12. Maniacs

Die Woche verging unglaublich schnell. Einen Großteil der Zeit im Headquarter verbrachte ich unten in den Studios mit Ed, welcher seine Songs aufnahm und mich nebenbei regelmäßig zum Lachen brachte, indem er erzählte, wie der ein oder andere Song entstanden war, oder was ihm schon alles mit Fans passiert war. Und das war eine Menge!

Am Freitagabend skypte ich mit meiner Familie, die ich trotz meines tollen Aufenthaltes hier ein wenig vermisste, und am Samstag kehrte Fee aus Spanien zurück.

„Das war der Wahnsinn, so viele Leute, die gespendet haben, und alle sind sich einig, dieses Benefizevent wiederholen zu wollen", berichtete die Schlagzeugerin vollkommen begeistert.

Ein Drittel meiner Zeit in London war nun vorbei, wie ich bemerkte, und es war nur so an mir vorbeigeflogen. In nur vier Wochen würde ich wieder nach Deutschland zurückkehren!

In der WG merkte ich deutlicher als gedacht, dass nun alle Mitbewohner in London waren. Der Kühlschrank war schneller leer, es war lauter, und vor allem hatten wir unglaublich viel Spaß.

Fee war entgegen ihrer äußeren Erscheinung, durch die sie wirkte als könnte sie keiner Fliege etwas zuleide tun, sehr aufgeweckt und hatte die Fähigkeit, einfach jedem in jeder noch so unpassenden Situation die Wahrheit zu sagen. Das konnte unangenehm sein, aber es war manchmal wirklich hilfreich. Wenn sie etwas nicht gut fand, sagte sie das und ich konnte sie deshalb ziemlich gut einschätzen. Sie trug oft bunte Klamotten, Lilly hatte sie einmal als Kanarienvogel bezeichnet, aufgrund eines neongelben Kleides, in dem sie tatsächlich leicht wie einer dieser Vögel aussah.

Sandy konnte gut Witze erzählen, und das war der Grund, weshalb wir uns manchmal vor Lachen gefühlt auf dem Boden wälzten. Oft waren die Witze, die ihr zu jeder Tages- und Nachtzeit einfielen, nicht einmal besonders lustig, aber ihre Art, diese zu erzählen, war einfach zu genial. Sie hätte Comedian werden können, würde sie nicht so gut und leidenschaftlich gern Cello spielen. Im Gegensatz zu Fee, die ein offenes Buch war, was ihre Gedanken über etwas anging, hatte ich aber oft keine Ahnung, was Sandy dachte. Sie blieb ruhig wenn ihr etwas nicht gefiel und dachte sich ihren Teil dazu. Wenn sie etwas gut fand, blieb sie aber ebenfalls ruhig, und es war noch schwierig für mich, da den Unterschied zu erkennen. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass der Kleiderschrank der Cellistin nur aus schwarzen Klamotten bestand, denn etwas anderes schien sie nicht zu tragen. Sie hatte ein Nasenpiercing, das sie aber nicht immer trug, und ein Tattoo auf ihrem Nacken, welches ein Cello darstellte.

Lilly war diejenige, die alles im Griff zu haben schien, immer den Plan hatte, und obwohl Sandy und Fee beide älter waren als die Pianistin, wirkte diese doch ein wenig als wäre sie unsere Mutter. Ihr Klamottenstil ließ sie ebenfalls älter wirken, denn sie sah oft professionell aus und ich hatte sie bisher eher weniger in Jogginghose oder einem Oversizeshirt gesehen.

Am Mittwochabend meiner dritten Woche in London waren wir alle in der Wohnung und beschlossen kurzfristig, einen Film anzuschauen. Per Zufallsmodus wählten wir einen Streifen aus, den wir alle noch nicht kannten, der auch für mein Alter geeignet war, und machten es uns mit genügend Cola, Chips und Schokolade auf dem Sofa gemütlich.

Kurze Zeit später achteten wir jedoch nicht mehr richtig auf den Film, sondern waren damit beschäftigt, über die Unfähigkeit des Drehbuchautors und der Schauspieler zu lästern, denn der Film war so grottenschlecht, dass er bereits fast wieder gut war. Das fast reichte aber leider auch nicht. Die Storyline war nicht einmal ansatzweise spannend, sondern einfach nur viel zu kitschig. Gegen ein wenig Kitsch hatte ich noch nie etwas einzuwenden gehabt, aber das ging zu weit. Die schlechte Storyline wäre auch keine solche Tragödie gewesen, wenn wir nicht das Gefühl gehabt hätten, dass die Schauspieler ihren Job zum ersten Mal machten und keine Ahnung davon hatten.

Als die Protagonistin schließlich drei der kitschigsten Heiratsanträge die ich je gesehen hatte, direkt hintereinander erhielt, ergriff Lilly die Fernbedienung und bereitete dem Schrecken ein Ende.

„Sie nimmt keinen von denen, die sind alle hässlich", urteilte Fee mit einem Lachen.

„Du hast Recht", stimmte Sandy sofort zu, was schon etwas bedeutete. Sie äußerte ihre Meinung nicht oft, außer sie wurde danach gefragt. „Ich glaube, ich habe noch nie so einen schlechten Film gesehen."

„Also so schlecht...", wollte ich einwenden, wurde aber von meinen drei aufgebrachten Mitbewohnerinnen unterbrochen.

„Doch!"

„Hör mal auf, immer das Positive an allem zu sehen, ist ja anstrengend", kicherte Lilly.

„Aber..."

„Nein!", kam es unisono aus drei Mündern, als hätten sie geahnt, was ich hatte sagen wollen. Gespielt beleidigt verschränkte ich meine Arme vor der Brust.

„Dann halt nicht!"

„Oh mein Gott, Niall Horan folgt dir auf Twitter!", wurde mir ins Ohr geschrien, nachdem ich den Anruf angenommen hatte. Sofort hielt ich mein Handy soweit es ging von meinem Ohr weg. Ich saß auf der Küchenanrichte im Headquarter, wir hatten momentan Mittagspause, und Peter sah von seinem Klatschblatt auf, das er teetrinkend durchblätterte. Als ich bemerkte, dass das doch schon alles war, antwortete ich einer meiner besten Freundinnen.

„Hey Tascha, freut mich auch von dir zu hören. Wie geht es dir denn so?"

„Blendend, danke der Nachfrage. Warum folgt er dir auf Twitter?!" Ich hatte leichte Probleme, sie zu verstehen, da sie sehr schnell sprach und ich mich zuerst wieder an die deutsche Sprache gewöhnen musste.

„Ich würde sagen, er folgt mir, weil ich cool bin. Nein, warte." Ich tat, als würde ich überlegen. „Könnte auch sein, weil ich gut küssen kann." Peter sah stirnrunzelnd von seinem Klatschblatt auf, schließlich verstand er kein Wort Deutsch.

„WAS?!" Taschas Schrei hatte der Praktikant scheinbar gehört, denn nun zog er auch noch seine Augenbrauen hoch. Wer in London hatte diesen Schrei auch nicht gehört? Wahrscheinlich war mein Trommelfell gerade geplatzt (obwohl das rein biologisch gar nicht möglich war, jedenfalls hatte ich bestimmt einen Hörschaden).

„Du glaubst wirklich alles, Kleine", kicherte ich. „Nein, wir haben uns nur unterhalten und..." Sie ließ mich gar nicht ausreden, sicherheitshalber hielt ich mein Telefon wieder weg von meinem Ohr. Noch einen Hörschaden brauchte ich heute wirklich nicht. Durch die Lautstärke, in der sie sprach, konnte ich auch so alles gut verstehen.

„Du unterhältst dich mit Niall Horan und erzählst mir nichts davon?!"

„Beruhig dich mal, der ist total normal, das kannst ..." Erneut durfte ich nicht ausreden.

„Er ist doch nicht normal! Er ist... aaaaaah." So hörte es sich an, wenn meine Freundin Tagträume von Boybandmitgliedern hatte, das wusste ich schon. „So perfekt. Und... ich werde ihn heiraten."

„In deinen Träumen. Du bist nämlich erst dreizehn, falls du es vergessen hast."

„Bei wahrer Liebe spielt das Alter keine Rolle", träumte sie weiter vor sich hin.

„Du hast so einen Schaden." Ich schüttelte meinen Kopf. Dieses Mädchen war einfach unglaublich.

„Ja, du auch. Wie ist denn London so?", wollte sie dann wissen.

„Einfach nur genial", berichtete ich. „Meine Mitbewohnerinnen sind total nett, der Job macht extrem viel Spaß, und die Sprache finde ich ja sowieso toll. Am liebsten würde ich gleich hier bleiben."

„Naja, so ein Schulabschluss wäre schon nicht schlecht." Sie kicherte. „Und wäre das rechtlich überhaupt möglich?"

„Das fragst ausgerechnet du mich? Seit wann achtest du denn auf das Rechtliche?", erkundigte ich mich verwundert.

„Ich habe mich eben gebildet", war ihre Antwort, über die ich lachen musste. Tascha und Bildung waren nicht unbedingt die besten Freunde.

Wir hielten kurz Smalltalk und legten dann auf, da Tascha noch mit ihrem Hund rausgehen musste.

„Was war das denn für eine Verrückte?", wollte Peter schmunzelnd wissen.

„Eine Freundin aus Deutschland. Sie ist der festen Überzeugung, irgendwann Niall Horan zu heiraten", teilte ich ihm mit.

„Wie 20 Millionen andere Mädchen", grinste er.

„Richtig. Ich glaube, sie blendet die Millionen einfach aus."

„Gute Taktik. Sag mal, hast du das hier schon gewusst?" Er deutete auf einen Artikel seiner Klatschzeitung und verwickelte mich in eine Diskussion über Prominente und Paparazzi.

„Ich könnte mir das gar nicht vorstellen, den ganzen Tag verfolgt zu werden", stellte ich fest. „Bringen diese Bilder denn wirklich so viel Geld? Sonst würde es ja nicht so viele Paps geben, oder?"

„Die richtig guten Paparazzi verdienen sich eine goldene Nase", verriet er mir. „Ein gutes Bild bringt auch ordentlich Geld, das ist ja logisch. Genaue Preise kann ich dir aber nicht nennen, dafür kenne ich mich zu wenig aus."

„Wäre ja auch schlimm sonst", lachte ich. „Wobei du hier den perfekten Standort hättest, um Stars abzulichten."

„Dann verliere ich den Praktikumsplatz, ich glaube nicht, dass das sonderlich schlau wäre."

„Das ist richtig."

Wir setzten uns wieder an unsere Schreibtische als die Mittagspause beendet war und begannen, unserer Arbeit nachzugehen. Peter verschwand irgendwann zu seinem Vorgesetzten, welcher ein Projekt plante, so dass ich alleine im Praktikantenbüro war, was mir aber nichts ausmachte. Tatsächlich machte ich mir leise Musik an und war vollkommen zufrieden - das war das Vorteil an Computerarbeit, wenn man alleine war. Im Internet gab es schließlich sehr viel Musik, die man kostenlos anhören konnte.

„Hey, was ist das für Musik?" Ich fuhr erschrocken herum und sah zu Niall auf, der grinsend vor mir stand. Nun, sein Grinsen verblasste ein wenig, als ich zunächst nicht antwortete. Ich war so vertieft in meine Arbeit gewesen, dass ich nicht mitbekommen hatte, wie er das Büro betrat.

„Hey Niall, du hast mich ganz schön erschreckt. Ich kenne das englische Wort nicht, auf Deutsch heißen diese Songs Schlager", erklärte ich ihm.

„Wovon handelt der Text? Ich mag die Melodie und die Stimme der Sängerin", stellte er fest.

„Das sind alles meist sehr kitschige Liebeslieder", beschrieb ich. „Warum bist du hier?" Er sah heute mal wieder richtig gut aus und ich musste grinsen bei dem Gedanken, einen so gutaussehenden großen Bruder zu haben. Jedenfalls in meinen Vorstellungen war er mein großer Bruder.

„Ich arbeite hier", antwortete er mit einem schelmischen Zwinkern.

„Ich spreche von diesem Büro, nicht dem Headquarter", teilte ich ihm mit. „Oder bist du der neue Praktikant?"

„Neuer Praktikant? Ja klar! Was macht man denn hier den ganzen Tag so?"

„Mails checken", gab ich von mir.

„In ... teressant", murmelte er, scheinbar nicht davon überzeugt. „Okay, also eigentlich wollte ich mich nochmal für die Hilfe beim Songschreiben bedanken und Bescheid sagen, dass ich dich deshalb Samstagabend entführe, nicht dass deine Mitbewohnerinnen sich noch wundern, wenn du plötzlich weg bist." Heute war Donnerstag. „Das war es auch schon, wobei ..." Er überlegte kurz. „Bist du auch schon in dem Alter, wo Frauen immer wissen müssen, was sie anziehen sollen?"

„Uhm, keine Ahnung?" Ich war verwirrt. Was wollte er denn jetzt? Hatte ich da etwas falsch verstanden? Das ging mir irgendwie zu schnell.

„Egal, zieh dich halt normal an. Ich hole dich dann ab", sagte er, umarmte mich kurz zum Abschied und war schon wieder durch die Tür verschwunden. Was war das denn bitte gewesen? Vielleicht hatte ich noch wichtige Wissenslücken was die englische Sprache betraf, die ich bisher noch nicht entdeckt hatte? Oder war Niall einfach komisch gewesen eben? Kopfschüttelnd drehte ich mich wieder zu dem Computer um und fuhr fort, die Mails zu bearbeiten.

Was glaubt ihr, was Niall am Samstagabend mit Lena machen möchte? Ich bin mal gespannt, wer von euch es errät.

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