05. Flat

„Es könnte teuer für euch werden, wenn ihr nicht bald aussteigt", meldete der Taxifahrer sich von vorne. Während des Gesprächs waren wir scheinbar angekommen. Die Wohnung schien glücklicherweise tatsächlich nicht weit vom Headquarter entfernt zu sein. Wir stiegen aus dem Taxi und Lilly bezahlte allein, obwohl ich protestierte. Es war ja nicht so, dass ich ohne Geld nach London gekommen war.

„Wir bekommen genug Geld von Simon, verlass dich darauf!", war ihre Begründung und sie drückte dem Taxifahrer einfach einen Schein in die Hand, sodass ich es nicht ändern konnte.

Lilly zog mich zur Haustür und schloss diese auf. Wir stiegen die Treppen hinauf und hielten vor einer Tür im zweiten Stock. Ich hatte noch nie so eine bunt beklebte Wohnungstür gesehen.

Ich erkannte viele musikalische Aufkleber wie einen Flügel, eine Gitarre, eine Geige, ein Schlagzeug und eine Trompete. Auf dem Klingelschild klebte eine Glocke, darum herum waren die Namen der Bewohner geschrieben. Liliana Streighton, Felicitas Younger, Sandrina Clarke, und, zu meinem Erstaunen, Lenadora Smith. Mussten sie wirklich meinen gesamten Namen nehmen? Und aus welchem Grund stand dort die englische Version meines Nachnamens? Lilly deutete meinen Gesichtsausdruck richtig und grinste.

„Wir haben alle unsere gesamten Namen da stehen, und dein Nachname klang uns zu Deutsch", erläuterte sie die Namenswahl.

„Uns?", erkundigte ich mich. Die anderen beiden waren doch im Ausland?

„Wir leben hier in Demokratie, also wird bei solchen Entscheidungen Skype beansprucht", lautete ihre Erklärung.

„Okay."

Lilly schloss die Wohnungstür auf und ließ mich eintreten. Ich konnte jedoch nur einen Schritt hinein tun, dann sah ich im wahrsten Sinne des Wortes schwarz. Ein riesiger Flügel versperrte den Weg.

„Ups, sorry." Lilly schob sich an mir vorbei und schob den Flügel den Flur entlang, bis ganz zum Ende durch eine große Tür, die sie anschließend verschloss. „Ich kann mich manchmal besser konzentrieren wenn ich im Flur spiele, weil hier dieses Bild hängt." Sie deutete auf ein Kunstwerk direkt neben der Tür, auf dem eine einzelne rote Rose zu sehen war. „Kitschig, ich weiß." Sie kicherte und zog ihre Schuhe aus. Ich tat es ihr gleich und wir hängten unsere Jacken auf. Mein Koffer und meine Tasche standen im Flur, ich hatte sie vorher durch das Ungetüm von einem Flügel nicht sehen können.

Lilly zog mich mit sich und führte mich durch die Wohnung.

„Hier ist die Küche, mit Blick auf den Hinterhof, wo man im Übrigen nicht selten knutschenden Paaren zuschauen kann, also praktisch Livekino, du kommst von dort aus auch ins Haus. Der Kühlschrank ist eigentlich immer aufgefüllt, du musst also nicht einkaufen oder so. Simon schickt regelmäßig Personal vorbei, das putzt, und halt im Haushalt hilft. „Er ist der festen Überzeugung, wir würden das nicht selber können." Sie schüttelte den Kopf und öffnete die nächste Tür.

„Willkommen im Wohnzimmer, hier finden Filmeabende statt und wir würden hier höchstwahrscheinlich auch einfach mal abschalten und faulenzen, wenn wir die Zeit dazu hätten. In deinen Terminplan wird das also wie es aussieht auch nicht passen. Allgemein solltest du dir schnellstmöglich einen Taschenkalender kaufen." Das klang nach einer Menge Arbeit. Wir gingen aus dem Raum und standen wieder im Flur.

„Hier sind die Gästezimmer." Sie deutete auf zwei Türen. „Du kannst natürlich jederzeit irgendwelche Gäste einladen, allerdings am besten vorher Bescheid sagen, damit wir nicht alle gleichzeitig Gäste einladen. Wir haben übrigens mal besprochen, dass hier keine One-Night-Stands stattfinden dürfen. Ich gehe allerdings davon aus, dass du nicht vorhast, ganz London flachzulegen in den sechs Wochen." Prüfend sah sie mich an, während ich meine Hände hob.

„Ich bin vierzehn, Lilly", protestierte ich.

„Gut", grinste sie. „Dann haben wir das ja auch geklärt."

Die nächsten vier Türen waren bunt bemalt und beklebt, wie die Wohnungstür.

Auf der Ersten stand „Fee" und ich erkannte vor allem Aufkleber mit Schlagzeugen darauf.

Die nächste Tür war vollgeklebt mit Celli und anderen Streichinstrumenten. In schnörkeliger Schrift erkannte ich den Namen „Sandy". Ich war wirklich gespannt darauf, die beiden kennenzulernen.

Die Dritte war scheinbar Lillys, denn ihr Name prangte in großen Buchstaben dort und ich erkannte verschiedene Typen von Klavieren.

Auf der letzten Tür stand mein Name, der jedoch mit Bleistift gezeichnet war, im Gegensatz zu den Anderen. Anstatt vieler Aufkleber stand dort lediglich ein „Assistant of Simon" in Schattenschrift.

„Gefällt es dir?", erkundigte Lilly sich. „Ich hatte leider nicht so viel Zeit, und ich dachte du machst deine Aufkleber lieber selber darauf, ich hatte ja keine Ahnung welcher Musik-Typ du bist." Unsicher blickte sie mich an.

„Das ist klasse! Ich finde die Idee echt super!", freute ich mich. Lilly war absolut süß, dass sie sich so viel Mühe für jemanden gemacht hatte den sie nicht einmal kannte.

„Na dann, lass uns rein gehen." Sie öffnete die Tür, ließ mich eintreten und schloss sie hinter uns wieder. Ich ließ meinen Blick schweifen. Es war ein kleiner, gemütlicher Raum, in den ein Schreibtisch, ein dazugehörender Stuhl, ein Kleiderschrank, ein Regal und ein Bett gequetscht war. Die Wände waren schlicht weiß. Hier würde ich die kommenden Wochen auf jeden Fall gut überstehen können. Erwartungsvoll sah Lilly mich an.

„Und? Wenn dir die Wände zu schlicht sind, können wir sie auch noch anmalen."

„Wow", brachte ich heraus. „Ich habe mich jetzt eigentlich schon drauf eingestellt, in einem Zimmer zu wohnen, mit einem Bett und eventuell einem Schrank als Mobiliar. Dieses Zimmer ist ein Traum!"

„Das freut mich." Meine Mitbewohnerin lächelte. „Dann gibt es jetzt, mal abgesehen von den Bädern, die gleich neben den Zimmern sind, nur noch das Musikzimmer." Sie führte mich zum Ende des Ganges und öffnete die riesige Tür, durch die sie zuvor den Flügel geschoben hatte. Ich hätte nie gedacht, dass so ein riesiger Raum in solch eine kleine Wohnung passen würde. Die Akustik hier musste atemberaubend sein, da war ich mir sicher.

Außer dem Flügel entdeckte ich ein Keyboard, welches durch ein Kabel mit einem Computer verbunden war, ein Schlagzeug, eine E- sowie eine Akustikgitarre, ein Cello und einen Geigenkasten. Ein großer Schrank stand halb offen, eine Blockflöte und ein Xylophon konnte man dadurch gut erkennen. Wie viele Instrumente spielten die Mädchen denn bitte? Das war ja fast schon unmenschlich! Gut, ich war auch nicht gerade unmusikalisch, und durch meine ständig wechselnden Interessen spielte ich viele Instrumente, aber ganz so extrem war das bei mir nicht.

„Beeindruckt?", erkundigte Lilly sich.

„Allerdings", entgegnete ich bloß.

„Du gewöhnst dich daran, in den sechs Wochen", grinste die Pianistin.

„Na hoffentlich", grinste ich leicht schüchtern zurück.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top