04. Something new

„Und sie hat sich echt an deiner Jacke festgehalten?", fragte ich lachend nach. Wir saßen auf dem Sofa und gaben Anekdoten zum Besten, die wir in den letzten zwei Jahren erlebt hatten. Naja, er gab Anekdoten zum Besten und ich hörte zu. Die einzigen Anekdoten, die mir einfielen, hatten etwas mit Lukas zu tun, und über den wollte ich momentan wirklich nicht reden.

„Ja, sage ich doch. Und dann ist sie mir durch die halbe Innenstadt gefolgt, bis ich Basil erreichen konnte, der mich von ihr befreit hat." Niall musste bei dem Gedanken daran grinsen, aber ich merkte, dass er es in der Situation selber überhaupt nicht lustig gefunden hatte.

„Wie eine Klette", lachte ich weiter.

„Aber echt. Ich bin momentan einfach nur froh, dass wir jetzt diese Pause beginnen konnten, auch wenn ich es anfangs nicht wirklich wollte. Aber ich merke jetzt schon, dass ich viel entspannter bin und nicht mehr jeden anmache der mir in den Weg kommt. Ich denke, dass es den anderen ganz ähnlich geht."

„Das kann ich mir gut vorstellen", stimmte ich ihm zu.

„Erzähl doch mal, was bei dir in der Zwischenzeit so passiert ist!", forderte er mich auf. „Du gehst ja noch zur Schule."

„Genau, das sind jetzt meine letzten beiden Schuljahre, danach habe ich hoffentlich mein Abitur, das den A-levels entspricht. Aber eigentlich ist bei mir in den letzten Jahren nicht so viel Spannendes passiert. Ich habe immer nochmal ein paar Tage bei Syco ausgeholfen, ich weiß nicht, ob du das mitbekommen hast. Die Schule nimmt ansonsten einfach sehr viel meiner Zeit ein." Ich hoffte sehr, dass er sich nicht nach Lukas erkundigen würde und diesen bereits vergessen hatte. Ich wollte Niall nicht anlügen, aber noch weniger war ich bereit, über meinen Exfreund zu sprechen.

„Naja, wir waren ziemlich viel in der Weltgeschichte unterwegs, also war ich nicht wirklich oft bei Syco. Selbst die Aufnahmen haben wir teilweise in den Hotelzimmern oder im Tourbus gemacht."

„Dann bist du jetzt wahrscheinlich umso froher, einige Zeit in deinem Haus verbringen zu können", konnte ich mir vorstellen.

„Absolut. Weißt du denn schon, was du nach deinem Abschluss machen möchtest? Vor zweieinhalb Jahren wolltest du mal in die Richtung Tontechnik gehen, siehst du das immer noch so?" Ich war beeindruckt, dass er sich das noch gemerkt hatte.

„Ja, das möchte ich immer noch machen", antwortete ich. „Ich werde auf jeden Fall studieren, aber ich weiß noch nicht, wo."

„Was hältst du denn von England? Ich weiß, dass ein Kumpel von mir hier in London Tontechnik studiert", schlug Niall vor.

„Eigentlich habe ich das auch ernsthaft in Betracht gezogen", gab ich zu. „Aber dann habe ich mir die Preise von den Universitäten hier angeguckt. Das kann ich niemals bezahlen, mal abgesehen von den Lebenshaltungskosten. Es wird also wahrscheinlich eine Uni in Deutschland, denn dort deckt der Staat die meisten Kosten. Andererseits habe ich gerade auf der Abschlussparty Professor Palmer von einer Universität hier in London getroffen, und ihm meine Kontaktdaten gegeben. Vielleicht wird das also doch was."

„Oh, das ist natürlich blöd. Hast du mal ein Stipendium gedacht?", fragte er.

„Absolut, aber dafür muss ich schon wirklich gut sein und bekomme nur einen Teil der Kosten gedeckt. Allein was ich hier in London für eine Wohnung bezahle ist schon nicht mehr normal. Und es kann auch sein, dass ich die Bewerbungsfristen bereits verpasst habe, da muss man sich super früh melden." Eigentlich hatte ich die Chance auf ein Stipendium schon längst abgeschrieben. Professor Palmer hatte mir allerdings wieder ein wenig Mut gemacht. Sich zu bewerben konnte ja wirklich nicht schaden.

„Was hältst du davon, wenn wir uns morgen mal zusammen über die Möglichkeiten eines Stipendiums informieren? Ich glaube, du könntest sogar über Syco da ran kommen", überlegte er. „Und das mit einer Wohnung würdest du bestimmt auch hinkriegen, schließlich kennst du hier in London einige Leute, die vielleicht sogar eine WG mit dir bilden würden."

„Wow, denkst du echt, dass das klappen könnte?" Mit einigen wenigen Worten hatte Niall mir Hoffnung gegeben, dass dieser Traum nicht ganz unmöglich war.

„Na klar, vor allem da du wirklich schon ein bisschen Erfahrung gesammelt hast. Ich kann morgen gern ein bisschen herumtelefonieren und dir ein paar zusätzliche Kontakte verschaffen." Er sagte das so, als sei es etwas Alltägliches. Vielleicht war es das für ihn auch, aber nicht für mich.

„Das wäre echt super lieb von dir!" Ich umarmte ihn spontan, was er erwiderte.

„Das ist überhaupt kein Problem, schließlich machen Freunde so etwas untereinander!", antwortete er.

Ich merkte genau, dass sich etwas in unserer Beziehung zueinander geändert hatte, indem er mich als Freundin und nicht als seine kleine Schwester bezeichnete, wie er das vorher immer getan hatte. Woran das genau lag, wusste ich allerdings nicht.

Er warf einen Blick auf seine Uhr: „Es ist schon ziemlich spät, vielleicht sollten wir schlafen gehen", schlug er vor und gähnte einmal, was mich ebenfalls ansteckte.

„Ja, sonst halte ich morgen auch nicht lange durch", gab ich zur Antwort. Außerdem bemerkte ich, dass ich langsam mal auf die Toilette gehen musste.

Wir standen also vom Sofa auf und räumten unsere Gläser in die Küche. Niall stellte noch die Spülmaschine an, dann nahm ich meinen Koffer aus dem Flur und folgte ihm ins obere Geschoss.

Hier zweigten vier Türen ab, von denen Niall nun eine aufstieß.

„Das hier ist das Gästezimmer", sagte er und ich stellte meinen Koffer ab. An einer Wand stand ein Sofa, daneben ein kleiner Schrank und ein bereits bezogenes Bett. Mit mehr hatte ich nicht gerechnet, ich würde hier drin ja wirklich nur zwei Nächte schlafen. „Willst du zuerst ins Bad?", fragte der Ire dann nach.

„Wenn das für dich okay ist, wäre das super", antwortete ich, und er nickte.

„Klar. Es ist gleich hier drüben." Er deutete auf eine der Türen im Flur. „Du kannst dir auch gern ein Handtuch nehmen, falls du kein eigenes dabei hast", bot er außerdem an.

„Danke, das ist nicht nötig." Ich lächelte und öffnete meinen Koffer um meinen Kulturbeutel herauszunehmen. Zum Glück hatte ich meine Unterwäsche weiter unten verstaut, das wäre mir sonst nämlich wirklich peinlich gewesen.

„Alles klar, dann sehen wir uns morgen." Er küsste mich auf die Wange, womit ich im ersten Moment vollkommen überfordert war, weil das in meiner Clique in Deutschland nicht so üblich war. „Mein Zimmer liegt übrigens gleich nebenan, falls du noch irgendetwas brauchst." Damit verschwand er aus meinem Zimmer und ich atmete einmal tief durch. Dieses erste Wiedersehen war etwas, das ich erst einmal würde verarbeiten müssen.

Im Bad verbrachte ich die Zeit beim Zähneputzen damit, gründlich darüber nachzudenken, inwiefern wir beide uns verändert hatten.

Mir war heute richtig bewusst geworden, dass ich innerhalb der letzten zwei Jahre erwachsen geworden war, anders konnte man es nicht ausdrücken.

Vor allem aber sah ich Niall plötzlich aus einem ganz anderen Licht. Schon bei dem Gedanken daran, dass sich nur zwei Türen zwischen uns befanden, begann es in meinem Bauch ein bisschen zu kribbeln.

Ich sah in den Spiegel und erwischte mich dabei, wie ich blöd grinste.

In diesem Moment klopfte es an der Tür. „Lena, brauchst du noch lange? Ich müsste mal aufs Klo", rief Niall.

„Ne, ich bin gleich fertig", antwortete ich und stellte meine Zahnbürste in einen Becher. Dann band ich meine Haare zusammen, wusch mir schnell das Gesicht und trocknete es ab. Bereit, ins Bett zu gehen, öffnete ich die Tür für Niall, der mich heraustreten ließ und dann selbst sein Bad betrat.

„Schlaf schön", rief er mir über die Schulter hinweg zu, bevor er die Tür schloss.

„Du auch", gab ich zurück und betrat das Gästezimmer. Dort zog ich mir schnell mein Schlafshirt über und legte mich ins Bett. Nachdem ich mit meinem Handy kurz einige Nachrichten beantwortet hatte, legte ich dieses zur Seite und schloss meine Augen. Ich freute mich bereits jetzt auf den morgigen Tag.

Dieser begann bereits verhältnismäßig früh, und zwar um acht Uhr, weil mein Handy klingelte. Vollkommen verschlafen tastete ich nach meinem Mobiltelefon und es war pures Glück, dass ich den Anruf abnahm und nicht ablehnte.

„Hi, hier is Lena", meldete ich mich mit einem Mix aus Englisch und Deutsch.

„Hi, hier ist Finja", antwortete mir eine meiner besten Freundinnen aus Deutschland. Hatte sie um acht Uhr morgens nichts anderes zu tun? Schlafen zum Beispiel?

„Was willst'n du?", erkundigte ich mich, wobei es mir noch ein bisschen schwer fiel, alles richtig auszusprechen.

„Meine Konzertbegleitung für heute Abend ist ausgefallen, und da wollte ich fragen, ob du nicht vielleicht Lust hättest, kurzfristig mitzukommen." Seufzend richtete ich mich im Bett auf.

„Absolut", antwortete ich zuerst, bis mir einfiel, dass ich heute Abend andere Pläne hatte. „Nicht. Tut mir leid, ich bin gar nicht in Deutschland, sondern in London, um mich mit ein paar Freunden zu treffen. Hab ich das nicht erzählt?"

„Nein, hast du nicht", bekam ich eine etwas enttäuschte Antwort.

„Oh, stimmt." Warum ich das nicht erzählt hatte, fiel mir jetzt auch wieder ein. Ich wollte nicht wirklich, dass irgendjemand aus der Schule mitbekam, dass ich Kontakt zu einigen Stars aus dem Musikbusiness hatte, deshalb hielt ich darüber meistens meine Klappe. Vor allem nachdem meine damalige beste Freundin Tascha darum immer so einen großen Bahnhof gemacht hatte. „Ich bin jedenfalls in London und kann dir leider nicht weiterhelfen, tut mir leid", fügte ich noch hinzu, als ich keine Antwort bekam.

„Alles klar, kein Problem, dann frage ich jemand anderen", gab Finja zurück. „Tut mir leid, falls ich dich geweckt habe."

„Kein Ding, ich wollte sowieso nicht so lange schlafen", antwortete ich und meinte es auch so. Jetzt war ich außerdem eh schon wach.

„Okay, wir sehen uns dann Montag."

„Bis dann", verabschiedete ich mich von ihr.

Doch noch etwas müde stand ich langsam auf und suchte mir meine Klamotten zum Duschen raus. Da ich nicht wusste, was Niall für den heutigen Tag geplant hatte, nahm ich mir jetzt nur eine schlichte Jeans und ein Top sowie frische Unterwäsche und ein Handtuch aus dem Koffer.

Damit machte ich mich auf den Weg ins Bad, in der Hoffnung, dass Niall ein bisschen länger schlief als ich und ich das Badezimmer so lange besetzen konnte wie ich wollte.

Das Glück schien auf meiner Seite zu sein, denn ich war gerade mit der Morgentoilette fertig als Niall nur mit Boxershorts bekleidet aus seinem Zimmer trat.

Ach du scheiße. Konnte der sich nicht was anziehen? Andererseits war das hier sein Haus, er konnte rumlaufen wie er wollte. Ich bemühte mich also, nicht zu sehr auf seinen Körper zu starren, und wollte mich auf den Weg in mein Zimmer machen, als er begann zu sprechen.

„Guten Morgen", gähnte er.

„Guten Morgen", erwiderte ich, und ärgerte mich, dass ich sämtliche Höflichkeitsfloskeln bei seinem Anblick einfach verdrängt hatte.

„Ich brauche nicht lange im Bad, wenn du magst kannst du dich aber schon mal in der Küche umschauen, ob du etwas Essbares findest", bot er mir an und ich nickte, immer noch darauf bedacht, ihm bloß nur in die Augen zu gucken.

„Okay, dann bis gleich." Etwas zu erleichtert drehte ich mich um und verschwand im Gästezimmer.

Das war jetzt wieder etwas, das ich erst einmal verarbeiten musste. Mir war ja schon vorher klar gewesen, dass Niall einen ansehnlichen Körper hatte, aber es war doch ein Unterschied, ihn auf Fotos oder Videos zu sehen, als wenn er dreidimensional vor mir stand.

Vor zweieinhalb Jahren hatte ich ihn zwar auch schon einmal oberkörperfrei gesehen, aber da war ich noch ein halbes Kind gewesen und Niall hatte sich seitdem wohl ebenfalls weiterentwickelt.

Kaum zu glauben, dass ich gerade tatsächlich seinen Körper analysierte. Ich schüttelte meinen Kopf, als mir einfiel, dass meine Haare noch nicht ganz trocken waren. Das hatte ich extra so gelassen, weil sie sich, wenn sie an der Luft trockneten, ein bisschen wellten. Um diesen Effekt noch zu verstärken, nahm ich mir meine Bürste und flocht meine Haare locker zusammen.

Damit war ich soweit fertig, aber ich fühlte mich auch ein bisschen komisch einfach so an Nialls Kühlschrank zu gehen, obwohl er es mir erlaubt hatte, sodass ich mich auf das Bett setzte und mit meinem Handy ein bisschen im Internet stöberte.

Dadurch vertrieb ich mir die Zeit bis ich die Badezimmertür knarren hörte und aus dem Zimmer trat. Niall war wohl noch einmal kurz in seinem Zimmer verschwunden, aber lange konnte es nicht mehr dauern bis er im Erdgeschoss auftauchen würde, sodass ich die Treppe hinunterging und die Küche betrat.

Als dort allerdings bereits jemand mit dem Rücken zu mir vor dem Kühlschrank stand, zuckte ich erschrocken zusammen.

Das mit den Cliffhangern kann ich einfach nicht lassen. Wer steht da wohl vor dem Kühlschrank, was glaubt ihr?

Ihr habt es vielleicht schon gemerkt: Eigentlich sollte es das nächste Kapitel, also dieses hier, doch erst Mitte Januar, also in drei Wochen geben! Ich habe mich aber zu einem nachträglichen Weihnachtsgeschenk für euch entschlossen, weil ich über die vergangenen Tage sage und schreibe neun ganze Kapitel geschrieben habe. Es war ein kleiner Marathon, aber es hat unglaublich viel Spaß gemacht! Weil ich deshalb schneller vorangekommen bin als geplant, gibt es auch nächste Woche am Dienstag, dem dritten Januar, noch ein Kapitel, in dem ihr dann lesen könnt, wie es mit den beiden weitergeht. Bis dahin wünsche ich euch einen guten Rutsch ins neue Jahr!

Liebe Grüße
Catrifa xx

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