05. Still getting to know you
„Hi?", machte ich mich an der Tür bemerkbar. Er drehte sich um, und da war ich mir ganz sicher, dass nicht Niall vor mir stand. Für einen Einbrecher kannte er sich hier aber definitiv zu gut aus, denn er öffnete einen Moment später gezielt eine Schublade und nahm einen Löffel heraus.
„Hi, wer bist du denn?", lächelte er mich freundlich an.
„Ich bin Lena, eine Freundin von Niall", antwortete ich etwas skeptisch. „Dasselbe könnte ich dich fragen."
„Ich bin Willie, Nialls Cousin", antwortete mein Gegenüber. „Ich wohne hier manchmal."
„Okay." Mit dieser Information konnte ich jetzt nicht so gut umgehen, aber zum Glück tauchte in diesem Moment Niall hinter mir auf.
„Oh, hi Willie", sagte er. „Ich dachte du bist über das Wochenende in Irland, deshalb habe ich nicht Bescheid gesagt, dass ich Besuch habe."
„Das hatte ich auch vor, aber meine Freundin musste leider absagen. Wenn ihr zwei allerdings eure Ruhe wollt kann ich auch gleich wieder verschwinden." Er zwinkerte mir zu.
„Ehrlich gesagt wäre mir das schon lieber", antwortete Niall zu meiner Erleichterung. Nach dem ersten Schock fand ich Willie nicht unsympathisch, aber etwas irritierend war seine Anwesenheit doch.
„Ich verstehe schon", grinste Willie. „Ihr wollt's auf der Kücheninsel tun." Er deutete auf besagte und wackelte ein bisschen mit den Augenbrauen.
„Eigentlich nicht", sagte Niall ernsthaft, während ich ein bisschen rot anlief. „Wir haben uns nur ziemlich lange nicht mehr gesehen."
„Ich sage nichts mehr. Darf ich noch mein Müsli essen oder stört euch das?", wollte er trotzdem noch wissen.
„Ich denke das geht klar", antwortete ich nun. „Wir können doch auch im Esszimmer frühstücken, oder?"
„Natürlich." Aus irgendeinem Grund herrschte eine Einigkeit zwischen Niall und mir, obwohl wir uns so lange nicht gesehen hatten. Ich wollte es aber auch gar nicht weiter hinterfragen, denn es gefiel mir ausgesprochen gut.
Auch bei der Zubereitung des Frühstücks hatten wir keine Meinungsverschiedenheiten, weil wir einen ähnlichen Geschmack hatten.
Niall machte Pancakes, die ich bereits einmal von ihm gegessen hatte. Jetzt fühlte ich mich wie in einer ganz anderen Welt. Wir beide hatten uns eben verändert.
Willie verschwand, ohne dass wir es groß mitbekamen. Irgendwann war er einfach weg und ich fragte auch nicht mehr bei Niall nach, wo er denn nun hin ging.
„Erinnerst du dich noch daran, als ich dir vor zweieinhalb Jahren Pancakes gemacht habe?", fragte Niall lächelnd, während er mit dem Pfannenwender herumhantierte.
„Wie könnte ich das vergessen?", gab ich grinsend zurück. „Ich habe außerdem die Nacht zuvor in deinem Bett verbracht."
„Mit mir, wohlgemerkt." Er lachte. „Aber das kommt mir jetzt vor als sei es vor einer kleinen Ewigkeit geschehen. Du hast dich seitdem einfach unglaublich verändert. Aber vor allem bist du erwachsen geworden." Damit sprach er genau meine Gedanken aus. Um zu vertuschen, wie sehr ich ihm dabei zustimmte, widersprach ich ihm in einer Sache.
„Erwachsen bin ich nicht, schließlich bin ich noch nicht achtzehn."
„Aber ganz ehrlich: Du benimmst dich erwachsener als manche Achtzehnjährige." Das nahm ich jetzt einfach als Kompliment an.
Wir nahmen uns den Teller mit den Pancakes und verschiedenen Aufstrichen mit ins Esszimmer, um diese dort zu verspeisen.
„Wann geht eigentlich dein Flug morgen zurück?", fragte Niall. „Nur damit ich weiß wann wir aufstehen müssen. Heute Abend vergesse ich bestimmt, das zu fragen."
„Ich habe den späten Flug um siebzehn Uhr gebucht", antwortete ich. „Wir können also beruhigt ausschlafen."
„Das erleichtert mich zu hören. Ich dachte schon ich müsste vielleicht früh aufstehen. Wobei ich das natürlich gern gemacht hatte", lenkte er dann schnell ein. „Aber so ist es doch für alle Beteiligten besser."
„Da hast du wohl Recht, deshalb habe ich diesen Flug auch gebucht", erklärte ich.
„Was hältst du davon, wenn wir gleich nach dem Essen bei Syco vorbeischauen?", schlug er vor. „Dann haben wir das erledigt."
Erst als wir bei Syco ankamen, fiel mir auf, was Niall da gerade mit mir tat. Eigentlich hatte er eine Auszeit von seiner Arbeit, musste also nirgendwo auftauchen, aber mir zuliebe tat er genau das. Aus diesem Grund bedankte ich mich nochmals bei ihm.
Niall kannte genau die richtigen Leute, und schon bald standen wir in einem der Büros im oberen Stockwerk und unterhielten und mit einem der Mitarbeiter über die Möglichkeit eines von Syco gesponserten Stipendiums für den Studiengang Tontechnik.
„Es ist Ihnen bewusst, dass Sie mit dieser Art des Stipendiums verschiedene Pflichten haben, oder?", wollte der Mitarbeiter namens Tony Shaw zum wiederholten Male wissen.
„Ja, aber ich muss schließlich nicht jetzt sofort einen Vertrag unterschreiben. Es ist schon super zu wissen, dass es hier die Möglichkeit eines Stipendiums gibt", antwortete ich ihm.
Während unseres kompletten Gespräches stand Niall daneben und hörte aufmerksam zu. Das beeindruckte mich sehr, da ich selbst als Zuhörer wahrscheinlich schon längst den Faden verloren hätte. Aber er sah nicht einmal so aus, als würde ihn unser Gespräch langweilen.
„Die gibt es tatsächlich, und aufgrund Ihres Praktikums haben Sie sicherlich bessere Chancen als Einige Ihrer Mitbewerber. Trotz allem sollten Sie sich möglichst früh bewerben."
„Das ist eins meiner Probleme", musste ich zugeben. „Leider kann ich erst in eineinhalb Jahren einen Schulabschluss vorweisen, der mit den A-Levels gleichzusetzen ist."
„Oh, habe ich das noch gar nicht gesagt? Durch das Stipendium sind Sie logischerweise gleich zu Ihrem Studiengang zugelassen und können nebenbei die A-Levels beenden. Es geht hierbei nicht um einen Schulabschluss, sondern um Talentförderung und darum, guten Nachwuchs heranzubilden."
Langsam wurde mir das Ganze ein bisschen suspekt. Das konnte wirklich nur ein Traum sein, wenn ich für dieses Stipendium nicht einmal ein Abitur brauchte! Darüber würde ich mich wirklich noch einmal genauer informieren müssen. Aus diesem Grund gab ich Mr Shaw meine Adresse, damit er in der Lage war, mir alle Unterlagen zuzusenden, die ich als Entscheidungsgrundlage benötigte. Das würde eine Menge Zeit in Anspruch nehmen, aber sollte es tatsächlich funktionieren, würde ich mir damit einen Traum erfüllen können.
„Das klingt wirklich vielversprechend", nickte Niall mir auf der Rückfahrt zu.
„Das tut es allerdings. Wenn das wirklich alles stimmt, kann ich eventuell in einem Jahr schon studieren! Das wäre einfach der Wahnsinn. Ich weiß überhaupt nicht, wie ich dir danken soll."
„Mir fällt bestimmt mal etwas ein, wo ich deine Hilfe benötigen werde", zwinkerte er.
„Dann kannst du ja einfach Bescheid sagen", grinste ich.
„Glaubst du eigentlich, dass das Wetter sich halten wird? Ich habe überlegt, dass wir vielleicht ein bisschen in den Park gehen könnten, der bei mir in der Nähe ist. Auch ohne Schnee ist er ganz hübsch anzusehen, und wir kriegen noch ein bisschen frische Luft", schlug Niall vor, als er seinen Wagen auf dem Grundstück parkte.
Einen Blick in den Himmel werfend antwortete ich: „Also ehrlich gesagt kenne ich mich nicht so gut mit dem derzeitigen Londoner Wetter aus, aber wir können es versuchen. Zur Not ist es in deinem Haus warm und trocken."
Mit dieser Einstellung machten wir uns also auf den Weg in den Park, der sich tatsächlich nur einige Straßen von Nialls Haus entfernt befand. Jetzt im Dezember war es zwar nicht gerade grün, aber trotzdem war es erfrischend, sich nach der Londoner Großstadt in einem solchen Naturstück wiederzufinden.
„Würden dir deine Eltern eigentlich überhaupt erlauben, die Schule im Sommer abzubrechen und nach London zu gehen?", brachte Niall unser Gespräch wieder in Richtung des vorherigen Themas.
„Das weiß ich noch nicht", musste ich zugeben. „Ich hoffe aber, dass sie mit sich reden lassen. Ansonsten kann ich mir das abschminken wenn ich noch siebzehn bin. Naja, ich kann mich ja einfach erstmal auf das Stipendium und den Studienplatz bewerben und dann weitersehen. Schaden tut eine Bewerbung schließlich niemandem."
„Da hast du wohl recht", stimmte er mir zu. „Ich hoffe auf jeden Fall sehr für dich, dass es klappen wird. Das wäre eine tolle Chance."
„Das sehe ich ganz ähnlich."
„Magst du eigentlich Dorftratsch?", fragte Niall aus heiterem Himmel.
„Das kommt ganz drauf an, wieso fragst du?", wunderte ich mich.
„Nun, seit ich hier wohne, bekomme ich in der Richtung Einiges mit, und ich finde es super spannend." Er kicherte ein bisschen. Irgendwie wusste ich nicht wirklich, was ich damit anzufangen hatte, also antwortete ich erstmal nicht und ließ ihn weiterreden. „Siehst du die Frau da vorne, die mit der pinken Jacke und dem gelb angemalten Hund?" Kaum zu glauben, aber der Hund war tatsächlich gelb. Entweder litt sie an Geschmacksverirrung oder war farbenblind. „Du fragst dich bestimmt, warum der Hund gelb ist, richtig?"
„Allerdings." Dem konnte ich einfach nur zustimmen. Wer kam denn bitte auf die bescheuerte Idee, seinen Hund zu färben?
„Die Leute hier sagen, dass das passiert ist, als sie ein selbstgenähtes Kleid färben wollte. Sie hatte also einen Eimer voll mit Farbe und war dabei, den Stoff einzuweichen, als ihr Hund ankam. Er wollte ihr wohl auf den Arm springen, hat sie ein bisschen verfehlt und ist im Farbeimer gelandet. Die Farbe geht angeblich nicht mehr raus."
„Nein ... das kann nicht wahr sein", prustete ich. „Der arme Hund."
„Das kannst du laut sagen", grinste Niall.
In diesem Moment begann es, ein bisschen zu nieseln und wir beschlossen, umzukehren. Als der Regen mit jeder Sekunde heftiger wurde, begannen wir zu laufen, da es doch etwas unangenehm war, vor allem weil es nun schnell kalt wurde.
„Bitte sag, dass du zwei Duschen hast", keuchte ich, als wir schließlich tropfend im Hausflur standen.
„Ich habe zwei Duschen", antwortete Niall, fügte dann aber hinzu: „Dummerweise funktioniert die eine momentan nicht."
„Oh super, ein Dilemma", stöhnte ich und entledigte mich bereits meiner nassen Schuhe und Jacke, was Niall mir gleich tat.
„Ach Quatsch, du kannst gern zuerst duschen", bot Niall mir an, was ich unglaublich süß fand.
„Sicher?", fragte ich nach. „Dir ist bestimmt auch total kalt."
„Klar, wenn ich das sage, meine ich es auch so. Ich werde wohl noch zehn Minuten frieren können ohne davon gleich auf der Stelle umzukippen."
Da hatte er wohl Recht, aber riskieren wollte ich trotzdem nichts, weshalb ich mich beim Duschen beeilte und das Bad sofort freigab, nachdem ich aus der Dusche gestiegen war.
Das hieß aber auch, dass ich nur mit einem Handtuch bekleidet an ihm vorbeilaufen musste. Deshalb checkte ich noch einmal, ob es wirklich alles verdeckte, bevor ich das Bad verließ.
„Das ging wirklich schnell." Niall schien ein wenig überrascht, sagte aber sonst nichts mehr und betrat das Bad.
In der Zwischenzeit zog ich mir schnell bequeme Sachen an, da ich mir schon denken konnte, dass wir am heutigen Abend nicht mehr das Haus verlassen würden.
Das taten wir dann auch nicht, sondern setzten uns erneut auf das Sofa, allerdings um einen Film zu schauen. Leider konnte ich mich überhaupt nicht auf den Inhalt konzentrieren, da Niall einen Arm um mich gelegt hatte und ich irritierter war als ich das eigentlich hätte sein dürfen. Die ganze Zeit musste ich darüber nachdenken, was diese Geste für ihn bedeutete und wie er mich sah. Andererseits konnte ich leider nicht den Mut zusammenkratzen, ihn einfach danach zu fragen.
Bei dem Gedanken daran, was er vielleicht damit ausdrücken wollte, begann mein Bauch schon wieder zu kribbeln. Aber meine Versuche, mich vielleicht wieder auf den Film zu konzentrieren blieben erfolglos. Ich hatte nicht einmal eine Ahnung, wie die Hauptfigur hieß, geschweige denn worum es in dem Film ging.
Schneller als gedacht ging er aber zuende und Niall löste sich von mir, um den Fernseher auszuschalten.
„Wie sieht es aus, bist du schon müde?", fragte er, wahrscheinlich darauf andeutend, dass ich bei dem Film kein einziges Mal irgendwelche Emotionen gezeigt hatte.
„Ein bisschen", gab ich zu und gähnte gleich als Bestätigung. Das war wohl auch für Niall genug Grund, mich ins Bett zu schicken, weshalb wir gemeinsam die Treppen hochgingen und uns eine gute Nacht wünschten.
Als ich schließlich Sonntagabend wieder in Deutschland landete, schien das hinter mir liegende Wochenende wie im Fluge vergangen zu sein. Zum Glück hatte ich auf dem Rückflug noch ausgiebig für die anstehende Deutschklausur lernen können, sodass ich mich jetzt nicht mehr groß auf die Schule am nächsten Tag vorbereiten musste.
Stattdessen widmete ich mich meinem Mail-Fach, in dessen Posteingang sich über das Wochenende so einige ungelesene Emails eingefunden hatten.
Nachdem ich die Werbemails gelöscht hatte, kam ich zu den Schulmails, die allerdings nicht besonders dringend zu sein schienen.
Eine der übrigen Mails fiel mir dann allerdings auf, denn ich kannte den Absender nicht und im Betreff war nichts eingetragen.
Neugierig klickte ich sie an, und wollte kaum glauben, was ich da sehen konnte. Wie kam er dazu, mir eine Mail zu schreiben?
Das nächste Kapitel gibt es in zwei Wochen, am Dienstag, den 17. Januar. Ich werde vorerst, je nachdem wie schnell ich weiterkomme, im zweiwöchigen Rhythmus ein neues Kapitel hochladen. Allerdings schreibe ich bald eine wichtige Hausarbeit, sodass ich dann nicht mehr so viel Zeit für Lena und Niall übrig haben werde.
Von writingisbleeding habe ich zwei wundervolle Fancover bekommen. Ich habe mich irre gefreut, vielen Dank nochmal!
Wie hat euch der Inhalt dieses Kapitels gefallen? Was haltet ihr von Lenas Gefühlen gegenüber Niall?
Wer könnte ihr wohl eine Mail geschrieben haben, was glaubt ihr?
Liebe Grüße
Catrifa x
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