29. Back home

Der siebte August war ein Donnerstag. Es war nicht nur irgendein Donnerstag, sondern der, an dem ich in die neunte Klasse kam.

Das bedeutete frühes Aufstehen, neue Lehrer und die deutsche Sprache, die ich schnellstmöglich wieder in meinen Wortschatz aufnehmen musste.

Am gestrigen Nachmittag war es mir schwer genug gefallen, mich die ganze Zeit mit meinen Eltern auf Deutsch zu unterhalten.

Die sechs Wochen, in denen ich fast durchgängig Englisch gesprochen hatte, machten mir jetzt schon ziemlich zu schaffen.

Meine Freundin Tascha quatschte mich an, als ich gerade die Klasse betreten wollte.

„Soo, Fräulein, jetzt erzählst du mir als allerstes, was bei dir so abging in den letzten sechs Wochen. Hast du es echt mit Niall getrieben, so wie es im Internet stand?"

An diesem Punkt merkte ich bereits, dass ich eigentlich überhaupt keine Lust darauf hatte, mich mit Tascha zu unterhalten.

Aus diesem Grund wimmelte ich sie relativ schnell ab und setzte mich auf einen freien Platz im Raum. Neben mir unterhielten sich Katarina und Hannah über das einzige Thema, das die Mädchen aus meinem Jahrgang ernsthaft zu interessieren schien: Jungs.

„Er hat so süß gegrinst, obwohl sein T-Shirt komplett mit Kaffee voll war. Und dann meinte er auch noch, dass er mir einen neuen Kaffee kauft und wir sind zusammen zu Starbucks gegangen", schwärmte Katarina. „Das war der beste letzte Ferientag den ich je hatte!"

„Das ist echt cool", stimmte Hannah zu.

„Absolut! Und jetzt kommt das Beste: Er geht seit heute auf unsere Schule, weil er umziehen musste. Soweit ich weiß, ist er im elften Jahrgang."

„Ohh, hast du dir also gleich einen Älteren aufgerissen!" Hannah machte ein Geräusch, das wohl nach einem anerkennenden Pfiff klingen sollte.

Ich konnte nur den Kopf schütteln und war froh, dass ich meine Aufmerksamkeit auf unseren Klassenlehrer richten konnte, der gerade den Raum betrat.

Das alljährliche Gefasel begann mit einer neuen Fassung der Schulordnung, die sowieso jeder brechen würde, unserem Stundenplan und natürlich bereits dem ersten Unterricht. Die Lehrer schienen es jedes weitere Jahr umso mehr darauf anzulegen, uns schnellstmöglich sämtliche Dinge ins Gehirn zu prügeln.

Immerhin hatte ich dadurch keine Gelegenheit, mich mit meinen Klassenkameraden zu unterhalten.

Spannend wurde der erste Schultag erst, als wir nachmittags ein Treffen mit der Englisch-AG abhielten. Ich verstand mich mit Finja aus der achten Klasse, die auch im letzten Jahr schon diese AG besucht hatte, zum Glück super, sonst hätte mir dieses Zusatzangebot nicht halb so viel Spaß gemacht.

„Kommt mal alle zur Ruhe, wir haben viel zu besprechen!", eröffnete unsere Lehrerin Frau Meyer die Runde. „Ich möchte erst einmal festhalten, wer aus der Gruppe des letzten Jahres leider die Schule verlassen hat. Wie ihr bereits wisst, kommen alle Neuen erst in ein paar Wochen in unsere Gruppe, und sie werden auch nicht mit uns nach England reisen."

„Yeah!", rief Laura, die manchmal schneller redete als sie nachdachte.

„Es wäre auch gar nicht mehr möglich, wir haben den Austausch schließlich schon vor einem halben Jahr geplant", fügte Frau Meyer hinzu. „In den nächsten Tagen werde ich euch genauere Informationen dazu per E-Mail schicken, außerdem bekommt ihr die Adressen eurer Austauschpartner, welche in den Ferien zugelost wurden."

Eine Anspannung machte sich im Raum bemerkbar. Wir würden immerhin einige Zeit mit unseren Austauschpartnern und deren Familien verbringen, wenn man sich dann nicht gut verstand, konnte das ein Problem geben. Sprachlich jedoch sollten wir zurechtkommen, schließlich hatten wir alle schon mindestens ein Jahr lang das umgangssprachliche Englisch in dieser AG gelernt und geübt. Und wie ich bereits in London gemerkt hatte, zahlte sich das wirklich aus.

Die ersten Schulwochen flogen nur so an mir vorbei. Mit etwas Glück hatte ich die Chance, am letzten Augustwochenende nach London zu fliegen, da mein Onkel dort beruflich zu tun hatte und mich mitnahm.

Es war wundervoll, die Mädchen aus der WG wiederzusehen und auch mit Peter konnte ich mich treffen. Leider waren One Direction an diesem Wochenende unterwegs und gaben Konzerte, weshalb ich Niall nicht sehen konnte. Mit ihm hatte ich aber begonnen regelmäßig zu skypen und Neuigkeiten auszutauschen.

Bei meiner Rückkehr aus London setzte mein Onkel mich in der Stadt ab, da ich noch ein Buch aus der Buchhandlung für meine Mutter abholen sollte. Das hatte ich schnell beisammen und setzte mich in ein Café, da ich noch ein bisschen Zeit hatte bis der Bus kam.

Etwas gelangweilt scrollte ich auf Twitter herum und schaute mir die neuesten Trends an, denn in London hatte ich dafür keine Zeit aufwenden wollen.

„Hey, ist der Platz hier noch frei?" Ein brünetter Junge grinste mich schief an und deutete auf den Stuhl neben mir.

„Klar", erwiderte ich und legte mein Handy weg, um nicht unhöflich zu erscheinen.

„Du bist doch bestimmt von hier, oder?", fragte er und nahm einen Schluck von seinem Getränk.

„Ja, allerdings. Wieso fragst du?"

„Ich bin gerade erst hier her gezogen und weiß nicht genau, zu welcher Bushaltestelle ich muss, um den Bus zur Frankfurter Straße zu kriegen. Kannst du mir da weiterhelfen?"

„Bestimmt", lächelte ich. „Da muss ich auch hin, wir können gleich zusammen gehen."

„Das freut mich, danke! Wie heißt du denn?"

„Ich bin Lena, und du?"

„Lukas." Er grinste schon wieder schief. „Gehst du zufällig auf das Gymnasium?"

„Zufällig ja, woher weißt du das?", antwortete ich.

„Ich habe dich schon mal auf dem Flur gesehen. Du bist in der neunten, richtig?"

„Ganz genau. Du wahrscheinlich nicht."

Er lachte. „Nein, ich bin jetzt in der elften Klasse. Total blöd, so kurz vor dem Abitur noch einmal umzuziehen, aber da hatte ich leider nichts zu bestimmen."

„Wo kommst du denn her?", wollte ich wissen.

„Wir haben vorher in der Schweiz gelebt, aber geboren bin ich hier in der Nähe", berichtete er. „Aufgrund des Jobs meines Vaters mussten wir oft umziehen, deshalb bin ich in Europa schon ziemlich viel herumgekommen."

„Das hat aber auch Vorteile", überlegte ich.

„Das stimmt, aber auf die Dauer wünscht man sich schon, irgendwo länger als zwei Jahre lang zu bleiben." Er trank erneut.

„Kann ich mir vorstellen", nickte ich. „Hast du schon mal in England gelebt?"

„Nicht wirklich, wir waren dort nur für ein paar Monate und sind gleich wieder umgezogen, da habe ich nicht so viel mitgekriegt. Wieso fragst du denn?"

„Ich komme gerade aus London, weil ich dort Freunde besucht habe", erzählte ich.

„Cool, und das in deinem Alter!" Okay, irgendwie mussten immer alle auf meinem Alter rumhacken.

„Allerdings", stimmte ich deshalb eher knapp zu.

„Woher kennst du denn Leute in London?", wollte er dann wissen.

„Ich habe in den Sommerferien ein sechswöchiges Praktikum bei einer Musikfirma absolviert", antwortete ich und merkte, wie mir aus einem unerfindlichen Grund das Blut in den Kopf stieg.

„Wow, das beeindruckt mich!", sagte er und ignorierte meinen nun wahrscheinlich hochroten Kopf geflissentlich.

Geschmeichelt warf ich einen Blick auf meine Uhr und stellte fest, dass wir zur Bushaltestelle losgehen sollten, wenn wir den Bus zur Frankfurter Straße erwischen wollten. Ansonsten würden wir eine weitere halbe Stunde warten müssen.

„Wir sollten los, sonst kommen wir nicht mehr so schnell nach Hause", forderte ich Lukas auf. Dieser nickte und stand auf.

Wir verließen den Laden und ich versuchte verzweifelt, ein weiteres Gesprächsthema zu finden, damit wir nicht die Busfahrt und den Weg zur Haltestelle schweigend verbringen mussten. Zum Glück rettete Lukas mich.

„Hey, ich habe gehört, dass es an unserer Schule eine Englisch AG gibt. Das wäre doch sicher etwas für dich, oder?"

„Absolut, deshalb bin ich dort seit zwei Jahren dabei", grinste ich erleichtert. Darüber würden wir bestimmt gut sprechen können. „Im November fliegen wir sogar nach England und besuchen dort unsere Austauschschule, das wird bestimmt super."

„Wirklich? Ich hatte leider nie die Gelegenheit, an einem Schüleraustausch teilzunehmen", bedauerte er.

„Du bist ja auch so ständig in anderen Ländern zur Schule gegangen", witzelte ich.

„Das stimmt zwar, aber trotzdem habe ich immer bei meinen Eltern gelebt und nie bei einer anderen Familie. Ich glaube, dass das wirklich eine tolle Erfahrung wird."

„Bestimmt. Schau, der Bus kommt in einer Minute, wir sind ziemlich pünktlich." Ich deutete auf die Anzeigetafel an der Haltestelle.

„Da haben wir noch mal Glück gehabt. Ansonsten hättest du mir ja die Stadt zeigen können."

„Ach Quatsch, da gibt es gar nicht so viel zu sehen", winkte ich ab. „Nur ein paar Läden, das einzig wirklich interessante ist das alte Kino."

„Meinetwegen kannst du mir auch das mal zeigen", zwinkerte er mir zu. Damit war ich jetzt irgendwie überfordert. Wie meinte er das? Wenn Jungs zwinkerten konnte das nichts Gutes bedeuten.

Zum Glück musste ich ihm nicht antworten, weil der Bus in die Haltebucht einfuhr und wir einstiegen.

„Wo in der Frankfurter Straße wohnst du denn?", erkundigte ich mich.

„Nummer 24, und du?"

„Nummer 5, ich muss also in die andere Richtung gehen", stellte ich fest.

„Unser Haus werde ich wahrscheinlich wiederfinden", grinste er.

„Besser wäre das, vor allem weil du ja schon ein paar Wochen dort wohnst."

„Allerdings, und hoffentlich werde ich auch die nächsten zwei Jahre dort wohnen bleiben. Wenn ich mitten im Abitur nochmal umziehen muss, beantrage ich eine eigene Wohnung beim Jugendamt, das sehe ich nämlich überhaupt nicht ein. Bei meinen jüngeren Geschwistern mag es momentan noch angehen, aber nicht bei mir." Das konnte ich sehr gut nachvollziehen. Zwar hatte ich selber noch nicht so genau über mein Abitur nachgedacht, aber bei ihm zählten die Klausuren bereits jetzt in die Endnote, das wusste ich.

„Wie alt sind denn deine Geschwister?", fiel mir dann ein.

„Meine Schwestern sind 10 und 12, mein Bruder ist 10."

„Also sind deine jüngsten Geschwister Zwillinge?", schloss ich daraus.

„Genau, und das kann ziemlich nervig sein. Leider muss ich ziemlich oft auf sie aufpassen oder sie zu irgendwelchen Dingen begleiten, wenn unsere Eltern keine Zeit haben."

„Dazu bin ich zum Glück offensichtlich selber noch nicht geeignet. Mein Bruder ist zwölf, weshalb unser Altersunterschied wohl nicht groß genug ist, damit ich auf ihn aufpassen könnte. Ansonsten haben die älteren Geschwister aber wirklich immer Pech gehabt."

„Du sprichst mir aus der Seele", lachte er.

Der Bus hielt an und ich erkannte, dass das hier unsere Haltestelle war, sodass ich Lukas darauf aufmerksam machte.

Der Moment nach dem Aussteigen war etwas peinlich.

Ich hatte irgendwie das Gefühl, ihn zum Abschied umarmen zu wollen, aber andererseits hatten wir uns gerade erst kennengelernt.

„Ehm, ich denke dann sehen wir uns in der Schule, oder?", fragte ich.

„Bestimmt." Er lächelte, machte einen Schritt auf mich zu und umarmte mich ganz kurz. Erleichtert, dass ich nicht merkwürdig drauf war, atmete ich aus, grinste einmal und drehte mich dann um, um zu unserem Haus zu gehen.

Irgendwie sah Lukas ja wirklich gut aus, stellte ich fest, als ich mich noch einmal verstohlen nach ihm umsah.

Zuhause angekommen begrüßte meine Mutter mich mit den Worten: „Das Abendessen ist gleich fertig, du kannst schon mal unten bleiben."

„Alles klar", antwortete ich und kramte ihr Buch aus meiner Tasche. „Das habe ich noch abgeholt, deshalb komme ich erst jetzt nach Hause."

„Danke, kannst du es mir auf den Schreibtisch legen? Ich muss hier gerade aufpassen, dass nichts anbrennt." Sie fuhrwerkte mit dem Pfannenwender in der Pfanne herum.

„Klar."

Ich zog meine Schuhe aus, hängte meine Jacke auf und legte meine Tasche auf die Treppe, um sie nach dem Essen hochtragen zu können.

Dann begann ich automatisch, den Tisch zu decken, was ich mir in London angewöhnt hatte. Irgendwie tat ich es seitdem sogar ganz gern, wovon meine Eltern entzückt waren.

Klar, vorher hatte ich nicht mal freiwillig die Geschirrspülmaschine ausgeräumt.

Beim Abendessen erzählte ich ein bisschen von meinem Wochenende in London, bis das Thema auf den morgigen Tag kam.

„Hattest du Hausaufgaben auf?", wollte mein Vater von mir wissen, was ich guten Gewissens verneinen konnte. Alle Hausaufgaben die bis morgen anstanden hatte ich bereits vor London erledigen können.

„Dann solltest du bald ins Bett gehen, schließlich musst du morgen früh aufstehen und ich weiß nicht, wie lange du in London immer geschlafen hast", bemerkte meine Mutter daraufhin.

„Geht klar", nickte ich. Stress mit meinen Eltern versuchte ich seit den Sommerferien zu vermeiden, da sie mir ganz einfach meine Besuche in London streichen konnten.

Deshalb konnte ich auch nie spät abends mit Niall skypen, sondern wir mussten dies auf die Nachmittage oder, an den Wochenenden, Vormittage verlegen. Solange keine Konzerte anstanden klappte das auch meist ganz gut.

Heute Abend hatte er allerdings einen Auftritt, sodass wir uns erst am morgigen Nachmittag wieder über Skype sehen konnten.

Damit packte ich an diesem Abend nach dem Essen nur noch meine Schultasche für den nächsten Tag und ging anschließend ins Bett.

So meine Lieben, was haltet ihr von Lukas? Der Countdown läuft, es folgen nur noch zwei Kapitel.

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