liebe Grüße
Catrifa x

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