06. Planning
Wieso schrieb er mir überhaupt eine Mail? Er hatte letztes Jahr sein Abitur abgeschlossen und ich war fest davon ausgegangen, dass es dann endlich vorbei sei. Er war umgezogen, ich hatte mich nicht einmal erkundigt, wohin, und jetzt meldete er sich einfach wieder.
„Hallo Lena,
ich wünsche dir frohe Weihnachten.
Liebste Grüße,
Lukas."
Ich hatte wirklich keinen blassen Schimmer, was ich davon halten sollte. Ich hatte alles versucht zu verdrängen, aber offensichtlich wollte er es mir nicht ganz so einfach machen.
Sollte ich jetzt zurückschreiben?
Oder war es vielleicht doch besser, ihn zu ignorieren?
In diesem Moment hätte ich einen guten Rat gebrauchen können, aber leider hatte ich mich in dieser Hinsicht noch niemandem anvertraut, nicht einmal Finja. Und ich war immer noch nicht bereit dazu, irgendjemandem von Lukas zu erzählen. Meine Eltern hatten irgendwann aufgehört zu fragen, warum ich mich nicht mehr mit ihm traf, so wie alle anderen.
Mit der Entscheidung, diese Entscheidung zu verschieben, ging ich schließlich ins Bett. Dabei hatte ich dann vor lauter Gedankengängen Probleme beim Einschlafen und machte leise Musik an, um mich abzulenken. Und irgendwann musste ich tatsächlich eingeschlafen sein, da ich am nächsten Morgen erwachen konnte.
Das Weihnachtsfest verbrachte ich im kleinen Kreis meiner Familie, was mich komplett von der Schule erholen ließ. Schon am zweiten Weihnachtsfeiertag hatte ich wieder genug Kraft gesammelt, um einzelne Hausaufgaben in Angriff zu nehmen.
Als ich gerade dabei war, einige Informationen aus dem Internet zu sammeln, die ich für den Deutschunterricht benötigte, erschien in meinem E-Mail Fach eine kleine eins, was bedeutete, dass soeben eine neue Nachricht eingetroffen war. Ohne zu zögern öffnete ich diese, und kam ins Stocken, als ich den Absender sah.
„Hallo Lena,
ich hoffe du hast die Weihnachtsfeiertage gut überstanden und freust dich schon auf Silvester.
Liebste Grüße,
Lukas."
Verwirrt runzelte ich die Stirn. Was bezweckte er mit diesen E-Mails? Was wollte er bei mir erreichen? Ich konnte es einfach nicht nachvollziehen, aber erneut war ich mir unsicher, ob ich zurückschreiben sollte. Ich wollte ihn einfach nur vergessen, konnte das denn so schwer sein?
Zum Glück wurde ich erneut von meinem Computer abgelenkt. Diesmal hatte ich allerdings keine neue Mail erhalten, sondern bekam einen Anruf über Skype. Ich schloss das Fenster meines Mailprogramms und nahm den Anruf an.
„Hey Lena, ich hoffe ich störe gerade nicht", begrüßte mein Gegenüber mich.
„Nein, ich hatte gerade sowieso etwas am Computer zu tun", antwortete ich. „Hattest du schöne Feiertage mit deiner Familie?"
„Allerdings. Natürlich haben wieder ein paar Fans vor unserem Haus herumgelungert, aber das ließ sich dieses Jahr aushalten, es war schon deutlich schlimmer. Und wie war es bei euch? Irgendwelche nervigen Verwandten?"
„Ach Quatsch, meine Verwandten sind alle ganz cool, auch wenn sie leider nicht da waren. Du hast mich jetzt aber nicht angerufen, um mich nach meinen Verwandten zu fragen, oder?"
„Nein, das stimmt", lachte Niall. „Eigentlich wollte ich in Anspruch nehmen, dass du mir deine Hilfe angeboten hast sollte ich sie benötigen. Ich muss diese blöde Silvesterparty schmeißen und kriege Organisatorisch nichts auf die Reihe", gab er zu.
„Und ich soll also nach London kommen, um mit dir Silvester zu feiern?", fragte ich nach.
„Ehm, ja, genau das wollte ich fragen. Ich brauche wirklich Hilfe bei der Planung und Vorbereitung." Tatsächlich sah er ziemlich verzweifelt aus.
„Ich komme gern vorbei und helfe", antwortete ich. „Aber leider muss ich erst meine Eltern um Erlaubnis fragen."
„Sag Bescheid, wenn du dabei Hilfe brauchst", zwinkerte er mir zu und schien bereits ziemlich erleichtert.
„Ich denke eigentlich, dass sie es erlauben müssten, weil wir bisher keine anderen Pläne für Silvester haben und ich am letzten Adventswochenende auch zu dir fliegen durfte."
„Du kannst ja gleich fragen, ich wollte sowieso nochmal mit Theo rausgehen und den letzten Tag in Irland mit ihm genießen."
Damit verabschiedeten wir uns voneinander und ich hüpfte die Treppen ins Wohnzimmer hinunter, wo meine Eltern sich gerade aufhielten. Seit einiger Zeit hatte mein Bruder begonnen, weniger Zeit mit uns zu verbringen, sodass er sich auch jetzt wieder in seinem Zimmer vor dem Computer befand. Da er gerade in die Pubertät kam war das allerdings eher unbedenklich.
„Nanu, was machst du denn hier?", fragte meine Mutter verwundert, weil sie auch mich in meinem Zimmer vermutete.
„Sie will bestimmt irgendetwas von uns", vermutete mein Vater mit einem scherzhaften Lächeln auf den Lippen.
„Naja, ein bisschen vielleicht", antwortete ich mit demselben Gesichtsausdruck. „Eigentlich wollte ich fragen, ob ich an Silvester wieder nach London darf. Ich kann das auch selber bezahlen, schließlich wollten jetzt vor Weihnachten sehr viele Leute etwas im Tonstudio aufnehmen und ich habe ein bisschen mehr verdient als sonst."
„Warum möchtest du denn schon wieder dorthin?", wollte meine Mutter wissen. „Soweit ich mich erinnere, bist du erst seit ein paar Tagen wieder in Deutschland."
„Naja, Niall hat mich zu seiner Silvesterparty eingeladen, und gefragt, ob ich ihm vielleicht ein bisschen bei der Vorbereitung helfen könnte, was ich gern tun würde."
„Bist du dir sicher, dass das nicht vielleicht einen anderen Grund haben könnte?", fragte mein Vater nach, was ich irgendwie nicht richtig verstand.
„Wie meinst du das?", erkundigte ich mich.
„Er meint, dass Niall vielleicht etwas von dir will. Oder du von ihm", brachte meine Mutter es ohne mit den Wimpern zu zucken auf den Punkt.
Ohne es zu wollen, lief ich natürlich sofort rot an und bestätigte damit ungewollt die Vermutungen meiner Eltern, obwohl sie gar nicht stimmten. Da ich genau wusste, dass es jetzt keinen Zweck hatte, die beiden umzustimmen, versuchte ich es noch einmal mit meiner ursprünglichen Frage.
„Darf ich denn nun nach London?"
„Klar", nickte meine Mutter. „Wir wissen ja, dass wir uns auf dich verlassen können und du keine Dummheiten anstellst. Solange sich das nicht ändert, möchten wir dich nicht hier einsperren."
Mit dieser Aussage, die offensichtlich die Meinung beider meiner Elternteile darstellte, da mein Vater zustimmend nickte, konnte ich mehr als zufrieden sein. Immer mehr wurde mir bewusst, wie viel Glück ich mit meinen Eltern hatte. Ich kannte einige andere Erziehungsberechtigte, die ihre Kinder niemals minderjährig allein nach London fliegen lassen würden – schon gar nicht regelmäßig und zu einem jungen Mann, den sie selbst eher weniger gut kannten.
Ich bedankte mich überschwänglich mit einer Umarmung bei meinen Eltern und hüpfte dann gutgelaunt die Treppe wieder hoch in mein Zimmer, um Niall mitzuteilen, dass meine Eltern mir grünes Licht gegeben hatten. Dabei fiel mir die Mail von Lukas wieder ins Auge.
Ich musste wirklich eine Entscheidung treffen, wie ich damit verfahren wollte, schließlich würde es mich sonst Tag und Nacht wachhalten, das wusste ich. Es fiel mir immer schwer, Entscheidungen zu treffen, sodass ich inzwischen eine Methode entwickelt hatte, mich auszutricksen. Ich schloss meine Augen und konzentrierte mich. Neben dem Namen „Lukas", tauchte binnen Sekunden auch ein anderes Wort vor meinem inneren Auge auf. Das war die erste Assoziation, die ich mit ihm hatte, und sie lautete: „Vergessen." Damit war der Fall für mich klar. Selbst wenn er noch weitere Mails schicken würde, würde ich diese ganz einfach ignorieren. Damit klickte ich seine Nachricht weg.
Niall freute sich riesig darüber, dass wir uns schon so bald wiedersehen konnten und ich ihm außerdem bei seinem Silvester-Problem helfen konnte. Er kehrte bereits an diesem Abend nach England zurück und lud mich dazu ein, schon in zwei Tagen ebenfalls nach London zu reisen, damit wir genug Zeit für die Vorbereitungen haben würden.
Meine Eltern hatten damit kein Problem, da unsere Verwandten uns am nächsten Tag besuchen würden und ich diese somit nicht verpasste, sodass ich noch am selben Abend den Flug buchen konnte.
Obwohl ich mich super mit unserer Familie verstand und wir immer eine tolle Zeit miteinander hatten, konnte ich es doch kaum erwarten, endlich wieder nach London zu fliegen und vor allem Niall zu sehen. Ich konnte mir selbst kaum erklären, warum ich so fühlte. Wir hatten schließlich gerade erst wieder den Kontakt aufgenommen, aber irgendwie fühlte ich mich, als hätten wir diesen nie abgebrochen. Trotzdem war unser Verhältnis zueinander ganz klar verändert. Wie ich das finden wollte, wusste ich noch nicht genau, aber prinzipiell mochte ich es sehr, dass er sich mir gegenüber verhielt, als seien wir einander ebenbürtig.
Als ich schließlich am Nachmittag des 28. Dezember in den Flieger nach London stieg, breitete sich wieder das mir bereits bekannte Kribbeln in meiner Magengegend aus.
Niall hatte mich bereits darüber informiert, dass Basil sich momentan bei seiner Familie in Dublin befand, sodass wir uns eine Lösung hatten ausdenken müssen, wie Niall mich vom Flughafen abholen könnte, ohne dass er diesen Ort betreten musste.
Tatsächlich war die Lösung ziemlich simpel: Niall würde einfach ein paar Meter vom Flughafen entfernt parken, sodass niemand auf ihn achten würde, und da ich mich auskannte, konnte ich zum vereinbarten Treffpunkt laufen und in sein Auto einsteigen.
Glücklicherweise funktionierte das tatsächlich ohne Probleme, da ich wusste wie Nialls Auto aussah und sein Kennzeichen kannte. Besonders stolz war ich, als ich sogar schaffte, auf der richtigen Seite einzusteigen.
„Kompliment, du bist in das richtige Auto auf der richtigen Seite eingestiegen", foppte Niall mich auch sofort, nachdem wir uns begrüßt hatten.
„Ich bin wohl doch kein hoffnungsloser Fall", konterte ich mit einem Lachen und schnallte mich an, sodass Niall losfahren konnte.
Damit ich in Ruhe ankommen konnte, ließen wir den Abend ruhig ausklingen und beschlossen, uns erst am morgigen Tag in die Vorbereitungen zu stürzen. Dazu zählte zunächst die Auswahl der Leute, die eingeladen werden sollten. Niall wollte es eigentlich in einem kleinen Kreis halten, aber offensichtlich schien das nicht möglich zu sein. Das fiel mir bereits auf, als er mir zu erklären versuchte, dass er vierzig Menschen zu seinem engsten Freundeskreis zählte.
Wir verbrachten also schon einmal den halben Tag damit, die richtigen Gäste auszuwählen, und brauchten dann die andere Hälfte, um einen Essensplan zu erstellen. Niall stellte sich aber auch wirklich ein bisschen pingelig an, was das Essen betraf. Aus diesem Grund ließ ich ihn schließlich mit dieser Entscheidung allein und durchstöberte stattdessen das Internet nach günstigem Feuerwerk und Deko. Tatsächlich fand ich ziemlich schnell eine Seite, auf der es entsprechende Dinge zu kaufen gab. Außerdem gab es die Möglichkeit, die bestellten Artikel direkt in London abzuholen, was uns gut passte, da es viel zu umständlich wäre, all das mit der Post zuschicken zu lassen. Ich bestellte also die Artikel, die wir benötigten, und sprach mit Niall ab, dass wir sie am nächsten Tag würden abholen können.
Unsere Zusammenarbeit klappte hervorragend und viel besser als gedacht. Wir hielten uns beide an Absprachen und mussten demnach nicht alles zusammen machen, sondern konnten Zeit sparen, indem wir im selben Moment an zwei verschiedenen Baustellen die Party betreffend arbeiteten. Ich hatte dabei die Telefonarbeit übernommen, womit ich größtenteils die Anrufe möglicher Gäste entgegennahm. Wir hatten glücklicherweise ganz ähnliche Vorstellungen, sodass es wirklich nicht schwierig war, eine Entscheidung zu treffen, ohne sich vorher miteinander abgesprochen zu haben.
Einen Tag später schien schließlich alles fertig zu sein: Wir hatten bereits mit der Dekoration begonnen und alles war organisiert. Niall schien wirklich erleichtert und ziemlich begeistert zu sein, sodass er kurzerhand beschloss, dass wir in einem Restaurant Essen gehen könnten. Zuerst sträubte ich mich dagegen, aber er bestand darauf, sodass wir schließlich zusammen losgingen. Das Restaurant befand sich zum Glück ziemlich in der Nähe.
„Ich bin wirklich erstaunt, wie gut jetzt alles funktioniert hat", stellte Niall fest.
„Es war wirklich gut", stimmte ich ihm zu. „Aber ich bin noch gar nicht dazu gekommen, zu fragen, weshalb du diese Fete organisieren musst. Könntet ihr nicht auch einfach in einen Club gehen oder so?"
„Rein theoretisch schon, aber wir haben in der Band die Tradition, dass immer mal einer dran ist, die Silvesterparty zu organisieren, und dieses Jahr hat es eben mich getroffen. Daran hindert uns auch die Pause nicht."
„Ich finde es schön, dass ihr trotzdem noch etwas zusammen unternehmt", bemerkte ich. „Und diese Tradition ist auch schön."
So schön wie die Tradition wurde auch das Essen. Das Restaurant, in dem wir uns befanden, hatte nichts Extravagantes an sich, was mir sehr gut gefiel. Außerdem waren die Gerichte selbst unübertroffen lecker. Vom Plural konnte ich deshalb sprechen, weil Niall mich von seinem Teller probieren ließ. Was ich noch besser fand, war, dass wir bei dieser Aktion von niemandem komisch angeschaut wurden. Tatsächlich wurden wir gar nicht beachtet, mal abgesehen von dem Personal, das uns bediente. Niall schien das in vollen Zügen zu genießen.
„Es gibt nur wenige Ecken auf der Welt wie diese hier, wo es schön ist, aber ich nicht eingesperrt bin", verriet er mir.
„Dann hoffe ich mal für dich, dass sich das im Laufe des nächsten Jahres ändert", erwiderte ich.
„Auf die Pause und das neue Jahr!", sagte er und wir stießen an. Was für ein Glück ich doch hatte, ihn kennengelernt zu haben!
Das nächste Kapitel wird am Dienstag, den 31. Januar, also in zwei Wochen hochgeladen. Es ist durchaus möglich, dass es sich um einen Tag verschieben wird, weil ich da noch unterwegs bin und nicht hundertprozentig sicher sein kann, dass ich es an diesem Tag schaffe.
Was haltet ihr davon, dass Lena schon wieder in London herumlungert und mit Niall Silvester feiern will? Wie habt ihr dieses Jahr eigentlich Silvester gefeiert? Ich habe mit zwei Freundinnen einen verhältnismäßig ruhigen Abend genossen.
Wie steht ihr zu Lukas E-Mails? Was will er wohl damit erreichen? Und was könnte zwischen den beiden passiert sein in den vergangenen zwei Jahren?
Schlussendlich möchte ich euch noch kurz darauf hinweisen, dass es auf dem Account Amcaja eine neue Parodie von mir und zwei Freundinnen zu lesen gibt. Wir würden uns freuen, wenn ihr mal vorbeischaut! Sie trägt den Namen Jobswitch und wir nehmen mal wieder 1D auf den Arm.
Liebe Grüße
Catrifa x
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